21.10.2016

Dickes Minus für Plusminus

Kommentar von Christoph Lövenich

Höhere Steuern auf Alkohol und Schockbilder auf Flaschen? Ein einseitiger ARD-Beitrag betreibt Stimmungsmache.

Dokumentationen und Magazine im öffentlich-rechtlichen Rundfunk dienen nicht selten der Stimmungsmache. Ob zur Atomkraft, Gentechnik, Tierhaltung oder Glyphosat– einseitige Berichterstattung und Empörung sind zumeist garantiert. An die Stelle kritischer Berichterstattung treten zunehmend zeitgeistkonforme Stellungnahmen, die die öffentliche Meinung beeinflussen sollen.

Als aktuelles Beispiel unter vielen kann ein Beitrag des ARD-Magazins Plusminus von vergangener Woche dienen. Im Fadenkreuz: Der Alkohol bzw. sein Preis. Günstige Konsumgüter für die breite Masse sind in den gesellschaftlichen Milieus, in denen sich die meisten Mainstream-Journalisten tummeln, nicht gerade populär. Die künstlich verteuerte Stromrechnung ist kein Thema, stattdessen rümpft man die Nase über billiges Fleisch und billige Süßigkeiten, die sich jeder leisten kann. Oder eben über gehaltvolle Getränke.

Der 15-minütige Beitrag über die „gefährliche Droge“ Alkohol will uns das angebliche Problem verkaufen (Nachteile durch Alkoholkonsum, obwohl dieser seit Jahren sinkt) und hat dann natürlich auch die vermeintlich passende Lösung parat, insbesondere eine massive Verteuerung alkoholischer Getränke. Dass alkoholisierte Personen in Notaufnahmen von Krankenhäusern landen, ist nichts Neues. Die Zahlen schwanken, eine Tendenz zur Zunahme in der jüngeren Vergangenheit beruht vor allem darauf, dass man manche Volltrunkene nicht mehr wie früher einfach nach Hause bringt, wo sie ihren Rausch ausschlafen können. Dass der Beitrag trockene Alkoholiker zeigt, trägt auch nicht zur Erhellung bei. Die gab es schon immer und die zahlenmäßige große Fallhöhe zwischen Konsumenten und „Süchtigen“ legt bereits nahe, dass derartige Schwierigkeiten nichts mit der Substanz zu tun haben. Psychische und soziale Faktoren suchen sich ihr Mittel.

„Unterschiedliche Meinungen kommen nicht zu Wort, sondern die üblichen Verdächtigen."

Unterschiedliche Meinungen kommen im Beitrag nicht zu Wort, sondern die üblichen Verdächtigen der Anti-Alkohol-Front waren zum Schaulaufen geladen. Der Mediziner Helmut Seitz, der sich als Mahner vor dem Teufel Trunk gefällt, präsentiert jedem Fernsehteam gerne Patienten und Fälle, deren Krankheiten er auf Alkoholgenuss zurückführt. Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) wird für ihre Tätigkeit als Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2005-2009) gelobt. Damals war die frühere Sachbearbeiterin aus dem Westerwald die Karriereleiter schnell hochgefallen und hatte sich als ungestüme – in den Augen ihrer Kritiker wildgewordene – Kreuzritterin insbesondere gegen Alkohol und Tabak profiliert.  Ihr nur begrenzter Erfolg in diesem Amt lässt sich für die Sendungsmacher natürlich nicht auf politischen Meinungen oder den gesunden Menschenverstand der entscheiden Mehrheiten zurückführen, sondern ist selbstverständlich der „Alkohollobby“ anzulasten. Von der ist mehrfach die Rede, man fühlt sich in die Hochzeiten der US-amerikanischen Prohibitionswahlkämpfe zurückversetzt.

Der Ökonom Tobias Effertz gehört ebenfalls zur Riege der sowohl gegen Tabak als auch gegen Alkohol agilen Kämpfer. Und eine „Zucker-Fett-Steuer“ hält er für ebenso notwendig.
Die Publikationsliste des Privatdozenten an der Uni Hamburg strotzt vor Werken, an deren Titeln man seine ideologische Haltung ablesen kann. Das impliziert, dass wir es nicht mit einem Wissenschaftler, sondern mit einem Missionar zu tun haben. Effertz ist ein Schüler des zwischenzeitlich in den Ruhestand getretenen Professors Michael Adams, der sich dem Kampf gegen die genannten Produkte sowie gegen Glücksspiel verschrieben hat. Bei letzterem Thema wirkt Effertz kaum mit, das übernimmt ein anderer Adams-Schüler, Ingo Fiedler. Die „Forschung“ der Drei besteht aus politischen Forderungen und ihrem rechnerischen Unterbau; als „Experten“ einschlägiger Seiten treten sie wie andere Lobbyisten auch in Parlamentsanhörungen auf.

„Man berechnet zwar den immateriellen Schaden, nie aber den immateriellen Nutzen."

Wichtiger Hebel der Adams-Family: quantifizierte immaterielle Kosten des Rauchen, des Glücksspiels oder hier des Trinkens. Den Effertz-Zahlen zufolge müsste nach Berechnungen von Plusminus eine Flasche Bier ca. 1,70 Euro, eine Flasche Wein 5 Euro und eine Schnapspulle 13 Euro mehr als bisher kosten, würden die gesamten Folgekosten internalisiert. Bei der Zigarettenschachtel hatte Adams das vorexerziert, von den sozialen Kosten schlugen allerdings nur gut 1 Prozent bei der Allgemeinheit zu Buche, der Rest waren fiktive Kosten für Raucher und ihre Ehepartner. Für „Schmerz und Leid“ durch Alkoholprobleme, wie sie Effertz auf Trinkflaschen umrechnet, gilt das gleiche Prinzip. Im Übrigen würde eine „gründliche Erhöhung der Alkoholsteuern“, wie er sie verlangt, gerade nicht den ‚Leidenden‘ zugutekommen, sondern ihnen würde zusätzlich Geld abknöpfen. Ein weiterer Denkfehler dieses populären Argumentations-Konstrukts der Lifestyle-Paternalisten liegt darin, dass man zwar den immateriellen Schaden (mit großer Willkür) berechnet, nie aber den immateriellen Nutzen – Genuss, Geselligkeit, Eigentherapie usw.

Plusminus deutet an, neben Steuererhöhungen könnte man auch Schockfotos auf den Etiketten verwenden – ähnlich den Ekelbildern auf Tabakpackungen. So kommt eins zum andern. Und Testkäufe durch Jugendliche. SPD-Gouvernante Bätzing-Lichtenthäler wird im Beitrag gezeigt, wie sie bei solchen anwesend ist – und soll sich bestätigt fühlen, als einer Supermarkt-Kassiererin ein Bußgeld von 50 Euro aufgebrummt wird, weil sie einer jugendlichen Testkäuferin Schnaps verkauft hat. Früher konnte man als Minderjähriger noch ohne weiteres eine Flasche für den Opa erwerben, heute müssen Verkäufer im Einzelhandel als unbezahlte Erfüllungsgehilfen staatlicher Verbotsgesetze dienen. Und statt zu trinken, sollen Jugendliche nach dem Willen der Bätzing-Lichtenthälers in der Freizeit lieber als Polizeispitzel arbeiten. Im späteren Leben winkt dann vielleicht eine Karriere beim öffentlichen-rechtlichen Rundfunk oder als Propagandawissenschaftler.

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