05.02.2024

Metastasen des Mikroautoritarismus

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Thijs ter Haar ( CC BY 2.0 / bearbeitet)

Was und womit wir essen, wie wir trinken, was wir rauchen, welche Tattoofarben wir tragen – all das reguliert die Europäische Union detailversessen. Unser Alltag wird Schritt für Schritt eingeengt.

„Dem Hauptzollamt Pforzheim ist ein großer Schlag gegen den organisierten Handel mit strengstens verbotenen Plastik-Strohhalmen gelungen“, meldete ein Medium im November. 5000 davon wurden konfisziert. Ein Restaurant wollte offenbar nicht nach jedem Strohhalm greifen – die Alternativen zu den Plastikprodukten haben so ihre Nachteile – sondern klammerte sich an den rettenden Strohhalm in Form einer Online-Bestellung. Bis ihm der unermüdliche Einsatz deutscher Beamter gegen die international operierende Plastikmafia einen Strich durch die Rechnung machte.

Zwei Jahre zuvor hatte der Hamburger Zoll sogar jeweils mehr als 100.000 Trinkhalme und Getränkebecher sichergestellt. Die Rechtsgrundlage dafür bildet die Einwegkunststoffverbotsverordnung zur Umsetzung der Einwegkunststoff-Richtlinie der Europäischen Union. Seit 2021 ist überall in der EU neues Plastikbesteck und -geschirr verboten. Als Gründe für diese Einschränkung angeführt wurden der Plastikmüll in den Weltmeeren und mögliche Gesundheitsgefahren durch Mikroplastik. Beim Mikroplastik spielen Plastikhalme jedoch keine Rolle, Schuhsohlen schon eher, und Fleece-Jacken erst! Dass sich im Großen Pazifischen Müllteppich jemals Plastikgabeln von einem Kindergeburtstag in Zella-Mehlis befunden haben, wird die EU-Kommission wohl nicht beweisen können. Der Abfall stammt woanders her. Und doch gilt das Verbot.

Immerhin kann man wunderbar einen Kulturkampf gegen die „Wegwerfgesellschaft“ führen, deren Symbol z.B. Plastiktüten sind. Mit dem Massenkonsum haben es die heutigen Eliten nicht so – außer als weites Feld zur regulierenden Bestellung. Es finden sich viele Agenden, die eines gemeinsam haben: Sie lassen sich von den Eurokraten in Verbotsverordnungen gießen. In immer mehr und immer neue, in solche, die schrittweise in Kraft treten und/oder solche, die durch Novellierungen verschärft werden.

„Die unselige Energiesparlampe wurde erst den Käufern künstlich aufgedrängt und dann – vorhersehbar – im nächsten Schritt verboten.“

Partes pro toto seien genannt:

  • Tethered Caps. Noch nie gehört? Man sollte wissen, wie sich wer nennt, der einem von ganz nah gegen die Lippe schlägt. Angebundene Verschlusskappen heißen sie auf Deutsch. Die unangenehmsten Begegnungen mit ihnen verzeichnet, wer aus der Flasche trinkt. Die Deckel von PET-Flaschen und Tetrapaks müssen nämlich an der Verpackung befestigt sein. „Technisch keine einfach zu lösende Aufgabe, will der Schraubdeckel doch alles andere als von einer starren Halteschlaufe in seiner Drehfreude behindert zu werden“, urteilt die F.A.Z. Und die Westfälische Rundschau ergänzt: „Viele Verbraucher nervt das. Dahinter steckt die EU“. „Schwieriger zu öffnen als zuvor und beim Trinken störend, der Verschluss zu kurz für eine praktikabel [sic!] Handhabung“, klagen österreichische Verbraucher. Hintergrund des Banns: Die EU-Kommission hatte an Stränden solche Deckel gefunden. Dabei sollten die gerade in einem Pfandland wie Deutschland „kein allzu großes Problem sein […], werden sie doch meistens zurück auf die geleerten Tüten und Flaschen geschraubt“.
  • Sind Sie Ex-Knacki oder Ex-First-Lady und deshalb tätowiert? Dann haben Sie vielleicht mitbekommen, dass die EU fast alle bisherigen Tattoofarben beseitigt hat. Als Anfang 2022 die meisten wegfielen, mussten Tattoostudios – sowieso durch Lockdowns und Zugangsdiskriminierungen gebeutelt – vieles an teurem Material einfach entsorgen. Neue Farben kosteten mehr, und bis die alle erhältlich waren, mussten sich einige Tätowierer auf schwarz-weiße Kunstwerke beschränken. 2023 zog die EU weitere, wichtige Pigmente aus dem Verkehr. Ob die verbotenen Stoffe überhaupt gesundheitliche Auswirkungen zeitigen, steht ohnehin in den (zwölf) Sternen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung konnte eine solche nicht abgeben, die Branche kann aufgrund ihrer Erfahrungen die vermeintliche Problemlage nicht nachvollziehen. „Ein direkter Zusammenhang zwischen Tätowierungen und der Entstehung von (Haut-)Krebs konnte bisher nicht nachgewiesen werden“, so ein Vertreter der Wiener Ärztekammer. Das Ganze spielt sich im Rahmen der Chemikalien-Verordnung (REACH) ab, einem wachsenden bürokratischen Monster, für das der Wegfall von ca. 4000 (!) Substanzen im Bereich der Kosmetika vor zwei Jahren nur ein Etappenziel markierte.
  • Die Ökodesign-Richtlinie der EU erfasst energieverbrauchende Geräte vom Computer über den Ventilator bis zum Kühlschrank. Und da man in den oberen Etagen die Zukunft nur „als eine Energiesparvariante der Gegenwart“ zu betrachten vermag, geht es um weniger Verbrauch. Man denke an die vor ein paar Jahren eingeführten Leistungs- und Lautstärke-Obergrenzen für neue Staubsauger. Auch die schrittweise Abschaffung von Glühbirnen und Halogenlampen gehört zum Ökodesign. Für den Wechsel zu anderen Leuchtmitteln mussten und müssen Konsumenten in die Tasche greifen, die Quecksilber-Energiespar-Funzel verbreitete sich, und ich selbst musste nach Ende eines Halogen-Vorrats den Elektriker kommen lassen, um einen anderen Lichtschalter zu montieren.
  • So wie die unselige Energiesparlampe erst den Käufern künstlich aufgedrängt worden war, und dann – für den Kenner vorhersehbar – im nächsten Schritt verboten wurde, verfuhr die EU auch mit den Werteangaben auf Tabakverpackungen. Die Tabakproduktrichtlinie vor 20 Jahren (TPD 1) verlangte den Aufdruck von Nikotin-, Teer- und Kohlenmonoxid-Werten, seit 2016 ist genau diese Verbraucherinformation durch die TPD 2 strikt untersagt. Auch die Ekelbilder auf den Schachteln, die „Tabak-Truman-Show“ mit ihrer irreführenden und schlichten Schwarzen Pädagogik samt Nocebo-Effekt sind dabei entstanden. Ebenso das Verbot von Aromen und Zusatzstoffen, welches in einem (vorerst) letzten Schritt 2020 dem Mentholtabak den Garaus bereitete. Dabei geht es um eine internationale Tabakbekämpfungsagenda, Pharma-Interessen und mehr – vordergründig aber natürlich um unsere Gesundheit.
  • Die spielt auch eine Rolle bei der EU-Acrylamid-Verordnung, die 2018 in Kraft trat – dem „Ende der extra-knusprigen Pommes“. Industrie und Backbetriebe mussten aufwendige und umfangreiche „acrylamidsenkende Maßnahmen“ ergreifen, die Verbraucher bekommen seither nicht mehr dieselben Chips, Brote und Brötchen. Bekommen sie dadurch denn – wie angeblich beabsichtigt – weniger Krebs? Wetten Sie nicht darauf.

„Alle Gegenstände des täglichen Lebens, alle Produkte, mit denen man in Berührung kommt, werden nach und nach erfasst, eingeschränkt, verboten oder umgewandelt.“

Wer bei EU-Regulierung noch an den berüchtigten Krümmungsgrad von Bananen denkt, hat die letzten Jahrzehnte verschnarcht. Alle Gegenstände des täglichen Lebens, alle Produkte, mit denen man in Berührung kommt, werden nach und nach erfasst, eingeschränkt, verboten oder umgewandelt. Entziehen kann man sich dem nicht. Eine ganze Maschinerie aus Politikern, Bürokraten, Lobbyisten und Journalisten lebt dafür – und davon.

Ein wachsender Mikroautoritarismus wuchert in alle Ecken. Das Begriffspaar Mikro-/Makroautoritarimus sei hier in Anlehnung an seine Prägung in einer rechtsalternativen deutschen Youtuberszene verwendet. Bei Makroautoritarismus handelt es sich um offene und klassische staatliche Repression gegen Kritiker, die man z.B. in den Knast wirft und foltert. Das Gegenstück bildet das Mikromanagement der Gesellschaft und Wirtschaft, ohne „drakonische Strafe, dafür aber Nudging ohne Ende bis in den letzten Winkel des Privatlebens und der Köpfe.“ Und eben der Gesetzgebung, wo man als Strohhalm-Schmuggler zwar nicht standrechtlich erschossen wird, aber doch Konsequenzen zu tragen hat. Weiteres Kennzeichen: Die um sich greifende Detail-Bevormundung soll nur zu unserem Besten sein, oder doch wenigsten zu dem des Planeten.

Beides kann zusammen auftreten, so in Nordkorea, aber auch hierzulande, wo inzwischen – was dem Makroautoritarismus zuzurechnen wäre – sogar im Gefängnis landen könnte, „wer eine öffentlich gezeigte Flagge der Europäischen Union entfernt, zerstört, beschädigt […] oder beschimpfenden Unfug daran verübt.“ Der Unfug, den die EU verübt und der der Freiheit Hohn spricht, ist hingegen in jedem Wortsinne legal.

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