09.02.2024

Das Schweigen des Mainstreams

Von Christian Zeller

Bei der Frage, wer wie gegen seine politischen Gegner vorgehen will, wird mit zweierlei Maß gemessen, erst recht seit dem sogenannten Potsdamer Geheimtreffen. Für die Demokratie ist das problematisch.

Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, Sie sind Beobachter eines Parteitags einer bundesweit relevanten rechtskonservativen politischen Kraft. Das Thema, das den Saal gerade umtreibt, ist, wie es möglichst effektiv unterbunden werden kann, dass der ärgste politische Gegner, dem die Verfassungstreue abgesprochen wird, öffentliche Resonanz bekommt. In einem Teil der Rede sagt der Vortragende folgendes:

Wir haben da ‘ne junge Gruppe von Volksgenossen, ich freu mich, dass sie da etwas machen. Es sind auch noch andere Rechte dabei außer mir. Und die haben auch nichts dagegen, dass die Älteren, so wie ich, ein bisschen da sind. Das läuft dann so: Wenn die Linkspartei versucht, in einer Kneipe etwas zu machen, dann sind wir rechtzeitig da, reden freundlich mit dem Wirt, damit er die wieder auslädt. Wenn er sie nicht auslädt, reden wir noch mal, nicht ganz so freundlich. Und wenn das noch nicht gereicht hat, gibt es weitere Möglichkeiten, die ich hier nicht öffentlich darlegen möchte.

Bei den letzten Worten hören Sie, wie der Applaus des Publikums hineinbrandet. Während die Äußerung fällt, sind im Saal Kameras platziert, das Interesse von Journalisten an dem Parteitag ist groß. Und nun fragen Sie sich: Wird diese Äußerung in den Medien sogleich breit mit großer moralischer Verve diskutiert werden, mit den bekannten Rückkopplungseffekten in den sozialen Netzwerken, würde sie öffentliche Diskussionen, Distanzierungen von Politikern fast aller Parteien, vermutlich sogar Demonstrationen „gegen rechts“ nach sich ziehen? Gewiss!

„Der politische Willensbildungsprozess soll zugunsten der Wertvorstellungen einer partikularen Gruppierung verzerrt werden.“

Und es würde dabei natürlich auf Versatzstücke jenes inflationär gebrauchten, teilweise den Nationalsozialismus verharmlosenden Phrasenkatalogs zurückgegriffen werden, der von den landesweiten Demonstrationen infolge des „Geheimtreffens“ von Geschäftsleuten, Ärzten, Juristen, dem ehemaligen Sprecher der Identitären Bewegung Martin Sellner, sowie einigen AfD- und CDU-Mitgliedern im letzten November allzu bekannt ist: „Seht her, der Schoss ist fruchtbar noch.“ „Ankündigung von Drangsalierungen Andersdenkender, das hatten wir hier in Deutschland schon mal.“ „Wir müssen die Demokratie schützen“. „Was ist das für eine Partei, die einem solchen Menschenfeind eine Bühne bietet!“ „Kein neues 1933!“

Aber freilich gilt: Empörung wäre hier durchaus angebracht. Geht es hier schließlich doch um nichts anderes, als durch mit einem süffisanten Grinsen angekündigten Mafia-Methoden Gastwirte einzuschüchtern. Der politische Willensbildungsprozess soll dadurch zugunsten der Wertvorstellungen einer partikularen Gruppierung verzerrt werden. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, werden, gleichsam als letzte Eskalationsstufe, abschließend sogar manifest gesetzwidrige Mittel angekündigt. Mit Gewalt gegen Sachen dürfen wir hier mit Sicherheit rechnen, aber Gewalt gegen Personen ist eben so wenig auszuschließen.

Bewegen wir uns nun von unserem Gedankenexperiment weg in die Realität hinein und fragen: Wurde diese Äußerung so getätigt? Nun ja, fast, aber eben nicht von einer rechtskonservativen, sondern einer sehr linken Partei, also im Zweifelsfall von jemandem aus dem Lager der ‚Guten‘. Die Original-Äußerung stammt von Reinhard Neudorfer, einem in der Linkspartei organisierten DGB-Kreisvorstandsmitglied (und früherem DKP-Mitglied). Sie wurde getätigt auf dem letzten Parteitag der Linkspartei von 17. bis 19. November 2023.

„Der von den Mainstream-Medien seit dem ‚Geheimtreffen‘ begierig bespielte ‚Kampf gegen rechts‘ wird sicher nicht dazu beitragen, ‚die Demokratie zu schützen‘“.

Statt „Volksgenossen“ fiel „Antifa“, statt von der „Linkspartei“ sprach Neudorfer von der „AfD“, und er verwies auf sich und die seinen natürlich mit dem Begriff „Linke“. Der Rest des Wortlauts ist identisch. Die mediale Resonanz im Mainstream auf diese öffentliche Verherrlichung angedeuteter Straftaten war gleich null. Die Junge Freiheit, die dem anderen ‚Lager‘ angehört, hat berichtet, ein paar weitere kleinere Medienportale (z.B. hier und hier), ebenfalls keine linksextremen, ansonsten: Schweigen im Walde.

Ein Mediensystem, das auf so offenkundige Weise unterschiedliche Maßstäbe bei ihrer Berichterstattung anlegt, braucht sich nicht zu wundern, wenn es zunehmenden Versuchen der „Delegitimierung“ ausgesetzt ist. Unsere liberale Demokratie wäre erst dann wieder vollständig intakt, wenn die real getätigte Äußerung genau denselben Aufschrei verursachen würde wie die gedankenexperimentelle. Dann fiele auch ein entscheidender Grund weg, die Legitimität des Mediensystems in Frage zu stellen. Der von den Mainstream-Medien seit dem „Geheimtreffen“ begierig bespielte „Kampf gegen rechts“ wird hingegen sicher nicht dazu beitragen, „die Demokratie zu schützen“. Im Gegenteil, soll hier doch die Hälfte des legitimen politischen Spektrums, nämlich das rechte, einfach gestrichen werden, auf dass nur „links“ übrigbleibe: Demokratieschutz durch Demokratiehalbierung. Niemand wird sagen können, dass der Missbrauch des Begriffs „Demokratie“ für partikulare politische Zwecke nicht klar erkennbar war.

Erst dann, wenn der heftige Linksdrall des Mediensystems, der bis zu einem lautstarken Weghören bei der Ankündigung von Straftaten reicht, ein Rollback zu einem vertretbaren, der faktischen Pluralität unserer Gesellschaft gerecht werdendes Maß erlebt, erst dann lassen sich wieder zielsicher echte von eingebildeten Verfassungsfeinden unterscheiden. Für den Schutz des liberal-demokratischen Rechtsstaates und die zielgerichtete Bekämpfung von Extremismus jeglicher Couleur wird das entscheidend sein.  

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