08.10.2024

Die Vielfalt und ihre Feinde

Von Christian Zeller

Titelbild

Foto: kc0uvb via Pixavay CC0

Die Edeka-Kampagne gegen die Wahl der AfD – blau als Bedrohung – steht für ein eskalierendes linksidentitäres Denken, das seinem rechten Pendant in nichts nachsteht.

Der Ausgrenzungswahn, der mit dem „Kampf gegen rechts“ gegen Andersdenkende einhergeht, hatte in einer ganzseitigen Zeitungsannonce der Supermarktkette Edeka vor den Wahlen in Sachsen und Brandenburg am 1. September 2024 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Marketingabteilung der ursprünglich so bezeichneten „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“ brachte nicht nur das Kunststück fertig, den Kern der woken Weltanschauung – „Vielfalt“ – hochverdichtet in eine Zeitungsanzeige zu packen, sondern das Ganze auch noch mit Phantasien einer natürlichen Auslese zulasten von „Blauen“ (also der AfD und ihre Wähler) zu verknüpfen. Umrahmt von einer bildlichen Darstellung zahlreicher Obst- und Gemüsesorten ist dem Mittelteil der Anzeige folgendes zu entnehmen:

WARUM BEI EDEKA BLAU NICHT ZUR WAHL STEHT. „Gelbe Bananen, rote Tomaten, grüner Salat, violette Trauben, orange Möhren, pinke Drachenfrucht … In der EDEKA Obst- und Gemüseabteilung herrscht die bunte Vielfalt. Oder etwa doch nicht? Wer genau hinsieht, sieht eine Farbe nicht: Blau. Und das ist kein Zufall. Denn blaue Lebensmittel sind ein Warnhinweis der Natur, der uns sagt: ‚Achtung! Ich könnte unverträglich sein.‘ Die Evolution hat uns gelehrt: Blau ist keine gute Wahl. Und wo wir bei Wahlen sind: Nicht nur bei Obst und Gemüse ist Blau der natürliche Feind gesunder Vielfalt. In Deutschland sind ‚die Blauen‘ schon heute die größte Bedrohung einer vielfältigen Gesellschaft. Lasst uns also zu den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September die Warnhinweise richtig lesen – und für ein verträgliches Miteinander sorgen. Denn: Wir lieben Vielfalt.

Darunter das Edeka-Logo mit einem großen blauen (!) „E“ – ein grotesker Widerspruch, über den sich Julian Reichelt amüsiert echauffierte. Mehrere Edeka-Händler zeigten sich empört über diesen negativen Wahlaufruf ihrer Zentrale. In dem Protest, der sich auch in sozialen Netzwerken manifestierte, blieb allerdings ein zentraler Aspekt der Anzeige, die in der Zeit und der FAZ geschaltet worden war, erstaunlicherweise unterbelichtet: der auf evolutionär-biologistisch akzentuierten Metaphern aufbauende Spin des Werbetextes.

„Verwundern kann der Umstand nicht, dass sich linksidentitäre Ideologeme in den Assoziationsräumen natürlicher Auslese bewegen.“

Parallelisiert werden in dem Text die Natur auf der einen und die Gesellschaft auf der anderen Seite. ‚So bunt wie unser Gemüse so bunt soll die Gesellschaft sein‘, sagt uns hier die Edeka-Marketingabteilung, aber dabei bleibt sie nicht stehen: So wie die Natur uns vor Ungesundem warnt, so müsse man nun auch in der Gesellschaft mit als schädlich Markiertem umgehen. Auszusondern ist dabei das, was die gesunde Diversität schädigt. „Bunt“ wird in der Anzeige – in der Analogie zur Evolutionstheorie – als ebene jene intakte, gleichsam sozial-ökologische Diversität präsentiert, die durch das Blaue, also das Einfältige, das Homogene, das Nicht-Bunte bedroht wird. Verwundern kann der Umstand nicht, dass sich linksidentitäre Ideologeme in den Assoziationsräumen natürlicher Auslese bewegen. Zehren zentrale ‚wissenschaftliche‘ Theoreme der Woke Culture doch klar von der neo-rassistischen Unterfütterung durch die intersektionale Critical Race Theory, die pauschal jedem Weißen – und ausschließlich Weißen – rassistische Handlungsorientierungen andichtet und damit ihrerseits einem rassistischen Denkmuster folgt, das auf dem klassischen Hautfarbenrassismus des 18. und 19. Jahrhunderts aufsetzt. Das „Weiße“, „Männliche“ und „Heterosexuelle“ ist zurückzudrängen, auf dass die wahre Vielfalt der Hautfarben, der Geschlechter und der entgrenzten Sexualität aufblühen könne.

Extreme begegnen sich

„Einigkeit und Recht und Freiheit und vor allem Vielfalt“, raunte während der Fußballweltmeisterschaft ein Kommentator, eine ARD-Doku hieß nur „Einigkeit und Recht und Vielfalt“. Unverhohlener kann man gar nicht auf den Punkt bringen, dass die linksidentitäre Ideologie der Vielfalt mit ihren Topoi der „weißen Schuld“, des angeblich allgegenwärtigen „strukturellen Rassismus“ und der überall lauernden patriarchalen „Unterdrückung“ – die kaum etwas gemeinsam hat mit der liberal-demokratischen Gewährleistung von Minderheitenrechten – nur auf Kosten der gleichen Freiheit eines jeden Individuums zu verwirklichen ist.

Homogenisierende Urteile à la „alle Männer sind …“, die derselben Urteilsstruktur wie „alle Ausländer sind … “, folgen oder das Fällen von Pauschalurteilen gegen weiße Menschen im Namen – auch davor macht das stereotype Denken Linksidentitärer keinen Halt – „der Wissenschaft“, gehören deshalb zum Phrasenkatalog woker Diskurshegemonie, die bisweilen ins Gewaltförmige ausgreift.

Auch hier begegnen sich wieder einmal die Extreme: Während der NS-Jurist Carl Schmitt, bis heute einer der Leib- und Magenphilosophen im Umkreis des mittlerweile formell aufgelösten Instituts für Staatspolitik und der (rechts-)identitären Bewegung um Martin Sellner, „die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen“1 als Bestandteil der Demokratie forderte, verlangen Linksidentitäre heute die Aussonderung jener, die sich in der spalterischen Hyperheterogenität der Vielfaltsideologie nicht mehr beheimatet fühlen. Weder in der Lehre von den 64 Geschlechtern, der skurrilen Gendersprache, dem größtenteils zur Propagandaabteilung der Regierung verkommenen öffentlich-rechtlich Rundfunk noch angesichts der eben auch Gewalt, Tod, (Gruppen-)Vergewaltigung sowie viele anständige und friedliche, aber gar nicht oder sehr schlecht ausgebildete Menschen ins Land bringenden Massenmigration.

„Wokeness ist in ihrem fortgeschrittenen Stadium nicht weniger als: Carl Schmitt mit auf links gewendetem, grünem Narrenhut."

Wer dann das tut, was man in einer liberalen Demokratie eben so macht, wenn man mit etwas politisch nicht einverstanden ist – nämlich eine Partei zu wählen, die das ändern möchte – der darf sich von der Edeka-Marketingabteilung als gefährliches Gewächs adressieren lassen. Zu glauben, dass sich mit einer solchen Rhetorik, die gewiss nicht weniger als ihr rechtsidentitäres Alter Ego die liberal-demokratische Ordnung in Mitleidenschaft zieht, auch nur ein AfD-Wähler umstimmen lässt, ist völlig lebensfremd und wirklichkeitsentrückt. Vielmehr fungieren derartige Stellungnahmen als statusgenerierende Vergemeinschaftungsbooster innerhalb jener Personenkreise, die sich hier als Gleiche erkennen: Als aufrechte, wackere, gute, ‚wehrhafte‘ Demokraten, die, natürlich, ein neues „1933“ abwenden wollen, wie es vielfach auf den von der Fake-News-Schmiede Correctiv, beförderten Demos „gegen rechts“ zu lesen war.

Aber es geht auch noch geschmackloser: Die ZDF-Journalistin Bettina Schausten stellte den AfD-Sieg in Thüringen in einem Zusammenhang mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen am 1. September 1939. Derartige Interventionen greifen wohl auch deshalb so stark um sich, weil sie eine geradezu unschlagbare psycho-ökonomische Komponente aufweisen: Einzig und allein mit dem schlichten Akt des moralisch begründeten Ausschlussmanövers kann man sich selbst, begleitet von einem milden hypermoralistischen Glühen in der Brust, aufwerten und noch dazu den Zusammenhalt in seiner eigenen Gruppe stärken – was sich wiederum einfach gut anfühlt.

Dass sich die dazu in Anschlag gebrachte tiefschwarze, freiheitsfeindliche, spalterische und potentiell gewaltförmige Semantik mit einem hip-ironischen Augenzwinkern vollzieht, indem AfD-Funktionäre und ihre Wähler, umrahmt von buntem Obst und Gemüse, mit giftigem Unkraut verglichen werden, sollte niemanden davon abhalten, den überaus ernsten Kern der Botschaft zu hören: Die „Blauen“ sind der „natürliche Feind“ – und Feinde gehören gemieden und bekämpft. Die physische Vernichtung ist hier noch nicht der nächste Schritt, aber das Tor dazu hat sich mit einem solchen Denken bereits einen Spalt weit geöffnet. Es ist wohl Teil des Umstands, dass sich die ins gewaltförmige reichenden Ausgrenzungsphantasien noch in einem latenten Vorstadium befinden, dass die ‚Satire‘ der Bedeutungsträger ist, auf dem sich das ungehemmt vollziehen kann, was man in einer seit Jahrzehnten befriedeten liberalen Demokratie für undenkbar gehalten hat: die Forderung, dem politischen Gegner nicht mit Argumenten zu begegnen, sondern auszugrenzen, um den ‚Zusammenhalt‘ der Übriggebliebenen zu stärken. Wokeness ist in ihrem fortgeschrittenen Stadium nicht weniger als: Carl Schmitt mit auf links gewendetem, grünem Narrenhut.

Enthemmung bei Böhmermann & Co.

Zwei weitere Paradebeispiele für diese bedrohliche Entwicklung sind Äußerungen der ÖRR-Fernsehclowns Jan Böhmermann und El Hotzo. Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Mainz kein Verfahren gegen Böhmermann wegen seines geradezu ‚menschenfeindlichen‘ Wortspiels, „Nazis“ zu „keulen“ eröffnete, scheint ihn ermutigt zu haben, noch einen draufzulegen: Böhmermanns Feindbild sind nun nicht mehr nur die „Nazis“, sondern die „Menschen von gestern“, solche Menschen also, die Sahra Wagenknecht gut finden, Friedensverhandlungen mit Russland fordern, Gendersprache nicht mögen, gegen Tempolimits auf der Autobahn sind oder weiterhin einen Verbrenner kaufen wollen. Und im Sinne der Gender-Beliebigkeitsagenda der Philosophin Judith Butler gilt für Böhmermann sogar der klassische Feminismus als Teil des Feindbildes: „Wer Alice Schwarzer hinterherläuft, hat keinen besonders anstrengenden und langen Weg mehr vor sich.“ Böhmermann hat mit dieser Art Zynismus im Namen der Bekämpfung von „Hass und Hetze“ die wahnhafte Feindbildlehre des links-grünen Klima-Woke-Komplexes zur manichäischen Metaphysik eines spalterischen Sozialaktivismus gesteigert. Wie ein von einer letztgültigen Einsicht beseelter Prophet breitet er seine Lehre vor den Lesern der „Zeit“ aus:   

„Das Momentum ist da, die Gelegenheit günstig, the time is now, hier nimmt gerade eine bahnbrechende Idee Gestalt an! Nicht mehr links gegen rechts, Deutsche gegen Ausländer, Ost gegen West, Mann gegen Frau, Cum-Ex-Verbrecher gegen Bürgergeldschmarotzer, Wüst gegen Merz, jung gegen alt, oben gegen unten – nein! Alle gegen Menschen von gestern! Mit ihrer Ausgrenzung ließe sich endlich jene langersehnte breite Koalition schmieden, die Deutschland braucht, um wirklich raus aus der Scheiße zu kommen. Durch ihre erfolgreiche Bekämpfung können wir zusammen neuen Raum schaffen, um den Herausforderungen der Gegenwart wirksam zu begegnen. Schütten wir die unzähligen alten Gräben zu und heben gemeinsam einen einzigen, neuen aus: wir hier und da drüben die Menschen von gestern!“

„Unblaue Blaubeeren hätte sich Orwell nicht ausdenken können.“

Böhmermann-Autor El Hotzo (bürgerlich Sebastian Hotz) wiederum, der dafür immerhin seine Aufträge beim RBB verlor, findet es, mit Blick auf das Attentat auf Donald Trump am 13. Juli 2024, „fantastisch wenn Faschisten sterben“. Wenn man sich vor Augen führt, wer heute in dieser Szene bereits als „Faschist“ bezeichnet wird, wenn man nicht meinungsmäßig auf Linie ist, der bekommt annähernd eine Vorstellung davon, welche Aussonderungs- und Vernichtungsoptionen solche Äußerungen beinhalten. Und was mutmaßte die taz? Es handele sich bei den Äußerungen von El Hotzo um einen – natürlich – „Satire-Post“.

Gegenüber Rechtsidentitären wie Björn Höcke, die davon phantasieren, dass „wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen“ 2, unterscheiden sich derartige Einlassungen nicht mehr im Ausgrenzungspotential, sondern nur noch hinsichtlich Zielgruppe und Begründung.

Wissenschaftsmissbrauch

Vorsorglich vor Widerspruch abgesiegelt wird die spaßige Vielfaltsapologetik der Edeka-Annonce schließlich durch jene Sorte Wissenschaftsmissbrauch, wie er für die linksidentitäre Bewegung – bis hinein in prominente Studien, die ebenfalls mit politisch genehmen Wahrnehmungsfiltern operieren – mittlerweile typisch geworden ist. Den offenkundigen Widerspruch, dass es bei Edeka natürlich auch Blaubeeren zu kaufen gibt, meint man durch Sprachzerstörung eliminieren zu müssen. In einem Quadrat ist zu lesen: „Übrigens: ‚Blaubeeren‘ und ‚Blaukraut‘ haben zwar ‚blau...‘ im Namen, aber nicht in den Farbpigmenten. Sagt jedenfalls die Wissenschaft – und auf die sollte man ja bekanntlich viel öfter hören.“ Die Botschaft also: blau ungleich blau. Unblaue Blaubeeren hätte sich Orwell nicht ausdenken können.

Die evangelische Theologiestudiums-Abbrecherin, Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt jedenfalls zeigt sich angesichts so viel evolutionär grundierter Vielfaltshygiene, garniert mit einer Prise Wissenschaftsmissbrauch, tief berührt: „Wichtige Botschaft. Danke dafür, Edeka!“ Auch hier regiert, wie so oft, eine unerträgliche Doppelmoral: Für die Aussage „Die Blauen sind der natürliche Feind gesunder Vielfalt“ erhält man Lob von Inhabern höchster Staatsämter, für die Äußerung „Die Grünen sind der natürliche Feind des gesunden Volkes“ könnte man verdammt werden, seinen Job verlieren, ein dramatisches Titelbild des „Sterns“ zieren und der Staatsschutz würde womöglich aktiv.

Aus den – selbstredend – ausbleibenden Forderungen gegenüber Göring-Eckardt, sich von ihrem Like zu ‚distanzieren‘, lässt sich wohl schließen: Die woke Rhetorik der Ausgrenzung mit ihrem sich erkennbar steigernden Gewaltpotential hat bereits so viele stillschweigende Sympathisanten und geistige Mitläufer in den Funktionseliten, dass sie geradezu in das eingeschliffene, unauffällige Operieren weiter Teile des medial-politischen Betriebs eingelassen zu sein scheint. Erwartet uns also in nicht allzu ferner Zukunft eine reale Dystopie, in der es heißen wird: Survival of the Greenest?

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