15.11.2024
„Identitätslinke und Identitätsrechte“
Interview mit Armin Pfahl-Traughber
Die Identitätspolitik von links und die von rechts ähneln sich in Merkmalen wie einem Kultur- und Menschrechtsrelativismus. Außerdem ist der Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ problematisch.
Frage: „Identität" scheint eine wesentliche Signatur unseres Zeitalters zu sein. Rechtspopulisten, die in den letzten 10, 20 Jahren in vielen westlichen Industrienationen zu einer veritablen politischen Kraft geworden sind, wird man mit Fug und Recht als „rechtsidentitär" bezeichnen dürfen. Daneben gibt es aber auch eine linksidentitäre oder identitätslinke Bewegung, die als Diskursformation viel weniger kompakt in Erscheinung tritt. „Wokeness" ist das noch bekannteste Schlagwort. Was hat es mit diesen Bewegungen auf sich?
Armin Pfahl-Traughber: Dazu erst einmal ein paar allgemeine Definitionen, zunächst zu „Identität". Damit ist ein Bewusstsein für mentale oder reale Gruppen- oder Wertezugehörigkeit gemeint. Diese formale Begriffsbestimmung von „Identität" sagt zunächst einmal nichts darüber aus, um welche Formen und Inhalte es mit welchen Tiefen und Verbindlichkeiten gehen soll. Das können ethnische, geschlechtliche, kulturelle, politische, religiöse oder soziale Eigenschaften mit einem konstitutiven, maximalen oder partiellen Status sein. Außerdem geht es um die Einstellung eines Individuums, die gegenüber einer Gruppe, Institution oder Werteordnung besteht.
Und dann gleich der nächste Begriff „Identitätspolitik": Hier kommt noch „Politik" als zusätzlicher Terminus hinzu. Damit ist eine Bezeichnung für Einstellungen und Handlungen gemeint, welchen es um die verbindliche Ausrichtung des sozialen Miteinanders in einem moralischen oder rechtlichen Sinne geht. Demnach meint „Identitätspolitik" in diesem Kontext, dass die Anlehnung an eine Gruppe bzw. ein Kollektiv nicht nur für das Leben einer Person, sondern für die Praxis in einer Zivilgesellschaft prägend sein soll. Die Eigenschaften der Identitätspolitik ergeben sich dann aus den Interessen, die den gemeinten Gruppen als objektiv eigenen Wertvorstellungen und Wünschen zugeschrieben werden.
Dies veranschaulicht das Beispiel einer „rechten Identitätspolitik", ist sie doch an den behaupteten Einstellungen und Interessen der autochthonen Mehrheitsgesellschaft orientiert. Identitätsrechte Akteure postulieren eine reale Gefahr für die „nationale Identität", solle doch eine darauf bezogene Einstellung etwa gegenüber „der Elite" oder „den Migranten" verteidigt werden. Demgegenüber ist eine „linke Identitätspolitik" an bestimmten Minderheiten ausgerichtet, welche deren Akteuren aufgrund von ethnischer, geschlechtlicher, kultureller oder religiöser Orientierung als diskriminiert gelten. Dazu zählt man Homosexuelle, Muslime oder Schwarze. Aufgrund des Engagements für solche Gruppen ist hier von einer „Identitätslinken" gegenüber einer „Identitätsrechten" die Rede. Die Ausrichtung an den genannten Gruppen bildet dabei ein wichtiges Unterscheidungskriterium.
Berücksichtigt werden muss aber auch bei dem Gemeinten, dass es sich um kein homogenes Phänomen handelt. Zugespitzt formuliert: Es gibt keine feststehende identitätslinke Organisation mit einem einheitlichen Programm. Eher darf von einer Bewegungsformation gesprochen werden, häufig findet man dazu auch andere Formulierungen wie etwa „Wokeness". Diese Bezeichnung verweist allgemein auf „Wachsamkeit", also auf die allgemeine Aufmerksamkeit für Diskriminierungsformen von Taten bis zur Wortwahl. Eine inhaltliche Gleichsetzung von „Identitätslinker" und „Identitätsrechter" ist daher auch absurd und unangemessen, das muss gleich um beabsichtigter oder unbeabsichtigter Missverständnisse willen klargestellt werden.
„Bei identitätsbezogenen Ausrichtungen spielen Gruppeneigenschaften noch eine besondere Rolle, also nicht einzelne Fragen oder Wertvorstellungen.“
In der Tat, die inhaltlichen Unterschiede zwischen links- und rechtsidentitärer Bewegung sind offenkundig. Allerdings ist es doch auch erstaunlich, dass sich trotz der inhaltlichen Unterschiede einige formale Parallelen zwischen beiden Bewegungen zeigen. Das zweiwertige, zur Pauschalisierung neigende Denken wäre ein Beispiel hierfür: Hier der Kampf „Unterdrückte gegen Unterdrücker", dort der Kampf "Volk gegen Elite". Wie kann man sich das erklären?
Da gibt es bei dem informellen Dogmatismus und polarisierenden Dualismus eine bekannte Kombination. Anders formuliert: Die eigene Auffassung über Identität eines bestimmen Kollektivs gilt als absolut und allein richtig. Gleichzeitig erhält dieses Kollektiv eine positive Wertigkeit, sei es durch angebliche ethnische Eigenschaften, sei es durch einen postulierten sozialen Opferstatus. Erhöht werden diesbezügliche Auffassungen und Neigungen noch dadurch, dass Abgrenzungen eben gegen andere Kollektive vorgenommen werden. Die Diskurse in der Geschichte sind voll von derartigen dualistischen Strukturprinzipien, so etwas kommt in unterschiedlichen Ideologien seit Jahrhunderten immer wieder vor. Lediglich die Inhalte oder Vorzeichen unterscheiden sich. Bei identitätsbezogenen Ausrichtungen spielen eben Gruppeneigenschaften noch eine besondere Rolle, also nicht einzelne Fragen oder Wertvorstellungen. Es geht insbesondere um den angeblichen Einklang mit einer Gruppe, nicht primär um eine konkrete Individualität oder normative Prinzipien.
Bezogen auf Identitätslinke und Identitätsrechte lassen sich folgende gemeinsame Strukturmerkmale feststellen: Erstens eine Essenzfixierung, also den Anspruch den eigentlichen Kern eines Phänomens wahrgenommen zu haben, wobei hier die Einzelnen primär über die Gruppen und deren postulierte wesenshafte Prägung verortet werden. Zweitens ein Homogenitätsdenken, das eine dominante Einheitlichkeit der jeweiligen Gruppen postuliert, was aber die Bedeutung des Individuums minimiert und meist nicht der gesellschaftlichen Realität und damit der sozialen Vielfalt entspricht. Drittens in einem Kulturrelativismus, also einer Auffassung, wonach existente Kulturen um ihrer selbst willen eine besondere Wertschätzung erfahren sollen, dabei aber jede äußere kritische Kommentierung als verwerfliche Überlegenheitsattitüde gilt. Viertens in einem Menschenrechtsrelativismus, womit individuelle Grundrechte nicht als höchste Norm gelten, sondern sie gegenüber einer angeblich bestehenden Kollektividentität in ihrem jeweiligen Stellenwert herabgewürdigt werden. Und fünftens in Separierungstendenzen, also der Benennung der Dazugehörigen und der Nicht-Dazugehörigen, was Ausgrenzung zu einem objektiven Bestandteil des Identitätsdenkens macht, also bezogen auf die Gesellschaft zur Spaltung führt. Bei allen inhaltlichen Differenzen zwischen Identitätslinker und Identitätsrechter lassen sich diese gemeinsamen Strukturprinzipien konstatieren, sie laufen auf einen Antiindividualismus und Antiuniversalismus hinaus und münden in Kollektivismus und Partikularismus.
Hätten Sie ein Beispiel, an dem sich diese gemeinsamen Strukturmerkmale, aber auch die inhaltlichen Unterschiede der links- und der rechtsidentitären Bewegung zeigen?
Man kann das Gemeinte wohl besser an einem konkreten Phänomen veranschaulichen, wofür öffentliche Bilder von Muslimen sich tatsächlich gut eignen. Vorab bedarf es dazu der Aussage, dass es „die" Muslime nicht gibt. Die soziale Gruppe weist über die Religionszugehörigkeit noch weitere Spezifika auf, wie wir aus den Ergebnissen der empirischen Sozialforschung wissen. Dazu gehört etwa ein traditionelles Frauenbild oder hohe Religionsrelevanz. Gleichwohl bedarf es der Differenzierungen bei der Wahrnehmung, was übrigens sowohl Identitätslinken wie Identitätsrechten hier nicht eigen ist. Bezogen auf die Essenzfixierung verhält es sich so, dass Identitätslinke die Muslime konstitutiv als „Opfer" wahrnehmen, während Identitätsrechte demgegenüber das „Nicht-Wir" als negative Wesenheit wahrnehmen. Gleichzeitig wird bezogen auf beide Eigenschaften eine Homogenität unterstellt, eben als passives Objekt von Vorurteilen, aber auch als „Fremdkörper" aufgrund von anderen ethnischen oder sozialen Prägungen.
Identitätslinke betreiben dabei Kulturrelativismus, etwa wenn sie bestimmte Einstellungen wie das diskriminierende Frauenbild unter Muslimen nicht problematisieren wollen. Identitätsrechte anerkennen scheinbar die muslimische Kultur, welche dann aber in anderen Ländern oder Räumen besser bewahrt werden könne. Dabei wird die Bedeutung von Menschenrechten im jeweiligen Selbstverständnis minimiert, denn in Identitätslinker wie Identitätsrechter gelten sie als rein westliches Produkt, welches eben keine Relevanz für muslimische Zugehörigkeit habe. Und dann gibt es auch ein Denken auf eine Separierung hin orientiert, wobei Identitätslinke von breit notwendigen Schutzräumen sprechen, während die Identitätsrechte eine örtliche Trennung einfordert. Die letztgenannte Gemeinsamkeit hätte in der Praxis verständlicherweise unterschiedliche Relevanzen und Wirkungen.
Noch einmal: Hier soll keine Gleichsetzung bezogen auf die Inhalte und Konsequenzen vorgenommen werden, es geht für beide Identitätspolitiken um gemeinsame Strukturmerkmale in den jeweiligen Wertvorstellungen. Der Einzelne und seine Individualität sind dabei weniger relevant, Menschenrechte als universelle Prinzipien ebenfalls nicht. Der Blick ist jeweils auf das muslimische Kollektiv gerichtet, abgeschottet jeweils von anderen sozialen Zusammenhängen.
„Aus einer menschenrechtlichen Blickrichtung kommt etwa ethnischer Identität keiner Relevanz zu, gleichwohl aber den in bestimmten Kulturen verbreiteten Vorstellungen und Werten.“
Ich denke, Sie beschreiben hier den Kern identitären Denkens: Identität im Sinne von Identitätspolitik bezieht sich kaum mehr auf Individualität, sondern primär auf Gruppenzugehörigkeiten. Bei Muslimen gilt es dann als irrelevant, welcher Glaubensrichtung sie angehören – Sunniten, Schiiten, Wahhabiten, Aleviten, Alawiten –, welcher sozialen Schicht, ob sie vom Land oder aus urbanen Zentren kommen, über welche Bildung sie verfügen. Für Rechtsidentitäre sind sie stets pauschal „kulturfremd".
Bei Linksidentitären gelten sie hingegen stets – ebenso pauschal – als „unterdrückt". Werfen wir in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Rolle der Sozialwissenschaften. In der Islam-Debatte hört man in den letzten Jahren häufig den Begriff des „antimuslimischen Rassismus", der die Gesellschaft durchziehen soll. Sogar Bundeskanzler Scholz nutzt ihn mittlerweile. Wie ist dieser Begriff entstanden und wie konnte er eine solche Karriere machen?
Um die Bezeichnung „antimuslimischer Rassismus" inhaltlich zu verstehen, muss man zunächst die Ausweitung des allgemeinen Rassismusverständnisses thematisieren. Eigentlich meint dies die Diskriminierung aufgrund einer Ethnie, die dann eben als „Rasse" tituliert wurde, wobei dieses Verständnis heute als wissenschaftlich überholt gilt. Im rassistischen Diskurs stellten die Protagonisten aber schon lange nicht mehr auf „Rasse" ab, galt dies doch mit der Erinnerung an den Holocaust auch als kaum noch kommunizierbares Verständnis. Stattdessen verwiesen die Gemeinten auf die „andere Kultur", was zur Bezeichnung „kultureller Rassismus" in der neueren Rassismusforschung führte. Dafür gab es durchaus gute Gründe, gleichwohl ist dieses Verständnis auch problematisch. Denn aus einer menschenrechtlichen Blickrichtung kommt etwa ethnischer Identität keiner Relevanz zu, gleichwohl aber den in bestimmten Kulturen verbreiteten Vorstellungen und Werten.
Insofern sind auch alle Ethnien gleichwertig, aber nicht unbedingt alle Kulturen. Ein Beispiel vermittelt das Gemeinte einfacher: Es gibt Kulturen, wo ein Homosexueller hohe Ministerämter einnehmen kann, und es gibt Kulturen, wo ein Homosexueller von der Todesstrafe bedroht wird. Kritisiert man Auffassungen in solchen Kulturen, so hat dies verständlicherweise nichts mit „Kulturrassismus", aber sehr wohl etwas mit universellen Menschenrechten zu tun.
Jetzt aber zur Ausweitung des Gemeinten auf einen „antimuslimischen Rassismus", das auf die gleichen Gründe wie auf die vorgenannten Veränderungen zurückzuführen ist. Die Bezeichnung „Rassismus" gilt berechtigt als moralisch-politisch verwerflich, ihre Anwendung auf nicht-ethnische angebliche oder tatsächliche Diskriminierungen soll dann auf andere Phänomene diese Verwerfung übertragen. So ist gar mittlerweile bezogen auf die Frauendiskriminierung von einem „antifeministischen Rassismus" die Rede. Aber zurück zu dem Begriff „antimuslimischer Rassismus", der berechtigt auf Dichotomisierung, Essentalisierung und Hierarchisierung gegenüber Muslimen abstellt. Nur ist dafür die Bezeichnung „Rassismus" problematisch, da sie dessen Alleinstellungsmerkmale mit einer biologistischen Prägung nicht aufweisen.
Noch bedenklicher ist die Abwesenheit einer trennscharfen Definition, wird doch so eine aufklärerisch-menschenrechtliche Islamkritik nicht mehr von einer fremdenfeindlich-hetzerischen Muslimenfeindlichkeit unterscheidbar. Wer eine solche Differenzierung einfordert, wird dann einer Position zugeordnet, „die ihre Zugehörigkeit als überlegen setzt". So ist es mir in einer publizistischen Auseinandersetzung geschehen, wobei diese Formulierung hinsichtlich des Menschenrechtsrekurses eine kultur-rassistische Position nahelegt. Diese Erfahrung steht auch für den erwähnten Menschenrechtsrelativismus in linksidentitären Verständnissen.
Das wirkt paradox: Man hat den Eindruck, dass sich die linksidentitäre Bewegung zwar auf die Gleichheit aller kapriziert, aber das Fundament ihrer Weltanschauung bildet der Relativismus, der aus den postmodernen Denkgrundlagen dieser Bewegung stammt. Gefeiert wird die Fluidität von allem, aber das Weltbild ist strikt zweiwertig. Was sind Ihre Beobachtungen dazu?
Dazu können die unterschiedlichsten Gedanken vorgetragen werden, auch und gerade zur ideengeschichtlichen Herleitung linksidentitärer Vorstellungen. Hier soll aber eine Konzentration auf den letztgenannten Punkt erfolgen. Denn dem gemeinten Denken ist ein gruppenbezogener Dualismus eigen, der direkt oder indirekt schroffe Gruppeneinteilungen vornimmt. Dabei wird eine als dominant geltende Mehrheitskultur als allgemein negativ und eine als diskriminiert geltende Minderheitenkultur als eher positiv wahrgenommen. Erstere macht man gern pauschal und strukturell für Diskriminierungen verantwortlich, wobei es hier einen wahren Kern gibt, welcher aber nicht auf alle Individuen aus diesen Kontexten in gleicher Weise übertragen werden kann. Dies würde gar die autochthonen Identitätslinken selbst treffen. Da sie aber auf gesonderte Gruppenidentitäten und nicht auf universelle Prinzipien fixiert sind, geraten sie so auch als einschlägige Aktivisten in innere Widersprüche.
„Beide nehmen in der Bilanz eine partikularistische gegen eine universalistische Perspektive ein.“
Aber um derartige Identitätsprobleme der gemeinten Linken soll es hier nicht gehen, bedenklicher sind die Folgen der erwähnten Gruppenorientierung. Sie führen auch zu einer fehlenden Aufmerksamkeit für problematische Einstellungen bei den gemeinten Minderheiten, wo etwa bezogen auf das diskriminierende Frauenbild oder judenfeindliche Mentalitäten nach der empirischen Sozialforschung überdurchschnittlich hohe Verbreitungspotentiale nachweisbar sind. Identitätslinke problematisieren diese Sachverhalte meist nicht, passen sie doch nicht in ihre Ideologie und Weltsicht. Dann ist etwa die Auffassung von Black Lives Matter zu den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 als „Widerstand" nicht problematisch, die darin zum Ausdruck kommende Menschenverachtung mit judenfeindlichen Stereotypen kein Thema. Bei der Abneigung gegen den pauschal als kolonialistisch und unterdrückerisch wahrgenommenen Westen ignoriert man, dass damit auch die für eine Ablehnung von Diskriminierung relevanten normativen Grundlagen verworfen werden. Dazu gehört als bedeutsamster Faktor das universalistische Menschenrechtsverständnis, was aus linksidentitärer Blickrichtung als imperialistisches Machtmittel gilt. Nur wie legitimiert man dann aber die eigene Ablehnung von angeblichen oder tatsächlichen Diskriminierungen von Minderheiten? Hier bricht sich ein gefährlicher Menschenrechtsrelativismus Bahn.
Wir haben uns bis jetzt über inhaltliche und strukturelle Parallelen und Unterschiede zwischen der rechts- und der linksidentitären Bewegung unterhalten. Sind die beiden Bewegungen aus Ihrer Sicht auch kausal miteinander verbunden? In welche Dynamik treten Sie Ihrer Wahrnehmung nach? Oder agieren Sie gänzlich unabhängig und unverbunden voneinander?
Da es sich um ideologisch wie sozial unterschiedliche Milieus handelt, agieren Links- und Rechtsidentitäre auch im direkten und unmittelbaren Zusammenhang unterschiedlich voneinander. Gleichwohl gibt es jeweils diskursive Bezüge, anders formuliert: Auf Auffassungen von Linksidentitären reagieren Rechtsidentitäre und umgekehrt. Die Erstgenannten erblicken Rassisten in den Rechtsidentitären, während die Gefahr einer von Linken forcierten Minderheitendominanz eben von diesen Rechtsidentitären beschworen wird. Eine damit einhergehende Dynamik prägt ansonsten auch die öffentliche Kontroverse darüber, was zu einem regelrechten – die Anführungszeichen sind mir hier wichtig – „Kulturkampf" geführt hat. Bedenklich ist dieser inhaltliche Dualismus, da er eine antiaufklärerische Dimension bestärkt und eben differenzierte Positionen durch und in ihm zerrieben werden.
Beide nehmen in der Bilanz eine partikularistische gegen eine universalistische Perspektive ein. Und genau in dieser Denkperspektive besteht auch ein eigenes Gefahrenpotential, das etwa die Menschenrechte in einem universalistischen Sinne relativieren würde. Im öffentlichen Diskurs werben dabei Identitätslinke für Positionen, die von Identitätsrechten zu ihrer Selbstlegitimation genutzt werden können. Sie drehen nur die Vorzeichen um. Eine kritische Aufmerksamkeit für diese Kontexte fehlt.
Das Interview führte Christian Zeller.