11.11.2013

Regulierungswahn, leicht verdünnt

Kommentar von Christoph Lövenich

Die Kampagne gegen das Rauchen ist auch durch Pharmakonzerne motiviert, die sich mit eigenen Nikotinprodukten neue Märkte erschließen wollen. Der Paternalismus der Antiraucherlobby widerspricht jedoch dem Wesen einer freien Gesellschaft.

Vor gut einem Monat verabschiedete das Europäische Parlament (EP) seine Version der novellierten Tabakproduktrichtlinie (TPD) [1], die nun mit dem Rat (der nationalen Regierungen) noch weiter abgestimmt werden muss. Eine breite Mehrheit von drei Vierteln der anwesenden Abgeordneten stimmte diesem gegenüber dem Kommissionsentwurf [2] nur teilweise abgeschwächten Regulierungswerk zu.

Die Ekelbilder auf Tabakpackungen sollen kommen, wenn auch ‚nur‘ auf 65 Prozent der Packungsoberfläche – statt der von der EU-Kommission geforderten 75 Prozent. Das bedeutet zwar ein paar Quadratzentimeter mehr Freiheit, aber der grundsätzliche Abgrund der Emotionalisierung, Entmündigung und Irreführung [3] bleibt bestehen. Auch fanden sich zwischenzeitlich erneute Belege für die mangelnde Wirksamkeit der Bilddrohungen [4], was deren Verfechter aber wenig kümmert, denn die sehen darin nämlich nur Zwischenschritte für immer weiter eskalierende Verbotsforderungen. [5]

Die dünnen „Slim“-Zigaretten dürfen gnädigerweise zwar bleiben, Aromastoffe werden aber wie geplant verboten, wobei für Menthol eine mehrjährige Auslauffrist vorgesehen ist. Ein Experte bemerkt zutreffend, dass dieser Übergangszeitraum wenigstens Altkanzler Helmut Schmidt ermöglichen könnte, für den Rest seines Lebens Mentholzigaretten in der EU legal zu erwerben. Menschen mit längerer Lebenserwartung werden hingegen in die Arme von Schmugglern und Schwarzhändlern getrieben. [6] Dass die vorgeschobene Verbotsbegründung, Menthol und ähnliche Stoffe übten einen besonderen Reiz auf Jugendliche aus, nicht trägt, dürfte deutlich sein. Weniger bekannt sind indes wissenschaftliche Hinweise, dass das Rauchen von Mentholtabak mit einem geringeren Lungenkrebsrisiko einhergehen könnte, und deshalb nach Einschätzung des US-Medizinprofessors und Tabakgegners Michael Siegel ein Mentholverbot politisch unmöglich sein sollte. [7] Aber der EU geht es ja keineswegs um die Gesundheit ihrer Untertanen (siehe Snus-Verbot [8]), sondern vielmehr um die Bekämpfung des Tabaks und der Tabakkonsumenten; langlebige Raucher stören nur die WHO-Vision einer tabakfreien Welt.

„Der EU geht es keineswegs um die Gesundheit ihrer Untertanen, sondern vielmehr um die Bekämpfung des Tabaks und der Tabakkonsumenten.“

Deshalb enthalten auch viele auf der Plenarsitzung ins Dokument gestimmte Änderungen [9] Hinweise auf die FCTC, den völkerrechtlichen WHO-Vertrag zur Tabakbekämpfung, der die Beitrittsstaaten zu diversen freiheitseinschränkenden Maßnahmen anhält.

Solche Beschlüsse fasst das Europäische Parlament nicht, weil ein belgischer Metzger gerne die genaue Lackierung von zigarettenfilterumschließendem Papier geregelt haben möchte oder eine slowenische Verkäuferin darauf drängt, dass Vitamine im Tabak verboten werden. Sondern sie werden gefasst, weil das EU-Parlament fernab der Bedürfnisse normaler Menschen sich von starken Lobbys aller Art beeinflussen lässt, denen es auf solche (und in diesem Fall auf genau jene) detaillierte Regulierungen ankommt. Ein Offener Brief aus dem vergangenen Jahr [10] für eine Verschärfung der Tabakrichtlinie zeigt die starke Vernetzung der Antitabakkräfte: Bei den Unterzeichnern handelt es sich um die großen Pharmakonzerne Johnson & Johnson, Pfizer und GlaxoSmithKline, die mit eigenen Nikotinprodukten den Tabak verdrängen, Raucher zur Einnahme von Pharmaka zur Rauchentwöhnung motivieren und die Liquidverdampfung (sogenannte E-Zigaretten) selber übernehmen und in Apotheken vertreiben wollen. [11] Dabei sind auch eine Lobbyingfirma, die unter anderem für die Pharmaindustrie tätig ist, viele Bevormundungspolitiker aus den Reihen der MdEPs selbst und diverse, im Allgemeinen staatlich oder von der Industrie finanzierte, Interessengruppen, teils mit teuren Büros in Brüssel.

Das Auftreten dieser Rauchfeinde im Vorfeld der Abstimmung empfand die CDU-Europaabgeordnete Dr. Renate Sommer als eine „Hexenjagd“ auf alle, „die eine sachliche, wissenschaftlich fundierte Regelung forderten“. [12] Sie hat transparent gemacht, welche und wie viele Organisationen zu diesem Thema an sie herangetreten sind. [13] Über die diversen Versuche, ihre vom Tabakbekämpfungs- und Regulierungswahn leicht abweichende Stimme zum Schweigen zu bringen, etwa seitens der sozialdemokratischen Berichterstatterin Linda McAvan, urteilt sie: „So viel Bösartigkeit habe ich in meiner 14-jährigen Zugehörigkeit zum Europäischen Parlament noch nicht erlebt.“

„So viel Bösartigkeit habe ich in meiner 14-jährigen Zugehörigkeit zum Europäischen Parlament noch nicht erlebt.“

Das Dampfen wird kein Apothekenprodukt. An diesem Punkt erlitten die einschlägigen Pharmakonzerne, die den Nikotinmarkt beherrschen wollen, eine empfindliche Niederlage. Ihr aufdringliches Lobbying in Brüssel fiel diesmal sogar den Massenmedien auf. In Tschechien [14], Großbritannien und Polen [15] berichteten Printmedien darüber, sogar das WDR-Fernsehen nahm sich dieses bisher ignorierten Themas an und einige NGOs mitsamt ihrer Finanzierung unter die Lupe. [16] Zu diesen zählt nicht zuletzt „Smokefree Partnership“ unter Geschäftsführerin Florence Bertoletti, die z.B. 2009 vom Präsidium des Europäischen Parlaments die Abhaltung einer prohibitionskritischen Konferenz im Brüsseler Parlamentsgebäude hatte verbieten lassen. [17]

Nach Einschätzung von Romano Grieshaber, Medizinprofessor und ehemals Präventionschef der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe, hat aktuell bei der Tabakproduktrichtlinie auch „die Grünen-Fraktion im Europaparlament mit ihrer Vorsitzenden Rebecca Harms einen fast schon stalinistischen Umgang mit Andersdenkenden“ gezeigt, getragen von einem „demonstrativ paternalistischen – und damit ebenfalls elementare demokratische Spielregeln verletzenden – Sendungsbewusstsein“. [18]

Neben den Ergebnissen eines Bürgerkonsultationsverfahrens wurden auch diverse Proteste in Deutschland [19] weitestgehend ignoriert. Außer den üblichen Behauptungen über die Schädlichkeit des Passivrauchkonstrukts enthält die Parlamentsentscheidung in ihrer jetzigen Fassung verschiedene weitere Regulierungen und Verbotsanregungen, eine Packungsgröße von mindestens 20 Zigaretten, ein aufwendiges Tracking-Verfahren zur Identifizierung des Weges von Tabakprodukten bis zum Endverbraucher, das kleinen und mittleren Unternehmen den Hals brechen kann, oder verpflichtende Wasserzeichen für Zigaretten.

Unabhängig von Veränderungen im Detail, zu denen es im weiteren Gesetzgebungsprozess noch kommen kann, die Gesamteinschätzung von Grieshaber bleibt: „Eine Eindämmung des Rauchens durch Beschämung, Beschimpfung, Bedrohung und Bestrafung von Rauchern wird sich meiner Überzeugung nach mit absoluter Sicherheit als gesellschaftlich wie gesundheitspolitisch kontraproduktiv erweisen. […] Die Leitgedanken, die der Tabakproduktrichtlinie der EU zugrunde liegen, stehen im Widerspruch zu allem, was eine freie Gesellschaft in ihrem Wesen ausmacht.“ [20]

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