16.12.2014

Nichtraucherschutz in Deutschland

Rezension von Christoph Lövenich

Gesetzliche Rauchverbote speziell in der Gastronomie haben in den vergangenen Jahren Politik und Medien intensiv beschäftigt. In einer Rezension des aktuellen Buches von Christian Wiesel wird diese detailversessene Regulierung beleuchtet.

Jahrzehntelang hatten die gesetzgeberischen Organe in der Bundesrepublik anderes zu tun, als sich über staatliche Rauchverbote an irgendwelchen Orten Gedanken zu machen. Ab Ende der 1970er Jahre konnten vereinzelte Vorstöße vermerkt werden, die zumeist ohne große Resonanz blieben oder jedenfalls nicht in Gesetzesform gegossen wurden. Erst nach der Jahrtausendwende, angestoßen durch intensivierte internationale Bemühungen der Tabakbekämpfung, erfuhr dies eine Veränderung. Die 2001 erlassene Bestimmung, an Arbeitsplätzen ohne Publikumsverkehr Rauchverbote zu erlassen, wenn dies zum Schutz der Arbeitnehmer erforderlich sei, entfaltete auch kein großes Echo.

Erst um 2005 entspann sich eine medial intensive Diskussion über gesetzliche Rauchverbote in der Gastronomie und anderen Einrichtungen, die in die Verabschiedung einer Vielzahl von einschlägigen Gesetzen ab 2007 mündete. Diese waren in dem kurzen seither verstrichenen Zeitraum überdurchschnittlich oft Gegenstand von Novellierungen, mit bis zu vier unterschiedlichen Rechtslagen in einzelnen Bundesländern. Es muss also etwas Besonderes dran sein an diesem Thema.

Der Politikwissenschaftler Christian Wiesel hat kürzlich eine Monographie vorgelegt (offenbar eine Erweiterung und Aktualisierung seiner Magisterarbeit), die unter dem Titel Nichtraucherschutz in Deutschland einen Überblick und [Näheres zur] Entstehung der Rauchverbote in der Gastronomie verspricht. Nach einer ausführlichen Behandlung der bundespolitischen Prozeduren 2006 beleuchtet Wiesel die dann anknüpfenden Irrungen und Wirrungen auf Länderebene. Schließlich greift er noch als Fallstudie die Situation im Land Berlin auf, wo er sich neben Recht und Politik auch der konkreten Umsetzung durch die bezirklichen Ordnungsämter widmet.

„Auf dem Cannstatter Wasen kann man nach wie vor rauchen, und das Münchner Oktoberfest dann eben kalifornischen Touristen überlassen.“

Als besonders wertvoll, und sei es zur Urlaubsplanung, erweist sich der Dokumentationsteil am Ende des Buches, der auf über 60 Seiten die gewandelten Gesetzeslagen in allen Bundesländern darstellt. So erfährt man z.B., dass Baden-Württemberg für Festzelte gar kein Rauchverbot vorsieht, während in anderen Bundesländern die entsprechende Regelung in unterschiedlichem Maße weniger liberal ausfällt. Auf dem Cannstatter Wasen kann man nach wie vor rauchen und das Münchner Oktoberfest dann eben kalifornischen Touristen überlassen. Nachlesen lässt sich, welche spezielle Einschränkung Schleswig-Holstein für Geschlossene Gesellschaften mit Raucherlaubnis in Gaststätten getroffen hat und wie Thüringen sog. Raucherspielhallen definiert.

Im übrigen Buch findet man dann Antworten, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Parlamentarier, Ministerialbürokraten, Gerichte und Öffentlichkeit auf einmal Energie und Gehirnschmalz in derartige Details investiert haben. Warum man sich damit abmüht, zwischen einfach zubereiteten und anderen Speisen zu unterscheiden, so dass mancherorts der Außendienst von Ordnungsämtern eigentlich die Temperatur dargereichter Würstchen messen müsste – denn warm = Rauchen ordnungswidrig.

Dass 2006 ein günstiges Klima für die Durchsetzung staatlicher Rauchverbote entstand, führt Wiesel auf mehrere Faktoren zurück [1]: Den (kritikwürdigen) [2] völkerrechtlichen Tabakbekämpfungs-Rahmenvertrag der WHO, das Abfärben von Rauchverboten in anderen Ländern, eine Ende 2005 (sehr angreifbare) [3] publizierte Studie des „WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle“ unter dem Dach des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), den Lungenkrebstod des Fernsehmachers Rudi Carrell [4], gewandelte gesellschaftliche Einstellungen gegenüber dem Rauchen sowie eine massenmediale Berichterstattung, die fast „fast schon einseitig positiv“ [5] gegenüber Verbotsplanungen war. Der von Wiesel interviewte SPD-Bundesabgeordnete Lothar Binding lobte ausdrücklich „Frankfurter Rundschau, F.A.Z., taz, Süddeutsche Zeitung, Rhein-Neckar-Zeitung, Spiegel, Phönix, ARD und ZDF, hier insbesondere Frontal21“. [6]

„Insgesamt scheint Wiesels unkritische Übernahme von Positionen der Anti-Tabak-Lobby wenig ausgewogen.“

Die Darstellungen des letztlich hinfälligen (s.u.) Gesetzgebungsprozesses auf Bundesebene im Jahre 2006 basiert Wiesel zum großen Teil auf der Sichtweise Bindings, der als „politischer Missionar“ [7] in Sachen Tabakbekämpfung eine mediale Aufmerksamkeit für sich erzielen konnte, die ihm in seinem eigentlichen Fachgebiet, der Haushalts- und Finanzpolitik, nie zuteil wurde. [8] Auch seine sonstigen Interviewpartner wirken einseitig ausgewählt, einer ebenfalls gegen das Rauchen eingestellten Berliner Senatsreferentin dankte er für „fortlaufende Unterstützung mit Material und wertvollen Informationen“ [9].

Insgesamt scheint Wiesels unkritische Übernahme von Positionen der Anti-Tabak-Lobby, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, wenig ausgewogen. Dass er gegen Ende in seinen Thesen ein gänzlich ausnahmsloses Rauchverbot in allen Gaststätten für zu übertrieben erklärt, vermag da zu überraschen, ändert aber nichts daran, dass Neulingen in der Thematik zu entsprechender Vorsicht und Skepsis bei der Lektüre dieses Werks geraten werden muss.

So schließt sich der Autor etwa der Einschätzung an, die Rauchverbotsgesetzgebung hätte bundesweit einheitlich erfolgen können, ohne sich mit den juristischen Gegenargumenten auseinanderzusetzen. [10] Die Bundesregierung hatte Ende 2006 ihre Gesetzgebungskompetenz für diesen Bereich verneint – bis auf bestimmte Elemente, die im Bundesrauchverbotsgesetz geregelt wurden. Gute Gründe sprechen dafür, diese Entscheidung nicht nur als politisch motiviert (so konnte man das lästige Thema auf die Länder abwälzen) zu betrachten, sondern auch als verfassungsrechtlich geboten. [11]

„Die Vortäuschung ‚objektiver‘ Erkenntnis stützt ‚alternativlose‘ Regulierungspolitik“

Auf Bundesebene hatte sich SPD-MdB Binding auch deshalb als Tabakbekämpfer profiliert [12], da er als Heidelberger Abgeordneter in engen Kontakt mit dem ortsansässigen WHO-Kollaborationszentrum unter Leitung der deutschen Anti-Tabak-Päpstin Martina Pötschke-Langer gekommen war. Wiesel stellt dazu fest, dass Bindings Vorgehen „ausschließlich auf [der] Lobbyarbeit des DKFZ“ [13] fußte. Das DKFZ bildet jedoch nur das wissenschaftliche Mäntelchen für die „Präventions“-PR der Tabakbekämpfung, ganz dem Zeitgeist entsprechend, auf der Vortäuschung objektiver Erkenntnis „alternativlose“ Regulierungspolitik einzufordern.

Für politikwissenschaftlich Interessierte bietet das Buch einen Einblick in Ansätze der Policy-Forschung, ihre Möglichkeiten und Grenzen. Dass Wiesel sich auf die Rauchverbotsregulierung in der Gastronomie und in verwandten Gebiete beschränkt hat, ist im Hinblick auf deren herausgehobene Relevanz für die öffentliche Debatte verständlich und als Eingrenzung des Umfangs notwendig, für einen „Komplettaufriss der Nichtraucherschutzgesetzgebung“ [14] jedoch müssten zusätzlich noch die anderen Regelungsbereiche der einschlägigen Gesetze erfasst werden. Von Schulen über Gefängnisse bis zu Einkaufszentren umschließen sie viele Lebensbereiche, und bemerkenswerte Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern treten auch hier auf, teils gelten z.B. Rauchverbote auch außerhalb geschlossener Räume, so in NRW vor Jugendheimen und auf Spielplätzen. [15]

Die Bekämpfung des Tabakkonsums – im Teilbereich Rauchverbote mit dem Euphemismus „Nichtraucherschutz“ mühsam verhüllt – bildet die Speerspitze der Bevormundung individueller Lebensstile unter dem Deckmantel einer angeblichen Gesundheitsförderung. Sich mit ihren regulatorischen Mechanismen und Hintergründen auseinanderzusetzen, bietet einen Einblick in die Funktionsweisen zeitgenössischen Mikromanagements des Privatlebens. Mit kritischer Distanz gelesen, leistet das vorliegende Buch dazu einen Beitrag. Größere Bedeutung ist jedoch einem grundsätzlichen Hinterfragen der politischen Irrwege beizumessen, auf denen ein solches Thema überhaupt erst oben auf die Agenda gelangen konnte.

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