08.08.2024

Wer ist hier krank?

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Danielteolijr via Wikimedia / CC BY-SA 4.0

Der Horrorfilm „Sick“ von 2022 zeichnet ein Sittenbild der beginnenden Corona-Transformation. Den tödlichsten Schrecken verbreiten dort übrigens Messermänner.

Anfang April 2020, ein Supermarkt in den USA: Menschen mit Masken (die in Deutschland erst Wochen später so viele wurden), teilweise leere Regale, eine Durchsage, der zufolge man bitte bargeldlos zahlen möge und Pfeile auf dem Boden, die die Laufrichtung vorgeben sollen. Schon länger leben wir zunehmend in einer Navi-Gesellschaft, wo viele sich von Anweisungen abhängig machen, aber solche Bewegungsdirektiven haben dem die Krone aufgesetzt. Draußen vor dem Supermarkt, an der frischen Luft, wird man dumm angemacht, wenn man keine Gesichtswindel trägt. So beginnt „Sick“, ein amerikanischer Horrorfilm, der 2022 seine Premiere feierte.

2021 gedreht, bezieht er sich auf die frühe Phase der Corona-Transformation, auf die plötzliche Panik-Pandemie von globaler Tragweite. Gerade gelten für 97 Prozent der USA Beschränkungsverordnungen, die sie zum Daheimbleiben animieren sollen. Im Fernsehen wird mehrfach der dortige Chefcoronist Tony Fauci zitiert, der kürzlich noch vor dem Kongress gestehen musste, dass die Abstandsregel von sechs Fuß (ca. 1,80 Meter) aus dem Nichts erschaffen wurde, ohne wissenschaftliche Fundierung.

Die Hauptfigur des Films, eine College-Studentin, begibt sich mit einer Freundin (gefolgt von einem Bekannten) in die Edel-Quarantäne des familiären Landhauses. Das liegt am See und lässt an Luxus nichts zu wünschen übrig. Gediegen geht die Welt zugrunde. Schließlich heißt die Hauptdarstellerin Adlon – der Name verpflichtet. Gideon Adlons Urururgroßvater begründete tatsächlich einen Berliner Beherbergungsbetrieb, ihr Opa Percy Adlon drehte als Regisseur Filme wie „Zuckerbaby“ und „Out of Rosenheim“, während sie mütterlicherseits jüdische Vorfahren vorweisen kann.

Im idyllischen Haus beginnt der Schrecken durch einen schwarz gekleideten Vermummten, der gleich jemanden absticht. Ein psychisch gestörter Einzelfall? Oder sind dunkle Messermänner am Ende doch gefährlicher als das Virus? Tatsächlich – Achtung, Spoiler! – haben wir es sogar mit zwei Messermännern zu tun. Hier gelingt Regisseur John Hyams sowie den Drehbuchautouren Kevin Williamson und Katelyn Crabb ein Clou. Was die Klingen angeht, ist der Zuschauer durch Genre-Reihen nämlich auf Einzeltäter wie Michael Meyers („Halloween“), Jason Voorhees („Freitag, der 13.“) oder Freddie Krueger („A Nightmare on Elm Street“) konditioniert. Beide Täter wirken mit ihren Masken und ihrer Kleidung wie Angehörige der Leipziger Antifa. Und sind, bevor noch falsche Verdächtigungen auftauchen, auch so weiß wie fast alle dort.

„Wer ist hier eigentlich ‚sick‘? Das Individuum oder die Gesellschaft? Die Unmaskierten mit dem Virus oder die Maskierten mit dem Messer?“

Dann tritt eine Dame auf, die das Alter der „Omas gegen rechts“ noch nicht ganz erreicht hat. Wiederum Spoiler: Die Täter sind zwei Eltern und ihr Sohn, die den Tod ihres jüngeren Sprößlings bzw. Bruders rächen wollen. Den hatte die Hauptfigur nämlich auf einer Party beim Knutschen angesteckt, wie die Familie auf dem Wege der Kontaktnachverfolgung herausgefunden haben will. Und dann sei der junge Mann am Virus verstorben. Etwaige „Vorerkrankungen“, die das ansatzweise plausibilisieren könnten, werden allerdings nicht genannt.

Auch ein junger Mann, der in der Infektionskette oberhalb der Hauptfigur gestanden haben soll, war den Messernden bereits zum Opfer gefallen. Und vor den anderen aus der Luxushütte macht man ebenso wenig halt. Selbst schuld, so die Mutter, denn: „Laut den Quarantäneregeln macht man eine Isolation allein.“ Genau, Vorschrift ist Vorschrift, der große deutsche Anteil am US-Genpool schlägt eben manchmal durch. „Übernimm Verantwortung für deine Selbstsucht!“ herrscht sie die Studentin an – wir kennen das: ‚Solidarität statt Egoismus‘ oder so. Sie hätte doch beim Rummachen mit ihrem Sohn eine Maske tragen können. Warum er denn keine getragen hat, lautet die Gegenfrage. Aber dann müsste man sich ja selbst an die eigene Nase fassen.

Als Beweis für die ‚Schuld‘ der jungen Frau gilt der Mutter ein positives Testresultat, nachdem sie ihr das Stäbchen tief in die Nase gerammt hat. Die war allerdings gesund, als sie das Virus übertragen haben soll. Das Märchen von der asymptomatischen Ansteckung spielte gleich zu Anfang der pandemischen Dystopie eine große Rolle. Inzwischen wissen wir: Manche Menschen sind sogar asymptomatisch rechtsextrem.

Das führt zur Schlüsselfrage des Films: Wer ist hier eigentlich „sick“? Das Individuum oder die Gesellschaft? Die Unmaskierten mit dem Virus oder die Maskierten mit dem Messer? Mit Grüßen an Rosa von Praunheim und Martin Dannecker: „Nicht der Asymptomatische ist krank, sondern die Situation, in der er lebt“. Da die Handlung sich 2020 ereignet, kommt die für die globale Dramaturgie entscheidende Spritze noch nicht vor. Sonst würde sich die Frage nach Krankheit wieder anders stellen.

„Die Vogelgrippe kommt angeflogen. Hitchcock, übernehmen Sie!“

Welches Schicksal den Prot- und Antagonisten im weiteren Verlauf widerfährt, sei hier nicht verraten. Ein solider Genrestreifen, dem Anerkennung dafür gebührt, diese Phase des postmodernen Irrsinns für die Nachwelt festgehalten zu haben. Das haben Filmschaffende bisher nämlich in aller Regel vermieden. Auf deutsche Filme bezogen sprach Tatort-Regisseur Dietrich Brüggemann daher schon 2022 von einem „Eskapismus erster Güte“.

Was auf Leinwand und Bildschirm in diesen Jahren ausgeblendet wurde, zeigte sich hinter der Kamera in umso deutlicherer Konsequenz. Masken-, Test-, und Abstandszwänge am Set, später Zugangsdiskriminierung. Schauspieler Volker Bruch („Babylon Berlin“), der mit Brüggemann bei der Kampagne #allesdichtmachen zusammengearbeitet hatte, musste sich bei Dreharbeiten Kritik wegen seines Maskenbefreiungsattests anhören. Die Österreicherin Eva Herzig musste beim „Steirerkrimi“ aussteigen, weil sie sich nicht spritzen ließ. Ihren australischen Kollegen Ingo Rademacher schmiss Disney aus gleichem Grund aus der berühmten Krankenhaussoap „General Hospital“ (nachdem man ihn seines Erachtens wegen seiner politischer Meinung eh loswerden wollte). Beim SWR musste Grande Dame Ursula Cantieni möglicherweise deshalb gehen, auch bei Entertainment-Legende Harald Schmidt war das Thema. Und noch im zweiten Quartal 2023 seien Masken, Tests & Co. bei Dreharbeiten der behördlichen Rundfunkanstalten üblich gewesen – aus „versicherungstechnischen Gründen“.

Auch wenn das wie ein Rückblick scheint, ausgestanden ist diese Periode noch keineswegs. Maskenzwang für Medienvertreter bei der diesjährigen Tour der France, australische Schwimmer, die gesichtsverhüllt zu den Olympischen Spielen erscheinen – der Horror geht weiter. Und die Vogelgrippe kommt angeflogen. Hitchcock, übernehmen Sie!

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