31.05.2016
Dampfen als lästige Konkurrenz
Analyse von Christoph Lövenich
Liquidverdampfen (E-Zigarette) steht genau wie Rauchen auch deshalb am Pranger, weil Pharmakonzerne, die Entwöhnungspillen und Nikotinprodukte herstellen, an der Tabakbekämpfung beteiligt sind.
Der heutige „Weltnichtrauchertag“ müsste eigentlich auch „Weltnichtdampfertag“ heißen, denn wesentliche Akteure der Tabakbekämpfung (Tobacco Control) stemmen sich ebenso der sogenannten Elektronischen Zigarette entgegen. Müssten nicht alle, die das Tabakrauchen mit seinen Verbrennungsprodukten mit solcher Inbrunst öffentlich verteufeln, eigentlich jubilieren über eine Konsumform, die zum großen Teil aus Wasserdampf besteht? Einzelne tun dies, wie etwa jüngst die britische Medizinerorganisation Royal College of Physicians.
Der Mainstream aber, von der WHO koordiniert, zieht gegen das Dampfen zu Felde. Hierzulande hat das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) – konkreter das dort angesiedelte „WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle“ – im vergangenen Jahr federführend einen Aufruf in die Welt gesetzt, der einen ähnlichen Feldzug gegen die Liquidverdampfer fordert, wie man bei den Tabakwaren kennt. Tabaksteuern auf E-Zigaretten, Werbe- und Dampfverbote, sogar die „gleiche gesetzliche Regulierung für nikotinhaltige und nikotinfreie E-Zigaretten“ wird verlangt.
Den unbedarften Leser mag dies verwundern; dass eine gewisse optische Ähnlichkeit zwischen dem Vorgang des Dampfens und dem des Rauchens besteht – und berufsmäßige Tabakbekämpfer alleine deshalb darauf allergisch reagieren, kann keine ausreichende Erklärung liefern. So hat jetzt sogar die Süddeutsche Zeitung den Dampf-Bekämpfern mal einen kritischen Beitrag gewidmet, wie man ihn zu den Tabak-Bekämpfern in den Massenmedien fast nie findet (und schon gar nicht in der SZ), obwohl es um dieselben Personen, Organisationen, Methoden und Interessen geht – die bereits lange bekannt sind.
„Dampfen gefährdet die Umsätze von Pharmakonzernen“
Das elektrische Dampfen gefährdet nämlich die Umsätze einer für die Tabakbekämpfung ganz wichtigen Akteursgruppe – derjenigen Pharmakonzerne, die Tabakentwöhnungsmittel und eigene Nikotinpräparate anbieten. Kaugummi, Pflaster, Lutschbonbon, aber auch Pillen wie Zyban und Champix (mit sehr problematischen, teils fatalen Nebenwirkungen) spülen Geld in die Kasse. Deren Einnahme wird u.a. empfohlen von mit Herstellerfirmen wie Johnson & Johnson, Pfizer, GlaxoSmithKline (GSK) und Novartis verbandelten Wissenschaftlern, die zugleich von vom Liquiddampfen abraten. Mit der Effektivität der Pharma-Mittel ist es nicht weit her, auch wenn manche von den Herstellerkonzernen bezahlten Forscher das Gegenteil behaupten.
Es geht weltweit um einen Milliardenmarkt (den es sich genau zu quantifizieren lohnen würde)und wohl um hunderte Millionen pro Jahr in Deutschland, was sich noch steigern soll. Der von einer PR-Firma im Auftrag von Novartis gegründete „Wissenschaftliche Arbeitskreis Tabakentwöhnung“ (WAT) um Nicorette-Werbemann Prof. Anil Batra (auch in der Glücksspiel-Bekämpfung aktiv) will juristisch durchsetzen, dass die Krankenkassen solche Produkte bezahlen. Das erzürnt selbst den Frontmann der „Nichtraucherinitiative Deutschland" (NID), Ernst-Günther Krause, der in der Süddeutschen Verschwendung von Versichertengeldern wittert.
Mitglied im WAT ist Dr. Martina Pötschke-Langer, die einflussreiche Chefin des WHO-Tabakkontrollzentrums in Heidelberg, gewissermaßen die deutsche Antitabak-Päpstin. Als kürzlich auf einer ihrer Jahreskonferenzen, die die deutsche Tabakbekämpfungs-Community zusammenführen sollen, das Dampfen auf Grundlage einer Studie als geeignetes Mittel zur Rauchentwöhnung gelobt wurde, fuhr sie dazwischen – wie die SZ berichtet – und warf „‚Bezahlkommandos‘ der E-Zigaretten-Hersteller“ das Fälschen von Daten vor, „das sei ‚das Einfachste von der Welt‘". Damit scheint sich Pötschke-Langer offenbar auszukennen. „Wie der Schelm denkt, so ist er“, kommentiert Prof. Bernd Mayer, ein österreichischer Pharmakologe, der kürzlich als Experte zu einer Bundestagsanhörung über die Tabakproduktrichtlinie geladen war. Wie die politischen Aktiven der Dampfer-Szene wirft Mayer der WHO-Lobbyistin Pötschke-Langer schon lange ihren kreativen Umgang mit der Wahrheit vor.
„Die Rolle der Pharma-Verbindungen ist in der Tabakpolitik weit größer als beim Dampfen“
Soweit lüftet die selbst die Süddeutsche den Schleier über diesen Pharma-Verbindungen. Deren Rolle in der Tabakpolitik ist aber weit größer – und auch weiter zurück als die Einführung von E-Zigaretten. Einige Schlaglichter:
- Der Hauptaktionär von Johnson & Johnson, die Robert-Wood-Johnson-Stiftung (RWFJ), hat in den 1990er- und 2000er-Jahre alleine die Antitabakpolitik und -forschung in den USA mit rund 700 Millionen US-Dollar großzügig unterstützt. Das Geld ging vor allem an Lobbyorganisationen, die entsprechende Regulierung (Rauchverbote, Steuererhöhungen…) fordern und oft mit durchsetzen konnten, und an Wissenschaftler, deren Studien dabei öffentlichkeitswirksam halfen (und selbstverständlich nicht – wie in der seriösen Forschung – ergebnisoffen sein durften).
- Ende der 1990er lancierte die WHO in enger Zusammenarbeit mit großen Pharmaunternehmen die Initiative für eine tabakfreie Welt (TFI), aus der ein internationaler Staatsvertrag mit weitreichenden Einschränkungsvorschriften erwuchs. Pfizer und GSK haben zahlreiche internationale und nationale Tobacco-Control-Konferenzen gesponsert.
- US-Senatoren mit Aktienpaketen der entsprechenden Firmen sprachen sich besonders für die staatliche Finanzierung von Raucherentwöhnung aus.
- Ein wesentlicher Redakteur des bedeutenden Berichts des Surgeon General (US-amerikanische Gesundheitsbehörde) über Passivrauchen (2006) pflegt im Tabakbereich intensive berufliche Beziehungen zu GSK und Pfizer.
- Das Lobbying, das der Konzern Novartis auf der EU-Ebene betreibt, zielt nach Eigenaussage insbesondere auf tabakpolitische Maßnahmen wie Rauchverbote und Tabaksteuererhöhungen.
„Es geht es um Milliarden Pharmageld, eine weltweite Schätzung der Gesamtsumme wäre interessant“
- 2009 wurde eine Konferenz, die sich kritisch mit Tabakbekämpfung und den vermeintlichen Gesundheitsgefährdungen durch Passivrauch beschäftigte, vom Präsidium des Europäischen Parlaments aus dessen Räumen verwiesen und musste innerhalb Brüssels ausweichen. Das Parlamentspräsidium begründete dieses Verbot fast inhaltsgleich mit den Argumenten, die ihm die „Smokefree Partnership“ vorgebracht hatte. Diese Lobbyorganisation hatte unter anderem Gelder von Pfizer und Novartis erhalten.
- Die österreichische „Initiative Ärzte gegen Raucherschäden“, die lautstark Lobbying etwa für das totale Rauchverbot in der Gastronomie betreibt, hat zumindest eine Anschubfinanzierung durch Konzerne wie GSK und Novartis erhalten.
- So große Ausmaße das Feindbild Rauch in der öffentlichen Darstellung annimmt, jeder Tabak, auch der rauchlose (z.B. Schnupftabak oder schwedischer Snus) wird bekämpft und teils illegalisiert. Letzteren dürfe man nicht als harmloser darstellen, warnte ein Harvard-Professor und „Antirauch-Guru“, denn dies, so zitiert ihn Medizinanthropologe Kamal Chaouachi in einem Interview, „triebe die pharmazeutische Industrie aus dem Entwöhnungsmarkt“. Das gilt es anscheinend um jeden Preis zu vermeiden.
- Auch in Kanada, einem Land mit besonders rigoroser Anti-Raucher-Gesetzgebung, gehören Unternehmen wie Pfizer zu den wichtigsten Finanziers der entsprechenden Lobbygruppen.
- US-Präsident Obama hatte zu Beginn seiner ersten Amtszeit vollmundig angekündigt, keine Lobbyisten in hohe Regierungsämter zu berufen, Vize-Gesundheitsminister wurde dann aber der ehemalige Geschäftsführer einer großen Antitabak-Lobbyorganisation, die zig Millionen Dollar von der RWJF (s.o.) erhalten hatte. 1
Die Beispiele sind Legion, der Zusammenhang ein systematischer, und wenn die RWFJ als nur einer der Akteure alleine schon rund eine Dreiviertelmilliarde US-Dollar darin investiert hat, geht es insgesamt wohl um Milliarden Pharmageld, die in den letzten 25 Jahren in diese Richtung geflossen sind. Es wäre interessant, eine weltweite Schätzung dieser Summe vorzunehmen.. Neben den obrigkeitlichen Quellen spielen die Konzerne die zweite Hauptrolle in der Finanzierung, und mit ihrem Engagement haben die Schärfe der Regulierung und die Höhe der Besteuerung erheblich zugenommen. Man darf vermuten: Ohne diese gigantischen Zahlungsströme würden das Rauchen und die Raucher heute gesellschaftlich anders gesehen und anders gesetzlich behandelt.
Ohne massive rechtliche Einschränkungen, Preisanstiege und sozialen Druck gäbe es weniger Aufhörwillige. Die Ineffizienz der angebotenen Produkte spielt den Herstellern eher in die Karten, denn dann muss man eben mehrfach und mit immer wieder einem anderen Mitteln den Ausstieg probieren. Die einschlägigen Pharmakonzerne profitieren von Rauchverboten übrigens auch bei abstinenzunwilligen Rauchern, die nicht aufhören, sondern Kaugummis und Pflaster zur zeitlichen Substitution verwenden. Manche Konsumenten von Pharmanikotin entwickeln sogar einen dauerhaften Gebrauch. Steuererhöhungen ermöglichen die Verteuerung ihrer eigenen Produkte, die selbst nicht unter annähernd derselben Steuerlast ächzen, und für die man – je nach nationaler Gesetzeslage zumindest teilweise – frei werben kann, im Gegensatz zu Tabakwaren.
„Mainstreammedien tun sich schwer, Pressemitteilungen und Studien kritisch unter die Lupe zu nehmen“
Dass dieses Thema nie groß von den Massenmedien aufgegriffen worden ist, hat unterschiedliche Gründe. Schon vor dem Einwirken der Pharmakonzerne hatten die – zumeist staatliche alimentieren – Rauchgegner die Tabakwirtschaft so weit dämonisiert, dass man ihr nicht mehr glaubte, selbst wo sie die Wahrheit sprach und ihre Gegner die Unwahrheit. In der Fortführung hatten selbst unabhängige Organisationen wie FORCES oder in Deutschland Netzwerk Rauchen bisher keine Chance, mit Hinweisen auf diese allgegenwärtige Interessenverschmelzung von staatlich bezahlten Tabakgegnern einerseits sowie den pharmazeutisch-industriell bezahlten andererseits die breite Öffentlichkeit zu erreichen und darüber aufzuklären.
Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass Medien gerade in der heutigen Zeit keine zahlungskräftigen Werbekunden verlieren wollen. Das Tabakwerbeverbot, dessen Ausdehnung auf Printmedien in vielen Ländern nicht zufällig vor der großen Rauchverbotswelle vor zehn Jahren erfolgt war, trägt das Seine zu einer einseitigen Berichterstattung bei. Die Süddeutsche ließ sogar Dietmar Jazbinsek – als ‚normalen‘ Autoren – diverse einseitige Artikel zum Thema Rauchen schreiben. Jazbinsek hat verschiedenen Antitabak-Organisationen, wie die Dieter-Mennekes-Umweltstiftung und das erwähnte WHO-Kollaborationszentrum in Heidelberg, bei ihrer Lobbyarbeit unterstützt – und ist ironischerweise für den Verein LobbyControl tätig. Das entspricht der heute oft vorgenommenen willkürlichen Unterscheidung zwischen „guten Lobbys“ und „schlechten Lobbys“- allerdings nicht auf Basis von Seriosität und Faktentreue, sondern eher auf Grund gefühlter Wahrheiten.
Zwar gibt es weit weniger Dampfer – also Konsumenten sog. „elektronischer Zigaretten“ – als Raucher, sie vermögen in jüngster Zeit aber weit mehr medialen Staub aufzuwirbeln, wenn es um ihre Interessen geht. Beim Thema Tabakbekämpfung liegen jedoch noch weit mehr Leichen zur Bergung bereit, was Lobbying unseriöser Art angeht, insbesondere in Sachen Passivrauchen tun sich Mainstreammedien schwer, Pressemitteilungen und Studien kritisch unter die Lupe zu nehmen. Für eine öffentliche Debatte bleibt es aber unerlässlich, Hinter- und Vordergründe von allen Seiten zu beleuchten. Ohne den blinden Glauben an die Dogmen „Antitabak-Lobby = vertrauenswürdig“ und „Passivrauchen = tödlich“ sähe die Welt ein wenig ehrlicher und ein ganzes Stück freier aus.