08.03.2024

Cancel Culture als Staatsauftrag (1/2)

Von Christian Zeller

Titelbild

Foto: Sandro Halank via Wikicommons / CC BY-SA 4.0

Die Bundesregierung will gegen nicht strafbare „Staatswohlgefährdung“ und „Verhöhnung“ des Staates vorgehen. Derartige Unbestimmtheit öffnet Willkür Tür und Tor.

„Skepsis ist der Sinn für Gewaltenteilung“ (Odo Marquard)1

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) kündigte auf einer Pressekonferenz am 13. Februar 2024 zum Thema „Hass im Netz“ an, dass fortan auch Äußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ verfolgt werden sollen. Schließlich wüssten „viele Feinde der Demokratie […] ganz genau, was auf den Social Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt“.2 Große Hoffnungen im Kampf gegen angebliche oder echte Demokratie-Feindschaft setzt Paus dabei auf die neuen Möglichkeiten der Löschung digitaler Kommunikationsinhalte, die sich durch den in Deutschland im Februar 2024 in Kraft tretenden Digital Services Act der EU bieten werden.

Nahezu zeitgleich sprach der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Thomas Haldenwang in einer Pressekonferenz mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und dem Chef des Bundeskriminalamtes Holger Münch davon, dass nun auch „staatswohlgefährdende“ Akte Gegenstand von staatlicher Verfolgung sein werden. Der Politologe Claus Leggewie, wahrlich kein Anhänger der neuen Rechten, nennt den Verfassungsschutz eine „Gesinnungs-Gouvernante“, die abgeschafft gehört. Der Ausdruck trifft passgenau auch auf das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Paus zu.

Setzen sich hier gerade Staatsvertreter auf jene schiefe Ebene, die einem autoritären Regime münden könnte, ganz nach dem Motto: Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen? In eben jener Pressekonferenz sprach Haldenwang davon, dass es zukünftig im Kampf gegen Rechtsextremismus „auch um verbale und mentale Grenzverschiebungen“ gehen solle. Und Innenministerin Faeser wollte den Kampf gegen Rechtsextremismus auf Personen ausgedehnt wissen, „die den Staat verhöhnen“; diese sollten es „mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ In einer weiteren Einlassung kündigte Paus an, dass es in dem geplanten „Demokratiefördergesetz“ darum gehe, dass „zivilgesellschaftliche Organisationen zusammen mit auch politischen Parteienvertretern, zusammen mit den Amtsträgern in den Kommunen, zusammen mit Polizei, mit anderen Sicherheitsbehörden arbeiten, zur Stabilisierung, zur Sicherheit der Demokratie.“

Demokratischer Rechtsstaat unter Druck

Man weiß kaum mehr, was beunruhigender ist: Derartige Äußerungen von Personen in Regierungsverantwortung oder der Umstand, dass diese so gut wie keine Resonanz in den Mainstream-Medien und der Zivilgesellschaft, die ja gerade zum Schutz von Demokratie mobilisiert werden soll, entfachen. Es scheint sich der folgende Zusammenhang abzuzeichnen: Je besorgniserregender die Äußerung unter demokratiepolitischen Gesichtspunkten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ignoriert wird, sofern sie aus der Richtung kommt, der das Mainstream-Mediensystem und ‚die Zivilgesellschaft‘ selbst mehrheitlich anhängt.

Die links-grüne Weltanschauung (Energiewende, Kampf gegen rechts, sozial-ökologischer Umbau der Gesellschaft, Masseneinwanderung) ist nicht mehr nur ein legitimer Teil des Spektrums im politischen Meinungswettkampf – und sollte dies auch weiterhin bleiben –, sondern fungiert als der kognitive, soziale und auch stark emotional codierte Filter, durch den alle andere politischen Spektren, Meinungen und Weltsichten bewertet, eingeordnet und dann eben für ‚gut‘ oder eben ‚demokratiefeindlich‘ erklärt werden. Dies geht so weit, dass in den etablierten Medien sogar die Ankündigung von Straftaten geflissentlich übergangen wird, wenn sie sich nur gegen ‚die Richtigen‘ wendet, und nun bezieht sich diese Selektivität auch auf Äußerungen von Staatsorganen, die mit ihnen den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen. Das Medienportal Nius hat derartige Äußerungen des politischen Spitzenpersonals in das Bewusstsein einer größer werdenden, kritisch denkenden Teilöffentlichkeit gehoben.

„Was passiert hier eigentlich gerade in unserem Land?“

Umso drängender stellt sich die Frage: Was passiert hier eigentlich gerade in unserem Land? Nähern wir uns in zwei Schritten einer Antwort. Gibt es, so könnte man zuerst fragen, einen nachvollziehbaren Grund, gefestigte Institutionen in dieser Form gefährdet zu sehen, wie es eine Ministerin der Bundesregierung und der Präsident des Verfassungsschutzes tun? Die Antwort lauten natürlich: Nein. Auch wenn die Aussicht, dass die AfD im Herbst in ostdeutschen Bundesländern das erste Mal in Regierungsverantwortung stehen könnte, einen beunruhigen kann, gibt es keine wünschenswerte Alternative zu kompromissloser Rechtstaatlichkeit, Liberalität und Demokratie. Und zwar gerade auch dann, wenn Teile der Wählerschaft offenbar darüber hinwegsehen, dass sich zwischen dem Wahlprogramm der AfD (das bezüglich des Grades an Konservatismus in etwa dem der CDU von vor 25 Jahren entspricht) und dem in Teilen ultrarechten Personal der AfD eine Kluft auftut, die eine Entscheidung für diese Partei doch zumindest zu einem erheblichen Unsicherheitsfaktor macht.

„Alternativlos“ ist die rechtstaatlich-liberale Ordnung in solchen Zeiten gerade deshalb, weil sie den größtmöglichen Raum schafft, um den Spielraum an Alternativen innerhalb dieses sehr breiten Ordnungsrahmens in freien und offenen Diskursen zu maximieren und – sofern dies die Mehrheit der Bürger wünscht und dabei die Rechte von Minderheiten wahrt, auf dass diese übermorgen wieder zur Mehrheit werden können – auch in Form von allgemeingültigen Gesetzen zu verwirklichen.

Genau darin besteht das Wesen einer rechtsstaatlichen, liberalen Demokratie: Die Bürger machen selbst die Regeln, denen sie folgen wollen. Und morgen ändern sich diese Regeln vielleicht, wenn es die Teile der Bevölkerung, die bislang in der Minderheit war, ihre Mitbürger davon überzeugt haben, dass sich bestimmte Regeln nun auch wieder ändern sollten. Die institutionelle Voraussetzung, dass dieser Mechanismus funktioniert, ist ein rational-nüchtern agierendes, an Verfassungsgrundsätze gebundenes Rechtssystem. Die verschiedenen Akteure des Staates beschränken sich dabei wechselseitig, auf dass sich zur Bewahrung von Pluralität nie irgendetwas mit unbeschränkten Durchgriffsrechten zu einer einzigen Instanz bündele. Das ermöglicht einen offenen, lebendigen, durchaus auch konfliktreichen politischen Prozess, in dem sich so viele Meinungen wie nur irgend möglich gleichberechtigt hörbar machen können. Mit ihren Einlassungen fügen Paus und Haldenwang einer möglichen Bedrohung durch Ultrarechte eine weitere und viel unmittelbarere Gefährdungslage hinzu: die faktische Einschränkung der liberalen Demokratie in Reaktion auf ihre zum gegenwärtigen Zeitpunkt bloß vorgestellte, lediglich mögliche Einschränkung.

Gemeinsam gegen „Verhöhnen“

Die Worte von Paus, Faeser und Haldenwang stehen klar in einem Spannungsverhältnis zur Grundanlage liberal-demokratischer Staatlichkeit. Eine staatliche Instanz, die irgendetwas „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ verfolgt, verabschiedet sich auf direktem Weg vom Rechtstaatsprinzip. Es steht ausnahmslos jedem Bürger in diesem Land frei, auf eine Änderung bestehender Gesetze hinzuwirken, aber als staatlicher Akteur etwas abseits jener Gesetze zu verfolgen oder gar ein „Verhöhnen“ zur Maßgabe für staatliche Verfolgung zu machen, ist eine Preisgabe der Rechtsbindung staatlichen Handelns. Noch beunruhigender, weil eine Absage an das im Prinzip der Gewaltenteilung implizierte ‚Macht-Bündelungsverbot‘, ist die Äußerung der Familienministerin, die nicht weniger ankündigt als ein Verschmelzen des Exekutivorgans Polizei und „anderer Sicherheitsbehörden“ – hier kommt eigentlich nur der Verfassungsschutz in Frage – mit „politischen Parteien“, „Amtsträgern in den Kommunen“ sowie – der Kern des geplanten Gesetzes – „zivilgesellschaftlichen Organisationen“.

Die Richtlinien zur Förderung dessen, was als „demokratisch“ zu gelten hat, soll dabei Lisa Paus zufolge von der Regierung festgelegt werden. Einbezogen werden sollen bei der Festlegung der Förderrichtlinien, wie Paus auf der Pressekonferenz an verschiedenen Stellen ausführte, zum einen Vertreter „der Zivilgesellschaft“. Das bedeutet, dass die direkt von diesem Gesetz Begünstigten an der Erarbeitung jener Kriterien mitwirken, die sie schließlich begünstigen sollen. Keiner der anwesenden Journalisten hielt es in der besagten Pressekonferenz für angezeigt, hier auch nur mal vorsichtig nachzufragen. Was für ein medialer Skandal aber würde – völlig zurecht – über das Land hereinbrechen, wenn ein Verkehrsminister ankündigen würde, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, in dem Autokonzerne die Richtlinien für die staatliche Subventionen festlegen, von denen sie selbst profitieren. Geht es aber um pluralitätsfeindliche Demokratieförderung, schweigen Medienvertreter lautstark. Warum nur? Weil es eben nicht nur eine „ideologische Inzucht“ (Sahra Wagenknecht) zwischen links-grünen „Kartellparteien“3 (so der Ausdruck der Politologen Richard Katz und Peter Mair bereits Mitte der 1990er Jahre) und der nahezu ausschließlich links-grünen NGO-Landschaft gibt, sondern eben auch eine ideologische Inzucht zwischen diesen beiden Institutionen und weiten Teilen des etablierten Mediensystems.

„Man spricht in der links-grünen Filterblase oft pauschal von der Wissenschaft, als wäre die lebendige Debatte über These und Gegenthese zugunsten eines monolithischen Meinungsblocks schon stillgestellt.“

Einbezogen werden soll in die Erstellung der Förderrichtlinien zum anderen „die Wissenschaft“. Man gewinnt – siehe: „Follow the science“ – zunehmend den Eindruck, dass diese mittlerweile zur letztgültigen Wahrheitsinstanz mutiert ist, die noch den letzten Zweifler auf die politisch korrekte Linie setzen soll. Dies bedeutet eine Umkehrung einer aufklärerischen, das heißt strikt antidogmatischen, das Scheitern-Können an der eigenen These immer mitbedenkenden Wissenschaftsauffassung. Man spricht in der links-grünen Filterblase oft pauschal von der Wissenschaft, als wäre auch hier die lebendige Debatte über These und Gegenthese zugunsten eines monolithischen Meinungsblocks schon stillgestellt. Dies fungiert häufig als Codewort für politischen Aktivismus, dessen Protagonisten ihre politischen Auffassungen hinter dem ehrfurchtgebietenden Deckmäntelchen ihres universitären Flairs kaschieren, um so ihren eigenen Narrativen im postmodernen Kampf um die Deutungsmacht umso effektiver zur Durchsetzung zu verhelfen. Wer nicht jede Nuance des linksidentitären Weltbildes abnickt, der ist dann halt „rechts“ oder „rechtsextrem“ – scientifically proven! Bisweilen erhalten derartige Urteile, so im Falle der durchpolitisierten „Mitte“-Studie der Friedrich Ebert-Stiftung, erst durch einen grandios selektiven Blick auf die Wirklichkeit ihre Plausibilität.

Mit solchen auf eine umfassende Deutungshoheit abzielenden Diskursstrategien wird der Raum dessen, was sich innerhalb des Souveräns an Meinungen und Weltsichten bilden kann, automatisch zugunsten des Endzieles des politischen Willensbildungsprozesses beschränkt – nämlich der Bildung einer aus bestimmten Parteien sich zusammensetzenden Regierung. Wir dürfen davon ausgehen, dass es sich hierbei nicht um eine „Verschwörung“ handelt, bei der sich die links-grünen Kartellparteien, der Mainstream-Journalismus, die NGOs und die Wissenschaft in irgendwelchen monströsen „Geheimtreffen“ gegen die Interessen des Volkes koordiniert hätten. Vielmehr handelt es sich um sozialpsychologisch leicht erklärbare Konformitätsprozesse in hoch pluralen Massendemokratien in Zeiten multipler Krisen (Migration, Corona, Ukraine, Klima), die deshalb nicht weniger stark die liberal-demokratische Grundordnung zu unterminieren drohen. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Peter Müller hat die damit verbundene legitimatorische Zumutung auf die treffende Formel gebracht, man könne „die Demokratie nicht vor dem Volk schützen“.

Gewiss: Der Raum dessen, was der Souverän verhandeln kann, ist nicht beliebig, er darf es auch nicht sein. Die Grenze hierfür markieren die Strafgesetze und die Verfassung, mithin also: die Rechte anderer sowie das Interesse an der liberal-demokratischen Ordnung als Ganzer. Aber gerade um die Einhaltung dieser Grenze, die den Raum des Ringens um Alternativen erhält, soll es ja ausweislich von Familienministerin Paus nicht mehr gehen: Deshalb ist die Rede von der Verfolgung von Handlungen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ nicht nur eine Gefahr für die Meinungen und Weltsichten, die möglicherweise unmittelbar dem Verfolgungsdruck ausgesetzt werden, sondern für unseren gesamten, auf Pluralität setzenden Staatsaufbau.

Gefährdetes „Staatswohl“?

Um ein Wort Bertold Brechts abzuwandeln: Das „Demokratiefördergesetz“ ist der Ausdruck des Umstands, dass sich ein Teil des Volks das Vertrauen seiner Regierung offenbar verscherzt hat und die Regierung nun darauf abzielt, die Einflugschneise an möglichen Weltsichten und Positionen so zu restringieren, dass ihre eigene Wiederwahl wahrscheinlicher wird. Das Misstrauen der Regierung gegenüber ihrem Volk scheint sich gegenwärtig dabei vor allem in der in weiten Teilen der Bevölkerung sich niederschlagenden Präferenz für einen traditionell „rechten“ oder „rechtskonservativen“ Weg in der Migrationsfrage zu beziehen. Ausgerechnet einen solchen Angriff auf Grundprinzipien einer gefestigten liberal-demokratischen Ordnung mit dem Titel „Demokratiefördergesetz“ zu versehen, darf man als unverfroren bezeichnen.

Demokratietheoretisch ist das die denkbar schiefste Ebene, auf die sich hier die Regierung begeben hat. Denn in einem demokratischen Staat verlaufen die Legitimationsketten stets von „unten“ nach „oben“: Die Regierung wird, vermittelt über Parlamentswahlen, durch das Volk legitimiert – und keinesfalls umgekehrt. Den Weg, den die Bundesregierung nun mit dem „Demokratiefördergesetz“ oder auch bereits mit dem noch emphatischeren, bereits 2015 eingeführten Framing „Demokratie leben“ eingeschlagen hat, kehrt diesen legitimatorischen Weg vom Souverän zur Regierung kurzerhand um. Die Regierung, noch nicht einmal das Parlament, soll nun bestimmen, was letztlich als „demokratisch“ zu gelten hat. Die FDP immerhin beharrt wenigstens auf dem, was der gesunde Menschenverstand vorgibt, dass nämlich „Demokratieförderung“ nicht von Extremisten betrieben werden sollte.

„Selbst diesen Beitrag, den Sie gerade lesen, könnte das Verdikt ereilen, ‚staatswohlgefährdend‘ zu sein.“

Das Pendant zu dem demokratische Legitimationsketten umkehrenden „Demokratiefördergesetz“, das bereits Mitte März 2024 in Gesetzesform gegossen werden soll, ist Haldenwangs Rede von der „Staatswohlgefährdung“. Haldenwang, immerhin ein Volljurist, muss bewusst gewesen sein, dass er hier einen Begriff in die Debatte einbringt, den als „unbestimmten Rechtsbegriff“ zu bezeichnen ein Euphemismus wäre. Unter „Staatswohlgefährdung“ kann man schlicht jede Form der Kritik an Regierung und staatlichem Handeln fassen; der Begriff eröffnet der Willkür deshalb Tür und Tor. Selbst diesen Beitrag, den Sie gerade lesen, könnte das Verdikt ereilen, „staatswohlgefährdend“ zu sein. Denn, so könnte die Deutung aufgrund der völligen Dehnbarkeit dieses Begriffs lauten, „verhöhnt“ er nicht Vertreter des Staates als möglicherweise „autoritär“, die nur das Allerbeste im Sinn haben, nämlich unsere Demokratie vor Rechtsextremen zu schützen?

Immerhin benutzte Haldenwang den Begriff „staatswohlgefährdend“ ja im Zusammenhang mit dem ehemaligen Sprecher der Identitären Bewegung, Martin Sellner. Da man Martin Sellner, wie Haldenwang auf die Nachfrage eines Journalisten hin ausführte, mit seiner Unterstützung des „Ethnopluralismus“4 nichts strafrechtlich Relevantes vorwerfen könne, müsste man eben auch „staatswohlgefährdende“ Akte in den Blick nehmen, die die Würde von Menschen verletzten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung angreifen.

Der „Kampf gegen rechts‘“

Genau in solchen Selbstimmunisierungsschleifen besteht die Tücke beim „Kampf gegen Rechtsextremismus“, der mit dem „Kampf gegen rechts“ vollends verschwimmt und nun auch in die Verfolgung nicht strafbarer Handlungen einmünden soll. Durch die historisch präzedenzlosen Verheerungen der Nationalsozialisten, durch ihren industriell-bürokratischen Massenmord an sechs Millionen Juden, durch ihr zutiefst rassistisches und – hier passt der Begriff in all seinen Nuancen – menschenfeindliches Regime, fällt es insbesondere in Deutschland nachvollziehbarerweise schwer, sich gegen das im Namen des „Demokratieschutzes“ vorgebrachte Anliegen zu stellen, „rechts“ einzudämmen – sofern man es mit „rechtsextrem“ gleichsetzt. Denn kaum jemand will sich in die unheilvolle Tradition von Menschheitsverbrechern wie Hitler und Konsorten gestellt sehen, was aber im gegenwärtigen „Kampf gegen rechts“ permanent insinuiert wird („Kein neues 1933!“, Wannseekonferenz-Vergleiche etc.).

Damit aber gilt: Der inflationäre „Kampf gegen rechts“ ist deshalb so effektiv, weil kaum jemand wirklich noch „rechts“ ist, in dem Sinne, was der Begriff von Seiten derjenigen, die ihn als Kampfbegriff nutzen, intendiert, nämlich Abweichler (insbesondere in Migrationsfragen) in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken. Das führt zu einer kafkaesken Diskursformation: Der „Kampf gegen rechts“ ist so wirkungsvoll – wirkungsvoll im Sinne eines Abschneidens von Debatten, die viele Menschen in diesem Land gerne offen führen würden – weil er auf der falschen Prämisse beruht, dass sich „rechts“ (im Sinne einer Affinität zu rechtextremistischen Ideologemen) so ungeheuer stark ausgebreitet hat.5

„Je unbestimmter der Vorwurf, desto größer dessen exkludierende Wirkung.“

Die AfD – bei der man nun nicht abstreiten kann, dass sie im traditionellen Sinne „rechts“ bis hin zu „rechtskonservativ“ und in Teilen ihres Personals sogar in der Tat „rechtsextrem“ ist – ist schließlich das Symptom dieser diskursiven Großwetterlage: Das Thema Migration hat sie infolge Merkels sicherheitsgefährdender Grenzöffnungen und der sich daraufhin weiter verschärfenden Massenmigration über das Asylsystem großgemacht. Der anschließende „Kampf gegen rechts“ lässt sie nun immer mehr anschwellen; schließlich traut sich ja vor lauter „Kampf gegen rechts“ kaum eine andere Partei – auch die nach wie vor in größeren Teilen vermerkelte CDU – an dieses Thema wirklich heran. Beliebig ausdeutbare Worthülsen wie „Staatswohlgefährdung“ sind ein weiterer konsequenter Schritt in diesem Spiel, das nach der Regel gespielt wird: Je unbestimmter der Vorwurf, desto größer dessen exkludierende Wirkung.

Der Willkürspielraum, den der Begriff lässt, ist gerade deswegen so groß, weil er die Bindung an strafrechtliche Normierungen hinter sich lassen soll. Wenn es sich bei dem Begriff der „Staatswohlgefährdung“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff innerhalb staatlich gesetzten Rechts handeln würde (wie etwa „Treu und Glauben“ oder „Menschenwürde“), dann würde der Begriff quasi automatisch durch die Konkretisierungsleistungen innerhalb des Rechtssystems präzisiert werden. Also durch den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess, juristische Kommentierungen und schließlich die Urteilspraxis höchster Gerichte. Gerade diese juristische Rationalität ist allerdings nicht mehr gewährleistet, wenn der Begriff gar nicht mehr an vom Parlament verabschiedete (straf-)rechtliche Normierungen rückgebunden ist. Der Begriff der „Staatswohlgefährdung“ indiziert damit bereits semantisch nichts Geringeres als die politische Verselbständigung einer Bundesbehörde. Dies stellt in sich bereits ein Phänomen der Desintegration eines Staatswesens dar, das Pluralität absichern soll.

Zusammengenommen laufen das „Demokratiefördergesetz“ – als positiv gemeinte Vision, um „unsere“ Demokratie zu sichern – und „Staatswohlgefährdung“ – als semantische Begleitknute für jeden, der sich nicht zur Gleichsetzung von links-grüner Weltanschauung und Demokratie bekennen möchte – auf eine Herrschaft der Unbestimmtheit hinaus. Im Verein mit der Pausschen Ankündigung der Bündelung von Parteiapparat, Polizei, kommunalen Amtsträgern und „Zivilgesellschaft“, um nun endlich die Demokratie zu „schützen“, bildet sie die Blaupause eines perspektivisch dystopischen Geschehens. Konkret zu sprechen und Macht zu teilen, schützt die liberale, rechtstaatliche Demokratie, sein Handeln hingegen hinter unbestimmten, aber einschüchternden Worthülsen zu verstecken und Macht zu bündeln, gefährdet sie.

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