27.11.2024
Verfassungsschutz ist Bürgersache (Teil 1/2)
Von Jan Dochhorn
Das Maßnahmenpapier zur Rechtsextremismus-Bekämpfung, das das Bundesinnenministerium dieses Jahr vorgestellt hat, atmet den Geist eines repressiven Staates.
„Der Kern von Demokratie ist Respekt. Das ignoriert Nancy Faeser mit ihrem Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus vollständig. Sie überschreitet die rote Linie der Demokratie“. So schreibt der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Nessler im Cicero aus Anlass des Maßnahmenpapiers von Nancy Faeser gegen Rechtsextremismus vom 13. Februar 2024.1 Noch etwas beunruhigender wirkt, was Malte Nelles verlauten lässt, Politologe aus Berlin, der in der Berliner Zeitung die auf die Correctiv-„Recherchen“ zum „Geheimtreffen in Potsdam“ erfolgenden Demonstrationen „gegen rechts“ und damit den gesellschaftlichen Kontext des Faeser-Dokumentes kritisiert: „Was auf der Oberfläche wohlgesonnen wirkt, offenbart sich selbst wesenhaft als das, gegen das man auf die Straße zieht“.2
Rote Linien werden überschritten, der „Kampf gegen rechts“ ist wesenhaft rechtsextrem – es ist nicht wenig, was man diesen Sätzen entnehmen kann. Und selbst wenn nur die Hälfte davon stimmte, und selbst wenn die zitierten Autoren es so weitgehend gar nicht gemeint haben sollten, müsste man doch alarmiert sein: Es scheint etwas auf dem Prüfstand zu stehen. Demokratie und demokratische Kultur sind gefährdet, und zwar von Seiten derer, die sie zu schützen vorgeben. Und diese scheinen es ja ernst zu meinen: Von wehrhafter Demokratie ist die Rede. Aber könnte es sein, dass gerade an (scheinbarer) Wehrhaftigkeit die Demokratie zugrunde geht? Es zeichnet sich etwas ab, das wir dringend verhindern müssen: eine Autoimmunerkrankung der Demokratie, der die Demokratie erliegt. Freier Bürgersinn und kritischer Geist sind angehalten, den Schutz der Demokratie selber in die Hand zu nehmen. Verfassungsschutz ist Bürgersache und erfordert einen klaren Verstand. In diesem Sinne wird hier nachfolgend die Stimme erhoben. Es ist die Stimme eines einzelnen, der sich aber erlaubt, gelegentlich im Namen eines emanzipierten „Wir“ zu reden, speziell da, wo er einen wohl immer noch majoritätsfähigen common sense auf seiner Seite ahnt.
Methodisch steht bei dem, was nun ausgeführt wird, Sprachkritik im Vordergrund: Es wird vor allem untersucht, wie in dem Maßnahmenpapier und der dazugehörigen Pressemitteilung über Sachverhalte geredet wird. Dabei werden autoritäre Tendenzen aufgedeckt, die ein nicht unbeträchtliches Demokratiegefährdungspotential aufweisen. Solche Sprachkritik ist nötig zum Zwecke der Freiheitssicherung; auch die Diskurse zur Coronapolitik hat der Verfasser dieses Beitrags vorhergehend einer solchen Analyse unterzogen.3 Verwendung findet damit eine Methodik, die vor allem typisch ist für geisteswissenschaftliches Arbeiten. Geisteswissenschaft kann zur Wahrung einer demokratischen Kultur und zu einem sachgemäßen Umgang mit Sorgen der res publica beitragen und sollte das ihr innewohnende soziale Kapital auch einsetzen.4 Der geisteswissenschaftlichen Methodik entspricht die Konzentration auf ein Dokument. Dieses ist inzwischen, gemessen nach journalistischen Maßstäben, etwas betagt. Doch hier ist eine wissenschaftliche Analyse angestrebt, die sich an Exemplarischem orientiert. Es kann auch nicht konstatiert werden, dass die Bundesregierung ihren Kurs in der Sache des Papiers geändert hätte.
„Das Maßnahmenpapier des Innenministeriums lässt durchgängig eine Sprache erkennen, die typisch ist für durch Polizeigewalt und geheimdienstliche Substrukturen geprägte Staaten.“
Es werden nun anschließend zunächst sechs Thesen zum Maßnahmenpapier präsentiert. Danach wird ein Ausblick geboten, der Grundzüge einer alternativen Handlungsstrategie zur Sicherung von Demokratie gegen Extremismus aufzeigt.
I. Das Maßnahmenpapier ist ein Dokument des Scheiterns
Was das jüdische Leben in Deutschland betrifft, meldet die Innenministerin Vollzug – und lässt genau damit Scheitern erkennen: 22 Millionen Euro seien im Jahre 2020 für Baumaßnahmen zur Sicherung jüdischer Einrichtungen bereitgestellt worden – als Konsequenz des Anschlags auf die Synagoge in Halle (S. 14).5 Das ist schon eine Weile her; man fragt sich, was diese Mitteilung hier besagen soll. Entscheidender aber ist: Wie schnell gibt sich hier jemand zufrieden? Sollte der Schutz jüdischen Lebens nicht schon lange vor den Mauern jüdischer Baulichkeiten beginnen? Was erreicht die Regierung, um für Juden ein angstfreies öffentliches Leben zu ermöglichen – auch mit Kippa auf der Straße, auf jeder Straße in Deutschland?
Offenbar erreicht sie nicht viel, und es ist unschwer zu erahnen, woran es liegt: Es sind kaum nur Rechtsextremisten, die jüdisches Leben in Deutschland attackieren; islamischer Extremismus ist genauso zu berücksichtigen wie eine linke Propaganda gegen Israel, die gleichfalls extremistische Züge annehmen kann. Eine Bereitschaft, dies wahrzunehmen, lässt das Maßnahmenpapier nicht erkennen, auch nicht en passant. Deutsche Juden und überhaupt Juden in Deutschland haben aber ein Anrecht darauf, dass die Regierung ihre Bedrohungssituation so in den Blick nimmt, wie sie nun einmal beschaffen ist – und dann der Polizei zielgenaues Arbeiten ermöglicht.
II. Das Maßnahmenpapier bedient sich der Sprache des Repressionsstaates
Die Pressemitteilung und das Maßnahmenpapier des Innenministeriums lassen durchgängig eine Sprache erkennen, die typisch ist für durch Polizeigewalt und geheimdienstliche Substrukturen geprägte Staaten. Explizit ist die Rede von „neuen repressiven wie präventiven Maßnahmen“ (so die Pressemitteilung); Aktivitäten sollen „ganzheitlich und frühzeitig“ „bekämpf[t]“ werden – mit der „vollen Härte des Rechtsstaates“ (S. 2). Finanzierungsstrukturen sollen „zerschlagen“ werden (S. 5); ein bereits eingeschlagener Weg wird „konsequent weiter beschritten“ (S. 7). „Fortlaufend“ werden Verbotsmaßnahmen „geprüft“ – mit „möglichst empfindlicher Wirkung“ (S. 10). Angekündigt wird auch der starke Staat: Extremisten verhöhnten den Staat und hielten ihn für schwach; bei dieser Fehlannahme sollten sie nicht bleiben; „auf allen Ebenen“ seien ihnen ihre Grenzen aufzuzeigen (S. 4).
Sprache ist noch nicht Wirklichkeit, sie gibt aber Gesinnung zu erkennen und (über-)formt Gesinnung. Das Wort „repressiv“ werden freiheitliche Demokraten eher ungerne verwenden, „ganzheitlich“ erinnert an die typische DDR-Vokabel „allseitig“6 und ist semantisch fast deckungsgleich mit „total“, was wenig zu einer Demokratie passt. Gleiches gilt für „alle Ebenen“, ebenso die „volle Härte“, die kaum an ein unvermeidliches Minimum denken lässt als vielmehr an den weit ausholenden Knüppel. Auch mit dem Wort „konsequent“ geht kritischer Bürgersinn eher vorsichtig um; es konnotiert „keine Rücksicht auf Kollateralschäden“. Der demokratische Rechtsstaat ist nämlich nicht martialisch, sondern geht mit Maß vor; er agiert auch nicht so sehr präventiv wie vielmehr reaktiv. Hier aber wird uns eine „fortlaufende Prüfung“ von Verbotsverfahren angekündigt, mit „möglichst empfindlicher Wirkung“. Es werden Verbotsgelegenheiten also geradezu gesucht; sie ergeben sich nicht als unvermeidlich gewordene ultima ratio, sondern sind Ziel staatlichen Handelns. Die schiefe Ebene vom freiheitlichen zu einem repressiven Staatsverständnis ist aufgebaut; der Staat selber läuft Gefahr, in den Extremismus abzurutschen. Passend dazu wird den Extremisten ein Staat angekündigt, der ihren eigenen Vorstellungen mindestens dahingehend entspricht, dass er nicht schwach ist.
„Wer Freiheit und Demokratie lieben gelernt hat, kann Maßnahmen zur Überwachung des Äthers und des Internets kaum anders als mit Misstrauen begegnen.“
Es fügt sich gut mit dem oben aufgeführten Erich Mielke-Vokabular, dass auch andere für den Repressionsstaat typische Konzepte nicht ausbleiben. Nicht wird versäumt, den Rechtsextremismus mit einem Krebsgeschwür zu vergleichen; laut der Pressemitteilung handelt es sich bei ihm um eine „menschenverachtende Ideologie“, die sich „weiter in unsere Gesellschaft frisst“. Eher großzügige Schnitte zu ihrer Entfernung sind zu erwarten, wie das nun einmal bei fressenden Krankheitserscheinungen der Fall ist. Überhaupt ist „entfernen“ ein Wort, das den Verfassern des Papiers nicht unbekannt ist, auch mit Hinblick auf Menschen: Verfassungsfeinde sollen aus dem öffentlichen Dienst „entfernt“ werden, ohne „langwierige Disziplinarklageverfahren“ (S. 9). „Der öffentliche Dienst duldet keine Extremisten in den eigenen Reihen“, heißt es zur Begründung (S. 9), und das Bild einer geschlossenen Formation ohne Abweichler tritt vor Augen; für sie haben die Demokraten neuen Typs offenbar eine Vorliebe.
In dieser Gesinnungswelt hat dann auch die Bedrohung aus dem Ausland ihren Platz: „Ausländische Akteure“ „erfinden mit KI-basierten Bildern Geschichten und gaukeln mit KI-basierten Zeitungswebseiten Glaubwürdigkeit vor“; sie tun es, um „die Bevölkerung aufzuwiegeln und den demokratischen Staat, seine Organe und deren Vertreter zu beschädigen“ (S. 8). Der Rekurs auf Sabotage aus dem Ausland gehört zuverlässig zur Sprach- und Gedankenwelt des autoritären Sozialismus; je schwerfälliger die einheimischen Prozesse laufen, desto mehr ist von der Sabotage durch den äußeren Feind die Rede (eine Struktur übrigens, die xenophober Mentalität entspricht und damit rechtsextremismusaffine Züge aufweist). In einer offenen Gesellschaft imaginieren Politiker auch nicht eine „Bevölkerung“, die „aufgewiegelt“ werden kann; es gibt vielmehr ein Volk, dessen Diener (Minister!) sie sind und das sie bei schlechter Arbeit entlässt. In einer offenen Gesellschaft wird man zudem lese- und kritikfähigen Landesbewohnern (Staatsbürgern wie Nicht-Staatsbürgern) sowohl die Loyalität zum Staate zutrauen als auch die Fähigkeit, Falschnachrichten als solche zu erkennen. Viele von uns erinnern sich daran, wie in der eigenen Familie unter diktatorischer Herrschaft „Feindsender“ gehört wurden. Wer Freiheit und Demokratie lieben gelernt hat, kann Maßnahmen zur Überwachung des Äthers und des Internets kaum anders als mit Misstrauen begegnen.
III. Das Maßnahmenpapier ist bedrohlich vage
Unpolitische Zeitgenossen könnten sich einreden, die Drohkulisse werde in dem betreffenden Papier ja nur gegen sehr wenige und dazu sehr böse Menschen aufgebaut. Eine solche Ausflucht wäre unsolidarisch; es ist immer und für alle Menschen darauf zu achten, dass es mit rechten Dingen zugeht („auch Mörder dürfen nicht ermordet werden“, sagt dazu Henryk Broder).7 Zudem aber geht sie in die Irre: Generell sind Sprache und Gestus von Repression kaum je begrenzt und klar konditioniert. Sie erstrecken sich mehr und mehr gegen jeden, mehr und mehr auch ohne nachvollziehbare Begründung; sie haben einen Drang ins Totale, und zwar nicht zuletzt dadurch, dass sie vage bleiben. Es kann als eine der Grundregeln misslingenden Zusammenlebens bezeichnet werden, dass Verfemung unpräzise ist: Es wird nicht genau definiert, was zu verfemen ist, und umso mehr kann verfemt werden, wenn wieder einmal Verfemung als das Gebot der Stunde erscheint.
Eben solches ist in einem beunruhigenden Maße auch bei den hier zur Rede stehenden Produkten des Innenministeriums der Fall: Ohne Evidenz wird zunächst einmal behauptet, Rechtsextremismus „bleibt die größte Gefahr für unsere Demokratie“ (S. 2). Sachlich ist diese Aussage fragwürdig, und zwar selbst dann, wenn man das Material des Verfassungsschutzberichtes 2023 für tragfähig hält.8 Es geht den Autoren kaum hinreichend um eine quantitativ realistische Risikoabschätzung, die für die Arbeit von Polizei und Justiz brauchbar wäre (und fraglos sehr im Interesse fast aller Bewohner Deutschlands), sondern schon eher um die rhetorische Konstruktion einer Bedrohungslage zwecks Vorbereitung von Maßnahmen.
Fataler noch wirkt sich aus, dass auch eine qualitative Abgrenzung des Phänomens Rechtsextremismus kaum hinreichend erfolgt. Dies gilt etwas weniger, wenn Rechtsextremisten antidemokratische, antipluralistische und rassistische Gesinnung bescheinigt wird und die Auskunft erfolgt, dass für Rechtsextremisten die Zugehörigkeit zu einer Ethnie über den Wert eines Menschen entscheide (S. 2); mit diesen Kategorien kann man arbeiten. Fragwürdig ist aber, wenn in diesem Zusammenhang der Begriff des Völkischen Anwendung findet (S. 2); es ist schwer zu ermessen, wer völkisch ist und wer nicht. Schlimmer noch aber ist etwas anderes, das noch mehr ins Uferlose deutet: Es fehlt in diesem Papier, für das doch eigentlich politologischer und ideengeschichtlicher Expertenverstand hätte zur Verfügung stehen müssen, eine operationalisierbare Unterscheidung zwischen „rechts“ und „rechtsextrem“: „Die Menschen stehen für die Demokratie ein; sie stellen sich gegen die Bedrohung von rechts“ (S. 2), wird etwa behauptet (gemeint sind die Demonstrationen angesichts des Geheimkonferenz-Narrativs), und eine „rechte Szene“ wird uns vor Augen geführt, in der Armbrüste beliebt sind, was schon fast komisch wirkt (S. 11; vgl. § V).
„Geradezu händeringend sind die Autoren bemüht, Adjektive wie ‚sogenannt‘, ‚extremistisch‘ und ‚menschenverachtend‘ unterzubringen, die sachlich wenig ausrichten, wohl aber emotionalisieren.“
Und dann ist von der „extremistischen sogenannten Neuen Rechten“ die Rede, deren „extremistischer Arm“ „bis in die Parlamente“ reiche; sie versuche, „Themen zu setzen und Begriffe zu besetzen, die ihren menschenverachtenden Plänen einen harmlosen Anschein geben sollen“. Und: „Ihre führenden Köpfe wollen Einfluss auf politische Debatten und Anschluss an die gesellschaftliche Mitte gewinnen“ (S. 2). Eben diese Neue Rechte, abermals mit dem Adjektiv „sogenannt“ versehen, gilt dann wiederum als „Scharnier zwischen nicht-extremistischen Kreisen und dem extremistischen (Parteien-)Spektrum“, was doch heißen müsste, dass sie gerade nicht extremistisch, sondern allenfalls im Vorfeld des Extremistischen anzusiedeln ist. „Auf Veranlassung des BMI“ sei sie „bereits in der Vergangenheit intensiver in den Blick genommen worden“, womit wohl geheimpolizeiliche Beobachtung gemeint ist, nur dass man es auch hier bei diffuser Sprache belässt (beim Passiv; es handelt sich um ein passivum repressivum, eine grammatische Besonderheit behördlicher Sprache).
Es schmerzt, einen derart pappig stilisierten Text zu erörtern, aber wir müssen es durchhalten. Geradezu händeringend sind die Autoren bemüht, Adjektive wie „sogenannt“, „extremistisch“ und „menschenverachtend“ unterzubringen, die sachlich wenig ausrichten, wohl aber emotionalisieren.9 Und dann verheddern sie sich in Widersprüchen. Weder sprachlich noch gedanklich haben unsere Autoren ihre Sache im Griff, aber das sollte uns nicht dazu verleiten, sie für einen bloßen Satirefall zu halten, denn Mangel an Durchblick ist gefährlich. In mehrfacher Hinsicht bedroht es unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, dass hier eine Regierung so schwammig wird:
1. Das Innenministerium folgt der „Kampf gegen rechts“-Mentalität, indem sie zwischen „rechts“ und „rechtsextrem“ nicht unterscheidet. Wer aber nicht explizit die Zulässigkeit rechter Standpunkte im politischen Diskurs anerkennt, der legt es darauf an, Rechte überhaupt zu kriminalisieren und die für den demokratischen Prozess konstitutive Gegenseite durch Repressionsmaßnahmen zu liquidieren. Ein solches Verhalten ist eminent demokratiegefährdend. Wer zwischen rechts und rechtsextrem nicht unterscheidet, ist kein Demokrat und agiert selber extremistisch. Das Innenministerium ist nachdrücklich aufgefordert, sich expressis verbis einer Diskriminierung von Konservativen und Reaktionären entgegenzustellen; es darf mit dieser extremistischen Strategie demokratiefeindlicher Linker keine gemeinsame Sache machen.
2. Die Rede von einem parlamentarischen Arm der Neuen Rechten kann sich nur gegen die AfD – oder die „Bürger in Wut“ (BiW) in Bremen – richten10, bleibt aber – wohl absichtsvoll – nebulös. Soll es darum gehen, dass einzelne Abgeordnete der betreffenden Fraktionen extremistischen Milieus nahestehen, wie dies ja auch immer wieder der Fall ist bei Abgeordneten der Linkspartei, der Grünen und der SPD?11 Oder sollen allen Ernstes gesamte Fraktionen als extremistisch oder extremismusnah gebrandmarkt werden, obwohl entsprechende Verfassungsgerichtsentscheidungen nicht vorliegen? Rechtsstaatlich orientierte Akteure würden hier für Eindeutigkeit sorgen; wer aber einen Repressionsdruck auf die politische Konkurrenz aufbauen will, wird den hier beschrittenen Weg gehen.
3. Bei der Neuen Rechten liegt offenbar ein Zweifelsfall vor, aber es wird observiert. Für den demokratischen Diskurs indessen sollte gelten, dass geheimpolizeiliche Methoden im Zweifelsfalle nicht zum Einsatz kommen und dass jede geistig-politische Richtung das Recht hat, unbehelligt von Regierung und Geheimpolizei mitzuwirken bei der politischen Willensbildung des Souveräns, es sei denn, es gibt präzise benannte Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel.
„Bekanntermaßen kann der Unterstellung, bloß täuschen zu wollen, prinzipiell niemand entgehen.“
4. Das Maßnahmenpapier inkriminiert ganz gewöhnliche Aktivitäten, zu denen eigentlich alle berechtigt sein sollten: Jeder darf „Themen setzen“, „Begriffe besetzen“, „in der gesellschaftlichen Mitte Anschluss“ gewinnen wollen, Konservative und Reaktionäre inklusive. Das Innenministerium darf nicht versäumen, dies explizit hervorzuheben.
5. Das Innenministerium tendiert zu verschwörungstheoretischen Konstruktionen und einer Strategie des Verdachts, wenn es „menschenverachtende Pläne“ erahnen lässt, denen durch Begriffsbesetzung etc. ein „harmloser Anschein“ gegeben werden solle. Dies sind typisch autoritäre Argumentationsformen, mit denen – nahezu unbegrenzte – Maßnahmen vorbereitet werden können. Welche „menschenverachtenden Pläne“ sind gemeint? Und welche Begriffe? Und dann: Wo nimmt man die Sicherheit her, dass die Begriffe täuschen sollen? Bekanntermaßen kann der Unterstellung, bloß täuschen zu wollen, prinzipiell niemand entgehen. Entsprechend wird eine solche Unterstellung von freiheitlich Denkenden gewöhnlich vermieden; im Gespräch von Geist zu Geist und in einem wirklich demokratischen Diskurs bemüht man sich bis zum endgültigen Scheitern um Erfassung des Selbstverständnisses des je anderen.
6. Sowohl das Strategiepapier wie auch die Presseerklärung lassen keinerlei Bemühen erkennen, auch nur irgendetwas explizit vom Rechtsextremismusverdacht auszuschließen. Man könnte deren inhaltliche Bestimmungen von Rechtsextremismus im Grunde dahingehend lesen, dass auf keinen Fall die AfD als Partei gemeint sei – und genauso wenig die von Götz Kubitschek und Ellen Kositza in Schnellroda betriebenen Einrichtungen. Es wird nämlich hier wie da nicht die Ansicht vertreten, dass der Wert eines Menschen sich nach der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation entscheide.12 Das Bekenntnis zur deutschen Nation oder die Kritik an einer liberalen Einwanderungspolitik ist etwas deutlich anderes. Ebenso wird man eine Partei, die wie die AfD sich für mehr plebiszitäre Elemente in der Verfassung ausspricht, kaum als antipluralistisch ansehen können. Gleichwohl sieht aber, wie schon angedeutet, einiges in dem Papier so aus, als ziele es eben gerade auf die AfD.
Wodurch soll aber ein solches Vorgehen gerechtfertigt sein? Wenn man denn überhaupt eine Begründung für notwendig erachtet, so bleibt nur der wolkige Begriff des Völkischen, der juristisch kaum operationalisierbar scheint – und damit besorgniserregend repressionstauglich. Einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff jedenfalls, den der Inlandsgeheimdienst unter Haldenwang inkriminiert, wird man ohne viel Mühe bei führenden Politikern der Bundesrepublik Deutschland und vor allem im Grundgesetz wiederfinden.13 Man kann mit solchen Begriffen keine Demokratiefeinde identifizieren, wohl aber mühelos je nach Bedarf Demokraten zu Demokratiefeinden abstempeln. Genau das aber darf ein Innenministerium, das die Demokratie in der Tat schützen soll, niemals tun, will es nicht selber zu einer Gefahr für die Demokratie werden.