06.12.2024

Zensur durch „Trusted flagger“?

Von Christian Zeller

Als erste privilegierte Meldestelle nach dem Digital Services Act der EU wurde in Deutschland „Respect!“ anerkannt. Es ergeben sich Fragen nach deren Umgang mit legalen Meinungsäußerungen.

Die Meinungsfreiheit, ein Fundament unserer Verfassung, steht massiv unter Druck. Linksidentitäre Cancel Culture, der „Kampf gegen rechts“, eine politisch einseitig ausgerichtete Mainstream-Medienlandschaft und verfassungswidrige Äußerungen von Regierungsmitgliedern und dem ehemaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes haben ihren Beitrag geleistet.

Ein markanter Baustein im Kampf gegen politische Meinungen, die nicht dem Mainstream entsprechen, ist der Aufbau von „Meldestellen“. So wird etwa in Rheinland-Pfalz mit „m*power“ eine „Melde- und Dokumentationsstelle für menschenfeindliche Vorfälle“ eingerichtet; das Bundesland Hessen tritt auf mit „#HessenGegenHetze“ und wendet sich „gemeinsam gegen Hate speech und Extremismus“. Nordrhein-Westfalen leistet sich unter der grünen Integrationsministerin Josephine Paul und dem CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst seit 2022 gleich vier Meldestellen, die sich derzeit im Aufbau befinden: Mehrere Queer-Verbände kümmern sich um die Meldestelle Queerfeindlichkeit; die Vereine Interkultur e. V. und Coach e. V. betreiben die Meldestelle für antimuslimischen Rassismus; den Bereich Antiziganismus verantwortet der Verein PLANB Ruhr e. V. und der „Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine Dortmund e. V.“ übernimmt den Aufbau der Meldestelle für anti-schwarzen, antiasiatischen und weitere Formen von Rassismus. Einer der beteiligten Vereine – das Anti-Rassismus Informations-Centrum, ARIC-NRW e. V. – schreibt zu letzterem Vorhaben: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit soll so niedrigschwellig erfasst und analysiert werden, und auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen.“

Die „Meldestelle Antifeminismus“ der Amadeo Antonio Stiftung zielt ebenfalls ganz offen auf das Anprangern von Meinungsäußerungen ab, z. B. auf „Sticker/Flyer mit antifeministischen Inhalten […] z.B. Mobilisierung gegen die „Gender-Ideologie“ u.ä.“ oder auf Kundgebungen „mit antifeministischen Inhalten oder bekannten Antifeminist*innen“.

Meldestellen und DSA

Angesichts dieses semi-totalitären Meldestellen-Wildwuches brachte die Ankündigung der Bundesnetzagentur, die baden-württembergische Meldestelle „Respect“ als „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ zu installieren, Anfang Oktober 2024 das Fass zum Überlaufen. Die Bundesnetzagentur hatte in einer Pressemitteilung verkündet, „illegale Inhalte, Hass und Fake News“ (so die ursprüngliche Formulierung) mit Hilfe der von ihr zertifizierten Meldestelle „Respect“ „sehr schnell und ohne bürokratische Hürden“ zu entfernen. Das roch nach der viertklassigen Verfassungsküche um Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die auf einer Pressekonferenz am 13. Februar 2024 verkündet hatte, auch Meinungsäußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ ahnden zu wollen. Der ehemalige sächsische Verfassungsrichter Christoph Degenhart attestierte Paus in einem Interview mit Novo bezüglich Artikel 5 des Grundgesetzes vollständige Inkompetenz: „Die Formulierung ‚was gerade noch so unter die Meinungsfreiheit fällt‘“, so Degenhart, „lässt auf ein grundlegendes Fehlverständnis des Grundrechts schließen.“

Auf Zensur-Vorwürfe – unter anderem von FDP-Politiker Wolfgang Kubicki – hin reagierte die Bundesnetzagentur und präzisierte: „Illegale Inhalte, illegaler Hass und illegale Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden.“ Auch hier regieren die allseits bekannten Wortwolken „Hass“ und „Fake News“. Aber immerhin darf man dem Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller (Grüne) unterstellen, dass bei ihm noch ein Gespür für rechtstaatliche Erwägungszusammenhänge erkennbar ist.

„Grundlage für das neue Vorgehen gegen möglicherweise strafbare Äußerungen ist die – für den deutschen Souverän weitgehend intransparente – EU-Gesetzgebung.“

Grundlage für das neue Vorgehen gegen möglicherweise strafbare Äußerungen ist die – für den deutschen Souverän weitgehend intransparente – EU-Gesetzgebung: Die Umsetzung des Digital Services Act (DSA) hat im Mai 2024 das seit 2017 geltende Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im Wesentlichen abgelöst. Der Digital Services Act eröffnet dabei den Spielraum, unliebsame Meinungsäußerungen als Gefährdung der Demokratie einzustufen. So werden als eine Kategorie von Risiken, auf die die Verordnung reagieren soll, „die tatsächlichen oder absehbaren negativen Auswirkungen auf demokratische Prozesse, die gesellschaftliche Debatte und Wahlprozesse sowie auf die öffentliche Sicherheit“ identifiziert. Das bedeutet: Wortwolken, deren genaues Verständnis vom politischen Standpunkt abhängt, können jetzt Gesetzeskraft erlangen. „Sag beim Abschied leise Servus“, möchte man da dem Rechtsstaat hinterhersingen.

Wie arbeitet „Respect!“?

„Respect!“, die Meldestelle, die nun gemäß dem DSA als erster „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“ zertifiziert wurde, ist ein Ableger der Jugendstiftung Baden-Württemberg. Gegründet im Jahr 2017, wird sie von dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“, dem bayerischen sowie dem baden-württembergischen Sozialministerium finanziert. Die Vorstandsvorsitzende Petra Densborn, 2023 mit dem Bundesverdienstkreuz für ihr bildungspolitisches Engagement ausgezeichnet, hat sich nun mit dem Geschäftsführer Wolfgang Antes in einem Interview mit der Ludwigsburger Kreiszeitung zu Wort gemeldet.1 Missverständnisse und angebliche – natürlich: überwiegend „rechtspopulistische“ – Fehldeutungen sollen ausgeräumt, der Zensur-Vorwurf entkräftet werden. Wir werden sehen, dass es hier leider keinen Grund zur Beruhigung gibt – im Gegenteil.

Densborn und Antes zufolge ist das Verfahren bislang wie folgt: Jede Meldung durch einen Internetnutzer wird von mindestens zwei für die Meldestelle Tätigen, von denen einer ein Jurist ist, bearbeitet. Kommt das Team zu der Einschätzung, dass es sich bei einer Äußerung um eine Straftat (Volksverhetzung, üble Nachrede, Beleidigung etc.) handeln könnte, wird Meldung an das Bundeskriminalamt erstattet. Laut Densborn teilt das BKA bislang zu 90 Prozent die Einschätzungen der Meldestelle. Nur wenn das BKA – das eventuell auch noch die Staatsanwaltschaft hinzuzieht – die Auffassung der Meldestelle teilt, wird die Plattform über die Äußerung informiert. Diese entscheidet abschließend über die Löschung. Teilt das BKA die Einschätzung der Meldestelle nicht, wird Densborn zufolge lediglich der meldende Nutzer informiert und über etwaige zivilrechtliche Möglichkeiten aufgeklärt. Densborn betont im Interview, dass „Respect!“ nur strafwürdige Einschätzungen an die offiziellen Behörden weitergibt. Der Interviewer: „Was geschieht, wenn Sie eine Online-Botschaft zwar als nicht strafrechtlich relevant einstufen, sie aber doch offenkundig unwahr und diskreditierend ist? Wenden Sie sich dann, beispielsweise unter Verweis auf die allgemeinen Geschäftsverbindungen, direkt an die betroffene Plattform?“ Densborn: „Nochmals – wir setzen uns in diesen Fällen nur direkt mit den Meldenden in Verbindung.“

Klingt diese Klärung nun nicht irgendwie transparent und vertrauenserweckend? Ist damit die Kritik, die Meldestelle übe Ex-post-Zensur aus, nicht als Paranoia von „Rechtspopulisten“ enttarnt, die überall eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sehen wollen? Nein, denn die Erläuterung von Densborn widerspricht nämlich in entscheidenden Punkten dem Vorgehen der Meldestelle, wie es der Direktor von „Respect!“, Ahmed Haykel Gaafar in einem ARD-Beitrag des Formats „Respekt“ präsentiert. Gaafar sitzt in dem Beitrag mit dem Interviewer des Fernsehteams vor dem Rechner, auf dem die Meldestatistik und die jeweiligen Gründe für die Meldung aufgerufen sind. Neben einigen mutmaßlich strafbaren Meldungen wie „Volksverhetzung“, „Aufruf zur Gewalt“ oder „Muslime als Terroristen verunglimpft“ werden in dem Beitrag genannt bzw. gezeigt: „Hetze gegen die BRD“ und „Hetze gegen Covid 19-Impfung“. Letzteres ist gewiss nicht strafbar, was Gaafars eigener Äußerung in einem Beitrag aus dem Jahr 2021 mit dem Titel „Hate Speech in Zeiten von Corona“ entspricht. Er schreibt dort: „‚Hate Speech‘ oder das deutschsprachige Pendant ‚Hassrede‘ ist ein dehnbarer und facettenreicher Begriff.“ Recht hat er, und genau darin besteht das Problem, wenn auf der Grundlage solcher „facettenreicher“ Begriffe „die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen“ intensiviert werden soll. So charakterisiert die Bayerische Landeszentrale für neue Medien den Ansatz von Gaafar nämlich in einem Autorenporträt.

„Wie oft etwa wurden Meldungen, die als ‚Hetze gegen Covid 19-Impfung‘ kodiert wurden, den Plattformen zur Löschung vorgeschlagen, und damit der freie und offene Diskurs auf unzulässige Weise durch eine staatlich finanzierte Organisation verzerrt?“

Die entscheidende Frage ist: Werden solche nicht strafwürdigen Meldungen auch weitergeleitet, entweder an das BKA oder an die Plattform? Wir erinnern uns an Densborns Wort: „Wir setzen uns in diesen Fällen nur direkt mit den Meldenden in Verbindung.“ Genau dem widersprechen die Ausführungen des „Respect!“-Direktors. Dieser erläutert das Procedere nach der Erfassung der Meldung wie folgt (durch eine FFP2-Maske): „Was nachher danach kommt, dass wir einfach direkt die Meldungen anschauen und wir haben ja schon sozusagen juristisch ein Team, die das bewerten kann, ob das ja schon strafrechtlich relevant ist oder strafrechtlich nicht relevant. Und wenn es strafrechtlich relevant, dann melden wir das direkt bei der Polizei oder Landeskriminalamt. […] Und wenn es nicht strafrechtlich relevant, dann werden wir schon ein Löschantrag beim Provider machen.“

„Respect!“ ging also ausweislich des operativen Direktors bislang – also jedenfalls vor ihrer Zertifizierung als „trusted flagger“ – so vor, wie es Densborn in dem Interview mit der Ludwigsburger Kreiszeitung zwei Mal von sich weist. Der Erläuterung des Verfahrens durch Gaafar entspricht der Umstand, dass bereits der Webauftritt von „Respect!“ erkennbar wenig Wert darauf legt, präzise zwischen strafbaren und nicht strafbaren Inhalten zu trennen. So liest man dort über das „Team“: „Was uns verbindet ist der gemeinsame Einsatz für einen besseren Umgang miteinander im Internet sowie die Arbeit gegen Hetze, Verschwörungserzählungen und Fake News. Das machen wir – auch wenn es nicht immer leichtfällt – mit viel Spaß und der Überzeugung, etwas Gutes zu tun!“ „Hetze“, „Verschwörungserzählungen“ und „Fake News“ sind allerdings keine Rechtsbegriffe und in vielen Fällen verbirgt sich dahinter nichts, was strafbar wäre – was gleichwohl nicht bedeutet, dass es niemanden zu schädigen vermag.

Densborn erläutert weiter das Vorgehen der Meldestelle: Sobald „Respect!“ seine Arbeit als gesetzlich ratifizierter „trusted flagger“ aufnimmt, werden die Plattformen angehalten, der Meldestelle eine Rückmeldung zu geben, ob auch tatsächlich gelöscht wurde oder nicht. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass daraus ein hoher Druck für die Plattform entstehen kann, im Zweifelsfall einmal mehr zu löschen, um die staatlich zertifizierte Meldestelle nicht zu verärgern. Schließlich sind im Digital Services Act Strafzahlungen vorgesehen, die bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes betragen können.

Transparenz fehlt

Vor diesem Hintergrund stehen die veröffentlichten Zahlen in einem beunruhigenden Licht. So gab es ausweislich der „Respect!“-Webseite seit 2017 77.588 Meldungen. Von diesen wurden 21.543 zur Anzeige gebracht. Was passierte dann aber mit den restlichen 56.045 Meldungen? In wie vielen Fällen gab es Löschanträge an die Plattformen, ohne dass der Inhalt als mutmaßlich strafbar eingestuft wurde? Dass es solche Löschanträge gab, ist nach der Darstellung von Gaafar klar. Die Meldestelle würde also gut daran tun, für Transparenz zu sorgen: Wie oft etwa wurden Meldungen, die als „Hetze gegen Covid 19-Impfung“ kodiert wurden, den Plattformen zur Löschung vorgeschlagen, und damit der freie und offene Diskurs auf unzulässige Weise durch eine staatlich finanzierte Organisation verzerrt?

„Bundesnetzagentur-Präsident Müller ist aufgefordert, sicherzustellen, dass die von ihm zugelassenen ‚Trusted flagger‘ nicht die kommunikative Chancengleichheit bei rechtmäßigen Meinungsäußerungen verletzen.“

Bundesnetzagentur-Präsident Müller ist aufgefordert, sicherzustellen, dass die von ihm zugelassenen „Trusted flagger“ nicht die kommunikative Chancengleichheit bei rechtmäßigen Meinungsäußerungen verletzen. Gegenwärtig verhält es sich so, dass ausgerechnet das Mittel zur Sicherstellung der Integrität der „gesellschaftlichen Debatte“ genau diese Integrität beschädigt – und zwar gemessen an Artikel 5 Grundgesetz und an der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Im wegweisenden Lüth-Urteil aus dem Jahr 1958 heißt es: „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt […]. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. […] Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt […].“

Soll also die Demokratie weiterhin „leben“, muss Müller zwingend mit einer Offenlegung aller Fakten nachbessern. Schließlich sollte ja keine „Desinformation“ betrieben werden, oder? Die Vorsitzende der Jugendstiftung muss erklären, wie es zu den Widersprüchen zu den Schilderungen ihres operativen Direktors kommt. Ausweislich der Schilderung Gaafars und entgegen der der Vorsitzenden der Jugendstiftung erfolgten auch Meldungen von nicht strafbaren Inhalten an die Plattformen. Dies legt den Schluss nahe, dass das Meldestellen-Verfahren nicht ausreichend dagegen abgesichert ist, auch weltanschaulich gefärbte Einschätzungen der Meldestellen-Mitarbeiter zur Geltung kommen zu lassen.

Direktor Gaafar

Bei einem operativen Direktor, der Islamwissenschaften an der Al-Azhar-Universität in Kairo studierte und von 2023 bis 2024 an einem Fellowship-Programm der US-amerikanischen, von Jesuiten geleiteten Georgetown University teilnahm, wird man auf jeden Fall mögliche polit-religiöse Einflüsse im Auge behalten müssen. Immerhin unterhält Großimam Ahmed Al-Tayyib, das geistliche Oberhaupt der Al-Azhar-Universität, Kontakte zur Terrororganisation Hamas. Nach Kritik an einem gemeinsamen Foto mit dem Großimam reduzierte Gaafar seine Social-Media-Präsenz. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (da noch FDP), forderte gegenüber Nius eine vollständige Aufklärung derartiger Kontakte: „Eine Sympathie für die Hamas oder andere extremistische Grundeinstellungen sind nicht mit der Ausübung einer Tätigkeit als Trusted Flagger vereinbar.“

Die Georgetown University wiederum unterhält auch einen Campus in Katar – einem autoritär regierten Staat, in dem homosexuelle Handlungen mit der Todesstrafe belegt werden können, sich Frauen nur sehr schwer scheiden lassen können und die Anzeige einer Vergewaltigung die strafrechtliche Verfolgung des Opfers aufgrund „außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ zur Folge haben kann. Teilweise wird die Georgetown University durch Gelder einer Stiftung der katarischen Herrscherfamilie finanziert. Mit ihrer „Bridge Initiative“ widmet sich die Universität zudem gezielt der Bekämpfung von „Islamophobie“. Es handelt sich dabei um ein wissenschaftlich dubioses und politisiertes Konzept, das auch von dem Islamismus nahestehenden Organisationen, allgemein auf ein Revival des Religiösen setzenden sowie linksidentitär-woken Kräften im Westen benutzt wird, um den Islam vor menschenrechtsbasierter Kritik abzuschirmen. Auf der Webseite der Georgetown University finden sich „Factsheets“, auf denen verschiedene, überwiegend aus dem rechtskonservativen politischen Spektrum stammende Akteure dargestellt werden, die sich kritisch über den Islam geäußert haben. Aber auch wer, wie der kanadisch-pakistanische Publizist Tarek Fatah, für eine Liberalisierung des Islam eintritt und sich kritisch gegenüber der Gesichtsverschleierung von Frauen („Nikab“) positioniert, wird in den „Factsheets“, die an polizeiliche Steckbriefe erinnern, vorgeführt.

„Der Staat wird durch seine halbstaatlichen Meldestellen gleichsam strukturell übergriffig, indem er immer weiter in den zivilgesellschaftlichen Bereich hineinreicht.“

Eine akademische Sozialisation in einem solchen Umfeld bedeutet natürlich nicht zwingend, dass Gaafar seine Arbeit voreingenommen verrichtet. Sie könnte sogar aufgrund der akademischen Aneignung der muslimischen Binnenperspektive den Sinn für extremistische Ausprägungen des Islam schärfen. Aber Wachsamkeit bezüglich einer möglichen Exkulpierung islamischer Praktiken, die mit dem Wertegerüst des Grundgesetzes nicht vereinbar sind oder eine vorschnelle Verurteilung von Äußerungen als Ausdruck von „Islamophobie“ oder „antimuslimischem Rassismus“ wird angesichts dieses Hintergrundes sicherlich angezeigt sein. Immerhin geht es um das Fundament unserer Rechtsordnung, das dem Handeln von „Respect!“-Funktionären anvertraut wird.

Grundsätzliche Kritik

Der Kernpunkt der Kritik an dem Meldestelle-Verfahren hat allerdings mit dessen konkretem Ablauf und dessen personeller Besetzung überhaupt nichts zu tun. Er ist vielmehr grundsätzlicher Natur: Denn mit diesen Meldestellen entsteht eine Art Public-Private-Partnership zur Verfolgung von Äußerungen, eine schwammige Zone, in der man gar nicht mehr genau weiß, welche Instanz eigentlich zuständig ist. Daraus resultiert das prinzipielle Unbehagen an einem solchen System, das dem Aufbau eines freiheitlichen Rechtsstaates fremd ist. Denn der Staat wird durch seine halbstaatlichen Meldestellen gleichsam strukturell übergriffig, indem er immer weiter in den zivilgesellschaftlichen Bereich hineinreicht. Der Umstand, dass „Respect!“ aufgrund seiner selektiven und widersprüchlichen Informationspolitik – entgegen der offiziellen Bezeichnung als „trusted flagger“ – gerade wenig vertrauenswürdig ist, kann die prinzipielle Skepsis nicht mildern.

Die Stunde „der Zivilgesellschaft“ hätte hier geschlagen, wenn sie sich denn in ihrer organisierten Form nicht in weiten Teilen selbst dem linksidentitären Weltbild aus postmodernem Anti-Rassismus, realitätszerstörendem Queerfeminismus und dem Glauben daran, dass Muslime per se in westlichen Gesellschaften unterdrückt würden, verpflichtet fühlte. Grund genug, die Verteidigung der Demokratie auf eine breite bürgerliche Grundlage zu stellen – gegenüber rechts- und linksidentitären Kräften.  

Mit Blick auf „Respect!“ sind es fünf Merkmale, die dafür Anlass geben: Das Prinzip der „Meldestelle“ als weltanschaulich durchtränkte Denunziationsagentur; das damit einhergehende Verschwimmen von Staat und Zivilgesellschaft; widersprüchliche Informationen zu ihrem Vorgehen durch die Verantwortlichen; ihre „Hass und Hetze“-Wortwolken-Politik; und noch dazu eine akademische Sozialisation des Direktors, die das Vertrauen in die Neutralität der Organisation nicht unbedingt erhöht. Es spricht viel dafür, dass eine solche Form des „Demokratieschutzes“ die liberale Demokratie beschädigt. Ein Baustein, sie auch weiterhin zu bewahren, besteht darin, „trusted flagger“ schleunigst wieder abzuschaffen. Das eingesparte Geld kann unter anderem in eine bessere Ausstattung der Justiz gesteckt werden, um (auch Online-)Kriminalität mit den Mitteln des Rechtsstaates wirksam begegnen zu können. Am Umgang mit dem Fundament unserer Verfassungsordnung wird sich die nächste Regierung messen lassen müssen.

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