08.12.2016

Die Weißen als neue Unterschicht

Analyse von Brendan O’Neill

Titelbild

Foto: John Duffy via Flickr / CC BY 2.0

Verschärftes Weißen-Bashing wie gegenüber Trump-Wählern drückt eine alte elitäre Furcht vor der Unterklasse aus, die man jetzt in politisch korrekte Sprache hüllt.

So lustig der Anblick von Anti-Trump-Demonstrationen auch sein mag, auf denen weiße Menschen Plakate tragen, die über weiße Menschen herziehen, und weiße Kolumnisten zu lesen, welche über weiße Wut wüten, und weiße Frauen zu betrachten, die sich über weiße Frauen empören, die Trump gewählt haben, ist es an der Zeit, die Obsession der modernen Linken mit Weißen zu beenden.

Denn nach Trumps Wahl ins Weiße (!) Haus wurde klar, was all dieses „Weiße-Leute“-Gerede wirklich bedeutet. Es handelt sich dabei keineswegs um einen radikalen, post-rassistischen Versuch, aufzudecken, wo die Macht in der Gesellschaft liegt und wie man sie in Frage stellen könnte. Im Gegenteil, wir haben es hier mit einem rassisch aufgeladenen, entmenschlichenden Ausdruck einer Klassenverachtung von gut vernetzten Weißen (und ein paar Nicht-Weißen) gegenüber den ‚falschen‘ Weißen zu tun. Bösen Weißen, gedankenlosen Weißen, den unterbelichteten oder unwürdigen Armen – oder was in Zeiten, als der widerwärtige Elitismus wenigstens noch den Anstand hatte, offen zutage zu treten –„die Unterklasse“ genannt wurde.

Seit Trumps Wahlsieg sind alle Augen, gefletschten Zähne und Krallen auf weiße Menschen gerichtet worden. 58 Prozent der weißen Wähler, einschließlich 23 Prozent der weißen weiblichen Wähler, waren scharf auf Trump. Da setzte die Wut auf die Weißen ein. Reihenweise sind „Liebe Weiße“-Briefe erschienen, fraglos der unangenehmste Trend im modernen Journalismus. Einer erinnerte Trump-Wähler, die sich selbst als „gute Weiße“ betrachten, daran, dass die menschliche Geschichte voller Beispiele ist, wo ‚gute‘ Menschen […] ihren Mitbürgern schlimme Dinge zufügt haben“. Also könntest du in Wirklichkeit ein schlechter Mensch sein, du weißt es nur nicht, weil du zu dumm dafür bist.

„Anscheinend kontrollieren und ruinieren weiße Männer die Wirtschaft, das Internet, und alles andere.“

Andere beklagten den „weißen männlichen Zorn“, der Trump ins Weiße Haus gehievt hat. Es gab viel weit verbreitete Missbilligung über „weiße Privilegien“, das neue Schlagwort, das suggeriert, dass die Geschichte Weißen ein Gefühl der Überlegenheit über alle anderen geschenkt hat. Der Begriff „Whitelash“ ist in die tägliche Mediensprache eingedrungen: Die Wahl Trumps sei offenbar eine Gegenreaktion von Nicht-Schwarzen gegen den sozialen Fortschritt.

Seit ein paar Jahren nun wird der Begriff „weiße Männer“ als Abkürzung für das Böse benutzt. Anscheinend kontrollieren und ruinieren weiße Männer die Wirtschaft, das Internet, und alles andere. Jetzt, nach Trumps Aufstieg, bekommen „weiße Frauen“ auch eins auf die Nase. „Wie die Furcht der weißen Frauen geholfen hat, Donald Trump zu wählen“, spöttelt ein Artikel. Feministen zufolge leiden diese weißen Frauen an internalisiertem Frauenhass.

Während Geschichte und Kultur, diese vermeintlichen allesbeherrschenden Kräfte, weiße Männer dazu bringen, sich selbst als allen anderen überlegen zu betrachten, drängen sie Frauen angeblich dazu, sich selbst für so scheiße zu halten, dass sie anfangen, sich aufzuführen wie „Sklaven, die die Kissen des Schaukelstuhls ihres Herrn auf seiner Veranda aufplustern, während er sie schreiend beschimpft“, wie weiße Trump-Wählerinnen von einer Feministin beschrieben wurden. Na ja Feministin – es fällt mir eigentlich kaum etwas Antifeministischeres ein als die absurde Vorstellung, dass gewisse Frauen so winzige, beinflussbare Hirne besitzen, solch ein komplett mangelndes Vermögen, ihren eigenen Verstand zu beherrschen, dass sie zu Sklavinnen gemacht werden können, bloß indem sie gewisse Dinge sehen und hören.

„Kulturelle, politische und vor allem Klassendifferenzen unter Weißen werden ausradiert.“

Dass viele dieser Attacken auf Weiße von Weißen kommen, ist verräterisch. Dies zeigt nicht nur einen komischen Selbsthass unter weißen Linken und weißen Beobachtern. Es führt insbesondere vor Augen, dass der Begriff „Weiße“ sich nicht auf Individuen bezieht, die zufällig über eine weiße Hautfarbe verfügen, kaukasisch sind. Nein, „Weiße“ ist keine deskriptive Kategorie, sondern ein hoch moralisierter, aufgeladener Ausdruck. Der Begriff „Weiße Menschen“ erinnert eher an „Unterschicht“ oder „Untermenschen“, indem er sich als Realitätsbeschreibung präsentiert, in Wirklichkeit aber auf Vorurteilen, Angst und Hass basiert. Es handelt sich um keinen sachlichen Begriff, sondern um einen hasserfüllten.

Dass „weiße Menschen“ nunmehr zum Standardvokabular – überwiegend Weißer – Radikaler und Kommentatoren, die ihre Sensibilität gegenüber Rasse und Macht signalisieren möchten, avanciert ist, bringt viele Probleme mit sich. Zum einen eine dehumanisierende Auswirkung. Kulturelle, politische und vor allem Klassendifferenzen unter Weißen werden ausradiert, um sie zu einem gleichförmigen, gleichprivilegierten Schwarm zu reduzieren, aus dem eine Gefahr für die Sicherheit und das Selbstwertgefühlt von Minderheiten erwachse.

„Weiße Menschen“ als politische, nicht rein beschreibende Vokabel, führt in die Irre. Als ob der weiße Mann, dem eine Bank gehört, vom weißen Fließbandarbeiter nicht zu unterscheiden ist. Als ob der weiße Mann, der die Europäische Kommission leitet, den weißen Männern gleichgestellt ist, die vom Osten der EU in den Westen marschieren müssen, nur um ein bisschen (harte) Arbeit zu finden. Die Obsession der ‚Linken‘ mit dem Weißsein macht deutlich, wie sie die Idee der Klasse und jeglichen Versuch, soziale Verhältnisse zu analysieren und überdenken, aufgegeben haben. Sie mystifizieren lieber Macht, um sie von einer realen, gelebten, analysierbaren Sache in eine Art Magie zu verwandeln, welche Weißhäutigen sich durch die Geschichte, die Kultur und das Internet selbst verleihen. Dabei erniedrigen sie insbesondere die weiße Arbeiterklasse völlig. Sie lassen jede Spur ihrer Erfahrung von der Geschichte verschwinden, indem sie sie als Teil irgendeines merkwürdigen, freistehenden Systems magisch geschenkter Privilegien betrachten. Ihre Anstrengungen und ihr Sinn für Identität werden vom Kontext ihrer Hautfarbe komplett überlagert.

„Das ‚Weißen‘-Gerede fördert eindeutig das Rassendenken.“

Außerdem besteht das Problem, dass dieses „Weißen“-Gerede die Politik, das öffentliche und das alltägliche Leben rassisch einfärbt. Es fördert eindeutig das Rassendenken. Es ersetzt den abgestandenen biologischen Determinismus des alten Rassismus, der vorschlug, demzufolge Schwarze stärker von ihrem Instinkt angetrieben werden als durch Geisteskraft, durch einen historischen Determinismus, demzufolge Schwarze durch historische Erfahrungen verletzt und Weiße dadurch arrogant gemacht wurden. Ausdrücke wie „Bleibe auf deiner Bahn“, benutzt von Unterstützern der Black-Lives-Matter-Bewegung, um Weiße zu züchtigen, die helfen wollen, den Kampf für die Gleichheit der Schwarzen zu führen, bestätigen nur, wie spaltend dieser neue Radikalismus ist. In einer Ära des Hautfarbendeterminismus und der Identitätspolitik wird Solidarität unmöglich.

Die Obsession mit weißen Menschen verwandelt Weißsein in eine Art Erbsünde, ein Kennzeichen der Bosheit. Weiß sein heißt korrupt sein – ab Geburt – und so muss man seine Zeit darauf verwenden, zu büßen und sich entschuldigen. Deswegen haben wir den Kult des „White privilege-checking“, wo gut ausgebildete, rassisch gesinnte „progressive“ Weiße angeblich darauf Acht geben, was sie in Anwesenheit Schwarzer sagen, dass sie in den Hintergrund treten in Debatten über Rasse und Macht, und jede ihrer Äußerungen mit den Worten einleiten „Ich weiß, ich bin weiß, also zählt das nicht wirklich, aber…“.

Dieses „Privilege-checking“ lässt sich am ehesten verstehen als eine Vorführung der Sensibilität, des erhöhten Bewusstseins – und damit ironischerweise der Überlegenheit. Die Botschaft lautet, dass jemand, anders als übrige Weiße, es geschafft habe, jedenfalls zu einem gewissen Grad, sein historisch determiniertes Privileg zu überwinden. Damit erklärt man sich den schlechten Weißen überlegen, den ungebildeten Weißen, den „weißen Trollen“, den Trump-wählenden Weißen – die ein Kommentator kürzlich „wenig informierte Weiße“ genannt hat, eine politisch korrekte Formulierung für Untermenschen. Dies ist die große und schlimme Ironie der Theorie des weißen Privilegs und ihrer Praxis: Sie reproduziert in progressiver Sprache eine der wichtigsten rassischen Trennungslinien dunkler historischer Zeiten. Die zwischen guten Ariern, die über einen geschärften Sinn ihrer selbst und ihrer Rolle in der Welt verfügen, und diesen begriffsstutzigen, schwächlichen Weißen differenziert hat, die unwissend und destruktiv sind, denen jegliches moralisches Verständnis fehlt, die durch Instinkt regiert werden oder moderner gesprochen, durch die Kraft der Geschichte.

„Vor den ärmeren Weißen hat man richtig Angst.“

Und genau darum geht es in der momentanen Angst vor „Weißen“ ebenfalls. Es ist die Selbstdistinktion, die eine Masse problematischer Menschen aufbaut – weiße Männer und nun auch weiße Frauen –, denen die Wohlgesinnten ihren eigenen Anstand entgegenhalten können. Viele Anti-Trump-Kommentaren haben betont, dass sie mit „weißen Menschen“ nicht nur die Amerikaner aus dem mittleren Westen und den Industrieregionen meinen, sondern auch die wohlhabenden Weißen, die Trump gewählt haben. Kauft denen das nicht ab. Zu den Auffälligkeiten bei dieser Wahl gehört, dass eine höhere Anzahl armer Weißer für die Republikaner gestimmt haben als sonst üblich (und umgekehrt hat eine höhere Zahl reicher Weißer demokratisch gewählt). Und es sind diese ärmeren Weißen, die die Wahl entschieden haben, vor denen man richtig Angst hat.

Wenn Kommentatoren über „schlecht informierte weiße Menschen“ sprechen, über Anhänger des Waffenbesitzes, über Einwanderungsskeptiker, meinen sie dann wohl reiche Anzugträger aus Florida? Wir wissen sehr wohl, wen sie meinen. Sie meinen die gleichen Menschen, die den Brexit-Gegnern in ihren Albträumen auflauern. Die Menschen, die die britische Labour Party dazu gebracht haben, die Klassenpolitik links liegen zu lassen und sich einer Verhaltenspolitik zuzuwenden, die deren Ungepflegtheit und Dummheit korrigieren soll. Menschen, zu Objekten aller zeitgenössischen politischen Initiative degradiert worden sind, sei es Nudging oder der Nanny-Staat, Bildungspläne über Sex, Kindererziehung, Benehmen gegenüber Frauen und wie man sich nicht mehr als Abschaum verhält. Sie meinen genau diese Leute. Diese Weißen. Die anderen Weißen. Die Einwohner des dunklen Herzens Amerikas, die politisch unkorrekt Sprechenden und ungesund Essenden im Norden Englands. Die Unsensiblen, die Undankbaren, die Ungebildeten. Die – wie elitär Denkende früher es noch offen so gesagt haben – rassisch minderwertige, moralisch minderwertige Unterklasse. Über die reden sie.

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