11.02.2020

Kein Strafrechtsschutz für EU-Symbole!

Von Clemens Schrenk

Titelbild

Foto: Thijs ter Haar ( CC BY 2.0 / bearbeitet)

Die Verunglimpfung und Verächtlichmachung von Symbolen der Europäischen Union, etwa der Flagge mit den zwölf Sternen, soll in Deutschland verboten werden. Das missachtet die Meinungsfreiheit.

Dem Vorstoß des Bundesrates und der Großen Koalition, die Symbole der EU strafrechtlich zu schützen, ist entschieden entgegenzutreten. Die Erwartungshaltung, das Strafrecht könne das Ansehen einer krisengeschüttelten EU schützen, kann nicht erfüllt werden, läuft dem Grundgedanken seiner Funktion als ultima ratio zuwider und zeigt, dass auf diese Krise immer wieder grundfalsch reagiert wird.

Sachsens ehemaliger Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) behauptete von sich, der Tendenz des Staates, über allgemeine Gesetze immer mehr konkrete Fälle regeln zu wollen, kritisch gegenüberzustehen.1 Gleichwohl schlug er vor, einen § 90c StGB einzuführen, der für das Verunglimpfen, Beschädigen, Unkenntlichmachen, Zerstören sowie das Verüben beschimpfenden Unfugs an Symbolen der Europäischen Union im schlimmsten Fall eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht. Auch der Versuch, das heißt das unmittelbare Ansetzen zur Verunglimpfung, soll strafbar sein.

Der Bundesrat stimmte dem Vorschlag Gemkows bereits am 20. September letzten Jahres zu. Am 23. Oktober wurde er in den Bundestag eingebracht. Die Einführung eines solchen Straftatbestandes steht somit unmittelbar bevor. Für die Initiative aus dem Freistaat war ein Aufmarsch der rechtsradikalen Partei Der III. Weg am 1. Mai 2019 im sächsischen Plauen ausschlaggebend. Dieser führte über eine auf der Straße ausgelegte EU-Flagge. Gemkow betonte, bei dem Aufmarsch sei es lediglich darum gegangen, die EU und deren Werte verächtlich zu machen.

Der Antragstext zu diesem Gesetzentwurf unterstreicht die besondere Bedeutung der EU für die Bundesrepublik und stellt fest, dass die EU und deren Symbole über das materielle Strafrecht nicht ausreichend geschützt seien. Der Gesetzgeber müsse deshalb tätig werden („es besteht Handlungsbedarf“) und den Strafverfolgungsbehörden „ausreichende Mittel an die Hand […] geben, um entschieden und wirksam gegen solche Handlungen vorzugehen, die das Verächtlichmachen der Grundwerte der EU zum Ziel haben.“

Aufgrund der gemeinsamen Werte der EU-Mitgliedsstaaten sei die Bundesrepublik verpflichtet,  diese Werte zu schützen. Die Einigung Europas sei Staatsziel und daher rechtsverbindlicher Auftrag. Des Weiteren könne die Verunglimpfung der EU und ihrer Symbole die für den inneren Frieden notwendige Autorität der Hoheitsmacht beeinträchtigen. Die Bundesregierung hat in einer Stellungnahme zu dem  Antrag mittlerweile richtiggestellt, dass weder das Grundgesetz noch das Unionsrecht dazu verpflichten, die Symbole der EU strafrechtlich zu schützen. Dennoch begrüßt sie die vorgeschlagene Regelung ausdrücklich.

Von der Europaflagge zum EU-Symbol

Die Europaflagge ist nicht Flagge der Europäischen Union allein, sondern bereits seit 1955 die Flagge des Europarats, der mit der EU nichts zu tun hat und zu dessen Mitgliedern seit 1949 unter anderem auch die Türkei zählt. Die Europäische Union, beziehungsweise ihre Vorgängerorganisation, die Europäische (Wirtschafts-)Gemeinschaft, nutzt die Europaflagge seit 1985 für ihre Gemeinschaftsorgane. Ausschlaggebend für die Einführung der Europaflagge als EU-Flagge war der Ausschuss für das „Europa der Bürger“ (Adonnino-Ausschuss). In seinem Abschlussbericht befasst sich dieser unter anderem mit Themen wie der „Schaffung einer populären Einrichtung zur Verbreitung des Europagedankens“, womit nichts anderes als Eurolotto gemeint ist. Im Kapitel „Stärkung des Bildes und der Identität der Gemeinschaft“ behandelt der Bericht das Thema EG-Flagge: Eine Fahne und ein Emblem sollen die Existenz der Gemeinschaft öffentlich deutlich machen. Da die Europaflagge schon vom Europarat genutzt wurde, hatte man innerhalb des Ausschusses die Idee, in den Kreis der Sterne noch ein goldenes E zu integrieren.

„Der De-Clerq-Report empfahl im Jahr 1993 für eine bessere Vermarktung des Produkts EU den Einsatz von Europa-Symbolen.“

Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Europaflagge als Symbol der EU war der De-Clerq-Report im Jahr 1993, an dem eine Expertengruppe aus Politikern und Medienmanager gearbeitet hatte. Dieser empfahl für eine bessere Vermarktung des Produkts EU den Einsatz von Europa-Symbolen. In einem Bulletin der Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahr 1993 ist nachzulesen, die Kommission wolle den Bürgern Europas die Rechtmäßigkeit der Werte verdeutlichen, auf die die Gemeinschaft sich gründet, und ihnen bewusst machen, dass die Umsetzung dieser Werte durchaus in ihrem Interesse erfolge.

Die Europaflagge ist mittlerweile allgegenwärtig. Der inflationäre Gebrauch der EU-Symbole – ob als Biosiegel, als Kopf eines Energie-Effizienz-Stickers, auf einem Kapuzenpullover, als Herkunftsschützer auf Schwarzwälder Schinken oder italienischem Parmesankäse, auf einer Streichholzschachtel, auf Schildern an Parks, oder bei Sehenswürdigkeiten, die die EU als Sponsor ausweisen – lässt die EU-Flagge jedoch mittlerweile mehr wie ein Label als ein Hoheitssymbol erscheinen.

Strafrecht als ultima ratio

Wegen seines stark eingreifenden Charakters stellt das Strafrecht das schärfste Machtinstrument dar, über das der Staat verfügt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dient es allein der Bekämpfung besonders sozialschädlichen Verhaltens, das für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich ist. Es sollte daher prinzipiell nur als äußerstes Mittel („ultima ratio“) eingesetzt werden.2

Die Fragen, die sich daher stellen, sind, ob Werte wie Freiheit und Demokratie tatsächlich geschützt werden, wenn die Verunglimpfung der EU-Flagge unter Strafe gestellt wird, und weshalb die Große Koalition dies plötzlich für notwendig und begrüßenswert erachtet, obwohl die Symbole der EU seit deren Einführung wissentlich nicht vom deutschen Strafrechtsschutz umfasst sind. So plump und unkreativ das Verbrennen oder anderweitige Zerstören einer EU-Flagge auch ist, bleibt es gleichwohl – sofern man Eigentümer dieser ist – eine Form von Meinungsäußerung und  politischen Protests. Selbst nach Auffassung des BVerfG kommt es auf die Vernünftigkeit einer Äußerung nicht an.

„Würde beispielsweise eine bei einer Friedensdemonstration zur Schau gestellte EU-Flagge mit zwölf goldenen Panzern – an Stelle von Sternen – dieses Tatbestandsmerkmal bereits erfüllen?“

Besonders problematisch ist das Unterstrafestellen des Verunglimpfens. Wo fängt ein solches an? Würde beispielsweise eine bei einer Friedensdemonstration zur Schau gestellte EU-Flagge mit zwölf goldenen Panzern – an Stelle von Sternen – dieses Tatbestandsmerkmal bereits erfüllen? Der geplante Straftatbestand ist ein klarer Eingriff in die Meinungsfreiheit. Diese ist für ein demokratisches Gemeinwesen grundlegend, und bildet das Kernstück politischer und geistiger Freiheit. Politischen Protest zuzulassen und entgegengesetzte Meinungen zu respektieren, ist für Demokratie und Freiheit ein Muss. Den Wert der Freiheit schützt man mit dieser Strafrechtsnorm jedenfalls nicht.

Angesichts des altbekannten Demokratiedefizits der EU ist auch das Argument, ein § 90c StGB sei notwendig, um den Wert der Demokratie zu schützen, per se fragwürdig. Die EU ist momentan so konstituiert, dass ihre Bürger im EU-Parlament nicht gleichgestellt sind. Der Grundsatz „Eine Person, eine Stimme“ wird nicht gewahrt. Hinzu kommt, dass das einzig halbwegs demokratisch legitimierte EU-Parlament über weniger Macht verfügt als die nichtgewählte Kommission und der bloß indirekt und schwach legitimierte Ministerrat.3 Die EU ist parlamentarisch entkernt und zum exekutiven und judikativen Raum mutiert, dem es an demokratischer Legitimation fehlt. Mittlerweile sind auf nationaler Ebene ungefähr 70 Prozent aller Gesetzgebungsakte eine Übernahme von EU-Verordnungen und Richtlinien, deren Legitimitätsgrundlage zwar rechtens, jedoch undemokratisch ist.4 Auch die Idee zur Aufstellung europäischer Spitzenkandidaten, um Wählern das Gefühl zu vermitteln, ihre Wahl hätte Einfluss darauf, wer an der Spitze der Kommission stehen wird, erwies sich als Luftschloss. Ursula von der Leyen war keine europäische Spitzenkandidatin.

Die EU in ihrer jetzigen Verfassung verkörpert längst nicht den Wert dessen, was man im klassischen Sinne unter Demokratie versteht. Im „Interesse des Ansehens“ dieses Systems soll das deutsche Strafrecht nun verschärft werden. 81 Prozent der Deutschen halten laut einer Umfrage des Europaparlaments die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU für eine gute Sache. Das ist der höchste Wert seit 25 Jahren. 67 Prozent sollen zuversichtlich sein, was die Zukunft der EU angeht. Glaubt man diesen Zahlen, müsste selbst Befürwortern eines § 90c StGB auffallen, dass das Ansehen der EU in Deutschland kaum in Gefahr ist.

„Die EU in ihrer jetzigen Verfassung verkörpert längst nicht den Wert dessen, was man im klassischen Sinne unter Demokratie versteht.“

Darüber hinaus trifft der Gesetzesvorschlag aller Voraussicht nach die Falschen. Dass derartige Tatbestände Rechtsradikale nicht beeindrucken, kann man sich auf der Website der Partei Der III. Weg vor Augen führen. Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesrats, die Initiative durchzuwinken, wurde dort, mit dem Ziel, die Europaflagge zu verunglimpfen, zu einer Aktionswoche „Unser Europa ist nicht eure Union!“ aufgerufen. Für die besten drei Einsendungen wurden Preise ausgelobt. Bedauerlicherweise würden so aber auch politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger, jenseits rechtsradikaler Einstellungen, mit diesen in einen Topf geworfen. Wer die EU kritisiert, gilt schnell als rechts, nationalistisch oder gar rassistisch. Man erinnere sich beispielsweise an den Fall des Deliveroo-Fahrers, der seinen Job verlor, weil er sich im Smalltalk mit einem Kunden positiv zum Brexit äußerte. Wird die Verunglimpfung von EU-Symbolen unter Strafe gestellt, erschwert man EU-Kritikern den politischen Protest. Selbst wer in einem sozialen Netzwerk ein Bild teilt, auf dem beispielsweise die Sterne der EU-Flagge einen Off-Button andeuten, wird sich fragen: Darf ich das oder ist es bereits strafrechtlich relevant?

Die Europaflagge ist auch noch heute die Flagge des Europarats. Dementsprechend erstreckt sich der strafrechtliche Schutz dann auch auf diesen. Das ist absurd, denn inwiefern sollen Russland und die Türkei – beide Mitgliedsstaaten des Europarats – Werte wie Demokratie und Freiheit verkörpern, beziehungsweise Symbole des europäischen Friedens sein?

Der Fall verdeutlicht, dass viel Strafe wenig hilft, und der Umgang der Politik mit dem Strafrecht oftmals äußerst impulsiv ist. Man kann hier von „reflexhaftem Strafrecht“ sprechen. Ein Strafrecht, das in erster Linie medienwirksam auf Skandale reagiert, und eine Gesetzgebung, die reflexhaft nach mehr Strafrecht schreit.5 Der freiheitliche Gedanke der „ultima ratio“ geht dabei vollkommen verloren.

Prävention durch Verbot?

Sowohl die Argumente für die Einführung eines § 90c StGB als auch dessen Notwendigkeit sind fragwürdig und Ausdruck einer Politik, die Werte aufzwingen will, anstatt sich diskursiv mit ihnen auseinanderzusetzen. Statt über das Strafrecht zu versuchen, diese Werte der EU verbissen, und im Prinzip ausschließlich symbolisch, zu verteidigen, sollte man diese diskursiv begründen.6 Man sollte sich mit dem Demokratiedefizit der EU sowie deren freiheitsfeindlichen Tendenzen auseinandersetzen und sich grundlegend über ihre Zukunft Gedanken machen. Das ist jedoch nur möglich, sofern man sich der Bedeutung dieser Werte bewusst ist. Das scheint momentan leider weder bei den Vertretern der Großen Koalition noch bei denen der EU selbst der Fall zu sein.

„Statt über das Strafrecht zu versuchen, diese Werte der EU verbissen, und im Prinzip ausschließlich symbolisch, zu verteidigen, sollte man diese diskursiv begründen.“

Wenn Gemkow in seiner Wortmeldung zum Antrag vorträgt, § 90c StGB sei „eine klare Botschaft an potentielle Täter“, macht er deutlich, dass er das Strafrecht als Instrument zur Prävention sieht. Wenn vorgetragen wird, ein solcher Paragraph diene dazu, die EU „umfassend zu unterstützen“ und sei „ein klares Zeichen für Europa“, verrät dies, dass das Strafrecht hier als politisches Instrument hinhalten soll. Das läuft seiner eigentlichen Funktion, dem Rechtsgüterschutz, zuwider.

Die Präventionserwartungen von Strafrecht lassen sich niemals erfüllen. Insbesondere dann nicht, wenn es um ein gesellschaftspolitisch hochbrisantes Thema wie die Europäische Union geht. Der Vorschlag dient dem Anschein nach lediglich der Befriedung eines „Handlungsbedarfs“ und baut das Strafrecht zu einem flankierenden Instrument der Politik aus.7 Hinzu kommt, dass nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Anwendung einer Norm wie § 90c StGB sorgfältig zwischen Polemik und Beschimpfung  und böswilliger Verächtlichmachung andererseits unterschieden werden muss. Eine im 21. Jahrhundert denkbar schwierige Aufgabe.

Werte wie Demokratie und Freiheit schützt man nicht, indem man das Verunglimpfen von EU-Symbolen unter Strafe stellt. Diese Werte schützt man, indem man sie lebt und beweist, dass sie von Nutzen sind. Alles andere ist nur Symbolpolitik in Reinform. EU- und Bundespolitik könnten in diesem Fall ausnahmsweise einmal ihren Blick in Richtung der USA werfen. Wenig andere Länder stehen so sehr für republikanischen Flaggenpatriotismus. Dennoch darf die Flagge der USA dort beispielsweise zum Protest gegen die Bundespolitik verbrannt werden. Der Supreme Court hält alle Normen, die dies oder ähnliches sanktionieren, für unvereinbar mit dem First Amendment der US-Verfassung (Meinungsfreiheit). Immerhin äußerte sich die Opposition im Bundestag am 15. Januar geschlossen gegen die Einführung eines § 90c StGB.

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