29.04.2019

Nach der Façon der Antiraucher leben

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Vaping360.com (CC BY 2.0 / barbeitet)

In Berlin soll das Rauchverbotsgesetz verschärft werden. Shisha-Bars, Dampfer und Krankenhauspatienten würden durch diese neuerliche Bevormundung besonders eingeschränkt.

In einer Verbotsgesellschaft entstehen neue Verbote und bestehende werden verschärft. Letzteres ist für das Rauchverbotsgesetz im Land Berlin geplant. Nachdem an dieser Front jahrelang relative Ruhe geherrscht hat, prescht die Hauptstadt nun vor mit dem Ansinnen, als erstes Bundesland auch das Dampfen und Tabakerhitzen an zahlreichen Orten staatlich zu untersagen. Außerdem sieht die Gesetzesnovelle stärkere Einschränkungen auf Außengeländen und für Shisha-Bars vor.

2007 galt es plötzlich als ‚alternativlos‘, weitreichende Rauchverbotsgesetze auf Länderebene zu verabschieden, was noch ein, zwei Jahre vorher die wenigsten Länderparlamentarier auf dem Schirm hatten. Behörden, gastronomische Lokale, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, Spielhallen und Jugendheime, fast immer auch Gefängnisse gehören seitdem zum regulierten Bereich, in dem gänzliche Rauchverbote herrschen oder der Genuss auf Raucherräume begrenzt wird. Die Regelungen beziehen sich, von Schulhöfen abgesehen, fast ausschließlich auf Innenräume. Nirgendwo hat man die Entscheidung den zuständigen Einrichtungen überlassen, also z.B. den gewählten Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreistagen für die Gebäude der jeweiligen Kommunalverwaltung oder den Schulkonferenzen fürs Schulgelände. Sondern den engen Rahmen staatlich von oben gesteckt.

Der Gewöhnungseffekt an solche Gesetze hat dazu geführt, dass deren Sinnhaftigkeit kaum noch diskutiert wird. Warum soll in Einzelbüros ein staatliches Rauchverbot gelten müssen? Warum können mündige Menschen so etwas nicht selbst regeln? Arbeiten Behörden und Einrichtungen, die ihre Raucher (eine große Minderheit der Erwerbsbevölkerung) nach draußen jagen, seither etwa besser?

Zurück in den Kompetenzbereich der deutschen Bundesländer. 2010 bis 2013 traten in Bayern, dem Saarland und NRW Verschärfungen in Kraft, insbesondere ein quasi-totales Rauchverbot für die Gastronomie betreffend. Vor allem in NRW rief dies umfangreiche Proteste hervor, darunter viele Demonstrationen. Seither ist auf diesem Gebiet relative Ruhe eingekehrt. Antiraucherorganisationen rufen immer mal wieder gerne danach, die Daumenschrauben weiter anzuziehen, aber viele Landespolitiker haben wohl eingesehen, dass ihnen die Weltgesundheitsorganisation keine Wählerstimmen besorgt.

„Von der einst sprichwörtlichen preußischen Liberalität und Toleranz ist im zeitgenössischen Berlin mal wieder nichts zu spüren.“

Nun aber Berlin. Eine Verschärfung dort, wo sogar die inzwischen mitregierenden Grünen 2016 die Forderung nach einem totalen Rauchverbot aus ihrem Wahlprogramm gestrichen haben, weil es nicht in die Partyhauptstadt passt. Der Senat orientiert sich in seinem Gesetzesentwurf dementsprechend am Prinzip „Rauchverbot, aber mit Ausnahmen“. Nur, dass der Geltungsbereich erweitert wird und man die Ausnahmen mitunter minimiert.

  • Als Novum unter den Bundesländern sollen vom gesetzlichen Rauchverbot auch „E-Zigaretten, E-Wasserpfeifen und Wasserpfeifen mit Dampfsteinen, Kräutermischungen und Gelen sowie Tabakerhitzer“ erfasst werden. Bis auf letzteres alles tabaklose Produkte. Nachdem die Behauptungen über die Gefahren des Umgebungs- („Passiv-“)Rauchs schon bei kritischen Hinsehen nicht überzeugen, dehnt man jetzt die Regulierung auf Konsumformen aus, bei denen man noch nicht mal über genug Studienmaterial verfügt, um solche Behauptungen überhaupt aufstellen zu können. In manchen Räumlichkeiten – z.B. Vernehmungszimmer bei der Polizei und im Abschiebegewahrsam – sollen diese Produkte sogar in Raucherräumen untersagt werden
  • Für Shisha-Bars, von denen es nach einer Schätzung immerhin rund 300 in der Hauptstadt geben soll, gilt bisher eine Berliner Spezialregelung. Wenn keine alkoholischen Getränke ausgeschenkt werden, können solche Lokale auch bei über 75 Quadratmetern Fläche (die in allen Bundesländern gängige Grenze für Einraum-„Raucherkneipen“) in allen Räumen – und nicht nur in gesonderten Raucherzimmern – rauchen lassen. Das liegt an sich auf der Hand, denn der Sinn und Zweck einer Shisha-Bar besteht im Shisha-Rauchen. Aber diese Regelung soll fallen.
  • Außengelände von Krankenhäusern und ähnlichen Gesundheitseinrichtungen sollen ebenfalls einem Rauchverbot unterliegen. Man will rauchende Patienten und Mitarbeiter „in gekennzeichnete und von Eingangsbereichen entfernt liegende“ Refugien verbannen (die mit etwas Glück zumindest eine Überdachung aufweisen). Behandlungsbedürftige Menschen, die der Situation ausgeliefert sind, haben eine derartige ‚Behandlung‘ nicht verdient, die ihrer Genesung nicht unbedingt zuträglich sein wird. Und das ohnehin belastete Personal sollte sich auf seine Arbeit konzentrieren können, statt so herumgeschubst zu werden. Dass Kranke sich schlechter wehren können, ist nur ein Grund für die – auch ohne Gesetze und in anderen Bundesländern – besonders weitreichende Raucherdiskriminierung in Krankenhäusern. Dabei spielt nämlich auch eine Rolle, dass die medizinisch-pharmazeutische Branche wirtschaftlich stark mit der Tabakbekämpfung verflochten ist. Die Überwachung dieser Restriktionen kann im Übrigen ganz schön teuer werden – Beispiel Glasgow in Schottland mit einer sechsstelligen Summe pro Jahr.
  • Auch auf Spielplätzen will der Senat ein Outdoor-Rauchverbot implementieren. Dies besteht allerdings zumeist schon, nämlich auf Stadtbezirksebene. In vielen Bezirken wird es, ebenso wie ein Alkoholverbot, jedoch gerade abends und nachts nicht eingehalten. Eher werden die Verbotsschilder von renitenten Bürger unkenntlich gemacht. Der Bezirk Neukölln verzichtet auf solche Untersagungen, weil er sie sowieso nicht durchsetzen kann. Ohnehin handelt es sich bei dieser Durchregulierung um eine Gängelung der Eltern, denen der Besuch von Spielplätzen und das Aufpassen auf ihre Kinder nicht dadurch erschwert werden soll, dass sie vors Gelände gejagt werden.
  • Zudem sind eine Erhöhung des Bußgeldrahmens und eine Verschärfung der Anzeigepflicht für Raucherkneipen (die in keinem anderen Bundesland existiert) vorgesehen.

Alles zusätzliche Schikanen, ohne die man bisher gut ausgekommen ist. Von der einst sprichwörtlichen preußischen Liberalität und Toleranz, wo „jeder nach seiner Façon selig werden“ kann, ist im zeitgenössischen Berlin mal wieder nichts zu spüren.

„Der gemeinsame Shisha-Konsum bringt Menschen unterschiedlicher ethnischer und kultureller Herkunft zusammen.“

Und nur bei den Shishas kommt bisher größerer Gegenwind auf: Eine Allianz von Bar-Betreibern kämpft für die bisherige Regelung. Mit guten Argumenten: Aus wirtschaftlichen Gründen lohnen sich Bars in ‚Eckkneipen‘-Größe kaum und müssten dann schließen. Von einem florierendem Wasserpfeifen-Business profitieren auch andere Wirtschaftszweige, wie Tabakpflanzer in Deutschland. Und: Der gemeinsame Tabakkonsum bringt Menschen unterschiedlicher ethnischer und kultureller Herkunft zusammen. Die Senatsverwaltung hatte in ihrer Novellierungsbegründung ausgeführt, die Ausnahme hätte den „in Berlin lebenden Musliminnen und Muslimen“ dienen sollen, in die Bars strömten aber „vermehrt […] andere Teile der Berliner Bevölkerung […] und Touristen“, so dass sie hinfällig sei. Eine Argumentation, die der Sprecher der Shisha-Bar-Allianz, Timur Husein, in einer Ausschussanhörung als „ungewollt rassistisch“ brandmarkte. Auf jeden Fall gewollt identitätspolitisch und der Überbrückung von innergesellschaftlichen Gräben abträglich. Husein führte weiter aus: „In Shisha-Bars die Shisha zu verbieten, ist, wie einem Steakhaus das Fleisch zu verbieten.“ Mit dieser Aussage sollte der Herr allerdings vorsichtig sein, immerhin sitzt er für die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, wo noch ganz andere Einschränkungen des individuellen Lebensstils denkbar sind.

Die Gesetzesvorlage stammt vom September, das Abgeordnetenhaus berät sie seither in mehreren Ausschüssen. Sowohl im Gesundheits- als auch im Wirtschaftsausschuss fand jeweils eine Anhörung statt (vermischt mit der Frage der Kohlenmonoxidreduzierung in Wasserpfeifen-Lokalen) und in beiden durfte Johannes Spatz sprechen. Spatz, pensionierter Berliner Gesundheitsbeamter, der den Aktivitäten seines „Forum Rauchfrei“ lange in seiner Dienstzeit nachgehen durfte, war bei Novo schon mehrfach Thema, da er als intoleranter Alt-68er, der es mit Gesetzen selbst nicht so genau nimmt, wie er es bei anderen verlangt, für einen mit dem Staat verwobenen, nur vorgeblich ‚zivilgesellschaftlichen‘ Aktivismus steht. Fanatiker Spatz, dessen Werben für ein absolutes Gastro-Rauchverbot logischerweise vergeblich blieb, da die Koalition sich anders festgelegt hatte, echauffierte sich darüber, dass ein Krankenhaus auf seinem Gelände mehr als nur eine „Raucherinsel“ vorhält, und verlangte, dass zwei Aschenbecher vor dem Gebäude der Gesundheitsverwaltung „abgebaut werden, möglichst mit mir zusammen und der Presse“. Solch dreisten Predigten wurde in den Ausschüssen wenig entgegengehalten.

Überhaupt scheint im Berliner Abgeordnetenhaus fraktionsübergreifend niemand den Konsens einer sich radikalisierenden Raucherdiskriminierung mit dem Endziel, den Tabakgenuss gänzlich zum Verschwinden zu bringen, in Frage stellen zu wollen. Begriffe wie „Autonomie“ und „Selbstbestimmung“ fielen in den Beratungen bisher nicht, immerhin tauchte das Wort „Freiheit“ einmal auf, ausgerechnet bei einem Grünen, der das „freiheitliche Image“ Berlins ansprach, wo „die Leute selbst Entscheidungen treffen können“. Das wäre doch mal was, und ein allererster, kleiner Schritt dorthin bestünde darin, auf weitere Verschärfungen des Rauchverbotsgesetzes zu verzichten.

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