07.08.2023

Identitätspolitik ist nicht progressiv

Von Tom Slater

Titelbild

Foto: Ben Tavener via Flickr / CC BY 2.0

Der Wokeismus gilt als links, unterstützt aber diskriminierendes Rassendenken und missachtet Frauenrechte sowie die Emanzipation von Homosexuellen im Namen einer Transinklusion.

Wir müssen aufhören, Identitätspolitik, Wokeness oder wie auch immer wir es nennen wollen, als progressiv zu bezeichnen. Wir müssen aufhören, Menschen, die aktiv rassistisches, frauenfeindliches und homophobes Denken wiederbeleben – unter dem Deckmantel des „Rassenbewusstseins" und der „Trans-Integration" – als Linksradikale zu bezeichnen. Sie sind alles andere als das. Diese Leute sind Reaktionäre und Fanatiker. Und es ist höchste Zeit, dass wir anfangen, sie als solche zu benennen.

All dies wurde kürzlich in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Erstens durch das monumentale Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, mit dem die sogenannte positive Diskriminierung bei der Zulassung zu Universitäten aufgehoben wurde. Jeder, der bei Verstand ist, wusste, dass sie abgeschafft werden musste. Dieses System, das eingerichtet wurde, um die Aussichten der über Generationen unterdrückten und benachteiligten Nachkommen amerikanischer Sklaven zu verbessern, war völlig dysfunktional geworden - es kam nur einem kleinen Teil wohlhabender schwarzer Amerikaner zugute, von denen viele Einwanderer der ersten oder zweiten Generation sind, die also keine familiäre Verbindung zu den Übeln der Sklaverei und der Rassentrennung in den USA hatten.

Schlimmer noch: Sie rechtfertigte die groteskeste rassistische Diskriminierung. Die Leidtragenden waren vor allem asiatische Amerikaner. Zu viele von ihnen bekamen Noten, mit denen sie in Eliteuniversitäten aufgenommen worden wären, so dass sie die ihnen zugewiesenen Quoten weit überschritten hätten. So dachten sich die rassistischen Erbsenzähler an den Spitzenuniversitäten immer krudere und rassistische Maßnahmen aus, um die Zahlen nach unten zu drücken.

Dies führte zu den perversesten Kompromissen, die niemand als vernünftig verteidigen konnte. Wie Wilfred Reilly jüngst auf Spiked treffend formulierte, „bedeuteten positive Diskriminierung in der Praxis oft, dass der gutsituierte Sohn eines jamaikanisch-amerikanischen oder kolumbianisch-amerikanischen Zahnarztes einen 300-Punkte-Vorteil im Test gegenüber der Tochter eines eingewanderten vietnamesischen Ladenbesitzers erhielt".

Es war mehr als deutlich geworden, dass diese rassenbasierten Maßnahmen von den Klassenunterschieden ablenken, von denen Amerikaner aller Hautfarben betroffen sind – Ungleichheiten, die völlig unverändert bleiben, wenn die Karten an den Elite-Colleges ein wenig neu gemischt werden. Mehr noch, sie verschafften wohlhabenden schwarzen und hispanischen Kindern auf Kosten der wirklich Benachteiligten einen Vorsprung.

„Diese Leute sind so tief im Hintern der rassischen Identitätspolitik verschwunden, dass sie nun Diskriminierung als Gleichheit und Farbenblindheit als Rassismus ansehen.“

Und doch war die Reaktion auf die Abschaffung dieses dysfunktionalen und diskriminierenden Systems eine Hysterie unter den kulturellen Eliten. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs wurde von selbsternannten Linken, Progressiven und sogar Sozialisten als Sieg des „Rassismus" und der „weißen Vorherrschaft" beklagt – auch wenn die unmittelbarsten Nutznießer Asiaten sein werden.

Positive Diskriminierung war natürlich nicht die Idee von woken Aktivisten. Wie Kevin Yuill hervorhebt, wurde sie von einem gewissen Richard Nixon als „technokratische Lösung für Rassenspannungen" eingeführt. Aber sie ist zweifellos zu einem heiligen Gral für eine woke amerikanische Linke geworden, die nun offen darauf besteht, in den Worten von Ibram X Kendi, dass „das einzige Heilmittel für vergangene Diskriminierung die gegenwärtige Diskriminierung ist" – und dass die Farbenblindheit Martin Luther Kings in Wirklichkeit eine Charta der Engstirnigen sei.

Diese Leute sind so tief im Hintern der rassischen Identitätspolitik verschwunden, dass sie nun Diskriminierung als Gleichheit und Farbenblindheit als Rassismus ansehen – und ein Urteil, das darauf beharrt, dass Schüler nach dem Inhalt ihres Charakters und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden, als einen Sieg der weißen Vorherrschaft.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der zeitgenössische Antirassismus völlig vom Weg abgekommen ist, dann sollten Sie sich dies zu Gemüte führen. Diese Leute sind heute die wichtigste politische Kraft, die Rassendenken, Rassenbewusstsein und sogar Rassendiskriminierung im öffentlichen Leben der westlichen Welt fördert. Und doch kommen sie irgendwie damit durch, sich als Erben der Bürgerrechtsbewegung auszugeben.

Wenn Sie eine genderkritische Feministin sind, kommt Ihnen das alles vielleicht bekannt vor – denn ein fast identischer Betrug wird jetzt von „LGBT+"-Aktivisten begangen. Seit Jahren werden Frauenrechte und -räume im Namen der Integration von Transsexuellen missachtet. Außerdem wurde bösartige Homophobie gegen diejenigen entfesselt, die es wagen, darauf zu bestehen, dass schwul sein bedeutet, sich zu jemandem des gleichen Geschlechts und nicht der gleichen „Geschlechtsidentität" hingezogen zu fühlen.

„Einem Großteil des heutigen Trans-Aktivismus liegt Homophobie zugrunde.“

Damit kommen wir weg von Amerika und der positiven Diskriminierung und zu einem anderen – viel weniger historischen, aber nicht weniger aufschlussreichen – Rechtsstreit, der gerade in Großbritannien abgeschlossen wurde.

Kürzlich verteidigte die LGB Alliance – die einzige gemeinnützige Organisation in Großbritannien, die sich ausschließlich um gleichgeschlechtlich orientierte Menschen Kümmert – erfolgreich ihren Gemeinnützigkeitsstatus vor einem Gericht. Mermaids, ein umstrittener gemeinnütziger Verein für Transgender-Jugendliche, hatte eine Klage angestrengt, um der LGB Alliance ihre Gemeinnützigkeitsprivilegien zu entziehen – mit der Begründung, sie behindere „die Arbeit von eingetragenen gemeinnützigen Vereinen, die sich für Transgender-Menschen einsetzen".

In Wahrheit war dies ein kaum verhüllter Versuch, einen gewaltigen Gegner zum Schweigen zu bringen. Die Führungsfiguren der LGB Alliance, selbst Veteranen der Schwulenbewegung, sind scharfe Kritiker der Gender-Ideologie. Sie haben mutig die Homophobie entlarvt, die einem Großteil des heutigen Trans-Aktivismus zugrunde liegt, angefangen bei dem Druck, der auf schwule und nicht genderkonforme Kinder ausgeübt wird, damit sie sich „transformieren“, bis hin zu dem Druck, der auf Lesben ausgeübt wird, damit sie mit biologischen Männern mit Penis schlafen, die sich als Frauen und Lesben „identifizieren".

Glücklicherweise hat die Spruchkammer die Sache durchschaut. Die LGB Alliance hat Recht bekommen. Und Mermaids sah sich nicht nur dem Vorwurf der Heuchelei ausgesetzt, sondern beschwerte sich darüber, von einem gemeinnützigen Verein, den es aktiv zu beseitigen versuchte, „zum Schweigen gebracht" worden zu sein. Das Tribunal hat dazu geführt, dass deren eigenen Praktiken ins grelle Licht der Öffentlichkeit gerückt wurden. Im Dezember wurde eine gesetzliche Untersuchung gegen Mermaids eingeleitet, da der Verein Brustbinder zum Abflachen der Brüste an Mädchen verschickt hatte – angeblich hinter dem Rücken der Eltern.

Doch dieser Sieg hatte seinen Preis. Die LGB Alliance musste 250.000 Pfund auftreiben und aufwenden, um für ihre Existenz zu kämpfen – Geld, das sie für Kampagnen hätte ausgeben können. Auch emotional war der Kampf zuweilen zermürbend. Bei einer der Anhörungen brach die LGB Alliance-Mitbegründerin Kate Harris zusammen, als sie gebeten wurde, zu definieren, was eine Lesbe ist. Diese Veteranin der Homosexuellenemanzipation wurde im Grunde genommen aufgefordert, die Vorstellung zu verteidigen, dass Lesben – d. h. biologische Frauen, die sich ausschließlich zu biologischen Frauen hingezogen fühlen – tatsächlich existieren. So sehr hat uns die Trans-Ideologie durcheinandergebracht.

„Die Woken sind sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber beim Kampf für eine wirklich antirassistische, egalitäre Gesellschaft stehen sie eindeutig auf der falschen Seite.“

Beschämenderweise wurde diese Kampagne zur Schließung eines Homosexuellenvereins – einer der wenigen Organisationen, die sich noch für die Rechte Homosexueller einsetzen - bei jedem Schritt von „LGBT+"-Aktivisten bejubelt, die sich als Nachfolger der Stonewall-Rebellen und der Gay Liberation Front sehen. Dass Bev Jackson, eine weitere Mitbegründerin der LGB Alliance, ebenso Mitbegründerin der Gay Liberation Front war, schien ihre Hasser nicht zu stören.

In Teilen der anti-woken, „post-liberalen" Rechten herrscht die Vorstellung, dass die Gender-Ideologie den logischen Endpunkt der linken Fortschrittlichkeit markiert. Wenn Kinder einfach so sterilisiert und männliche Vergewaltiger in Frauengefängnisse gesteckt werden, heißt das für sie nur, dass Linke einfach das tun, was Linke schon immer getan haben: auf der Suche nach Befreiung das Alte abzuschütteln, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.

Das habe ich schon immer als Blödsinn empfunden. Links zu sein bedeutet nicht, fast jede radikale Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung zu begrüßen, egal wie daneben sie auch sein mag. Es ist auch nichts Fortschrittliches daran, zu glauben, dass oben unten ist und 2 + 2 = 5. Ebenso wenig hat die Gender-Ideologie etwas Befreiendes an sich – eine Bewegung, die im Wesentlichen darauf aufgebaut ist, Andersdenkende zu zensieren. Es ist kein Befreiungsfeldzug, sondern einer für Bestätigung und Anerkennung.

Die Wahrheit ist viel einfacher. Nämlich, dass das, was wir Wokeness nennen, sich zwar als fortschrittlich und links präsentiert, in Wirklichkeit aber nur aus engstirnigen, reaktionären Vorstellungen über Rasse, Geschlecht und Sexualität besteht, aufpoliert für das 21. Jahrhundert. All die Vorwürfe des Rassismus, der Homophobie und der Frauenfeindlichkeit, die von den Vertretern der Identitätspolitik in den letzten Jahren mit zunehmender Hingabe vorgebracht wurden, waren nur ein großer, jammernder Akt der Selbstinszenierung.

Die Woken sind sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber beim Kampf für eine wirklich antirassistische, egalitäre Gesellschaft stehen sie eindeutig auf der falschen Seite. Auf der Seite, die das Ende der Rassendiskriminierung an den Universitäten beklagt und sich mit aller Kraft für die Schließung von Homosexuellengruppen einsetzt. Wie auch immer wir diese Leute nennen wollen, „progressiv" sind sie sicher nicht.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!