14.11.2016

Trump ist nicht der Weltuntergang

Analyse von Brendan O’Neill

Titelbild

Foto: frankieleon via Flickr / CC BY 2.0

Trump-Anhängern wird vorgeworfen, sie würden von ihren Gefühlen getrieben. Allerdings sind es seine Gegner, die Vernunft durch Emotionalität ersetzt haben.

In den Medienreaktionen auf Trumps Sieg verbirgt sich eine besondere Ironie. Seit einigen Monaten hören wir, Trumps Anhänger seien mehr von ihren Emotionen als von der Vernunft getrieben. Der Trumpismus ist eine Bewegung, die stärker auf „ungehemmten Gefühlen“ als auf „Vernunft [und] Empirie“ basiert, sagt der britische Publizist Andrew Sullivan. „Trump appelliert an die menschliche Irrationalität“, so der Schöpfer des Dilbert-Cartoons, Scott Adams. Wie alle Demagogen der Geschichte beschwört auch Trump „eindringliche Bilder und intensive Emotionen“ herauf, schrieb ein Autor im Akademikermagazin The Conversation. Besonders bei Sicherheitsfragen mache sich Trump die Angst der Bürger vor Ungewissheit und Instabilität zunutze.

Nun, da die Welt von Trumps Sieg geschockt ist, fragt man sich, wer hier wirklich ungehemmte Emotionen zur Schau stellt. Wer beschwört hier „eindringliche Bilder und intensive Emotionen“, besonders im Hinblick auf die Sicherheit, herauf? Nein, es sind eben nicht die Unterstützer Trumps, denn die sind längst von der Wahlurne in ihren Alltag zurückgekehrt. Es sind die Gegner Trumps, diejenigen, die Monate damit zugebracht haben, zu behaupten, Trumps Anhängern fehle es an der mentalen und moralischen Ausstattung für „rationale Erwägungen“ (Sullivan). Viele dieser ziemlich elitären Politkommentatoren verhalten sich auf eine Weise, dass im Vergleich dazu sogar der hitzköpfigste Trump-Verehrer völlig vernünftig wirkt.

„‚Ich fühle mich gehasst‘, habe ich zu meinem Mann gesagt, während ich in Yogahose und Hillary-Pulli vor dem Fernseher sitze und weine“. Das schreibt eine amerikanische Kolumnistin beim britischen Guardian. Für die ehemalige britische Außenministerin Margaret Beckett fühlte sich Trumps Sieg wie „das Ende der Welt“ an (wohl etwas dick aufgetragen für eine Frau, die 2003 für den Irak Krieg gestimmt hat). Der Triumph der Irrationalität über die Vernunft ist weit verbreitet: So berichtet die Washington Post von „Scharen tränenüberströmter Studenten“, die gegen Trumps Sieg protestieren. Einige amerikanische Unis bieten Studenten, die durch Trumps Wahlerfolg traumatisiert wurden, sogar eine eigene Beratung an. Promis wie Miley Cyrus und Perez Hilton haben Videos hochgeladen, in denen sie sich über Trumps Sieg ausheulen. Diese wurden hunderttausende Male von am Boden zerstörten Hillary-Fans geteilt.

„Amerikanische Unis bieten Studenten an,  die sich durch Trumps Wahlsieg traumatisiert fühlen, Beratung an.“

Noch schlimmer als diese Rührseligkeit ist aber die Weltuntergangsstimmung, die Trumps Sieg von Anfang an begleitete. Ist Trump hier wirklich derjenige, der „eindringliche Bilder“ heraufbeschwört und so das Unsicherheitsgefühl der Bürger ausbeutet? Ja, tut er, aber in geringerem Maße als seine Gegner. Dem britischen Historiker Simon Schama zufolge werde Trumps Sieg Faschisten auf der ganzen Welt bestärken und erinnere an den Aufstieg Hitlers. Guardian-Kolumnist Owen Jones bezeichnet Trumps Sieg als das „größte Unglück des Westens seit dem Zweiten Weltkrieg“. Offenkundig hat Jones nicht die entbehrungsreichen Zeiten in seinem Heimatland während der Rezession in den 1970ern oder während der Klassenkonflikte in den 1980ern miterleben müssen. Diese billigen, geschichtsverzerrenden Hitler-Vergleiche sind weitverbreitet: Demonstranten halten Plakate von Trump mit Hitler-Bärtchen in die Höhe, während Promis ein Amerika beweinen, das sich nun in das Deutschland der 1930er Jahre verwandeln werde.

Der Triumph der Gefühle über die Vernunft, die Scheu vor Fakten zu Gunsten „eindringlicher Bilder“, kommt primär aus dem medialen Establishment und nicht von der ‚Trump-Meute‘. Besonders armselig ist die Erwähnung Hitlers und des Holocaust, um Trump zu diskreditieren. Dem Anschein nach fehlt den Gegnern Trumps eine kohärente Perspektive, wenn nicht gar die Sprache, um das Phänomen Trump zu verstehen und zu kritisieren. Sie wühlen sich durch die Geschichte auf der Suche nach moralischer Autorität. Sie versuchen die großen Verbrechen der Vergangenheit heranzuziehen, als Ersatz für ihre eigenen diffusen Gefühle.

Letztlich bemänteln sie so nur ihre eigene Desorientierung angesichts der aktuellen politischen Situation im Westen des 21. Jahrhunderts. Dabei werden die Schrecken der Vergangenheit verharmlost. Die Barbarei des Holocaust wird heruntergespielt, wenn er im selben Atemzug wie ein Politiker genannt wird, der einfach nur intolerantes Zeug von sich gibt. Die Gleichsetzung von Trump und Hitler erschwert ein wirkliches Verständnis der politischen Lage und der Hintergründe des Trump-Phänomens. Wir befinden uns nicht in den 1930er Jahren, ideologisches Denken ist so schwach wie nie zuvor und Trump hegt nicht die Absicht, eine ganze Gruppe von Menschen auszulöschen. Der Aufstieg solcher geschichtsblinder Metaphern, das hemmungslose‚ Trump ist Hitler!‘-Geschrei, trübt unseren Blick auf die Gegenwart und unsere Fähigkeit, diese zu verstehen. Historische Ereignisse werden ihrer Bedeutung beraubt, um sie für gegenwärtige politische Belange einzuspannen.

„Einen gewaltigen Zaun zwischen Amerika und Mexiko gibt es bereits, und Hillary hatte sich dafür eingesetzt.“

Wenn Trump-Gegnern tatsächlich das Talent zur vernünftigen Reflexion gegeben wäre, würden sie sicherlich erkennen, wie fehlgeleitet ihr Nach-Wahl-Fatalismus ist. Denn sogar die intoleranteren Vorschläge Trumps, wie beispielsweise sein Versprechen, die USA gegenüber Mexiko abzuschotten und Kriege gegen die Islamisten im Ausland zu führen, unterscheiden sich kaum vom Üblichen. Einen gewaltigen Zaun zwischen Amerika und Mexiko gibt es bereits, und Hillary gehörte zu den Politikern, die sich für dessen Errichtung eingesetzt haben (Secure Fence Act von 2006). Sowohl Hillary als auch Obama und vor ihm Bush, haben für die Menschheit verheerende Kriege im Mittleren Osten geführt.

Und was den Faschismus betrifft, der angeblich die USA befällt: Amerikas nationalsozialistische Bewegung hat um die 400 Mitglieder; andere Neo-Nazi-Gruppen sogar weniger als 100. Es handelt sich dabei glücklicherweise um kleine, gescheiterte Organisationen, die von Trumps Sieg auffallend unberührt geblieben sind. Aber warum sollte man auf Werte wie „Vernunft [und] Empirie“ (s.o., die das Hillary-Lager für sich beansprucht) zurückgreifen, um so unterschiedliche Phänomene wie die Rechtsaußen in den USA und den Erfolg Trumps zu verstehen, wenn man auch einfach sagen kann: „Hitler ist wieder da! Die 1930er sind zurück! Wir sind erledigt!“

„Entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, Trump-Anhänger als Faschisten herabzuwürdigen und selbst weite Bevölkerungsschichten zu verachten?“

Das Gejammer über Trump, die Weltuntergangsstimmung, die seinen Sieg begleitet, sagt viel über das politische und mediale Establishment aus. Es offenbar, wie weit entfernt diese Eliten von den normalen Leuten sind – besonders von den Menschen im‚ dunklen Herzen‘ Amerikas, auf die sie hinabblicken wie auf Außerirdische und Nazis in Warteposition, die Minderheiten und Frauen hassen. Entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, Trump-Anhänger als Faschisten herabzuwürdigen und selbst weite Bevölkerungsschichten zu entmenschlichen? Außerdem zeigt sich an dieser fatalistischen Haltung auch, wie sehr es der Elite an einer politischen oder ideologischen Verankerung fehlt, mittels derer sich einen Reim auf die Weltgeschehnisse oder die eigene Isolation machen könnte. Auf diesen zumindest in modernen Zeiten beispiellosen Angriff auf ihre Autorität weiß sich die Elite nicht anders zu helfen als durch Tränen, Angst und Panik.

Bei diesem Gejammer handelt es sich nicht nur eine Pose oder um das x-te Beispiel emotionaler Inkontinenz in unserem Talk-Show-Zeitalter. Hier kommt etwas Merkwürdigeres und Problematischeres zum Ausdruck: Wir erleben ein Establishment, dessen Mangel an Realitätsbezug, Bodenhaftung und Überzeugungen es ihm zunehmend erschwert, die Welt zu verstehen oder auf vernünftige, interessengeleitete Weise auf sie einzuwirken. Und dann wundert man sich über Wähler, die denken, dass man genauso gut Trump eine Chance geben kann.

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