24.11.2023

Mut zur Lücke bei der Ebert-Stiftung (Teil 2/3)

Von Christian Zeller

Die sogenannte Mitte-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigt sich mit Rechtsextremismus, ist aber auf dem woken Auge blind.

Die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) behauptet eine starke Zunahme rechtsextremer Einstellungen in den letzten beiden Jahren. Skeptisch macht allerdings der Umstand, dass die Zeitreihen, die den längerfristigen Verlauf hinsichtlich rechtsextremer Einstellungen abbilden sollen, in der aktuellen Studie erst im Jahr 2014 einsetzen, obwohl man über Zeitreihen bis ins Jahr 2002 verfügt. Dies deutet auf eine auch politisch motivierte Lesart der gesellschaftlichen Entwicklung hin. Am deutlichsten offenbar wird die politische Schlagseite der Mitte-Studie durch den Umstand, dass der Linksextremismus – sowie die ebenfalls sich klar aus totalitären Bezügen speisende Woke Culture – gar nicht erfasst wird. (Im Gegensatz zu einer moderaten, auf Kapitalismuskritik und Umverteilung basierenden „linken Ideologie“1.) Die Autoren der aktuellen Studie bekunden mäandernd, dass Linksextremismus angeblich sehr wohl in den Blick genommen werde. Und zwar würden die Einstellungen der Befragten (allerdings nur die zugleich als rechtsextrem klassifizierten) zunächst einmal unabhängig von der politischen Selbstverortung (links – Mitte – rechts) erfasst und dann mit dieser in Beziehung gesetzt.

Das ist aber natürlich etwas völlig anderes als genuin linksextreme Einstellungen zu erheben. Denn mit diesem Vorgehen wird die Bildung einer „Querfront“ – in der nun zunehmend auch Linke über rechtsextreme Einstellungen verfügen sollen – buchstäblich in die Untersuchungspersonen hineingefragt. Auf dem anderen Auge – verfügen genuin antikapitalistische Linksextreme möglicherweise auch über linksextremistische Deutungsmuster? – ist man aufgrund einer mangelnden Item-Batterie, die auf die Erfassung des Linksextremismus abzielt, blind. Durch diesen engen Wahrnehmungsfilter muss das Untersuchungsresultat freiheits- und demokratiefeindliche Einstellungen, wie sie eben auch bei der Linken zu finden sind, ausblenden.

Es wäre doch einmal ein Versuch, skalierte Aussagen wie „In der Sowjetunion war nicht alles schlecht“, „Ganz ohne Mauertote ließ sich der Sozialismus eben nicht errichten“, „Die Kulturrevolution unter Mao war gut gemeint, wurde aber schlecht umgesetzt“ oder „Die Zahl der Toten in stalinistischen Gulags wird von der Forschung übertrieben“ in den Fragebogen aufzunehmen. Die Mitte-Autoren könnten dabei auch auf das vom Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen verwendete Messverfahren zurückzugreifen.2

„Die politischen Gefahren, die vom woken Neo-Rassismus ausgehen, sind allerdings nicht leicht zu erkennen, weil er zunächst einmal auch anti-rassistische Motivlagen – nämlich in Bezug auf Menschen nicht-weißer Hautfarbe – verfolgt.“

„Die Mitte-Studie betrachtet“, schreiben die Autoren, „vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus antidemokratische Einstellungen, welche sich aus einer Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen speisen.“ Da die Studienautoren damit die erhobenen rechten Einstellungen pauschal in das Licht der nationalsozialistischen Diktatur rücken (wenngleich sie sie nicht damit gleichsetzen), fällt eine entscheidende Leerstelle ihrer Forschung umso stärker ins Auge: Denn vor dem Hintergrund, eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“3 beforschen zu wollen, gäbe es bereits genügend Hinweise, einmal auch die Woke-Bewegung dem Blick des sozialwissenschaftlichen Analyseinstrumentariums auszusetzen.

Leerstelle Woke

Natürlich ist die Woke-Bewegung nicht – ebenso wenig wie jede in der Mitte-Studie erhobene rechte Einstellungen – mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen. Gleichwohl gilt, dass die Woke-Bewegung zwar dem eigenen Selbstverständnis nach auf Gerechtigkeit für Minderheiten abzielt, sich aber die Hinweise mehren, dass sie in Teilen ebenfalls eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, nämlich gegenüber Weißen, vertritt und sich damit eine neue Variante des klassisch biologistischen Rassismus zu etablieren beginnt.

Die politischen Gefahren, die vom woken Neo-Rassismus ausgehen, sind allerdings nicht leicht zu erkennen, weil er zunächst einmal auch anti-rassistische Motivlagen – nämlich in Bezug auf Menschen nicht-weißer Hautfarbe – verfolgt. In liberal-demokratischen Gesellschaften, in der Normen der Anti-Diskriminierung nicht nur in der Verfassung verankert sind, sondern sich auch im Alltagsverkehr breit durchgesetzt haben, ist die Neigung, den rassistischen Antirassismus der Woken zu kritisieren, in der Breite der Gesellschaft fatalerweise gering. „Die stehen ja doch irgendwie auf der richtigen Seite“, attestiert man der Woke-Bewegung schnell, und übersieht jedoch dabei, dass diese Form des Antirassismus mit der liberal-demokratischen Version von Anti-Diskriminierung und Chancengleichheit für jedermann kaum etwas gemeinsam hat. Während der Liberalismus von äußeren Merkmalen wie Hautfarbe gerade absehen möchte, fokussiert der woke Neo-Rassismus wie besessen auf äußere Merkmale und teilt auf dieser Grundlage die Welt brachial und undifferenziert in die Gruppen „der Unterdrücker“ und „der Opfer“ ein.

Daraus resultiert, auch wenn dies ursprünglich einmal motivbildend gewesen sein mag, nicht die Logik der Gleichachtung, sondern die Logik der Ungleichwertigkeit von „Unterdrückern“ und „Unterdrückten“. Die „Unterdrückten“ können sich von ihrer Unterdrückung nur befreien, indem der vormalige Unterdrücker, nämlich „die Weißen“ (und hier besonders „der“ Mann als Vertreter „des“ Patriarchats), zu den nächsten Unterdrückten werden – eine Position, die sich bereits in ersten Gewaltphantasien gegenüber „dem“ weißen Mann bemerkbar macht. Während weise Widerstandskämpfer gegen Rassismus und Unterdrückung wie Mahatma Ghandi, Martin Luther King oder Nelson Mandela wussten, dass eine Welt ohne Apartheid und Unterdrückung nur unter dem universalistischen Vorzeichen der unbedingten Gleichachtung und unter Verzicht auf Gegendiskriminierung und Rache zu erreichen sein wird, handelt es sich bei der Woke-Bewegung um einen Antirassismus, der aus seinem postmodern-partikularistischen Weltbild heraus nicht anders kann, als einen Kreislauf von Rache und Gegenrache zu initiieren.

„Solche Forschungsarbeiten unterliegen, ähnlich wie andere von bestimmten Weltanschauungen oder Interessen getriebene Studien, einem mehr oder minder subtilen Auftraggeber-Effekt.“

Wie wäre es denn, wenn man– analog zu den von der Studie festgestellten „völkisch-autoritär-rebellischen“ Einstellungen auf der Seite der neuen Rechten – einmal dem „postmodern-neovölkischen Antirassismus“ von Teilen der Woke-Bewegung mit den Methoden der empirischen Sozialforschung genauer nachspüren würde? „Sobald Menschen abgewertet, in Gruppen sortiert und verallgemeinert werden oder Hass, Hetze oder klare Falschaussagen verbreitet werden, darf eine demokratische Gesellschaft nicht mehr tolerant sein“, legen die Autoren ihren Standpunkt in der Vorgänger-Studie „Die geforderte Mitte“ dar. Nach diesem normativen Kriterium wäre es zwingend, die Einstellungen der Woke-Bewegung in die Studie miteinzubeziehen. Als Items würden sich Aussagen anbieten wie „Wer behauptet, es gibt nur zwei Geschlechter, sollte weniger Rederecht im öffentlichen Diskurs haben.“, „Vernunft ist ein Mittel des weißen Cis-Mannes, um Minderheiten zu unterdrücken“, oder „Weiße müssen nun endlich auch einmal zurückstehen, da sie den Kolonialismus zu verantworten hatten.“ Ebenso könnte man, wenn man das in Teilen manifest faschistoide, an „Kämpfen" orientierte Weltbild des postmodernen Sozialaktivismus in Rechnung stellt, einmal probehalber die bisherigen Aussagen zum Sozialdarwinismus so umformulieren, dass sie mutmaßlich auch für den harten Kern der Woke-Bewegung zustimmungsfähig wären: „Es gibt nur das Mittel des Kampfes, um Minderheiten zu ihrem Recht zu verhelfen.“

Wenn sich Wissenschaft und Politik die Hand reichen

Der Umstand, dass Derartiges nicht den Forschergeist im Milieu der Mitte-Studie-Autoren entzündet, hat einen simplen Grund: Solche Forschungsarbeiten unterliegen, ähnlich wie andere von bestimmten Weltanschauungen oder Interessen getriebene Studien, einem mehr oder minder subtilen Auftraggeber-Effekt. Dieser macht sich freilich nicht so bemerkbar, dass der Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung alle beteiligten Forscher ‚auf Linie bringt‘, indem er etwa mit dem Entzug von Karriereoptionen oder Schlimmerem droht. Sondern es geschieht durch ein viel eleganteres und unscheinbareres Mittel, nämlich die Selbstselektion: Personen, die sich als eher links, ‚progressiv‘ und in hohe Maße sensibilisiert für die Belange von bestimmten Minderheiten verstehen, beteiligen sich eher an Forschung, bei der die linke FES als Herausgeber fungiert. Wer hier mitmischt, der fühlt sich einfach wohl unter seinesgleichen und das Wohlgefühl hängt ganz entscheidend davon ab, dass man sich gegenseitig die höchsten Grade an Tugendhaftigkeit signalisiert und sich von anderen, die die Welt in Nuancen anders sehen, hart ‚abgrenzt‘.4

In welch politisch verzerrtem Kontext sich die Mitte-Forschung bewegt, machte unmittelbar vor der erstmaligen Präsentation der Studienergebnisse Franziska Schröter,  Referentin „Gegen Rechtsextremismus“ bei der FES, deutlich. So wies sie zum Schluss ihrer einführenden Worte darauf hin, dass „wir uns, so gut es geht, und immer freundlich und antidiskriminierend verhalten“ und man von ihr „im Notfall“ auch darauf noch einmal hingewiesen werden würde. Wie weltabgewandt die emphatisch vorgetragene Sprache der Anti-Diskriminierung in diesem Milieu gepflegt wird, wird daran deutlich, dass Schröter zu diesem Zeitpunkt maßgeblich vor den Autoren der Studie sprach. In diesem durch und durch ‚linksliberalen‘ Milieu ist man selbstverständlich für eine ‚vielfältige Gesellschaft‘, in der man sich gar nicht genug offen dem ‚Anderen‘ gegenüber zeigen kann. Aber auch diese Personenkreise dürfen sich nochmal von der woken Anti-Diskriminierungsdrehleier beschallen lassen, als lauerten selbst in der Friedrich- Ebert-Stiftung überall Personen, die nur darauf warteten, eine Mikroaggression nach der anderen vom Stapel zu lassen oder einem Unterdrückten seinen Safe Space streitig zu machen.

„Der weiße Mann wird dem Gelächter preisgegeben, der Migrant hingegen erscheint als die Personifikation des Guten.“

Bevor die Studie schlussendlich präsentiert wurde, durfte man es auch nicht versäumen, die rechtspopulistische Unterscheidung von „Wir und den Anderen“ spiegelbildlich zu reproduzieren, indem man sich vom „Eigenen“ abgrenzt und den „Anderen“ glorifiziert. In einigen Videosequenzen wurden weiße ‚Biodeutsche‘ vorgeführt, die ob ihres mangelhaften politischen Engagements hinter dem Vorzeige-Migranten zurückstehen müssen, der selbstverständlich, wie er erzählt, häufig auf Demonstrationen geht, um auf „politische Ungleichheiten“ aufmerksam zu machen und „den Menschen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben.“ Der weiße Mann vor ihm hatte demgegenüber nur den 1. FC Köln als politisches Bestätigungsfeld vorzuweisen, was im FES-Publikum für lebhafte Erheiterung sorgte. In einem moderaten Ausmaß ist das bereits jene an der Logik von „Wir und den Anderen" orientierten Ideologie der Ungleichwertigkeit, die man dem Komplex aus Woke Culture und Woke Science attestieren muss: Der weiße Mann wird dem Gelächter preisgegeben, der Migrant hingegen erscheint als die Personifikation des Guten.

Wie grotesk selektiv die vielgestaltige soziale Wirklichkeit hier dargestellt wird, wird kontrastiv deutlich, wenn man sich das Ganze auf rechts gewendet ausmalt. Man stelle sich einmal vor, die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung würde ebenfalls eine Mitte-Studie herausgeben. Hier würde selbstverständlich alles daran gesetzt werden, den ganz schlimm grassierenden Linksextremismus in der Gesellschaft bloßzulegen, und die oben vorgeschlagenen Items zur Messung woker Einstellungen würden dort wohl auf merkliches Interesse stoßen – unter Ausblendung möglicher rechtsextremer Orientierungen. Vor der Präsentation der aktuellen Studie durch Prof. Dr. Sowieso mit dem Titel „Die unterdrückte Mitte“ (die vor zwei Jahren den Titel „Die an den Rand gedrängte Mitte“ trug) würden dann kurze Videos eingespielt werden, die fünf oder sechs dunkelhäutige Migranten zeigen, die in grammatikalisch falschen Vierwortsätzen darlegen, wie sie das deutsche Asylsystem betrügen; auf sie folgt schließlich der Bericht eines stolz dreinblickenden, „echten“ Mannes, der von dem Engagement seiner fünfköpfigen Familie für sozial benachteiligte Deutsche in seiner Nachbarschaft berichtet.

In beiden Fällen gilt: Nichts ist oder wäre erfunden, denn in modernen, hoch pluralen Gesellschaften findet man fast jede Einstellung, jede Haltung, jede Handlung, wenn man nur intensiv genug danach sucht, aber beide Varianten der Wirklichkeit sind natürlich gnadenlos selektiv. Jeweils bestimmt die Weltanschauung, wo die opportunen Lücken im Wirklichkeitsausschnitt liegen. Wissenschaft, die ihren Namen vorbehaltlos verdient – die also rückhaltlos auf die Beschreibung und Erklärung von Wirklichkeit abzielt und dabei auf politische Weltbilder keine Rücksicht nimmt –, würde tunlichst die Finger davon lassen, die Entstehungsbedingungen ihrer Resultate so eng an ein mit Weltanschauung durchtränktes Umfeld zu knüpfen.

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