10.05.2024

Mandela und der postmoderne Neo-Rassismus

Von Christian Zeller

Heute vor 30 Jahren trat Nelson Mandela sein Amt als Präsident Südafrikas an. Die Leitlinien seines Kampfes stehen in einem starken Widerspruch zur Weltsicht, wie sie inzwischen die Woken verbreiten.

Am 10. Mai 2024 jährt sich zum 30. Mal der Beginn eine der unwahrscheinlichsten Präsidentschaften der Geschichte: Der Freiheitskämpfer und Anti-Apartheit-Aaktivist Nelson Mandela, der zeitweise unorthodoxer Marxist war, wurde 1994 zum Oberhaupt Südafrikas gewählt. Dem vorangegangen waren sage und schreibe 27 Jahre Haft, nachdem ihn Richter Quartus de Wet im Rivonia-Prozess im Jahr 1964 gemeinsam mit sieben Mitstreitern wegen „Sabotage“ und „bewaffnetem Kampf“ verurteilt hatte. Die meiste Zeit seiner Haft verbüßte Mandela auf der Insel Robben Island, einem unwirtlichen Stück Land an der Westküste Südafrikas, rund vier Seemeilen vom Festland entfernt. Die letzten Jahre verbrachte er unter erleichterten Haftbedingungen in Kapstadt und Paarl, bevor er schließlich im Jahr 1990 entlassen wurde.

27 Jahre Haft, das bedeutete für Mandela: Jahrelanges Arbeiten im Steinbruch, Schikanen durch Wärter, ein jahrelanger Kampf gegen das Tragen kurzer Hosen, die nur die schwarzen Häftlinge zu tragen hatten, Waschen mit kaltem Wasser bei fünf Grad Celsius, Toilettengänge auf schmutzigen Kübeln, der Schlaf auf dünnen Matten, in denen das Ungeziefer hauste. Über mehrere Jahre hinweg hatte Mandela kaum Kontakt zur Außenwelt. In den ersten Jahren seiner Haftzeit durfte er nur alle sechs Monate kurze Briefe an seine Angehörigen schreiben; die Teilnahme an der Beerdigung seiner Mutter wurde ihm versagt, ebenso die an der Beerdigung seines Sohnes Thembekile, der 1969 bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Zunächst inspiriert vom gewaltlosen Widerstand Ghandis hatte sich Mandela im Rahmen einer Funktionärstätigkeit beim African National Congress (ANC) Ende der 1950er Jahre dem bewaffneten Kampf gegen das Apartheidsregime zugewandt. Einem Regime, in dem Ehen und sogar Sexualverkehr zwischen Schwarzen und Weißen verboten waren, in dem Schwarze kein Wahlrecht hatten, in dem es nach Hautfarbe getrennte Wohnviertel und Verkehrsmittel gab. Die menschliche Größe Mandelas, nach seiner Freilassung im Jahr 1990 nicht zur Rache an der weißen Minderheit aufzurufen, ist vor diesem Hintergrund – der Schändlichkeit des rassistischen Regimes, gegen das er kämpfte, ebenso wie des persönlichen Preises, den er dafür bezahlte – kaum zu ermessen.

„Vor lauter ‚Macht‘, die Foucault noch in der feinsten Pore alltäglicher Verständigungsverhältnisse zu entdecken meinte, übersah er jene aufblitzende Freiheit am Horizont, zu deren Zerstörung nun seine Epigonen angetreten sind.“

30 Jahre später seien jedem, der sich heute gegen Rassismus engagiert, die (Auto-)Biographie1 und die berührenden Briefe Mandelas aus dem Gefängnis an seine Familie2 zur Lektüre zu empfehlen. Mandelas Kampf nämlich stützte sich genau auf jene Werte von westlich-liberaler Rechtstaatlichkeit, die im postmodernen Antirassismus unserer Gegenwart so nonchalant der Verachtung preisgegeben werden.

Foucault und Critical Race Theory

Maßgeblich geprägt wurde die postmoderne Weltanschauung in den sozial bewegten 1970er Jahren von dem Philosophen Michel Foucault, der Rassismus für eine „dem Funktionieren des modernen Staates innewohnende Mechanik"3 hielt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um faschistische oder liberale Staaten handelte. Moderne Staaten seien inhärent rassistisch, weil nur so Mechanismen der Ausschließung, der Verfolgung, der Vertreibung greifen könnten, die mit der produktiven Umgestaltung und Lenkung ganzer Bevölkerungen anhand bestimmter Normgeflechte einhergingen. „Dort, wo eine Normalisierungsgesellschaft vorliegt, dort, wo Sie eine Macht vorfinden, die zumindest auf ihrer Oberfläche und in erster Instanz, in erster Linie, eine Biomacht ist, dort ist der Rassismus notwendige Bedingung dafür, jemanden dem Tod auszuliefern oder die anderen zu töten. Die Tötungsfunktion des Staates kann, sobald der Staat nach dem Modus der Bio-Macht funktioniert, nicht anders gesichert werden als durch Rassismus."4

Die Critical Race Theory, die Theorie des Postkolonialismus, die Cultural Studies, der intersektionale Feminismus – all diese einflussreichen akademischen Strömungen haben sich in den letzten Jahren als intellektueller Hintergrund in öffentliche Debatten, in Kultureinrichtungen, in den Journalismus, aber auch in den staatlich geförderten Aufbau von Melde- oder Antidiskriminierungsstellen eingeschlichen. Sie sind zutiefst von einem Denker beeinflusst, der die Unterschiede zwischen liberalen, die Gleichheit aller Menschen verbürgenden, und rassistischen, also Menschengruppen ungleiche Rechte zusprechenden, Staaten bis zur Unkenntlichkeit verwischt. So lauert nun überall und unterschiedslos die rassistische ‚Unterdrückung‘, und ausgerechnet westlich-liberale Gesellschaften sollen ‚strukturell rassistisch‘ sein. Vor lauter „Macht“, die Foucault noch in der feinsten Pore alltäglicher Verständigungsverhältnisse zu entdecken meinte, übersah er jene aufblitzende Freiheit am Horizont, zu deren Zerstörung nun seine Epigonen angetreten sind.

„Mandela berief sich auf westliche Werte, um seinen Kampf gegen das Apartheidsregime Südafrikas zu rechtfertigen: Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit und die Einheit des Menschengeschlechts.“

In einem Lehrbuch der Critical Race Theory, verfasst von den Koryphäen des antirassistischen Aktivismus im Gewand der Wissenschaft, ist zu lesen: „Anders als traditionelle Diskurse über bürgerliche Rechte, die ein inkrementalistisches Konzept des Fortschritts vertreten, das also mit kleinen Schritten arbeitet, stellt die Critical Race Theory die Grundlagen der liberalen Ordnung auf den Prüfstand: Die Theorie der Gleichheit, die Argumentation auf der Basis von Rechten, aufklärerischen Rationalismus, und die neutralen Prinzipien des Verfassungsrechts.“5

Der Universalismus Mandelas

Vergleichen wir diese Weltanschauung mit der Position Mandelas. In dem Gerichtsprozess in den Jahren 1963/64, der ihn für Jahrzehnte ins Gefängnis brachte, führte er aus: „Durch meine Lektüre der marxistischen Literatur und aus meinen Gesprächen mit Marxisten habe ich den Eindruck gewonnen, dass Kommunisten das parlamentarische System des Westens als undemokratisch und reaktionär ansehen. Im Gegensatz dazu bin ich ein Bewunderer dieses Systems. Magna Charta, Petition of Rights und Bill of Rights sind Dokumente, die überall auf der Welt von Demokraten in Ehren gehalten werden. Ich habe großen Respekt vor den politischen Institutionen Englands und vor dem Rechtssystem des Landes. Ich halte das britische Parlament für die demokratischste Institution der Welt. Die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit seiner Rechtsprechung erregten immer wieder meine Bewunderung. Der amerikanische Kongress, die Doktrin des Landes bezüglich der Gewaltenteilung sowie die Unabhängigkeit seiner Rechtsprechung lösen bei mir ähnliche Gefühle aus.“6 

Die Schlussfolgerung, die sich aus diesem Vergleich ergibt, ist bedrückend: Wenn die Berufung auf die Werte westlicher Gesellschaften Rassismus befördern soll, dann muss auch Nelson Mandela dem postmodernen Antirassismus, der das Erbe der marxistischen Verächter von Rechtsstaatlichkeit und Liberalität angetreten hat, als Förderer von Rassismus gelten. Schließlich berief sich Mandela auf eben diese westlichen Werte, um seinen Kampf gegen das Apartheidsregime Südafrikas zu rechtfertigen: Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit und die Einheit des Menschengeschlechts.

Der ständige Verweis auf die bereits existierenden rechtsstaatlichen Strukturen des südafrikanischen Staates diente Mandela während seiner langen Haftzeit dazu, sich Schritt für Schritt bessere Haftbedingungen zu verschaffen. Mandela reproduzierte in seiner harten persönlichen Situation gleichsam das, was den aufklärerischen Liberalismus in seiner Gänze kennzeichnet: Fortwährend beziehen sich soziale Gruppierungen auf bereits institutionalisierte rechtsstaatliche Normen, um ihre eigene soziale Lage zu verbessern und gleichzeitig die Interpretation dieser Normen noch responsiver für die Vielgestaltigkeit sozialer Verhältnisse zu machen. „Der Bogen des moralischen Universums ist lang, aber er neigt sich zur Gerechtigkeit“, war das Credo von Martin Luther King, der wie Mandela verstanden hatte, dass der menschenrechtliche Universalismus die beste Möglichkeit ist, gerechtere Verhältnisse auf unserem Planeten zu schaffen.

Postmoderner „Antirassismus“

Heutigen Rassismus-‚Experten’ gelten hingegen nicht nur Liberalität und Rechtstaatlichkeit als heimliche Mittel des weißen Mannes, um in noch subtilerer Form seine ‚Privilegien‘ gegenüber den ‚Unterdrückten‘ zu verteidigen, sondern auch die Einheit des Menschengeschlechts sei bloß eine Schimäre. So sei etwa der Kommunikationssoziologin Natasha A. Kelly zufolge „das für die Black Studies notwendige Schwarze Wissen an ein Schwarzes Bewusstsein gekoppelt […] und damit an einen Schwarzen Körper – genauso wie weißes Wissen an ein weißes Bewusstsein und einen weißen Körper.“7 Man bemerke: Bereits sprachlich wird hier das „weiße“ durch die Kleinschreibung dem nun groß geschriebenen „Schwarze“ hintan gestellt. Es ist die Logik der Herrschaftsumkehr, die den postmodernen Anti-Rassismus leitet und ihn auch in dieser Hinsicht zu einem Neo-Rassismus macht.

Es sind also mithin drei Annahmen, die den postmodernen Antirassismus leiten:

  1. Liberalität und Rechtsstaatlichkeit bedeuten rassistische Unterdrückung für Minderheiten.
  2. Hautfarbe ist ein Merkmal, das Denken, Fühlen und Handeln durchdringt und Menschen unweigerlich voneinander trennt.
  3. „Die Weißen“ haben nun – als homogen vorgestellte Gruppe – endlich zurückzustehen, damit „die“ – ebenfalls als homogen konstruierten – People of Color“ endlich zum Zuge kommen und sich vom Joch einer nach wie vor bestehenden „weißen Vorherrschaft“ befreien können.

Kombiniert man diese Thesen miteinander, so erhält man das Rezept für nicht weniger als einen neuen ‚Rassen‘-Konflikt unter postmodernem Vorzeichen. Versehen wir „die Unterdrückten“ einmal mit dem Mindset, dem woke Wissenschaftler und Aktivisten folgen, dann sähe er in etwa wie folgt aus: „Was Ihr Weißen uns als unsere Befreiung verkauft, ist in Wirklichkeit unsere Unterjochung! Euer Versuch, euch ‚farbenblind‘ zu geben, ist nur ein weiterer perfider Trick in der Geschichte des Ausschlusses von Schwarzen, Muslimen und Indigenen. Selbst, wenn ihr es versuchtet, verstehen könnt ihr uns ohnehin nicht, denn ihr seid nun einmal weiß und könnt euch niemals in unsere geschichtlich überkommene Last einfühlen, die ihr Weißen zu verantworten hat. Allein das Gefühl der Unterdrückung zählt – und das lassen wir uns nicht mehr ausreden, nachdem wir eure rassistischen Maschen, die noch nicht einmal euch selbst bewusst sind, durchschaut haben.“

„Den Ast abzusägen, auf dem man sitzt, das wäre Mandela vermutlich nicht in den Sinn gekommen.“

Man könnte glatt meinen, es handele sich dabei um ein Experiment aus der Denkfabrik zynischer Psychologen, die die Faktoren eruieren, wie man so zielgerichtet wie möglich Menschengruppen gegeneinander in Stellung bringen kann. Genau ein solches Experiment nötigt die „angewandte Postmoderne“ (Pluckrose/Lindsay)8 gerade der Gesellschaft auf, und befeuert so das Anwachsen rechtsidentitärer Strömungen, die der anti-aufklärerischen Spaltpilz-Kommunikation der identitären Linken mit einem verzerrten Echo aus Volk, Nation, Christentum und Kleinfamilie begegnen.

Die woke Identitätspolitik

Mandela hingegen wusste, dass Ausgrenzung noch mehr Ausgrenzung nach sich zieht, dass Abwertung, die auf Abwertung folgt, einen Kreislauf aus Rache und Gegenrache in Gang setzt. Mandela wusste, dass der menschenrechtliche Universalismus das beste Mittel ist, um eben jene westlichen Staaten, die ihn in die Welt getragen und in kolonialen Regimen gleichzeitig auf das Schändlichste verletzt haben, an ihm zu messen und so Rassismus Schritt für Schritt zu verbannen und gleiche Freiheiten für jedermann, unabhängig von der Hautfarbe, zu schaffen. Und Mandela hätte es wohl nicht für klug gehalten, mit der Diffamierung der liberal-demokratischen Normen der Gleichachtung und Gleichberechtigung für jedermann dem Streben nach einer gerechteren Welt das beste Argument für eine anti-rassistische Gesinnung zu nehmen. Den Ast abzusägen, auf dem man sitzt, das wäre Mandela vermutlich nicht in den Sinn gekommen.

Die postmoderne Spaltung von Menschen in immer kleinere Identitätsgruppen, die von den Theorien einflussreicher Wissenschaftler in einen Wettbewerb um ihren Unterdrückungsgrad hineingetrieben werden, und Sprechverbote für diejenigen, die nicht in den Gesinnungschor der linksidentitären Neo-Rassisten einstimmen wollen:  Das ist gleichsam der Anti-Mandela, obwohl er sich noch in der Tradition des Antirassismus sieht und damit eben jener ‚Verblendung‘ erliegt, die er so gerne dem weißen Mann attestiert. Dass die postmoderne Weltanschauung der identitären Spaltung zudem auch noch im Kleid der Wissenschaft auftritt und sich so auch noch gegen Widerspruch immunisieren kann, indem sie dem Andersdenkenden das Etikett „Wissenschaftsleugner“ aufklebt – ob sich ein Mandela davon hätte einschüchtern lassen?

Denn genau wie früher gibt sich auch heute der Rassismus einen wissenschaftlichen Anstrich, mit dem man im Fernsehen und in sozialen Medien entsprechend selbstbewusst auftreten und seine Parade akademischer Titel in handfeste Deutungsmacht ummünzen kann. Was früher die pseudowissenschaftliche Schädelmessung und die Rassenlehre waren, ist heute, auf links gewendet, der Verweis auf die „Critical Whiteness“-Theorie. Diese wird unter anderem vorangetrieben von der US-amerikanischen, sich als Wissenschaftlerin darstellenden Aktivistin Robin diAngelo, die behauptet, dass alle Weißen Rassisten seien, weil sie unweigerlich Teil eines „Systems“ seien, das darauf abziele, die „Privilegien“ von Weißen zu reproduzieren.9

„Das Empfinden von Selbstwirksamkeit im Geiste des ‚Empowerment‘ lässt sich mit dem Opferkult des postmodernen Aktivismus, gewiss nicht generieren.“

Manifestieren würde sich der Rassismus von Weißen insbesondere dann, wenn Weiße die These vom weißen Rassismus ablehnten. „Weiße Zerbrechlichkeit“ nennt diAngelo das, und das ist unter dem Gesichtspunkt der mit dieser These erreichten sprachlichen ‚Deutungsmacht‘ – noch so ein Ideologem der Woke Culture, das von Foucault herrührt – erst einmal ziemlich raffiniert. Denn die Behauptung einer „weißen Zerbrechlichkeit“ verknüpft einen rassistischen, das heißt, abwertenden und zugleich auf die Hautfarbe abstellenden Anwurf („Jeder Weiße ist ein Rassist“) mit dem Versuch, selbst noch den Widerspruch gegen diese Behauptung als Bestätigung der Behauptung auszuweisen. Eine Widerlegung der Behauptung ist somit nicht möglich, ohne die Ausgangsannahmen der Behauptung zu bestätigen. Jeder Widerspruch gegen diese These kann somit als ‚rassistisch‘ ausgewiesen werden – wie praktisch.

Dies bietet schier unendliche Möglichkeiten für den Verkauf von Antirassismus-Trainings, die diAngelo propagiert und die mittlerweile auch massiv nach Deutschland einsickern.10 Wenn jeder Weiße ein Rassist ist, ergibt sich eine sehr große Zielgruppe für Antirassismus-Trainings. Nicht nur für ‚die Weißen‘, sondern auch für ‚die People of Color‘ – die pauschalisierende Rede vom ‚Franzosen an sich‘ lässt grüßen – ist das natürlich negativ. Denn das Empfinden von Selbstwirksamkeit im Geiste des „Empowerment“ lässt sich mit dem Opferkult des postmodernen Aktivismus, der pauschal „die (neo-)kolonialen Strukturen“ und alle Weißen, weil sie weiß sind, für das Elend der Welt verantwortlich macht, gewiss nicht generieren.

Mit derartigen Mätzchen aus der untersten Schublade pseudowissenschaftlicher Sozialkritik verkehrt sich auch der noch so bedenkenswerte Impuls, auf eigene Verstrickungen zu reflektieren und Menschen, denen es aus vielerlei Gründen nicht so gut geht wie Angehörigen gebildeter Mittel- und Oberschichten in westlichen Industrienationen, nach Kräften zu fördern, in sein Gegenteil. So kann er zum Ausgangspunkt für neue Verheerungen werden.

„Aus Mandelas Vorbild lässt sich die Kraft schöpfen, gegen Rassismus aller Art einzustehen. Auch gegen einen Rassismus, der im Gewand eines wissenschaftlich kuratierten Antirassismus auftritt.“

Die am DeZIM, einer der Zentralstellen woker, ‚antirassistischer‘ Wissenschaft in Deutschland, arbeitende Politologin und Arabistin Saboura Naqshband, warnt immerhin schon vor „dieser weißen Masse, die uns einfach eliminieren will“. Fridays for Future-Protagonisten ist die Klimaschutz-Bewegung möglicherweise „zu weiß“, was eine ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend dazu animierte, die „eklig weiße Mehrheitsgesellschaft“ anzuprangern. Und, wer hätte das gedacht, auch auf den „Demos gegen rechts“ infolge der von Correctiv aufgedeckten Potsdamer „Geheimpläne“ sind „viele weiße Menschen“, was natürlich kritikwürdig ist, weil die wirklich Guten in der Opferpyramide, nämlich Migranten, in einer so ungeheuer rassistischen Gesellschaft wie der deutschen „politisch heimatlos geworden“ seien. Man stelle sich vor, es würde vor Demos gewarnt, die „zu schwarz“ seien oder jemand fürchte sich vor einer „schwarzen Masse“.

Trotz seines aufrechten, Gleiches gleich beurteilenden Antirassismus hatte natürlich auch Mandela seine Schattenseiten. So manchen afrikanischen Diktator prangerte er nicht an, wenn dieser den Kampf des ANC unterstützt hatte, die Bekämpfung von Korruption in den eigenen Reihen war nicht seine vordringlichste Sache, ein Feminist war er gewiss nicht und autoritäres Verhalten war ihm nicht fremd.11 Angesichts der Furcht erregenden Narrative seiner postmodernen Erben jedoch ragen Mandelas emotionale Reife, seine intellektuelle Umsicht, seine Neugierde und Lernbereitschaft, kurzum: seine menschliche Größe, weiter hervor. Rassismus gegenüber Menschen mit weißer Hautfarbe hätte er wohl ebenso widersprochen, wie der Verharmlosung von Rassismus durch dessen inflationäre Verwendung als Kampfbegriff in der politischen Debatte.

Dass sich mit dem massiven Rückgang rechtsextremer Orientierungen seit Ende der 1960er Jahre die Sozialfigur des rassistischen Onkels eines Tages gleichsam in wohlhabende Akademiker, die eine universitäre Ausbildung in geistes- oder sozialwissenschaftlichen Fakultäten des liberalen Westens genossen haben, hineintransformieren würde, hätte sich kaum jemand vorstellen können. Aus Mandelas Vorbild lässt sich die Kraft schöpfen, gegen Rassismus aller Art einzustehen. Auch gegen einen Rassismus, der im Gewand eines wissenschaftlich kuratierten Antirassismus auftritt und sich deshalb bislang für unangreifbar hält. Kultivieren wir den Widerspruch gegen den postmodernen Neo-Rassismus, wo wir nur können – und erweisen so Nelson Mandela die Ehre.

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