20.03.2024

Cancel Culture als Staatsauftrag (2/2)

Von Christian Zeller

Staat und Zivilgesellschaft verengen beim „Kampf gegen rechts“ immer mehr den Diskurs. Das führt zu Polarisierung und dem Ausschluss weiter Teile des Meinungsspektrums.

Dem „Kampf gegen rechts“ wohnt ein autoritäres Moment inne – besonders wie er seit dem verschwörungstheoretisch akzentuierten Bericht um das „Geheimtreffen“ in Potsdam und dem dort angeblich ausgearbeiteten „Geheimplan“ verschärft geführt wird. Deutlich wurde dies, als Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang in einer Pressekonferenz am 13. Februar davon sprach, dass seine Behörde nun auch „mentale und verbale Grenzverschiebungen“ in den Blick nehmen wolle, während Bundesinnenministerin Nancy Faeser all jenen Verfolgung androhte, die den Staat „verhöhnen“.

Der Umstand, dass zukünftig auch die Polizei selbst von einem von speziellen Beauftragten überwacht werden soll – etwa um gegen angeblichen Rassismus in der Polizei vorzugehen –, weist ebenfalls in Richtung einer bedenklichen Politisierung rechtsstaatlicher Institutionen. Fatal ist allerdings, dass Begriffe wie „Rassismus“ mittlerweile so weit inflationiert sind, dass eine präzise Identifizierung von Rassisten oder Rechtsextremen, die diesen Namen verdienen, kaum noch möglich ist. Die sich abzeichnende Herrschaft willkürlich zu handhabender Begrifflichkeiten wird ergänzt von einer Logik der Machtbündelung, die Familienministerin Lisa Paus im Kontext des geplanten Demokratiefördergesetzes ankündigte: Zivilgesellschaftliche Organisationen, Polizei, „andere Sicherheitsbehörden“ sowie kommunale Amtsträger sollen nun gemeinsam die Demokratie „stabilisieren“.

Der unmittelbare Grund hierfür ist, wie im ersten Teil dieses Artikels ausgeführt, der „Kampf gegen Rechtsextremismus“, der von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie von politischen Amtsträgern immer wieder zum „Kampf gegen rechts“, also nicht weniger als zur Halbierung des legitimen demokratischen Spektrums, ausgeweitet wird. Die Machtausübung mit Begriffen wie „Nazi“, „Rassist“ und „Menschenfeind“, die auf Kosten der Möglichkeit einer zielgenauen Identifizierung von neo-nationalsozialistischen Umtrieben und in jeder Hinsicht abzulehnendem rassistischem Denken und Handeln jeglicher Bedeutung beraubt worden sind, hat dabei nicht erst gestern begonnen.

Bis in die 2000er Jahre hinein war es etwa bei der grünen Partei Usus, Deutschkurse für Zugewanderte als „Zwangsgermanisierung“ auszuweisen und damit einen direkten Bezug vom Erlernen der deutschen Sprache mit der Assimilierungspolitik der Nationalsozialisten im besetzen Polen herzustellen. Immerhin hier wurden Fehler eingestanden, was allerdings die Achtundsechziger – die bei ihrem „Marsch durch die Institutionen“ (Rudi Dutschke) weit fortgeschritten waren – nicht daran hinderte, ihre Auffassungen insbesondere in der Migrationspolitik mit Kampfbegriffen gegenüber Kritik abzuschirmen.

Kontraproduktive Nazikeule

Die Folgen sind kontraproduktiv: Wird nämlich in einer liberal-demokratischen Gesellschaft, in der den Bürgern erzählt wird, dass sie Pluralität und Diversität leben sollen, der Meinungskorridor durch eine Herrschaft der Kampfbegriffe eingeschränkt, dann strecken irgendwann überwiegend jene ihre Köpfe durch diese sich verengende Schleuse, die sich auch von der einsetzenden sozialen Ächtung nicht abschrecken lassen. So erlangen Kräfte mit extremeren Auffassungen überproportionales Gewicht.

Wenn alle anderen Parteien beginnen, Themen, die die Bevölkerung umtreiben, zu meiden oder nur noch mit der Kneifzange anfassen, weil man andernfalls ja als „rechts“ („Nazi“, „Rassist“) gelten könnte, dann kann sich eine in großen Teilen gegen illegale Masseneinwanderung gerichtete Bevölkerung nur noch an den Überwindern des Diskurskorridors orientieren. Und so stellt also die Herrschaft der bedeutungsleeren Kampfbegriffe, ausgeübt von einer lautstarken Minderheit, nicht nur eine drastische Verharmlosung von Nationalsozialismus und Rassismus dar, sondern sie fördert auch noch das Gegenteil dessen, was sie eigentlich eindämmen möchte.

„Der Umstand, dass sich die Mainstream-Medien in zunehmendem Maße mehrheitlich als Filtersystem für das politisch ‚Sagbare‘ gerieren, ist ebenfalls auf die selbst sich verstärkenden Effekte der identitären Lagerbildungsdynamik zurückzuführen.“

Sieht man diesen Zusammenhang nicht, weil man die eigene politische Auffassung sakrosankt setzt und mit ‚dem Guten‘ schlechthin identifiziert, so wird die Logik der Begriffsentleerung einfach immer fortgesetzt. Genau dies verengt jedoch weiter die Diskursschleuse und führt dazu, dass es sich bei denjenigen, die sich gegen den steigenden Druck behaupten, um weltanschaulich immer gefestigteres Personal handeln muss. Der schrittweise Radikalisierungsprozess innerhalb der AfD seit 2013 dürfte zu guten Teilen durch diesen Effekt zu erklären sein.

Noch relativ geringfügige sozio-ökonomische Verwerfungen, auch infolge der Energiepolitik der Bundesregierung (u. a. das Abschalten von Atomkraftwerken inmitten einer Energiekrise in einer Industrienation) und dirigistische, einer freiheitlich organisierten Gesellschaft Hohn sprechende Regelwerke (wie das Heizungsgesetz), reichen nun aus, um das Fass bei vielen Bürgern zum Überlaufen zu bringen. Schon steht die AfD bei rund 20 Prozent, und alle Welt wundert sich auch noch darüber, weil es zum Prozess der identitären Lagerbildung gehört, dass man seine eigenen Handlungen nicht mehr als Effekt einer Interaktionsdynamik begreifen kann. Damit setzt nun in einem System kommunizierender Röhren ein wechselseitiger Prozess der Abwertung und „Delegitimierung“ ein – und zwar zwischen einer sich festigenden, ins Radikale ausgreifenden linksidentitären Weltanschauung im links-grünen Spektrum auf der einen Seite und der erstarkenden, sich ebenfalls radikalisierenden Rechtsaußenpartei auf der anderen Seite. Dieser Prozess legt nun der breiten Mitte der Gesellschaft – befeuert durch die informationellen Feedback-Schleifen der großen Tec-Konzerne, die dazu führen, dass immer mehr Menschen kognitiv im eigenen Saft schwimmen – nahe, sich zunehmend für eines der beiden ‚Lager‘ zu entscheiden.1

Lagerbildung

So verstärkt sich der Teufelskreis immer weiter, weil identitärer Selbstschutz an die Stelle eines mit Argumenten immerhin angereicherten Diskurses unter mündigen Staatsbürgern tritt. Der Umstand, dass sich die Mainstream-Medien in zunehmendem Maße mehrheitlich als Filtersystem für das politisch ‚Sagbare‘ gerieren, ist ebenfalls auf die selbst sich verstärkenden Effekte der identitären Lagerbildungsdynamik zurückzuführen, und befördert ihn seinerseits weiter. Die einen informieren sich dann eben über sogenannte Alternativmedien, weil sie gegenüber den eklatanten, systematischen politischen Verzerrungen im Mainstream-Mediensystem tiefen Widerwillen entwickeln. Die anderen hängen weiterhin den Narrativen des öffentlich-rechtlichen Erziehungsfunks an und echauffieren sich ebenso pauschal über angebliche „Verschwörungstheoretiker“ und „Wissenschaftsleugner“.

Auch die Wahl des Mediums oder der präferierten Experten, denen man glauben schenkt, ist damit zunehmend weniger eine Frage, welche Information ich dort bekomme, sondern was besser zu mir passt, wie eben eine Hose oder ein Haarschnitt. Eine Gesellschaft, die politische Sachfragen ausschließlich als Identitätsfragen behandelt, wird sich jedoch über kurz oder lang von ihren aufklärerischen Wurzeln abschneiden, und liberales Differenzierungsvermögen, nüchterne Wirklichkeitsanalyse, rationales Recht und Gemeinwohlsinn werden gleichermaßen verkümmern.

„Die Äußerungen von Paus und Haldenwang bereiten uns den Weg in eine illiberale Demokratie nach dem Muster Ungarns, nur eben weltanschaulich spiegelbildlich angelegt.“

Das Entscheidende an den jüngsten Entwicklungen in der politisch-medialen Lagerbildungsdynamik: Mit den Äußerungen von Paus, Faeser und Haldenwang beginnt die sich bislang in der nicht unmittelbar rechtlich eingehegten Diskursprärie vollziehende Herrschaft der Kampfbegriffe auf der Ebene von Staatsorganen mit exekutivem Herrschaftsanspruch zu manifestieren. Die Sinnentleerung von allerhärtesten Vorwürfen wie „Nazi“ und „Rassist“, um die hochspezifische Agenda der Masseneinwanderung mit dem impliziten Appell an ein internalisiertes, spezifisch deutsches Schuldgefühl vor Kritik zu schützen, findet nun seine Fortsetzung in den Worthülsen der „Demokratieförderung“ und der „Staatswohlgefährdung“. Worthülsen von Personen, die in unseren Institutionen bereits jetzt über eine beträchtliche Macht verfügen, die sich allerdings umso mehr in den vorstaatlichen und „zivilgesellschaftlichen“ Bereich ausdehnt, je mehr ihre Worte an Substanz verlieren.

Potsdam und der Höllenglaube

Die Herrschaft der Kampfbegriffe wird, macht sie sie auch der Staat selbst sich zu eigen, nicht weniger als eine Herrschaft über die feinen Poren unserer Alltagsinteraktionen. Wie sicher sich diese politischen Akteure vor einem medialen Aufschrei mittlerweile fühlen, wird daran deutlich, dass sie die Ausweitung staatlicher Interventionen in den Bereich vorstaatlicher Willensbildungsprozesse gänzlich offen ankündigen. Die Äußerungen von Paus und Haldenwang bereiten uns den Weg in eine illiberale Demokratie nach dem Muster Ungarns, nur eben, gleichsam im Modus eines umgekehrten Orbanismus, weltanschaulich spiegelbildlich angelegt. Dies also ist das soziale Skript, dem die jüngsten Ereignisse im „Kampf gegen rechts“ folgen – nach dem unter journalistischen Kriterien nur unterirdisch zu nennenden Correctiv-Artikel zu den Gesprächen über „Remigration“ von Vertretern von AfD, CDU und rechten Unternehmern im Rahmen des Potsdamer „Geheimtreffens“.

Hinsichtlich des zentralen Vorwurfes, auf diesem Treffen sei die massenhafte „Deportation“ deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund geplant worden, musste Correctiv selbst einräumen, dass es sich hier um eine in die faktischen Ereignisse hineingeheimste Meinungsäußerung handelt. Zudem hat die Correctiv-Vizechefredakteurin – immerhin eine Angehörige der Faktenchecker-Elite dieses Landes –, nachweisbar die Unwahrheit über den eigenen Artikel gesagt, als sie in einer Talkshow behauptete, dass dort die Bezüge auf die Wannsee-Konferenz nicht enthalten gewesen seien.

„Der neue Höllenglaube ist ein wesentlicher Teil des Fundamentes, auf dem die Cancel Culture als Regierungsprogramm aufruht.“

Weltanschaulich grundgelegt wurde der jüngst sich sichtbar machende, links-grüne Kontrollwahn allerdings durch etwas viel Grundsätzlicheres: Wer in dem Glauben lebt, dass die Welt mit der „Klimakatastrophe“ an ihr Ende zu kommen droht, wenn „wir“ nicht handeln (die radikale Apo der grünen Partei heißt nicht umsonst „Die letzte Generation“), der produziert eine säkulare Wiederkehr eben jenes Höllenglaubens des Mittelalters, der das Verfügen über die Wahrheit zu einer schlechthin existentiellen Frage macht.

Im Verbund mit einer postmodernen Weltanschauung, die den rationalen Austausch von Argumenten im Geist von Liberalität und Lernbereitschaft zu einem Unterdrückungsinstrument des weißen Mannes erklärt, im Verbund mit der manifest totalitären Gedankenfigur Michel Foucaults (dem Säulenheiligen der Woke Culture), der Wahrheitsansprüche mit Machteffekten gleichsetzt, im Verbund mit der Vorstellung, das demokratische Verständigungsprozesse per se auf einen Kampf um Deutungsmacht hinauslaufen müssten, ist der neue Höllenglaube ein wesentlicher Teil des Fundamentes, auf dem die Cancel Culture als Regierungsprogramm aufruht.

Postmoderne Weltanschauung

Ein ebenso wesentlicher Teil dieses Fundamentes ist der unverbrüchliche Glaube, dass westliche Gesellschaft bis ins Mark hinein durchsetzt sind mit „strukturellem Rassismus“ und einem nur notdürftig kaschierten heterosexuellen Patriarchat, das nicht nur Frauen im Gewand einer Rhetorik der Freiheit nach wie vor unterdrückt, sondern mit seinen Normalitätsvorstellungen auch jene knechtet, die sich diesen Behauptungen des Naturhaften nicht beugen wollen, also Trans- und Homosexuellen. Kurzum: Im links-grünen Weltbild müssen westliche Industrienationen erst von den Sünden des weißen Mannes gereinigt werden, bevor sie schließlich im links-grünen Paradies, das durch das „Othering“ Andersmeinender erkauft werden muss, münden können.

Widerspruch gegen den postmodernen Neo-Rassismus, der sich explizit gegen „Weißbrote“ richtet und eine angeblich notwendige „Enthomogenisierung der Gesellschaft“ unterstützt , Widerspruch gegen die Abkoppelung von jeglichen Naturverhältnissen in Geschlechterfragen, Widerspruch gegen die Vorstellung, dass Aufklärung und Liberalität unweigerlich die Unterdrückung eingeschrieben sei, wird so zu nichts minderem als zu schierer Blasphemie – und muss deshalb tunlichst unterbunden werden. Im verbitterten „Kampf gegen rechts“ projiziert man schließlich die eigenen autoritären Ich-Anteile auf den Feind im Inneren, den „braunen Bodensatz“ (so Thüringens Verfassungsschutz-Chef Stephan Kramer über die Wählerschaft der AfD). Psychodynamisch erhält man so genau das Selbstbild aufrecht, dass den Ausgangspunkt für die auf die Exklusion Andersdenkender abzielende Dogmatik bildet – nämlich, rückhaltlos ‚gut‘ zu sein.

„Konzepte wie ‚Demokratieförderung“ und ‚Staatswohlgefährdung‘ sind die jüngsten Ausprägungen eines neuen, aus einem Phantasma von Heilserwartungen sich speisenden Autoritarismus.“

Kramer ist übrigens Mitglied im Stiftungsrat der Amadeo Antonio Stiftung, die am Aufbau eines demokratiepolitisch bedenklichen Meldestellensystems (in diesem Fall gegen „Antifeminismus“) beteiligt ist. Dass auch hier Fälle „unter der sogenannten [!] Strafbarkeitsgrenze“ erfasst werden sollen und auch Meinungsäußerungen wie „Sticker/Flyer mit antifeministischen Inhalten“ Gegenstand der Meldestelle sind, versteht sich im neo-autoritären, postmodernen Staat mittlerweile fast von selbst. Einen Blick in die nicht allzu ferne Zukunft erlaubt uns wohl derzeit der kanadische Staat, regiert von einem woken, sich selbst als „progressiv“ verstehenden Ministerpräsidenten, der ein höchst ambivalentes Verhältnis zur Meinungsfreiheit an den Tag legt. Zukünftig sollen dort einem Gesetzesvorhaben der Regierung zufolge Meinungsäußerungen, die als „hate speech“ klassifiziert wurden, mit bis zu lebenslanger Haft bestraft werden können.[25]

Dass sich vor dem Hintergrund der in Universitäten, Kulturbetrieben und Medienanstalten verbreiteten postmodern-„progressiven“ Weltanschauung die bislang informell sich manifestierende Kultur des Meinungsausschlusses eher früher als später auch auf der Ebene des Handelns von Regierung und Verfassungsschutz manifestieren würde, ist ein soziologischer Abzählreim. Konzepte wie „Demokratieförderung“ und „Staatswohlgefährdung“ sind die jüngsten Ausprägungen dieses neuen, aus einem Phantasma von Heilserwartungen sich speisendem Autoritarismus.

Ein Ausblick

Wie wird sich dessen Gestalt in der näheren Zukunft darbieten? Eine Prognose sei gewagt: In den nächsten Monaten und Jahren – mindestens bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025 – werden die Reaktionen der aufziehenden Kontrollgesellschaft „gegen rechts“ zweigeteilt ausfallen. Einerseits wird im Bereich des Rechtsextremismus (also jenen rechten Bewegungen, deren Verfassungsfeindlichkeit zumindest hinreichend wahrscheinlich ist und die damit die Aufmerksamkeit staatlicher Behörden zu recht auf sich ziehen) der staatliche Verfolgungsdruck enorm zunehmen. Dieser wird nun auch Akteure einbeziehen, die bislang, bisweilen zu ihrer eigenen Überraschung, weitgehend von staatlichen Zugriffen unbehelligt geblieben sind. Das Institut für Staatspolitik in Schnellroda, um den neurechten Spiritus rector Götz Kubitschek ist sicherlich ein Kandidat, aber etwa auch das Compact-Magazin. Immerhin haben es Demonstranten schon wiederholt in die sachsen-anhaltische Provinz geschafft. Überraschen dürfte es auch nicht, wenn die AfD als Gesamtpartei einige Monate vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Herbst 2024 als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft werden würde, um die drohende soziale Ächtung beim Kreuz an der falschen Stelle zu verschärfen.

Begleitet werden wird dieser zunehmende Verfolgungsdruck durch groß angelegte Medienspektakel, wie sie bei der der Aufdeckung der Umsturzpläne um den „Reichsbürger“ Heinrich XIII. Prinz Reuß im Dezember 2022 zu beobachten waren. Auch wenn man letztlich nur mutmaßen können wird, ob die Mainstream-übergreifende Berichterstattung zu solchen Ereignissen orchestriert ist, werden sie auch zukünftig zumindest diesen Eindruck erwecken. Schließlich ist nur eine von medialem Großaufgebot begleitete Razzia gegen Rechtsextreme und Reichsbürger eine richtig gute Razzia. Denn auch Aktionen gegen derartige Randerscheinungen – mit denen die Breite der Gesellschaft nun wirklich nichts am Hut hat – sollen mit ihrem Erziehungseffekt möglichst weit in die Bevölkerung hineinstreuen. Stark verschärfter Verfolgungsdruck mit größtmöglicher volkspädagogischer Streuwirkung dürfte also das erste Element des aufziehenden links-grünen Kontrollstaates sein.

Das zweite Muster, das sich in dem mit dem „Kampf gegen Rechtsextremismus“ in einander übergehenden „Kampf gegen rechts“ wohl ausbilden wird, wird von dem ersten Muster beträchtlich abweichen. Hier werden nicht martialisch ausgestattete Polizeitrupps die Szenerie dominieren, sondern vielmehr die subtilen, hauptsächlich auch das Mittel der sozialen Ächtung setzenden Diskursverengungs-Mechanismen in vielfältigen Alltagssituationen, aber auch in den Botschaften, die nahezu jeder politisch interessierte Mensch über das Mainstream-Mediensystem zugespielt bekommt.

„Wer anders denkt, dem bleibt neben der Exklusion aus sozialen Kreisläufen nur noch die Heuchelei, bei der die viel beklagte Spaltung der Gesellschaft in das Innenleben des Individuums verlegt wird.“

Durch das staatliche Fettfüttern der „Zivilgesellschaft“ mit ihren staatlich geförderten Meldestellen, ihren reichweitestarken E-Mail-Verteilern und ihren hippen Social Media-Accounts wird die Kultur des Meinungsausschlusses in Bezug auf potentiell „rechte“ Themen (also alle, die nicht eindeutig links sind) von ihrem ohnehin bereits hohen Niveau aus weiter massiv zunehmen. Mit samt der Folgen, die das für die weltanschauliche Selektivität von lebensweltlichen sozialen Gefügen, medialer Öffentlichkeit und beruflichen Zusammenhängen haben wird: Bekanntenkreise und Vereinsaktivitäten werden sich, insbesondere in urbanen Milieus, in noch höherem Maße nach Parteizugehörigkeit und Medienkonsum sortieren. Ein in jede politische Richtung kritischer Journalismus wird noch stärker unter Druck geraten als ohnehin schon, weil jederzeit freistellbare, freiberufliche Schreiber den Chefredakteur im „Kampf gegen rechts“ übertrumpfen wollen, damit sie auch schön an Bord bleiben dürfen.

Auch in der an sich entpolitisierten Geschäftswelt wird man noch genauer darauf achten, dass man ja keine noch so subtilen Signale sendet, die als „rechts“ verstanden werden könnten – ansonsten war es das mit dem Auftrag, der Beförderung oder gar dem Arbeitsplatz. Die politisch angepasste Weltanschauungspflege zur Maxime all derer werden, die sich noch als sozial integriert erleben wollen. Wer anders denkt, dem bleibt neben der Exklusion aus sozialen Kreisläufen nur noch die Heuchelei, bei der die viel beklagte Spaltung der Gesellschaft in das Innenleben des Individuums verlegt wird.

Diese Formen der subtilen Repression werden weitgehend ohne die Insignien des staatlichen Gewaltmonopols auskommen, schließlich vollzieht er sich durch das Muster eines staatlich induzierten ‚zivilgesellschaftlichen‘ Drucks. Das ist eben jener gramscianisch inspirierte „Metapolitik“ ähnlich, die man den neuen Rechten gerne als perfide Strategie vorwirft, aber eben – weltanschaulich um 180 Grad gewendet – selbst praktiziert. Massiv verstärkt werden wird dieses Muster durch die geräuschlos ablaufende algorithmische Entfernung unliebsamer Meinungsäußerungen.

Die Alternativmedien, vor allem kleinere Portale, die von den zivilgesellschaftlichen und medialen Vorfeldorganisationen der Regierung in den letzten Jahren pauschal und undifferenziert als „Corona-Leugner“, „rechtsoffen“ oder „Schwurbler“ denunziert wurden, werden gehörig unter Druck geraten. Etliche werden vermutlich sang- und klanglos verschwinden, weil sie etwa auf Youtube so ungünstig platziert werden, dass sie nicht mehr die für ihren Fortbestand nötigen Spendengelder aufbringen können. Der Staat, der den „Kampf gegen rechts“ pflegt, wird ein Staat sein, der einen Teil seiner Diskursverengungs-Strategien in die kühlen Routinen von global vernetzten High-Tech-Apparaturen anstatt in die Routinen des polizeilichen Sicherheitsapparates einlagern wird, um so nach außen den Anschein eines freundlich-sozialen Gesichtes zu zeigen.

Eskalation

Verzichten wird er auf Repressionen aber keineswegs: Aus einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern wird bereits vom Fall einer Denunziation angesichts der ‚falschen‘ Gesinnung einer Schülerin berichtet, die in sozialen Medien indirekt ihre Sympathie für die AfD zum Ausdruck gebracht hatte und Deutschland skandalöserweise für ihre Heimat hielt – anstatt nur für einen Ort auf der Landkarte. Drei Polizisten holten die Schülerin aus dem Unterricht und nahmen eine „Gefährderansprache“ vor – der Verdacht einer Straftat war da schon ausgeräumt. Angeschwärzt wurde die 16-jährige von dem Direktor, in dessen Schule kurz vor dem Vorfall die Friedrich-Ebert-Stiftung mit einer Ausstellung zum Thema „Demokratie stärken“ zu Gast gewesen war.

In der derzeitigen Atmosphäre wird man zudem damit rechnen müssen, dass das Gewaltpotential gegen Andersdenkende weiter zunehmen wird, nachdem nun reichweitenstarke Vorreiter der „progressiven“ Weltanschauung wie der Satiriker Jan Böhmermann unverhohlen Mordaufrufe über den gebührenfinanzierten Rundfunk verbreiten. Anstatt immer nur verbal die „Nazi-Keule“ rauszuholen, solle man viel lieber einmal, so Böhmermann am Ende seiner Sendung vom 16. Februar, „Nazis keulen“. Das bedeutet nun folgendes: Der Fernsehclown vergleicht „Nazis“ implizit mit Tieren, die einzuschläfern sind, um von ihnen ausgehenden Seuchen zu verhindern.

„Der inflationäre ‚Kampf gegen rechts‘ mit politstrategischen und wahltaktischen Überlegungen verknüpft.“

Wenn das nun mal nicht Analogien zu genau jenen „faschistoiden Assoziationsräumen“ sind, die der Soziologe Armin Nassehi völlig zurecht an Hans-Georg Maaßens Vergleich einer operativen Krebsbehandlung mit einer von ihm gewünschten radikalen Wende in der Migrationspolitik diagnostizierte. Während es aus der Sicht von Maaßen notwendig sein soll, sich aus der „humanitären Kuschelwelt und der vermeintlich rechtstaatlichen Komfortzone in die harte Realität des Operationssaals“ hinzubegeben – was metaphorisch impliziert, dass Migranten aus dem ‚Gesellschaftskörper‘ wie eine Krankheit herauszuschneiden sind –, sind es bei Böhmermann die „Nazis“, die implizit mit einer Seuche verglichen werden und zu „keulen“ sind.

Derartige Abspaltungen zu vollziehen – also in der eigenen Weltanschauung die vehement abgelehnten Denkstrukturen der ärgsten Feinde zu reproduzieren – ist ein beunruhigendes Muster beim aktuellen „Kampf gegen rechts“: Auf Demonstrationen infolge des „Geheimtreffens“ in Potsdam skandierte die Masse „Ganz Berlin (oder München oder Köln) hasst die AfD“ zu skandieren, während gleichzeitig Schilder mit der Aufschrift „Gegen Hass und Hetze“ zu sehen waren.

Jüngst bekundete auch der Komiker Hape Kerkeling, dass „die Rechten“ (so die Frage des Interviewers, auf die Kerkeling reagierte) der „Feind“ seien, gegen den sich „die vernünftig eingesetzte defensive Gewalt“ richten müsse. In einer schier ungeheuerlichen, den Nationalsozialismus auf das Gröbste verharmlosenden Volte vergleicht Kerkeling den aktuellen Kampf gegen rechts mit den Widerstandsbewegungen gegen das Dritte Reich und rechtfertigt so implizit im Rekurs auf die schlimmste Diktatur der deutschen Geschichte Gewaltaktionen gegen Andersdenkende: „Es gibt grundsätzliche Wahrheiten und Werte, auf die wir uns alle verständigen können und auf die wir uns alle verständigen müssen. Das muss immer Grundlage unserer Gesellschaft sein. Wer davon abschweift, den erreiche ich nicht mehr mit Rhetorik. Aber es gibt andere Mittel, probate Mittel. […] Die Geschichte hat gezeigt, was die probaten Mittel sind. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass Faschismus jemals durch Diskussion beendet wurde.“

Die weitere Verengung des Diskurskorridors durch staatliche Organe ist in all diesen durch entleerte Begrifflichkeiten vorangetriebenen Prozessen, die in ihrer Gesamtschau Züge einer kollektiven Psychose annehmen, die entscheidende qualitative Neuerung. Die Interessen der Regierung, dieses toxische Gemisch aus Sprachzerstörung, Unwahrheiten, maßlosen Übertreibungen und einer nachvollziehbaren Besorgnis über rechtsextreme Kräfte innerhalb der AfD noch entzündlicher zu machen, liegen hierbei auf der Hand: Da sich kaum noch ein politisches Projekt der Ampel-Parteien auf breitere Gefolgschaft in der Bevölkerung stützen kann, wird die staatlich induzierte Diskursverengung wohl nicht nur als das probateste Mittel wahrgenommen, um ihre Agenda gegen andersdenkende Bevölkerungsteile durchzusetzen, sondern auch, um zu verhindern, dass Bündnis 90/Die Grünen und die SPD gegenüber der AfD abschmieren und die auf eine Koalition mit den Grünen schielende CDU (deren Mitglied Haldenwang ist) nicht allzu viel an Boden verliert. Auch hier bietet die Sprachzerstörung unschätzbare Vorteile: Denn wenn man ausschließlich Verfolgungsdruck gegenüber wirklich Rechtsextremen mit präzisen rechtstaatlichen Mitteln aufbauen würde, dann erreichte man natürlich nicht das Gros der Bevölkerung, die eben keineswegs mehrheitlich „rechtsextrem“, aber bisweilen eben durchaus „rechts“, ist. Auf diese Weise wird der inflationäre „Kampf gegen rechts“ mit politstrategischen und wahltaktischen Überlegungen verknüpft.

„Was wir in diesen Zeiten fortschreitender staatlich-zivilgesellschaftlich-medialer Unterdrückung von Pluralität und Meinungsfreiheit benötigen, ist eine wache und kritische Demokratiepolitik mit der Binde der Justitia.“

Eines ist den Etablierten, die wissen, dass sie ihre Politik in einem auf der Ebene des Rechtssystems weitgehend intakten Rechtsstaates betreiben, dabei klar: Ein AfD-Verbot ist nach zwei gescheiterten Verbotsanträgen zur NPD in den Jahren 2003 und 2017 höchstwahrscheinlich aussichtslos und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, so käme ein Verbot der AfD nicht rechtzeitig, um eine krachende Wahlniederlage der Ampel-Parteien zu verhindern – die ja allesamt auch potentielle Koalitionspartner für CDU/CSU sind, die durch das Mitbauen an der „Brandmauer gegen rechts“ ebenfalls in irgendeiner Form mit links-grün regieren werden müssen. Auch deshalb bleibt ihnen einstweilen nur der Ausweg, auf die verschärfte Diskursfürsorge durch Staatsorgane und ‚ihre‘ Zivilgesellschaft sowie ‚ihre‘ Wissenschaft zu setzen. Die etablierten Medien werden schon entsprechend sekundieren, der Verzicht auf kritische Fragen und Berichte reicht hierfür ja auch völlig aus.

Jene Teile der Zivilgesellschaft, die noch nicht vollends dem rechts- oder linksidentitären Lagerdenken anheimgefallen sind, sollten die Demokratiegefährdungen, die aus der links-grünen Weltanschauung hervorgehen, ebenso klar benennen wie jene, die von einer unter Umständen bald zur Regierungspartei gewordenen AfD ausgehen können. „Ohne Angst verschieden sein zu können“ (Theodor Adorno) muss das Grundprinzip des Handelns liberal-demokratischer Staaten bleiben. Dieser Grundsatz sollte uns dabei sowohl vor echtem Rassismus oder Sexismus warnen, wie auch vor der Gefahr, diese Begriffe so weit aufzublähen, dass sie einen jeden treffen, der nicht die einzig für gut und richtig gehaltene Gesinnung teilt.

Was wir in diesen Zeiten fortschreitender staatlich-zivilgesellschaftlich-medialer Unterdrückung von Pluralität und Meinungsfreiheit benötigen, ist eine wache und kritische Demokratiepolitik mit der Binde der Justitia. Nur so bekommt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung den Schutz, den sie braucht und verdient. Haldenwang, Faeser und Paus jedenfalls haben sich mit ihren jüngsten Äußerungen diesbezüglich disqualifiziert. Sie sollten ihre Ämter Personen überlassen, die bei der wichtigen Durchsetzung der rechtsstaatlichen Ordnung diese nicht zugleich gefährden.

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