11.03.2013
Die Tabak-Truman-Show
Analyse von Christoph Lövenich
Nach dem Willen der EU-Kommission sollen künftig Ekelbilder auf Zigarettenschachteln Konsumenten abschrecken. Doch die Bundesregierung scheint noch nicht überzeugt. Richtig so. Bei den Ekelbildern geht es um plumpe Angstmache, nicht um Aufklärung.
Von einem schwarzen Trauerrand umgeben, prangen seit 2003 Warnhinweise auf Tabakverpackungen in der EU. Keine Zierde fürs Produktdesign, aber man gewöhnt sich an vieles. Nun sieht der Entwurf der EU-Kommission für eine novellierte Tabakproduktrichtlinie [1] die nächste Stufe vor: nämlich europaweit die kombinierten Versionen, die neben Text auch eine Bebilderung enthalten, oft „Schockfotos“ oder „Ekelbilder“ genannt. Diese gibt es seit 2001 in Kanada, und mittlerweile in immer mehr Ländern, auch EU-Mitgliedsstaaten, wie Belgien, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich [2]. Auf Zigaretten- und Drehtabakpäckchen sowie deren Umverpackungen sollen 75 Prozent der Fläche für solche „kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweise“ (Art. 9 i.V.m. Art. 2 IX) reserviert sein, der Rest – abzüglich des Steuerzeichens – bleibt dann für die Produktgestaltung, wobei Markenname, Farbgebung und weitere Details künftig unter einem verschärften Regulierungsvorbehalt stehen sollen (Art. 12).
Die Botschaft hör ich wohl…
Der einzige objektiv faktenbezogene und neutrale Packungsaufdruck – Teer-, Nikotin- und Kondensatwerte, eine gute Orientierung für Raucher hinsichtlich der Stärke der Ware – soll verschwinden und ersetzt werden durch die abschreckend gemeinte Aussage „Tabakrauch enthält über 70 Stoffe, die erwiesenermaßen krebserregend sind“ (Art. 8). Vor wenigen Jahren war noch von 60 Stoffen die Rede [3], und nach internationalen und deutschen Maßstäben gilt nur ein Bruchteil davon als hinreichend erwiesene Humankarzinogene. Deren Konzentration galt noch bis vor kurzem an Arbeitsplätzen als zumutbar, aber das schreibt man lieber nicht dazu. [4] Schließlich geht es nicht um Tatsachen, sondern um die „[p]reiswerteste Gegenwerbung“ [5] gegen das Rauchen, die man betreiben kann, auf Kosten der Hersteller auf deren Produkthüllen. So sieht es das „WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle“ in Heidelberg, und ein WHO-Vertrag, nämlich die Tabakbekämpfungs-Rahmenvereinbarung (FCTC) stellt auch eine wesentlich von der EU-Kommission zitierte Begründung für die neuen Maßnahmen dar. [6] In Deutschland selbst war diese Regulierung auf Bundesebene nämlich bisher nicht durchsetzbar (2007 und 2009 verhinderten sie Proteste aus Reihen der CDU [7]. die jetzige Regierungsmehrheit hat keinerlei Anstalten dazu gemacht), und so wird der Weg über eine internationale Organisation sowie die EU beschritten, ein gängiges Verfahren, um ohne große nationalstaatliche Diskussion neue Verbote und Zwänge an den kleinen Mann und die kleine Frau zu bringen. Die „aufklärungsresistenten gesellschaftlichen Gruppen“, welche „selten oder gar nicht lesen“ [8] sollen über die Ekelfotos besser erreicht werden. Bist du nicht willig – so brauch‘ ich Bildgewalt!
Eine Bilddatenbank der EU [9] hält seit Jahren schon mögliche Motive auf Deutsch bereit, darunter unappetitliche Szenen von Operationen, verschrumpeltes Obst zum Thema Hautalterung, verfaulte Zähne – offensichtlich eine Frage der Dentalhygiene, nicht des Rauchens –, oder eine gruselige Geschwulst am Hals eines Mannes, die bei keinem Raucher oder Nichtraucher auftritt, der sich alle paar Jahre in dringenden Fällen einen Arztbesuch leisten kann. In einem Bild findet sich sogar ein Totenkopf wieder, jenes Symbol, das bereits Adolf Hitler seinerzeit auf Tabakverpackungen drucken lassen wollte. [10] Apart: Auch der Kontrast zwischen weißer und dunkler Lunge gehört zum Repertoire, ein besonders dreister Fall von Volksverdummung. „Es gibt keine Raucherlunge“, stellt dazu der Leiter der Rechtsmedizin an der Berliner Charité, Prof. Michael Tsokos, klar. „Die Lunge von einem, der 20, 30 Jahre lang geraucht hat, sieht genauso aus wie von einem, der sein Leben lang an der Autobahn oder in Berlin gewohnt hat.“ [11] Ein Bild lügt mehr als tausend Worte.
Wirksamkeit bewiesen?
Das Ziel, dem „beängstigende und/oder abstoßende Bilder“ dienen sollen, ist die Tabakabstinenz durch Raucher, die aufhören, Nichtraucher, die gar nicht beginnen oder Ex-Raucher, die nicht rückfällig werden. Offiziell wird dabei immer wieder auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse verwiesen, die eine solche Wirkung belegen sollen. „Sie finden immer Wissenschaftler, die am Ende ihnen beweisen, was sie vorhaben“, äußerte hierzu schon zutreffend der ebenso erfahrene wie bodenständige CDU-Bundestagsabgeordnete Willi Zylajew bei der Debatte um eine nationale Einführung der Ekelbilder 2007, „das ist eine Frage des Honorars”. [12] Bei näherem Hinsehen gelangt man in der Tat zu genau diesem Ergebnis. Die einschlägigen Studien leiden unter zumeist unter einer oder mehrerer der üblichen Krankheiten der Antiraucherforschung: mangelnde statistische Signifikanz, ungenügender Einbezug relevanter Variablen, unklare Kausalitäten, keine Messung der entscheidenden Aspekte, keine ausreichenden Belege für die politisch opportunen Schlussfolgerungen usw. Vor allen Dingen wurden oft nur behauptete Absichten von Befragten und Fokusgruppen gemessen, nicht jedoch tatsächliche Verhaltensänderungen. Dabei zeigen gerade die Raucherstatistiken, dass durch die Einführung entsprechender Maßnahmen keineswegs die Zahl der Tabakkonsumente in den jeweiligen Ländern zurückgehen muss, auch nicht bei Jugendlichen. Bei einigen können die Schockfotos sogar den Status von hippen Sammelbildchen erlangen, die man in seiner Kollektion vereinigen möchte. [13] Ferner geht der Schuss bei vielen Konsumenten auch ganz nach hinten los: Für risikoaffine Menschen steigt durch solche Warnungen die Attraktivität des Rauchens, die verbotene Frucht wirkt verheißungsvoller, manche reagieren reaktant, greifen also erst recht zur Tabakware. Ansonsten verdrängt man die unangenehmen Antirauchwarnungen, und über die Zeit schleift sich die Wirkung ohnehin ab. Zu einer echten Verhaltensänderung kommt es allenfalls durch das Überziehen einer positiver gestalteten Hülle. [14] Aber da zeigt sich wiederum, dass absurde Regulierung immer einen Rattenschwanz weiterer Regulierung nach sich zieht: Die australische Ärztevereinigung hat bereits für ein Verkaufsverbot solcher Hüllen plädiert. [15]
Auswirkungen
Im Grunde kommt es für die Tabakbekämpfung auf diese (scheiternde) behauptete Wirksamkeit der Fotos gar nicht an, entscheidend ist der Geländegewinn durch die Beherrschung der Packungen und die Bildgebung sowie der Effekt auf Nichtraucher. „Damit soll bei den Nichtrauchern Hass und Ekel gegen die Raucher erzeugt werden“, schreibt der Schweizer Raucheraktivist Christoph Suter. Zur Erreichung des WHO-Traumes von der Welt ohne Tabakkonsumenten „[müssen] die Raucher erst einmal stigmatisiert und zu randständigen Ekelmenschen degradiert werden“. [16] Zweifelsohne wird auch das nichtrauchende Umfeld der Packungskäufer zum unfreiwilligen Publikum der unappetitlichen Agitation und damit in Mitleidenschaft gezogen.
Für die rauchenden Menschen selbst könnten die Folgen dramatischer sein. Abscheu und vor allem Angst, wie man sie ja ausdrücklich erzeugen will, fügen der Gesundheit Schaden zu, genauso wie der Nocebo-Effekt. Dabei handelt es sich um das Gegenteil der Placebo-Wirkung, also die Entstehung von Krankheiten durch den festen Glauben an ihr Eintreten. Selbst im notorisch paternalistisch-volkspädagogischen öffentliche Rundfunk wurde in Form einer Wissenschaftssendung schon festgestellt, dass einschlägige Behauptungen bei „den Konsumenten die Erwartung [wecken], tatsächlich an Lungenkrebs zu erkranken. Und das macht die Entstehung eines solchen Krebsleidens möglicherweise nur noch wahrscheinlicher.“ [17]
In der Wahl ihrer Mittel war die Tabakbekämpfung aber noch nie zimperlich. Wer ihr nicht gehorcht, also mit dem Rauchen aufhört oder es gar nicht beginnt, der muss eben („früher“) sterben, das war schon immer ihre simplifizierende Botschaft. Und die hat sich festgesetzt, auch wenn sich seit der Einführung der Industriezigarette in Deutschland die hiesige Lebenserwartung immerhin verdoppelt hat. Statt auf Ratio setzt man ohnehin auf Emotionalisierung, der differenzierten Wissenschaft zieht man schlichte Parolen und Bilder vor.
Truman
Diese Angstmache erinnert an den amerikanischen Kinofilm „Die Truman Show“ [18], in dem der Protagonist ahnungslos sein Leben in einem riesigen Fernsehstudio verbringt und mit subtilen Mittel davon abgehalten wird, auf die reale Welt außerhalb zu stoßen. So inszenieren die Produzenten etwa den Ertrinkungstod seines (fiktiven) Vaters, um ihm so eine traumatische Angst vor Wasser einzutrichtern. Auch stößt er in seinem Umfeld permanent auf die angeblich tödlichen Gefahren und die Nutzlosigkeit des Verreisens. Selbst im Reisebüro finden sich dazu Warnplakate. In den Augen der Sendungsmacher sind alle Manipulationen natürlich nur zu Trumans Besten. Genauso funktioniert die Ekelpropaganda beim Tabak: Jemand weiß am besten, was gut für den Menschen ist, will weitgehenden Einfluss über dessen Verhalten gewinnen und ein vermeintliches Paradies kreieren, wobei er sich haarsträubender Einschüchterungsmethoden bedient; das Ertrinken ist der Krebs, das Reisebüro das Zigarettenpäckchen, der Tabak die große weite Welt jenseits der Kuppel des Fernsehstudios. „Die Angst sagt: Lass es. Die Freiheit sagt: Sei ein Entdecker!“ [19] Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Tru(e)man – der wahre Mensch – lässt sich letztlich nicht von der Angst niederhalten, und er entwickelt auf Dauer eine sehr gesunde Skepsis gegenüber solch durchsichtigen ‚Warnungen‘. Da Raucher richtigerweise den Regierungen bei diesem Thema nicht sonderlich trauen [20] , verzichtet man – wie den letzten Jahren auch schon beim Text – auf eine Quellenangabe bei der kombinierten Text-Bild-Propaganda (früher: „Die EG-Gesundheitsminister warnen“). Dies entspricht der diesbezüglichen WHO-Empfehlung, durch Quellenhinweise nicht noch mehr zur Unglaubwürdigkeit der eigenen Behauptungen beizutragen. [21]
Abschließender Warnhinweis
Neben der Beleidigung der Verbraucher, die den irreführenden Ekelfotos ausgesetzt sind, stellt die verstärkte Verunstaltung der Schachteln einen inakzeptablen Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit der Hersteller dar, die längst nicht mehr Herr über Inhalt und ihrer Ware sind. Da es die in der US-amerikanischen Verfassung garantierte Meinungsfreiheit unzulässig beschneidet, wenn man gegen seinen Willen zu Äußerungen gezwungen wird, hat im vergangenen Jahr ein hohes US-Berufungsgericht die Schockbilder vor der Einführung gestoppt. Zwar haben sich in der Rechtsprechung Ausnahmen für Warnhinweise durchgesetzt, diese sollten aber (jedenfalls dem Anschein nach) rein faktenbasiert gestaltet sein, eine Linie, die auch für das Gericht offenkundig überschritten war. Auch fand das Gericht die vermeintlichen Belege für die Wirksamkeit auf den Konsumenten nicht überzeugend (s.o.) und stellte die Frage in den Raum, wie weit eine Regierung gehen darf beim Versuch, ihre subjektive, wenn nicht gar ideologische Meinung (hier: über das Tabakrauchen) anderen aufzuzwingen. [22] Derartige Abwägungen werden vom Europäischen Gerichtshof der EU (EuGH) wohl so leider nicht zu erwarten sein.
Die primitive Angstmache und unwissenschaftliche Beeinflussung durch die Ekelfotos lässt sich nicht mit dem hohen Gut der individuellen Freiheit, auch in der persönlichen Lebensführung, vereinbaren. Die Regierenden lassen dabei Respekt vor der Bevölkerung, Anstand und jegliche Hemmungen vermissen. Sie rufen damit auch Nachahmer auf den Plan, etwa eine kanadische Ärztevereinigung, die am liebsten auch Schokomilch, Pommes Frites, Pizza und Erfrischungsgetränke mit Horrorbildern bestücken wollen. [23] Vielleicht tritt bald die Vision des schwäbischen Kabarettisten Werner Koczwara ein, dass Brühwürfel-Verpackungen so groß werden müssen wie die von Cornflakes, damit alle Warnhinweise Platz finden. Ein Warnhinweis aber hat seine Berechtigung: „Diese Politik fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.“