24.02.2025
Erpressung zur Weltoffenheit
Von Christian Zeller
Der Anschlag am Münchner Stiglmaierplatz führt einmal mehr die Folgen einer verfehlten Migrationspolitik vor Augen. Dahinter steht auch der Konflikt zwischen Anywheres und Somewheres.
Die Blutspur setzt sich fort. Als bittere, alte Leier: Ein abgelehnter Asylbewerber. Junger Mann. Gläubiger Muslim. Duldungsstatus. Ein Auto. Eine Menschenmenge. Das Ziel diesmal, aber das war wohl Zufall: Eine gewerkschaftliche Kundgebung. Unweit des Stiglmaierplatzes in München. Die Ordner tragen gelbe Warnwesten mit der Aufschrift: „Zusammen geht mehr.“ Darunter das Verdi-Logo. Ein Riss. Motorengeräusche. Panik. 39 Verletzte. Rettungskräfte. Die Polizei ringt den Täter nieder. Bei Festnahme preist er die Größe seines Gottes.
Ministerpräsident und Landesinnenminister schauen betroffen in die Kameras. Söder: „Unsere Entschlossenheit wächst.“ Bundesinnenministerin Faeser verspricht Härte, weitere Abschiebungen nach Afghanistan. Außenministerin Baerbock warnt vor der Spaltung der Gesellschaft durch Islamisten und Rechtsradikale. Verdi verkündet: „Migration ist nicht das Problem.“ Am Abend demonstrieren, organisiert durch einen Stadtrat der Linken, einige hundert Menschen in München – gegen rechts. Auch Verdi beteiligt sich. Der linksextreme Klimaaktivist Tadzio Müller veröffentlicht ein Video, in dem er seine Sicht der Dinge präsentiert: „Ich glaube, das wird sich als ein Terrorangriff der Auto- und Arschlochgesellschaft auf Streikende herausstellen.“ Zwei Tage später: Ein zweijähriges Mädchen und seine Mutter erliegen ihren schweren Verletzungen.
Der Blickfang des Stiglmaierplatzes ist das putzige Türmchen des Löwenbräukellers, in dessen Biergarten im Sommer Menschen entspannt nach der Arbeit ihre Maß Bier trinken. Hin und wieder zieht einem eine Hopfenschwade durch die Nase, eine Münchner Großbrauerei steht zwei Blocks entfernt. Dieser Stiglmaierplatz, er wird nun nie wieder derselbe sein. Der 24-jährige Afghane Farhad Noori aus Kabul, abschiebepflichtig, verwandelte die Routine der abbiegenden Straßenbahnen, der dahin strömenden Autos, der dort lebenden und arbeitenden Passanten in ein fürchterliches Spiel des Zufalls, bei dem jeder zuvor ausgeführte Schritt darüber entschied, ob man unter Schock mit einer Schramme nach Hause wankte oder dem zertrümmerten Leib mit High-Tech-Medizin das Überleben abgerungen werden muss.
„Unübersehbar ist nun, dass eine Minderheit, die mit großer Geschlossenheit auftritt, teilweise staatsfinanziert Dutzende Millionen Bürger vor sich her treibt.“
Am Boden die schaurig banalen Reste des Gemetzels: Spritzen, Schuhe, Rettungsdecken, ein plattgedrückter Kinderwagen. Wieder ist auch ein Kind Ausländergewalt zum Opfer gefallen – nach dem neunjährigen André aus Magdeburg, dessen Leib durch einen Mercedes-SUV zerschmettert wurde; nach dem zweijährigen Yannis, dem im Aschaffenburger Stadtpark acht Mal ein Messer in den kleinen Körper getrieben wurde.
Fanatisierte Minderheit
Ist das nicht genug des Schocks, der Trauer, des Unbeheimatet-Werdens? Nein. Denn schließlich erhebt in diesen düsteren Tagen die Parallelgesellschaft „gegen rechts“ auf deutschen Straßen ihr der Realität entrücktes Haupt. Immerhin ist seine Sichtbarkeit – 250.000 Menschen sollen es am 8. Februar in München gewesen sein – ein Lernanlass für jeden volkskundlich Interessierten. Denn geschaffen ist mit den „Demos gegen rechts“ ein soziologischer Guckkasten, durch den die erschreckend dünne Herrschaftsbasis der links-grünen Diskurshegemonie in Staunen erregender Tiefenschärfe zutage tritt.
Zeigt sich in ihm doch die fanatisierte Minderheit, die die ganze Gesellschaft mit ihren bizarren Kampfbegriffen vom „Verschwörungstheoretiker“ über den „Klimaleugner“ bis hin zum „Schwurbler“, mit ihrem weltfremden Moralismus, ihrem permanenten „Nazi“-Geschrei, ihrer geschmacklos-geschichtsvergessenen Instrumentalisierung des Holocausts vor sich hertreibt, nahezu in ihrer numerischen Gesamtheit. Ähnlich wie vor einem Jahr, als die dreiste Verschwörungstheorie von der „Potsdamer Geheimkonferenz“ das links-grüne Milieu in die Massenhysterie trieb.
Unübersehbar ist nun, dass eine Minderheit, die mit großer Geschlossenheit auftritt, teilweise staatsfinanziert Dutzende Millionen Bürger vor sich her treibt: Von Steuergeldern gepamperte linksradikale NGO-Technokraten, die sich aus der rhetorisch qualifizierten Generation Wikipedia-Schulreferat rekrutieren; die Wohlfühl-Migrationsbegleiter und Helferkreis-Gesinnungsethiker; die Hauptstadt-Hofberichterstatter, die ihr Berufsethos längst an den Nagel gehängt haben, um den Sirenen-Gesängen von Luisa „Lieber Doppelmoral als gar keine Moral“ Neubauer zu erliegen und der Ikone artig ihre eigene „Haltung“ demonstrieren zu können; gewalttätige Linksextreme, die vor Parteitagen der AfD Straßensperren errichten und im Sturm auf CDU-Zentralen den Weg zu ihrem Sieg erspähen; die „Omas gegen rechts“, die lieber Menschen in fernen Ländern schützen als ihre Enkel im eigenen Land; brave „heute journal“-Gucker, die die propagandistisch zurechtgeschnitzte Wirklichkeit, in der sie medial leben, eine Mischung aus Orwells „1984“ und Huxleys „Brave New World“, für das Ende der politischen Fahnenstange halten; die „Correctiv“-Leser, die noch die dreisteste Lügenparade der „Faktenchecker“-Garde akzeptieren, wenn sie in ihr Weltbild passt; die rassistischen Anti-Rassisten der Woke Culture; die Vorlagenersteller steuerfinanzierter Klimaschutz-Institute; die Riege „kritischer“ Sozialwissenschaftler und Genderstudies-Aktivisten, die mit freundlicher Unterstützung der Steuerzahler ihre politische Meinung vor Widerspruch immunisieren, indem sie diese als „Studien“ ausgeben und damit offene Flanken für Wissenschaftsleugnung schaffen; die mit dem links-grünen Staat tief verbandelten bunten Kirchen, die ihren Bedeutungsverlust mit politischer Agitation „gegen Rechtsextremismus“ kompensieren.
„Nichts könnte Bestrebungen Rechtsextremer mehr Auftrieb verleihen als die links-grüne Parallelgesellschaft, die sich als deren ärgster Feind begreift.“
Nicht zuletzt die zum Abgesang ihrer kläglichen Herrschaft immer clownesker wirkenden Funktionsträger von SPD und Grünen, die in einer sagenhaften Umkehrung des parlamentarischen Prozesses breit grinsend zur Demonstration gegen die Opposition aufrufen, weil diese es wagt, das Offensichtliche auszusprechen: dass diese Migrationspolitik eben auch verletzt, verstümmelt, tötet, terrorisiert; viele Schulklassen unbeschulbar macht; so manchen Freibadbesuch, so manche Silvesterfeier zu einem Horrortrip werden lässt; bestimmte Stadtviertel in No-go-Areas für Juden mit Kippa verwandelt; mehrheitlich keine Fachkräfte ins Land bringt; viele Menschen der Gesellschaft entfremdet, die sich in ihrem Land nicht mehr wiedererkennen.
Repräsentationslücke
Nichts könnte Bestrebungen Rechtsextremer mehr Auftrieb verleihen als die links-grüne Parallelgesellschaft, die sich als deren ärgster Feind begreift. Schließlich stießen jene am vehementesten in den politischen Markt vor, der von den Merkel-Truppen der CDU zu einer ausblutenden Westernstadt mit seinen abgewrackten Politikangeboten aus Atomausstieg, Energiewende, Abschaffung der Wehrpflicht, der Zerstörung von Meinungspluralismus durch Merkels Wahlkampftaktik der „asymmetrischen Demobilisierung“ und der Fütterung links-grüner NGOs durch „Demokratie leben!“ gemacht wurde. Wo einst blühende Landschaften versprochen worden waren, werden bald, wenn es so weiter geht, einsame Heuballen durch staubige Straßen wehen. Aber eine Meldestelle für jene, die dafür der Politik die Schuld geben, wird es gewiss noch geben.
Die viel beschworene Repräsentationslücke ist die klaffende Wunde der Demokratie, die sich die etablierten Parteien durch die Verachtung ihrer Wähler selbst zugefügt haben: die SPD, indem sie unter Gerhard Schröder Politik gegen Arbeiter machte, die CDU, indem sie Politik gegen Konservative betrieb. Und zuletzt die Ampel, die Politik gegen das ganze Land machte – bis auf fanatisierte Klimaschutz-, Migrations- und Gender-Lobbyisten. Auf diesem Politikversagen fußt der Erfolg der Alternative für Deutschland. Es ist an Absurdität nicht zu überbieten: Links-grüne Politiker stiften Bürger dazu an, gegen die Effekte ihrer eigenen Politik zu demonstrieren.
Das jüngste Aufbäumen der links-grünen Parallelgesellschaft und die von ihrer Diskursherrschaft verordnete Brandmauer, die wohl noch weiteren Menschen in Deutschland das Leben kosten wird, treibt diese Entwicklung nun ins Extrem: das jederzeit begrüßenswerte Eintreten gegen Rassismus und für Gleichachtung und Gleichberechtigung wird zur Massenpsychose verkehrt, die allerdings auch von einer perfiden politischen Rationalität zehrt: Das skurrile Weltbild der moralinsauren Weltoffenheitserpresser soll mit der Demokratie schlechthin gleichgesetzt werden. Wessen Meinung ich nicht teile, tja, der verbreitet eben „Hass und Hetze“ – und hat aus dem Diskurs zu verschwinden, um „unsere Demokratie zu schützen“. Notfalls mit Hilfe der EU, die auch dann schon eingeschaltet werden soll, wenn die Facebook-Posts der Grünen zu wenige Likes bekommen.
„Wer entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen Nicht-Deutsche nach Deutschland einreisen? Genau, Deutsche.“
Die Zeiten, in denen linke Politologen bei jeder Gelegenheit von „Dialektik“ schwafelten, sind zwar längst vorbei. Heute wäre es jedoch wieder an der Zeit: Denn die Gegensätze von Demokratieschutz und Demokratiezerstörung sind in der links-grünen Parallelgesellschaft zur Synthese gelangt. Nirgendwo zeigt sich diese Synthese deutlicher als in der Demo-Parole: „Ganz Berlin hasst die AfD.“ Während gleichzeitig Demonstranten den angeblichen oder manchmal auch berechtigterweise festgestellten „Hass“ bei AfD-Funktionären anprangern.
Ein hanebüchen morsches Gebäude
Nein, natürlich ist nicht jeder in Deutschland lebende Muslim oder gar jeder Migrant ein Gewalttäter, bei weitem nicht. Hat auch nie ein vernünftiger Mensch behauptet. Wer anders denkt, ist dann wirklich rechtsextrem und wird berechtigterweise aus dem Diskurs ausgeschlossen. Aber Nationen, die wirksam ihre Grenzen schützen, zuwanderergruppenspezifische Wahrscheinlichkeiten bei Verbrechen in Rechnung stellen, der Sicherheit ihrer eigenen Bevölkerung die höchste Priorität einräumen, und nicht jeden in ihrem Gemeinwesen aufnehmen, der das Wort „Asyl“ ausspricht, sind gewiss nicht „autoritär“, „populistisch“ oder gar „faschistisch“ oder „nationalsozialistisch“. Es ist schlicht und einfach common sense so zu handeln.
Wer entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen Nicht-Togolesen nach Togo einreisen? Genau, Togolesen. Wer entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen Nicht-Bolivianer nach Bolivien einreisen? Genau, Bolivianer. Und wer entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen Nicht-Deutsche nach Deutschland einreisen? Genau, Deutsche. Wer auch sonst. Und zwar so viele Staatsbürger wie möglich, in so offenen und freien Diskursen wie möglich, in so guten und verantwortungsvoll geführten parlamentarischen Debatten wie möglich. Umgekehrt gefragt: Sind Nationen, die – horribile dictu! – gar keine Einwanderung wünschen, etwa schon deshalb „Nazi“-Nationen? Das heutige Japan beispielsweise? Oder China? Natürlich nicht.
Die Herrschaft der Weltoffenheitserpresser ist auf so absurden Voraussetzungen aufgebaut, stellt ein so hanebüchen morsches Gebäude aus Aberwitz, moralischer Idiosynkrasie, Lüge und Realitätsverachtung dar, dass es nur eines ob seiner Naivität klarsehenden Kindes bedarf, das ungläubig den Finger anhebt und spricht: „Das Haus bricht ja gleich zusammen!“ Möglicherweise kämpfen die Weltoffenheitserpresser genau deshalb so verbissen, so weltfremd und pietätlos, weil sie wissen, dass ihre Herrschaft bereits dann endet, wenn sie nur ein bisschen bröckelt.
„Von der grob überproportionalen politischen Relevanz, die den Narreteien der links-grünen Parallelgesellschaft zukommt, muss die Migrationsdebatte schleunigst befreit werden.“
Der liberalen Demokratie gereichte das nur zum Vorteil: Von der grob überproportionalen politischen Relevanz, die den Narreteien der links-grünen Parallelgesellschaft zukommt, muss die Migrationsdebatte schleunigst befreit werden. Die gesamte Bandbreite an möglichen Positionen muss frei und chancengleich diskutabel werden – von „offene Grenzen für alle“ bis hin zum „Zaun um Deutschland“.
Gefährdung der pluralen Gesellschaft
Geschieht dies nicht, so wird die grotesk den mehrheitlichen Willen der Bürger verzerrende Herrschaft aus einer politischen Klasse, die das Gespür für die echte Welt, die sie regiert, weitgehend verloren hat, aus Mainstream-Medien, die hübsch die Realität ihrer eigenen politischen Meinung entsprechend vorkuratieren sowie „Wissenschaftlern“ und „Experten“, die dieser zurecht arrangierten Realität in Online-Schalten mit ihren ehrfurchterbietenden Doktor- und Professorentiteln und ihren Bücherwandkulissen das Siegel des ens realissimum aufdrücken, irgendwann in jenem Bürgerkrieg münden, den echte Rechtsextreme, die man durch die schändliche Begriffsinflation des „Nazi“-Phrasenkatalogs gar nicht mehr zuverlässig erkennt, so sehr herbeisehnen, um ihre Gesellschaftsordnung auf den Trümmern der liberalen Gesellschaft zu errichten. Das wäre dann in der Tat menschenfeindlich und gewiss unbunt.
Nichts gefährdet die plurale Gesellschaft so sehr wie das links-grüne Parallelmilieu, das im Offenkundigen das Tor zu Hölle erspäht und es deshalb mit einem Bann belegt: dass nicht nur Sentinelesen, Türken, Araber, Aborigines, Kasachen oder Pirahã, sondern auch Deutsche ein Recht auf eine unversehrte Heimat haben. Eine Heimat, die nicht durch die Einreise, die Duldung und die steuerfinanzierte Versorgung mancher gewalttätiger oder mancher sich permanent danebenbenehmender Ausländer aufs Spiel gesetzt werden darf. Eine Heimat, in der das ganze Staatsvolk bestimmt, welchen Lauf der Dinge das Land nimmt.
Karl Marx sagte bekanntlich, dass sich die Geschichte zwei Mal ereignet – einmal als Tragödie, einmal als Farce. Mit der Herrschaft der Minderheit, unter der das Land – noch – lebt, geschieht beides gleichzeitig: Die Demonstrationen „gegen rechts“, ins Werk gesetzt von einem beklagenswert homogenen Trüppchen, sind die Farce der bunten Gesellschaft, die Blutspur einiger weniger gewalttätiger Ausländer, neben der sie klappernd und schreiend durch die Lande ziehen, ihre Tragödie.
„Die ineinander verschachtelten Pole zwischen den Anywheres und den Somewheres werden in den nächsten Jahren den politischen Makrokosmos prägen.“
In Deutschland ist es einer kleinen Minderheit gelungen, die liberal-demokratische Debattenkultur ausgerechnet zu den essentiellsten Themen unserer Zeit in einem riesigen Bottich, gefüllt mit toxischem Moralismus, zu ertränken. Und die Migrationsthematik, mit ihren derzeit auch Tod und Gewalt über das Land bringenden Folgen, gehört hier – neben Corona, Klima, Ukraine – gewiss dazu. Die alltäglichsten und breitest geteilten sozialmoralischen Grundgesetze hat der Moralismus des links-grünen Milieus außer Kraft gesetzt. In dieser Parallelgesellschaft gibt es nichts Skandalöseres als einen US-amerikanischen Staatsmann, der behauptet, seine Aufgabe sei es, Politik für sein Gemeinwesen zu machen und ihm dadurch wieder Größe zu verleihen. Das geht ja gar nicht. Genau das aber ist die Aufgabe demokratischer Politiker: im Sinne des Gemeinwesens zu handeln, das sie gewählt hat.
Identitäre Eskalationsdynamik
Die vielen geistlosen Reaktionen auf die eindrucksvolle Rede, die der amerikanische Vize-Präsident J. D. Vance – Verfasser des ungemein klugen und sensiblen Buches „Hillbilly Elegy“ – am 14. Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hat, zeigen bereits, dass seine Kritik ins Schwarze trifft: Das freie Erwägen von Argumenten und Positionen ist durch eine europäische, von den Bürgern weitgehend entkoppelte Technokraten-Elite mit ihren metapolitischen Helfershelfern in NGOs, Medien und „Wissenschaft“ so unter Druck geraten, dass bereits eine niveauvoll formulierte Kritik daran im Mainstream in erster Linie auf ideologische Abwehrreflexe stößt.
Was sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz – die im Schatten des Anschlags stand – abzeichnet und in den nächsten Jahren wohl aufblühen wird, ist die Hochstufung der Eskalationsdynamik zwischen rechtsidentitären und linksidentitären Politikentwürfen auf eine geopolitische Ebene. In der Diktion des britischen Journalisten David Goodhart: Die USA werden unter Trump und seinen Getreuen zunehmend die Nation der „Somewheres“, der in Heimat, Nation und Gott Verwurzelten; die EU-Technokraten verordnen in zunehmend trotziger Gegenreaktion darauf ihren Bevölkerungen das „Anywhere“ – den unbedingten Kosmopolitismus; den Menschenrechtsfundamentalismus, der es als Skandalon ansieht, wenn Völker ihre eigene Lebensweise verteidigen und unter sich bleiben wollen; die ökonomische Austauschbarkeit eines jeden in einem freien Markt der Arbeitnehmerfreizügigkeit, ohne erspürte Anbindung an konkrete Orte und ihre Traditionen; die Pseudo-Meinungsfreiheit, die im Wolkendunst der Begriffe „Hass“ und „Fake News“ alles ausschließt, was den von jedem Druck einer genuinen europäischen Öffentlichkeit entlasteten Bürokraten nicht gefällt – darunter eben das Streben der Somewheres nach identitärer Bindung.
Die Entwicklung wird wohl die folgende sein: In den USA werden die Anywheres von den derzeit reüssierenden Somewheres an den Rand gedrängt, in Europa hingegen werden die Organe der Europäischen Union eine Anywhere-Politik gegen die zunehmenden Somewhere-Tendenzen in ihren Mitgliedstaaten oktroyieren. Die Folge wird sein, dass sich die europäischen Somewheres zunehmend mit Ländern identifizieren werden, die ebenfalls Somewhere-Tendenzen zeigen – wie etwa Russland oder eben die USA unter Trump. Während für die unter Druck geratenen US-amerikanischen Anywheres – die woken Kids der Ivy-League-Universitäten und die kosmopolitische obere Mittelschicht – die EU-Hauptstadt Brüssel zum neuen geopolitischen Vorbild mutieren könnte. Diese ineinander verschachtelten Pole zwischen den Anywheres und den Somewheres werden in den nächsten Jahren den politischen Makrokosmos prägen. Und dieser Kampf zwischen den beiden Polen bestimmt jüngst wieder auch den Mikrokosmos – den Anschlag am Stiglmaierplatz in München durch den Afghanen Farhad Noori, in dessen religiösem Wahn sich die Gefestigtsten unter den links-grünen Fanatikern als Gleiche erkennen können.
„Jeder dieser Anschläge ist ein Anschlag auf das anthropologische Fundament unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung: die innere Sicherheit.“
Begriffen werden muss dabei zum einen das Folgende: Der Menschenrechtsfundamentalismus der Anywheres in Deutschland führt ja nicht dazu, dass in der Mehrzahl weitere Anywheres ins Land kommen. Also liberale, gut ausgebildete Kosmopoliten, die ihre eigenen Bindungen im Habermasianischen Geist post-konventionell hinterfragen und ganz begierig darauf sind, ihre eigenen Überzeugungen vor dem Hintergrund der Werte der Aufnahmegesellschaft zu de-zentrieren. Sondern ins Land kommen häufig Hard-Core-Somewheres, die – fest in ihrer Religion und ihren partikularen Bindungen von Volk, Familie und Heimatland verwurzelt – nur wenig Interesse daran haben, in Deutschland am Reich der Weltbürger mitzuweben. Das Töten für die eigene Religion ist die absolute Negation eben jenes Fundi-Kosmopolitismus, der solchen Leuten erst den Zugang zu unserem Land ermöglicht hat.
Gegen die fundamentalistischen Anywheres
Die Pole von Anywheres und Somewheres sind aber auch noch in einer anderen Hinsicht von Bedeutung: Denn jeder dieser Anschläge ist ein Anschlag auf das anthropologische Fundament unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung: die innere Sicherheit. Und damit ist nicht nur die Großkategorie der Politik gemeint, die dem modernen Staat zugrunde liegt, sondern auch deren Grundlage und Zielstellung: Das Gefühl, beheimatet zu sein, auf einem „unbefragten Boden der natürlichen Weltanschauung“ (Thomas Luckmann) zu stehen, auf dem sich dann die Freiheitlichkeit, die Differenz, der demokratische Streit und möglicherweise – wenn der Souverän dies nach möglichst inklusiven, chancengleichen Verfahren der Meinungs- und Willensbildung wünscht – auch die Buntheit erheben kann.
In diesem Gefühl der Sicherheit, der Vertrautheit mit Personen, die einem nichts Böses wollen, deren kulturelle Codes man fließend entschlüsseln kann, die einen in den Sphären der Familie, der gemeinschaftlichen Solidarbindung und der Arbeit anerkennen, in der Vertrautheit mit alltäglichen Routinen, die vorhersagbar ihren Gang gehen, besteht die anthropologisch irreduzible Form des Somewhere-Seins. Jeder Mensch braucht diese Bindungen, und einem Kind, das von absolut kosmopolitischen Eltern erzogen werden würde, würde es ergehen wie den Kindern in den grausamen Experimenten des Staufferkaisers Friedrich II., der Neugeborene mit Nahrung aber ohne Sprache und nicht notwendigem Körperkontakt aufwachsen ließ, um zu sehen, was denn wohl die Ursprache sei. Das Resultat: Die Kinder sprachen gar nicht, sie starben.
„So zerstört die staatsgefährdende Migrationspolitik die Heimat auch in den Seelen, Köpfen und Herzen der Menschen.“
Die Frage, die der Migrationsthematik zugrunde liegt, ist deshalb schlicht und einfach die: Bringt die deutsche Politik alsbald den Willen und die Kraft auf, sich gegen die fundamentalistischen Anywheres der links-grünen Parallelgesellschaft zur Wehr zu setzen und dem Schutz des Eigenen, der Familie, des eigenen Kindes, der Kommune, des Volkes, wieder den Platz einzuräumen, der ihm in den Augen vieler ordentlich arbeitender, die Gesetze achtenden Bürger zukommt – und dies ohne dabei ins fundamentalistische Gegenteil der ins Übermaß getriebenen Homogenisierung und der Austreibung des Anderen zu verfallen, wie es in so manchem rechtsidentitären Politikangebot sich abzeichnet. Das ist die Frage, vor der wir alle stehen. Das ist die Aufgabe, vor der der nächste Bundeskanzler steht, und es wird der höchsten Regierungskunst bedürfen, sie ins Werk zu setzen. Man darf skeptisch sein, ob Friedrich Merz dieser Aufgabe gewachsen ist, sollte aber auch nicht alle Hoffnung fahren lassen.
In München, dem größten Dorf der Republik, hat sich ein grauenhafter Anschlag zugetragen. Die Scheibe eines zerschmetterten BMW Mini – die Tatwaffe – lässt die Wucht des Aufpralls erahnen, die einen Akt der Solidarität der arbeitenden Bevölkerung zu einem kreischenden Taumel des Terrors mutieren ließ. „Stiglmaierplatz“, das klingt nun für viele Münchner nicht mehr nach Heimat. Sondern nach „Breitscheidplatz“, nach „Brokstedt“, nach „Magdeburg“, nach „Kölner Domplatte“, nach einer Panik, Gewalt, Missbrauch, Schreie, Blut heraufbeschwörenden Serie des Grauens. So zerstört die staatsgefährdende Migrationspolitik die Heimat auch in den Seelen, Köpfen und Herzen der Menschen. Orte, an denen Bürger und viele gut integrierte Ausländer zur Schule gehen, arbeiten, leben und streiten, haben nun den Beiklang des Morbiden.
Die Merkelsche Migrationspolitik und ihre fatale Fortsetzung durch links-grüne „Anywhere“-Träumer, die Deutschland erklärtermaßen verachten – „Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.“ – untergräbt nicht weniger als das Fundament des freiheitlichen Rechtstaates und der pluralen Gesellschaft, die eben auch einen konkreten Ort, eine konkrete Zeit hat, in der sie sich überhaupt erst zu entfalten vermag. Der „Stiglmaierplatz“ mit seinem putzigen Löwenbräu-Türmchen ist keine Heimat mehr, sondern eine Chiffre für sinnlose, barbarische Gewalt – und jene politische Verantwortungslosigkeit, die sie überhaupt erst ermöglicht hat. Möge sie endlich, endlich überwunden werden. Auf dass die Blutspur hier nun ende.