01.01.1997

Drohungen, Klagen und Maulkörbe

Von Mick Hume

Stellungnahme des Herausgebers von LM.

ITNs Versuch, die britischen Verleumdungsgesetze zu bemühen, um das Magazin LM mundtot zu machen, setzt in Hinblick auf Zensur und Einschüchterung neue Maßstäbe.

Es geht hier nicht nur um die Zukunft von LM. Es geht um des Recht eines jeden, zu veröffentlichen, was er nach seiner Überzeugung für die Wahrheit hält, und nicht nur das, wodurch sich Chefs und Anwälte großer Unternehmen nicht gestört fühlen.

ITN und seine Mitstreiter haben viel unternommen, um Nachforschungen zu unterdrücken, die Thomas Deichmann über preisgekrönte ITN-Beiträge über ein bosnisches Lager anstellte und die er in der Februarausgabe von LM veröffentlichte. Zunächst wurde ITN bei LM vorstellig. Am 24. Januar 1997 erhielt ich von den ITN-Anwälten "Biddle & Co." ein Schreiben, in dem ich aufgefordert wurde, alle Exemplare der Februarausgabe von LM einstampfen zu lassen. Als ich ablehnte, erhoben sie Anklage wegen Verleumdung.

Dann wandte sich ITN an den Rest der Medien. Sie drohten jedem, der sich mit der Sache befasste, rechtliche Schritte an. Am 20. Februar erhoben sie Klage gegen die Presseagentur Two-Ten-Communications (eine Tochtergesellschaft von Press Association). Sie forderten Schadensersatz und eine Entschuldigung vor Gericht, nur weil es Two-Ten gewagt hatte, eine Presseerklärung von LM zu verbreiten, in der die Februarausgabe und der Artikel von Deichmann angekündigt wurden. Danach kam der LM-Drucker an die Reihe: Am 24. Februar schrieb "Biddle und Co." an die Druckerei Russell Press in Nottingham, bei der LM gedruckt wurde. Sie drohten Russell Press rechtliche Schritte an, und zwar nicht nur für den Fall, dass die Februarausgabe nachgedruckt, sondern auch, dass "zukünftige Ausgaben von LM" gedruckt würden. Diese Drohkampagne führte dazu, dass – noch bevor die Verleumdungsklage überhaupt verhandelt wird – LM nicht mehr in Großbritannien gedruckt werden konnte. Gleichzeitig sind wir mit enormen Kosten für einen großen Rechtsstreit konfrontiert.

Zudem wurde die Berichterstattung über das ITN-Bild, das die Welt täuschte, in den britischen Medien unterbunden – teilweise mit der zustimmenden Duldung der Verlagshäuser und der Sender, teilweise aufgrund angedrohter Verleumdungsklagen von ITN.

Die Nachforschungen Deichmanns wurden in anerkannten Zeitungen in Deutschland, Italien, der Schweiz, Österreich, Schweden und den Niederlanden ausführlich diskutiert. In Großbritannien indes, dem Land, in dem die Anschuldigungen gegen ITN einen Skandal hervorrufen müssten, konnte ein fast perfektes Schweigen organisiert werden.

Eine Ausnahme machte nur die Guardian-Gruppe, die ihre früher oft geäußerte Kritik an der Verleumdungsgesetzgebung in Großbritannien unter den Teppich kehrte und eine übernervöse Hetzkampagne gegen Deichmann und LM begann – bestehend aus einem garstigen Observer-Beitrag von Ed Vulliamy (dem man freilich das nervöse Zittern des Autoren deutlich anmerkte) und einem geradezu lächerlichen Text eines "Möchtegern-Vulliamys" im Guardian. Dass sich sogar ein verleumdungsträchtiges Skandalblatt wie Private Eye zu einem Unterstützer der Verleumdungsklage gegen LM machte, zeigt, wie weit es nun schon gekommen ist. Es versteht sich, dass kein einziger dieser Artikel in irgendeiner Weise auf die von Deichmann vorgebrachten Erkenntnisse einging.

Mittlerweile kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass es ITN darum geht, LM mundtot zu machen – zwar auf die feine, rechtliche Art, doch nicht minder brutal. Es geht ihnen nicht um Verleumdung. Wenn bei der ganzen Sache jemand verleumdet wurde, dann Thomas Deichmann, der schon allerlei primitive Rufmordversuche ertragen musste.

Die britische Verleumdungsgesetzgebung ist "Zensur zum Mieten", die jeder in Anspruch nehmen kann, der genügend Nullen am Ende seines Kontoauszugs vorweisen kann. ITNs Klage gegen LM ist das jüngste Beispiel dafür, wie diese Gesetze von einem Wirtschaftsmulti genutzt werden können, um sich vor Gericht Immunität gegenüber Kritik zu erkaufen.

Was diesen Fall indes so außergewöhnlich macht, ist, dass diese mächtige Instanz, die hier den Maulkorb schwingt, nicht McDonalds oder John Major heißt, sondern ITN, ein großer Nachrichtensender, der stolz auf seinen weltweiten Ruf ist, furchtlos über die Wahrheit zu berichten.

Mit ihrem Versuch, LM mundtot zu machen und jeden anderen davon abzuhalten, Enthüllungen über ihre preisgekrönten Bilder zu veröffentlichen, ist ITN bereits weiter gegangen als viele Journalisten und Publizisten je gedacht hätten. Wer weiß, wie viel weiter sie noch gehen werden? Es herrscht ein ziemlich paranoides Klima rund um die ITN-Zentrale in der Gray’s Inn Road in London. Mitarbeiter werden ins Kreuzverhör genommen, und alle Anfragen, die mit "diesem" Bild zu tun haben, werden nur noch zentral über das Pressebüro abgewickelt. Man könnte glauben, sie hätten etwas zu verbergen.

Nicht nur für LM tut sich hier eine Front auf: Was ITN macht, sollte jeden alarmieren, dem an einer freien Presse, am freien Wort und einer offenen Debatte über kontroverse Themen gelegen ist. LM ist entschlossen, sich jedem Mundverbot, jeder Verleumdungsklage und Einschüchterungstaktik zu widersetzen. Wir stehen hinter unserer Berichterstattung und zu unseren Prinzipien. Aber wir werden alle Hilfe brauchen, die wir bekommen können. Bei der Verteidigung dieser Prinzipien sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen.

 

Mick Hume
Herausgeber LM, im Frühjahr 1997

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