08.06.2024

Höcke von links?

Von Christian Zeller

Titelbild

Foto: Sandro Halank via Wikicommons / CC BY-SA 4.0

Die SPD postete kürzlich eine „Deutschland-den-Deutschen“-Plakatbotschaft, die Teile des Volkes ausschließt. Die Aussage ähnelt einer von Höcke (AfD). Auch Laschet (CDU) hat sich zu ‚Sylt‘ geäußert.

Als ein Beleg für die völkische Bösartigkeit der AfD wird häufig folgende Passage aus Björn Höckes Buch „Nie zweimal in denselben Fluss" herangezogen: „Ich bin sicher, dass – egal wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mögen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“1

Diese Passage aus Höckes lesenswertem Buch ist in der Tat völkisch-homogenisierend, und zwar nicht nur gegenüber Zugewanderten, sondern auch gegenüber inländischen Bevölkerungsteilen, die bestimmte Migrationsentwicklungen, die Höcke nicht genehm erscheinen, mittragen. Wenngleich auf der Grundlage einer links-grünen anstatt einer rechtsidentitären Agenda, hat nun damit die Wahlkampf-Abteilung der SPD gleichgezogen. Wie das?

Geriet letzten Sommer die als „sexistisch" gebrandmarkte Hymne „Layla" in den Fokus wohlmeinender Moralhirten und Tugendnannys, so ist es dieses Jahr ein Meme, bei dem zu dem Partykracher „L'Amour Toujours" des italienischen DJs Gigi D'Agostino die Worte „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" intoniert werden. Gleich mehrfach geschah dies, aber ganz prominent in einer Bar auf Sylt. Das Video ging viral und sogar der Bundeskanzler fand es „eklig".

„Die SPD impliziert: Diejenigen Deutschen, die nicht ‚unsere Demokratie‘ verteidigen, gehören nicht zu uns.“

Man muss natürlich sagen: Im Vergleich zu dem harmlosen "Layla" ist der hinzugedichtete Text bei „L'Amour Toujours" wirklich geschmacklos – wenn auch aller Wahrscheinlichkeit nicht strafbar –, stellt es doch gleichsam eine Vertonung von fremdenfeindlichen – allerdings nicht: rassistischen – Homogenisierungsphantasien dar. Einer der Abgefilmten war sich nicht zu schade, sich beim Singen auch noch mit der freien Hand ein zweifingriges Hitlerbärtchen aufzusetzen, während er mit dem anderen Arm lässig wippend den römischen Gruß andeutete. Die SPD hat es nun geschafft, mit einem schnell entworfenen und ebenso schnell wieder zurückgezogenen Wahlplakat zur Europa-Wahl mit Homogenisierungsphantasien aufzuwarten, die sich analog zum Verlust der Höckeschen „Volksteile“ verhalten. Auf dem Plakatentwurf ist auf rotem Grund zu lesen: „Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen." Und in einem Kreis folgt der Wahlaufruf: „Am 9. Juni SPD wählen."

Etliche Beobachter haben diesen Slogan nun etwas voreilig unter dem Verdacht der Doppelmoral skandalisiert. Warum darf die SPD „Deutschland den Deutschen" in die Welt hinausposaunen, und die „Champagner-Nazis" – so der Stern über die Sylter „Ausländer raus"-Gröler – nicht? Doppelmoral und die Ungleichbehandlung von Gleichem werden in der Tat zu einem immer größeren Problem, aber in diesem Fall verleitet der Vorwurf dazu, das Wesentliche zu übersehen. Denn das „den“ ist kursiv gedruckt, also betont, und produziert dadurch einen Bezug auf eine bestimmte Teilmenge der Deutschen. Der Satz bedeutet also, zusammen mit dem nachfolgenden Relativsatz: „Deutschland soll den und nur den Deutschen gehören, die unsere Demokratie verteidigen.“ Das wiederum impliziert: Diejenigen Deutschen, die nicht „unsere Demokratie“ verteidigen, gehören nicht zu uns.

Sowohl Björn Höcke als auch die SPD-Wahlkampfabteilung kennen also Deutsche, die durch ‚falsches‘ Verhalten und ‚falsche' Einstellungen ihren Bürgerstatus verlieren können. Bei Höcke sind es solche Deutsche, die seine Homogenisierungsagenda nicht teilen, im Willy Brandt-Haus sind es Deutsche, die sich der Verteidigung „unserer Demokratie“ verweigern.

Viel gefährlicher als bloß Ausdruck einer Doppelmoral zu sein, ist dieser Spruch deshalb, weil er die symptomatische Zuspitzung einer Dynamik der Ausgrenzung ist, die eben nicht nur auf Rechtsextremismus fokussiert, sondern auch auf „rechts", wie das permanente Changieren zwischen beiden Begriffen durch Journalisten und Politiker anzeigt. Vermutlich war es gerade die Reflexhaftigkeit, mit der das SPD-Wahlplakat in die Welt hinausgeschossen wurde, die tief in den Strategie-Bauchladen im Willy Brandt-Haus blicken lässt. Dieser beinhaltet es wohl, dass der berechtigte Kampf gegen Rechtsextremismus – wenn dieses Wort nur sauber gebraucht werden würde! – mit einem parteipolitisch motivierten „Kampf gegen rechts" – also der Halbierung des demokratischen Spektrums – so vermengt wird. Damit soll der Teil des Wahlvolks, für den „Heimat" nicht nur die Bezeichnung eines Ministeriums ist, der lieber eine Aussöhnung mit Russland denn ein Nachbeten der Nato-Agenda präferiert und der Migration eben nicht nur mit „Buntheit" assoziiert, sondern eben auch mit zunehmenden Messerattacken und Gruppenvergewaltigungen, möglichst auch gleich der sozialen Ächtung preisgegeben werden soll.

„Armin Laschet im Klartext: Wer einmal im Suff geschmacklos herumgrölt, dessen Existenz gehört zerstört.“

Dieser Impetus ist allerdings mittlerweile nicht auf die SPD, die Grünen oder die Linkspartei begrenzt, bei denen sich viele Anhänger ja schon seit Jahren durch die Verharmlosung des Nationalsozialsozialismus und die Instrumentalisierung des Holocausts hervortun, indem sie jeden als „Nazi", „Faschist" oder „Rassist" titulieren, der auch nur ein Jota nach „rechts" von ihrer eigenen politischen Auffassung hin abweicht. Im Bericht aus Berlin äußerte sich der ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet zu dem Sylt-Video wie folgt:

Also, diese Sylt-Szenerie ist ja in jeder Hinsicht daneben und abscheulich, weil das ist die Elite des Landes. Das sind die reichen jungen Kinder, die scheinbar in ihrer Erziehung nicht gelernt haben, dass man nicht gegen andere Menschen, erst recht die unter ihnen stehen, hetzt. Ich glaub, die haben aber ihren Preis bezahlt. In kürzester Zeit waren alle Namen öffentlich, die haben alle ihren Job verloren. Und ich glaube als Gesellschaft müssen wir darauf achten, dass das bei allen diesen Vorfällen gilt.

Diese Äußerung von Laschet trieft nur so vor eben jener pauschalisierenden Haltung, die man – zu Recht! – keinesfalls an den Tag legen sollte, wenn es um Ausländer oder sonst irgendeine Menschengruppe geht. Sie ist geradezu stereotyp reichenfeindlich und zeigt neben einer Verachtung für rechtstaatliche und fundamentale rechtliche Grundsätze (Unschuldsvermutung, kein Urteil ohne ordentliches Verfahren, Sphärentrennung von persönlichem Verhalten und der dem Arbeitgeber vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung), auch noch die Tendenz, den liberalen Rechtstaat durch ein System der allumfassenden kollektiven Verhaltenskontrolle ergänzt wissen zu wollen. In einem solchen System soll es opportun erscheinen, Menschen nicht nur nach einem ordentlichen Verfahren zielgenau zu sanktionieren und ihnen dann – da der moderne liberale Rechtstaat stets Handeln bestraft – wieder Entwicklungsmöglichkeiten und einen Neuanfang zu ermöglichen, sondern sie als ganze Personen zu ächten. Online-Pranger mit Klarnamen plus Verlust des Arbeitsplatzes, das ist doch das mindeste, was auf diese Abscheulichkeit stehen muss. Im Klartext: Wer einmal im Suff geschmacklos herumgrölt, dessen Existenz gehört zerstört.

Ebenso wie bei dem SPD-Wahlplakat sehen wir auch bei Laschets Äußerung eine Tendenz, vor der von diesen Leuten so vollmundig gewarnt wird, wenn es um die angeblich finsteren Pläne der AfD geht, nämlich die Abkehr von Grundsätzen liberal-demokratischer Rechtstaatlichkeit und dem Ausschluss all jener, die in den Chor der Rechtgesinnten nicht miteinstimmen wollen. Eine Nuance an der Äußerung Laschets ist dabei entscheidend: Denn er schreibt Ausländern pauschal und undifferenziert einen niedrigeren gesellschaftlichen Rang als den Sylter „Ausländer raus“-Grölern zu. Das zehrt von nichts anderem als der woken Mär, nach der Migranten per se als „unterdrückt“ zu verstehen sind. Als gäbe es nicht auch Ausländer, die sich wie arrogante Snobs aufführten oder auch jede Menge hier lebende Nicht-Deutsche, die schlichtweg sehr gut verdienen und alle ihre Pflichten ordentlich erfüllen.

„Rechts- und linksidentitäre politische Kräfte grenzen sich umso stärker voneinander ab, je ähnlicher sie sich in ihren politischen Strategien werden.“

Es dürfte nicht zu viel der Spekulation sein, dass sich sowohl im Falle des SPD-Plakats als auch der ins Totalitäre ausgreifenden Äußerung von Laschet die Verteidigung der Demokratie auf den „Kampf gegen rechts“ bzw. „Rechtsextremismus" bezieht, der sich seit den Desinformationskampagnen im Zuge der „Geheimplan"-Recherchen durch die Faktenchecker-Schmiede Correctiv seinen Weg durch Deutschland bahnt. Dieser „Kampf gegen rechts“ beherrscht mittlerweile nicht nur die medialen und politischen Diskursräume, sondern sickert auch zunehmend in die Poren der Alltagsinteraktion und vor allem auch der digitalen Sphären ein. Mehr Metapolitik, die man umgekehrt der AfD als infame Diskursstrategie vorwirft, um den vorpolitischen Raum zu erobern, war selten. Dazu gehört, Vorfälle, die den Namen „rechtsextrem“ immerhin verdienen, mit einem Maximum an volkserzieherischer Reichweite zu versehen. Der parteipolitisch motivierte „Kampf gegen rechts“ bildet denn auch den Unterboden für den Kampf gegen das studentische Party-Völkchen auf Sylt, das sich dem ultimativen Tabubruch hingab.

Nicht nur bei der Äußerung Höckes, sondern auch den Reaktionen auf das Sylt-Video durch die SPD-Wahlkampfzentrale und den CDU-Politiker Armin Laschets handelt es sich denn auch um den verkleideten Sprechakt der Drohung. Bei Höcke lautet sie: „Wenn du eine Migrationsagenda verfolgst, die ich nicht teile, wirst du Deutschland verlassen müssen." Bei den Machern des SPD-Wahlplakats lautet sie: „Wenn du unsere Demokratie nicht verteidigst, dich also nicht dem Kampf gegen rechts anschließt, dann wirst du unser Land verlassen müssen." Bei Laschet lautet sie: „Wenn du aus der Reihe tanzt, dann kann du nicht auf den Rechtsstaat hoffen – wir zerstören deine soziale Existenz in Gänze.“ Es ist kaum möglich zu entscheiden, wer hier weiter mit der Axt ausholt und dabei auf die Wurzeln unserer liberal-demokratischen Ordnung zielt. Der nationalromantische Volkshomogenisierer Höcke? Die SPD-Wahlplakat-Macher mit ihrer – Carl Schmitt lässt grüßen! – unverhohlenen Feindschaft gegenüber jenen Deutschen, die ihre politische Meinung nicht teilen? Der CDU-Mann Laschet mit seinen Existenzzerstörungsphantasien?

Der Spruch auf dem SPD-Wahlplakat ist nicht weniger als: Höcke auf links gewendet. Und die Äußerung von Laschet ist ein Vorgeschmack auf die Art illiberaler Politik, die mit der AfD eines Tages in unser Land einzuziehen droht. Wenn etwas der AfD argumentatives Futter liefert, um gegen Meinungsdiktat und links-grünen Demokratieabbau zu wettern, dann dieses Verhalten von Teilen der etablierten politischen Elite, die sich nicht zu schade sind, die Sicherung ihrer politischen Pfründe auf dem Rücken der deutschen Verfassung und liberal-demokratischer Grundwerte auszutragen. In der intimen Berührung der vermeintlichen politischen Gegensätze zeigt sich das, was den Kern der gegenwärtigen politischen Misere ausmacht: das wechselseitige Hochschaukeln von rechts- und linksidentitären politischen Kräften, die sich umso stärker voneinander abgrenzen, je ähnlicher sie sich in ihren politischen Strategien werden.

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