17.11.2016
Karneval der Kulturen
Analyse von Christoph Lövenich
Mexikanerkostüme und Rastazöpfe werden als inakzeptable „Cultural Appropriation“ gebrandmarkt. Hinter solchem Aktivismus steckt irregeleitetes Traditions- und Rassendenken.
Vorbei die Zeit, als man noch unbekümmert Indianer spielen durfte oder sich als solcher verkleiden. Wenn der Nicht-Indianer, pardon: Nicht-Native-American, zum Federschmuck greift, womöglich noch mit dem Kriegsbeil in der Hand, nennt man das neuerdings „Cultural Appropriation“. Das Political-Correctness-Lexikon der Studentenzeitschrift Unicum übersetzt den Begriff als „Aneignung kultureller Merkmale einer ethnischen Gruppe".
Nach Mikroaggressionen, Safe Spaces und Trigger Warnings kommt auch dieser Trend von jungen identitätspolitischen Aktivisten an US-amerikanischen Hochschulen. Es sei problematisch, die traditionellen Insignien anderer Gruppen zu kopieren, da man sich so in Richtung Rassismus bewege oder jedenfalls die Gefühle Betroffener verletze. Hellhäutige Amerikaner hätten z.B. eine Art Erbschuld für die Ermordung von US-Ureinwohnern (offenbar selbst, wenn ihre Vorfahren erst später eingewandert sind) und daher sei einschlägige Kostümierung unstatthaft.
Das Aufsetzen von Sombreros bei einer Mexiko-Mottoparty an einer US-Hochschule wurde zum Problem stilisiert, und Schauspielerin Vanessa Hudgens (selbst von gemischter ethnischer Abstammung) bekam letzten Monat Ärger, weil sie auf einem Foto Rastazöpfe trug, was sich offenbar nur für Schwarze geziemt. Dass Hillary Clinton in einem Wahlkampfmedium spanischsprachige Begriffe benutzt hatte, wurde ihr als unangemessener Umgang mit Latinos ausgelegt. Angehörigen des prominenten Kardashian-Clans wurde insgesamt 18 Mal Cultural Appropriation vorgeworfen, etwa das Tragen von Dreadlocks, Indianerschmuck oder das Ablichten von als Ölscheichs verkleideten Partygästen. Ironischerweise gehört zu dieser Patchwork-Familie Caitlyn Jenner, die bis vor kurzem Bruce hieß und für seine/ihre Geschlechtsumwandlung von neulinken Aktivisten massiv gefeiert wurde. Die Aneignung eines anderen Geschlechts ist also legitim.
Video: Cowboy und Indianer (Olaf Henning), Lied von 2007.
Die Welle schwappt bereits ins alte Europa. Ein hellhäutiger Rapper in Großbritannien wurde der „Vergewaltigung schwarzer Kultur“ bezichtigt, eine britische Supermarktkette bekam Ärger, weil sie zu Halloween auch Kostüme im Stil des mexikanischen Tages der Toten angeboten hatte – was einer unzulässigen kulturellen Vermischung verschiedener Feste gleichkäme. Warum man sich allerdings an der Universität Florida zu Halloween nicht als Gorilla verkleiden sollte, bleibt etwas im Dunkeln. Anscheinend hat es mit dem vor einem halben Jahr in den USA getöteten Affen Harambe zu tun, dessen Name aus dem Suaheli stammt, was seine Verwendung gegenüber schwarzen Amerikanern aus irgendeinem Grund problematisch mache.
Dem Ganzen liegt ein Verständnis von statischen Kulturen und an Abstammung gekoppelten Traditionen zugrunde. Ein Autor namens Sam White (!) weist darauf hin, dass Kulturen niemandem gehören und daher nicht unberechtigt entwendet werden können: „Das gehört zum Evolutionsprozess. Das ist Fortschritt. Es geht dabei um das sich ständig erweiternde intellektuelle und soziale Vermöge, das der menschlichen Zivilisation jede einzelne ihrer faszinierendsten Errungenschaften ermöglicht hat. Die beste Musik, die beste Literatur, die größten wissenschaftlichen, technischen und politischen Fortschritte – sie alle sind in nicht einem Vakuum entstanden, sondern wurden durch einen Prozess der Fremdbestäubung, der Zusammenarbeit und der Mischung erzielt. Und auch durch Uneinigkeit – durch Herausforderungen, harte Debatten, und gnadenlos in Mitleidenschaft gezogene Gefühle.“
Daran mangelt es mittlerweile. „Nicht offene Meinungsäußerung“ regiere am Campus, klagt ein US-Student, „sondern Sensibilität.“ Journalist Stefan Laurin schreibt: „Eine durch das Stahlgewitter der Political-Correctness-Diskurse gegangene Generation von hypersensiblen Akademikern ist heute perfekt darin, jede offene und kontroverse Diskussion schon im Ansatz zu ersticken, sodass die Inhalte kaum noch debattiert werden können, weil die sprachliche Form ihnen gleich- wenn nicht höher gesetzt wird“. Die Generation Schneeflocke, argumentiert der oben zitierte White, fühle sich zwar schwach, die meisten Menschen müssten aber vor nichts geschützt werden und sollten schon gar nicht in Identitätsschubladen geparkt werden.
„Die neuen Rassisten nennen sich Antirassisten.“
Was die ethnische Komponente angeht, fühlt sich White an Rechtsextreme erinnert, die eine ähnliche Rassenobsession pflegen. Von einem „Ethnopluralismus von links“ spricht die Wochenzeitung Jungle Word: „Statt sich zuerst mit den Minderheiten innerhalb der Minderheiten zu solidarisieren, die als Frauenrechtlerinnen, Linke, Intellektuelle, Homosexuelle, Atheistinnen und Menschenrechtler oft unter Lebensgefahr das Regelwerk ihrer jeweiligen Zwangskollektive in Frage stellen, werden immaterielle Güter wie Tradition, Kultur und Religion unter einen Artenschutz gestellt, der jegliche Aneignung und Kritik delegitimiert.“ [...] „Der positive Bezug auf Gruppenidentitäten“ ermuntere Bewegungen wie Pegida, von ihrer Warte aus das Gleich zu tun. Fazit: „Der real existierende Antirassismus ist auf diese Weise dabei, in sein Gegenteil umzuschlagen.“
Früher war es Neonazis vorbehalten, weiße Mitbürger „Wigger“ (von „White Nigger“) zu nennen, wenn diese sich musikalisch oder anderweitig kulturell den amerikanischen Schwarzen angenähert hatten. Die Liebe zur „Negermusik“ war schon immer Zeichen des Aufgebehrens gegen spießbürgerliche Enge, wie in den 1950ern bereits Norman Mailer in seinem Werk „The White Negro“ ausführte. (Daher rührt übrigens die Bezeichnung „Hipster“, lange vor den vollbärtigen Teilzeitveganern des 21. Jahrhunderts.) Heute reicht eine Afro-Frisur aus, um von Aktivisten der Neuen Linken angemacht zu werden. Die neuen Rassisten nennen sich Antirassisten.
Einen Ausfluss dieses identitätspolitischen Kulturaktivismus konnten wir jüngst auch in Deutschland erleben. In der TV-Show „Verstehen Sie Spaß?“ trat Moderator Guido Cantz in einem Einspielfilm mit schwarzbemalten Gesicht auf. Die Empörung, u.a. von der Initiative Schwarze Deutsche, folgte auf dem Fuß. Das sogenannte Blackfacing „gilt eben als No-Go“, schreibt die Welt in einem differenzierten Artikel. „Man macht es einfach nicht.“ Stopp, das gilt so für Deutschland nicht ohne weiteres. Blackfacing hat in den USA durchaus eine rassistische Geschichte, statt schwarze Schauspieler zu beschäftigten, griff man lange auf gefärbte Hellhäutige zurück. Auch die ostasiatischen Filmreihenhelden „Charlie Chan“ und „Mr. Moto“ wurden noch in den 1930er Jahren vom Schweden Warner Oland und von Peter Lorre aus der Donaumonarchie gespielt. Ohne solch großen Ballast kann man hierzulande etwas unbefangener damit umgehen, und tut es auch, sogar in Anwesenheit der Bundeskanzlerin.
Video: „Ich lass' mir meinen Körper schwarz bepinseln“ (Max Raabe), Lied ursprünglich von 1930.
Proteste nehmen aber zu. Ob nun gegen Dieter Hallervorden, an dessen Theater ein Stück mit einem Blackface-Darsteller aufgeführt wurde, und der für die Berliner Verkehrsbetriebe die Station „Mohrenstraße“ angesagt hat. Oder in der Fastnacht/im Fasching. In Köln, wo der erwähnte Cantz als Büttredner tätig ist, existieren mehrere Karnevalsvereine, die die dunkle Gesichtsbemalung – als traditionelle Kultur! – praktizieren, so die „Original Negerköpp vun 1929“ oder auch „De Poller Böschräuber vun 1976“. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften hatte als Spaßbremse vor ein paar Jahren seinen Unmut geäußert – und die Karawane zieht weiter.
Vielleicht stehen uns in ein paar Monaten, beim Höhepunkt des närrischen Treibens 2017, Diskussionen über Cultural Appropriation ins Haus. Falsch wäre, dem durch politisch korrekte Kostüme aus dem Weg zu gehen. Richtig wäre, das verquere Denken in Ethnokategorien und Kulturbesitz anzugreifen. Und im Karneval darf sowieso jeder mitfeiern, unabhängig von Abstammung oder Frisur.