20.09.2023

Antirassismus und Neorassismus

Von Adrian Müller

Titelbild

Foto: Eden, Janine and Jim via Flickr / CC BY 2.0

Antirassistische Agenden und Aktionspläne wollen sogenannte marginalisierte Gruppen mit Opferprivilegien versehen. Umgedrehte Diskriminierung gilt woken Aktivisten als gute Diskriminierung.

Es vergeht kein Tag mehr, ohne dass woke Aktivisten die deutsche Gesellschaft als „strukturell rassistisch“ diffamieren, während gleichzeitig die Bundesregierung eine Agenda gegen strukturellen Rassismus mit Nachdruck vorantreibt. Nachzulesen ist die neueste Version dieser Agenda im Lagebericht Rassismus der „Antirassismus-Beauftragten“ Reem Alabali-Radovan. Um nicht selbst als rassistisch zu gelten und um die „Demokratie zu schützen“, sollen alle Deutsche sich einer diskriminierenden Agenda einiger (post-)migrantischer Organisationen anschließen. Diese wird von der Bundeskonferenz der Migrantenorganisation (BKMO) als „Antirassismusagenda 2025“ verkauft. Die BKMO ist laut eigener Beschreibung ein Zusammenschluss von über 70 Migrantenorganisationen. In enger Zusammenarbeit mit der Türkischen Gemeinde Deutschland will die BKMO politische Impulse setzen, um „zu einer zukunftsgewandten, teilhabeorientierten Politik“ beizutragen.

Dabei soll die bereits beschlossene „freundliche Übergabe“ an solche Organisationen im Nationalen Aktionsplan Integration auf weitere Felder der Gesellschaftspolitik, auf die Schulen, die öffentlichen Verwaltung und die Polizei ausgeweitet werden. Während der Bundesverfassungsschutz 2016 noch schrieb: „In der linksextremistischen Propaganda stehen sowohl Staat als auch Gesellschaft unter dem Generalverdacht, rassistisch zu sein“, gilt eine solche Sichtweise mittlerweile als Konsens innerhalb der Bundesregierung. Dass es so weit kommen konnte, geht vor allem auf die langjährige Vorarbeit aktivistischer Experten in den Sozialwissenschaften zurück.

Wie systematisch linksextreme Propaganda in der sogenannten „Rassismusforschung“ betrieben wird, hat bereits der Autor Sebastian Wessels in der Berliner Zeitung geschildert. Der Kern dieser Agenda geht von Kooperationen rund um das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin aus, in dem die woke Ideologie als Staatsdoktrin verbreitet wird.  Das DeZIM sorgt immer wieder für Aufsehen, jüngst provozierte die Institutsleiterin Naika Foroutan mit der Aussage, Deutschland gehöre „per se niemandem“.

Für den Leiter des dort beheimateten Nationalen Rassismusmonitors (NaDiRa), Cihan Sinanoglu, ist Rassismus das elementare soziale Verhältnis der deutschen Gesellschaft. Als ehemaliger Geschäftsführer der BKMO setzt er sich dafür ein, dass diese sozialen Verhältnisse durch die Förderung von woken Aktivisten als angebliche Experten, mit Quotenregulierung nach Hautfarbe und Herkunft und durch die Abschaffung von Grenzen überwunden werden. Wer durch die Migration verursachte Probleme nicht beschweigt, ziele auf ein Zusammenhaltsgefühl der Gesellschaft durch rassistische Diskurse ab. Der Rassismusmonitor arbeitet eng mit der BKMO und der sogenannten „Zivilgesellschaft“ zusammen.

„‚Antirassismus‘ soll als neues Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden.“

Mittlerweile haben sich die als Forscher verkleideten Aktivisten in die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung eingebracht. Ihr Einfluss ist markant im „Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“. Auf dieser Vorarbeit aufbauend hat die aktuelle Ampel-Koalition sich entschlossen, mit dem „Demokratiefördergesetz“ linksgeprägte aktivistische Organisationen mit vielen Millionen zu unterstützen. Gleichzeitig arbeitet man daran, Kernforderungen aus der Antirassismusagenda 2025 der BKMO umzusetzen: Der Begriff „Rasse“ in Artikel 3 GG soll durch „aus rassistischen Gründen“ beziehungsweise durch „aus rassistischer Benachteiligung“ ersetzt werden und „Antirassismus“ soll als neues Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden.

Der Jurist Prof. Uwe Kischel warnt vor der geplanten Einfügung des Begriffs „rassistisch“ in das Grundgesetz. Die weite, vom Verbot der Rassendiskriminierung völlig abgekoppelte  Bedeutung des Begriffs „Rassismus“ sei vom gesellschaftlichen Konsens weit entfernt. Durch den Widerstand der Union im Jahre 2021 ist dieser Plan vorerst gescheitert, er wird aber nun von der Ampelkoalition erneut aufgegriffen.

Woke Quotierung

In der „Kritischen-Rassentheorie“ gilt jede statistische Unterrepräsentation einer Minderheit in jedem Bereich der Gesellschaft als rassistische Diskriminierung. Wären zum Beispiel weniger Polizisten bezogen auf die Gesamtbevölkerung mit gewissen Merkmalen  (in der Regel türkisch, muslimisch oder schwarze Hautfarbe) beschäftigt, so müsste dies solange durch bevorzugende Personalpolitik kompensiert werden, bis diese „Repräsentation“ dem Bevölkerungsanteil entspricht. Gleiches würde auch für alle anderen Berufsgruppen mit Prestige gelten.  

Nach dem Wunsch der Grünen sollen neue Gesetze im Sinne einer aktiven Schutzpflicht des Staates vor „Diskriminierung und Rassismus“ bundesweit erlassen werden – nach dem Vorbild des Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz. In solchen Antidiskriminierungsgesetzen und durch den Einfluss von „Antidiskriminierungsbeauftragten“ wird  Diskriminierung von angeblich privilegierten Gruppen euphemistisch als „positive Maßnahme“ legitimiert (vergleichbar mit der sogenannten „affirmative action“ aus den USA), während bereits „vermutete“ Diskriminierung „marginalisierter Gruppen“ strafbar sein soll. „Positive Maßnahmen“ beschreiben euphemistisch bevorzugte Stellenvergabe sowie bevorzugte Karrierechancen innerhalb einer Organisation, um dort jeweils für mehr Ergebnisgleichheit (engl.: Equity) zu sorgen. Der Staat solle als Vorbild einer solchen diversitätsorientierten Transformation dienen.

„In Anlehnung an George Orwells Farm der Tiere lautet das neue Motto: Alle Bürger sind gleich, aber ‚marginalisierte Gruppen‘ und die ‚Antidiskriminierungsbeauftragten‘ sind vor dem Gesetz gleicher.“

Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, verkauft solche Sonderrechte zugunsten bestimmter migrantischer Zielgruppen als „diversitätsorientierte Teilhabe“. Bereits bei Verdacht auf Diskriminierung soll die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt werden und eine rechtsstaatswidrige Beweislastumkehr für die öffentliche Verwaltung eingeführt werden. Ferda Ataman fordert in der geplanten Überarbeitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz weitere Sonderrechte ein: Sowohl sie selbst als Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung als auch die postmigrantischen Verbände sollen ein „altruistisches“ Klagerecht erhalten. Damit sollen auch ohne individuelle Betroffenheit eines Klägers juristische Prozesse wegen struktureller Diskriminierung geführt werden, bei denen schon eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ als Beweis für Diskriminierung gelten soll. Diese juristische Beliebigkeit ohne Beweispflicht wird von Ferda Ataman mit verbesserter Rechtssicherheit begründet.

In Anlehnung an George Orwells Farm der Tiere lautet das neue Motto: Alle Bürger sind gleich, aber „marginalisierte Gruppen“ und die „Antidiskriminierungsbeauftragten“ sind vor dem Gesetz gleicher. Der Jurist Prof. Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg warnt davor, dass damit eine verfassungswidrige staatliche Überwachungsbehörde entstehen würde. Die Antidiskriminierungsstellen würden „künftig Missbrauch, Falschbeschuldigungen und Erpressungen fördern, anstatt echten Fällen von Diskriminierung entgegenzuwirken“. Die FDP warnt dabei vor gesellschaftlichen Sprengstoff durch Antidiskriminierungswillkür, ein Generalverdacht gegen Arbeitgeber wirke abschreckend auf Investitionen.

Insgesamt lässt der intersektionale Antirassismus eine Art Ständegesellschaft in postmoderner Form wiederauferstehen. Der Mensch zählt nicht mehr als Individuum mit eigenem Charakter; allein entscheidend sind kollektive Identitätsmerkmale: In dieser intersektionalen Sichtweise werden alle Menschen in (diskriminierte) Opfer- und (nicht diskriminierbare) Täterkollektive unterteilt.

„Niemand wird langfristig wirklich erfolgreich werden, wenn er beruflich bevorzugt und so offener Konkurrenz beraubt wird. Beruflicher Erfolg kann nicht verordnet werden, ohne das Prinzip der Bestenauslese zu untergraben.“

Die Zuordnung in das Kollektiv einer Tätergruppe oder der Opfergruppe erfolgt durch zum Großteil unveränderbare Merkmale: insbesondere aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Alter, Religion, Ethnie. Der heterosexuelle „weiße Mann“ gilt dabei als Synthese aller Täterkollektive, denn er profitiert angeblich gleichzeitig von Sexismus, Rassismus und Heteronormativität.

Diese neorassistische Sichtweise unterliegt fatalen Denkfehlern: Unterschiedliche Gruppen sind nicht identisch und haben unterschiedliche Ressourcen, kulturelle Prägungen und Ambitionen. In einem idealen meritokratischen (d.h. eignungs- und leistungsbasierten) System würde bei freier Entwicklung keine Ergebnisgleichheit entstehen. Innovationen, Talent und Erfolg einiger Genies gehen nicht auf die Unterdrückung der großen Mehrheit der Menschheit zurück.

Doch auch im Falle tatsächlicher Diskriminierung aufgrund der Identität, äußerer Merkmale oder der Herkunft führen solche Quotierungen in die Irre. Niemand wird langfristig wirklich erfolgreich werden, wenn er beruflich bevorzugt und so offener Konkurrenz beraubt wird. Beruflicher Erfolg kann nicht verordnet werden, ohne das Prinzip der Bestenauslese und damit das professionelle Vertrauen zu untergraben. Sobald eine angeblich „privilegierte Mehrheit“ rassistisch diskriminiert werden soll, wird diese rasch entmutigt werden. Gruppenübergreifende Solidarität würde rapide abnehmen. In kürzester Zeit würde der Staat in breiten Bevölkerungsschichten an Akzeptanz verlieren. Thomas Sowell hat die Konsequenzen von sogenannter „affirmative action“ bereits vor Jahren anschaulich erklärt. Jedes System mit „perfekter Quote“ und erzwungener „hoher Diversität“ muss ineffizient und neorassistisch agieren, wenn es Arbeitnehmer nach identitären Kriterien auswählt.

„Nur im woken Wunschdenken kann neues Unrecht vergangenes Unrecht beheben.“

Nur im woken Wunschdenken kann neues Unrecht vergangenes Unrecht beheben. Der Antirassismus-Autor Ibram X. Kendi bringt es auf die griffige Formel: „Das einzige Mittel gegen rassistische Diskriminierung ist antirassistische Diskriminierung. Das einzige Mittel gegen vergangene Diskriminierung ist Diskriminierung in der Zukunft.“  Im „Antirassismus“ gilt Gleichbehandlung unabhängig von der Hautfarbe als rassistisch und die individualistische Botschaft von Martin Luther King wird so zur „rassistischen Farbenblindheit“. 

Der Plan der EU

Nicht nur in Deutschland sind Fairness, Recht und Freiheit durch den „Antirassismus“ bedroht; auch in Brüssel wird neorassistische Identitätspolitik vorangetrieben: Als Teil des „EU-Aktionsplans gegen Rassismus 2020-2025"  sollen die Mitgliedstaaten „unabhängige“ Institutionen (Nationale Gleichstellungsstellen) aufbauen, die die Gesellschaft auf strukturellen Rassismus evaluieren sollen. Das Mandat dieser „unabhängigen“ Institutionen soll schrittweise durch die EU ausgebaut werden. In sogenannten Anti-Rassismus-Gipfeln werden dann   Handlungspläne besprochen. Alle Mitgliedstaaten sollen bis Ende 2023 einen Aktionsplan (NAPAR) gegen „strukturellen Rassismus“ erstellen, Lageberichte vorlegen und ihr Vorgehen vor der sogenannten „Zivilgesellschaft“ rechtfertigen. Wie Regierungen konkret „Diversität“ und „Antidiskriminierung“ messen und bewerten sollen, will die EU mit ihren Vorgaben zu Gleichstellungsdaten/(„Equality Data“) vorgeben.

Die Europäische Kommission geht selbst forsch voran: Gemäß dem Aktionsplan müsse die EU als „moderne Organisation“ in ihrer Belegschaft „repräsentativ“ für die Gesellschaft sein. Daher wurden bereits auf freiwilliger Basis alle Mitarbeiter der EU-Kommission nach Rasse, Identität und Herkunft kategorisiert als Vorbild für alle anderen Organe der EU. Stärkung von „Diversität“ lautet das Ziel in der Personalrekrutierung, um die durch die Screenings gefundenen „Lücken“ in der „Repräsentativität“ zu schließen. Der Personalabteilung der EU-Kommission werden Schulungen im Bereich der sogenannten „unbewussten Voreingenommenheit“ auferlegt. Dort können „Implicit-Bias-Tests“ eine Rolle spielen, die ein EU-Institut befürwortet. Diese können keine rassistische Gesinnung nachweisen, werden aber als Schulung gegen unterbewusste Vorurteile vermarktet. Solche Tests sind pseudowissenschaftlicher Unsinn und in ihrer Aussagekraft nicht besser als Horoskope.

In all diesen Vorschlägen wird davon ausgegangen, dass der Staat oder eine NGO-ähnliche Struktur die Ergebnisse des gesellschaftlichen Lebens auf kollektiver Ebene zu erfassen, zu bewerten und zu regulieren habe, bis erzwungene Ergebnisgleichheit zwischen allen Gruppierungen in allen Ebenen herrsche. Diese sich ausbreitenden Entwicklungen sind besorgniserregend, denn sie schaffen eine neue technokratische Klasse, die sich selbst nach Belieben mit immer weiteren Regelungen zu „Teilhabe, Vielfalt und Diversität“ immer mehr Macht zuspricht. Am Ende dieser Entwicklung landen alle Menschen gegen ihren eigenen Willen in eine von Sozialingenieuren entworfenen Gesellschaft, die in der woken Theorie für perfekte Gerechtigkeit sorgt. In Wirklichkeit profitieren nur die technokratischen „Experten“ von dieser neuen  Ständegesellschaft. Freiheitsrechte, professionelles Vertrauen, Diskriminierungsschutz, Aufstiegschancen und die individuelle Selbstverwirklichung werden dadurch massiv gefährdet.

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