21.04.2015

US-Wahlkampf: Der Aufstieg Hillarys und der Tod der Politik

Kommentar von Brendan O’Neill

Hillary Clinton kandidiert bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016. In ihrem Wahlkampf geht es hauptsächlich um Frauen und Minderheiten. Brendan O’Neill sieht darin eine fatale Wende. Diese neue Symbolpolitik könnte politische Inhalte komplett verdrängen

Wer wissen möchte, was im 21. Jahrhundert aus der Politik geworden ist, muss sich nur Hillary Clintons Einstimmung auf ihren Präsidentschaftswahlkampf 2016 anschauen. [1] Oder besser noch: Man betrachte die Reaktionen auf die Bekanntmachung ihrer Präsidentschaftsambitionen: Die Jubelgesänge, die sie mit ihrer Entscheidung für eine „Gender“-fixierte, großmütterliche Frauenkampagne erntete. Eine Kampagne, in der ihr Geschlecht eine zentrale Rolle spielen wird. Hier zeigt sich der unerträglich große Einfluss, den die Identitätspolitik – die den Zufall unserer Geburt, das Glücksspiel unserer natürlichen Eigenschaften betont – auf die politische Sphäre unserer Zeit ausübt. Sie hat die alte Politik der Ideen, der Inhalte und Überzeugungen rücksichtslos verdrängt.

Clintons Kandidatur bestätigt, dass Identität innerhalb von nur sieben Jahren zum praktisch einzigen Inhalt der Politik geworden ist. Wie viele Kommentatoren betonen, ging es im Jahr 2008 in Clintons Wahlkampf gegen Barack Obama um die Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten noch nicht ausschließlich um Genderthemen. Es gab noch etwas anderes. „Frau Clinton spielte ihre Rolle als Frau noch herunter, als sie zum ersten Mal das höchste Amt anpeilte“, heißt es in einem amerikanischen Nachrichtenbericht. „Diesmal soll ihr Geschlecht aber ein Kernelement ihrer Kampagne werden.“ [2] 2008 setzte Clinton „alles daran, das Gender-Thema in den Hintergrund zu rücken; diesmal ist das Gegenteil der Fall.“

„Hillarys Video ist ein wahres Identitätsfest“

Die linksliberale britische Zeitung The Guardian, langjährige Unterstützerin der Clintons, insbesondere als Bill Clinton Jugoslawien bombardierte (damals schätzten Linksliberale den Krieg noch), feiert Hillarys Gender-Masche. Im Jahr 2008 „kämpfte sie noch gegen die Unterstellung an“, sie mache sich für ihr Geschlecht stark – da sie glaubte, ihre Ansichten wären von größerer Bedeutung als ihre Vagina. Diesmal wird Hillary Clinton die Geschlechterkarte ziehen, ihr Geschlecht gar „in den Vordergrund ihres Wahlkampfes rücken“, um die „oberste Großmutter der Nation“ zu werden, berichtete der Guardian zustimmend. [3] Es bleibt das Geheimnis der angeblich feministischen Autoren des Guardian, warum sie es nun nicht länger herablassend finden, eine Frau mit 40 Jahren Berufserfahrung in der Justiz und Politik auf ihren Status als Großmutter zu reduzieren.

Aber es ist natürlich Hillary selbst, die diese Karte ausspielt. Sie benutzt den Twitter-Hashtag #GrandmothersKnowBest (Man fragt sich, ob sie diesen Slogan auf ihre Raketen schreiben lässt, wenn sie diese auf „fehlgeleitete“ Staaten schießt, die es wagen, Frau Präsidentin zu beleidigen). In ihrem Einführungsvideo zur Präsidentschaftskandidatur dreht sich alles um das Gender-Thema. Es kommen hauptsächlich Frauen darin vor und selbstverständlich beinhaltet es ein ‚Daumen hoch‘ für die Homoehe. Es wäre auch für jeden Amtsträger politischer Selbstmord, wenn er nicht feige vor der orthodoxesten unter den modernen Glaubenslehren niederknien würde. Hillarys Video [4] ist ein wahres Identitätsfest.

„Die Identität ersetzt politische Inhalte“

Der Wahlkampfclip sagt nichts über das politische Programm aus – höchstens, dass man Familien unterstützen und nett zu arbeitenden Menschen sein soll. Stattdessen hakt das Video alle Identitäten, insbesondere die genderspezifischen, der Reihe nach ab. Junge Frauen? Check. Ethnische Frauen? Check. Alte Frauen? Check. Mexikaner? Check. Homosexuelle? Und nochmal Check. Linksgerichtete Beobachter überhäufen Großmutter Hillary für ihren sogenannten „Umschwung von 2008 zu 2016“ mit Lob. [5] Sie will jetzt als „Frau antreten“. 2008 kandidierte sie als Politikerin; 2016 wird sie das als Frau machen. Inwiefern kann ein positiver „Umschwung“ darin bestehen, dass sich eine weibliche Kandidatin auf ihr Geschlecht beschränkt, statt sich über ihre politischen Ansichten zu definieren?

Genauso wird es nämlich zurzeit gemacht. Chelsea Clinton sagt, die Frauenkampagne ihrer Mutter sei „aus symbolischen Gründen […] absolut wichtig“. In der Politik geht es jetzt also um Symbole statt um Inhalte? Eine feministische Autorin aus den USA konterte den Vorwurf, Hillary Clinton spiele die Geschlechterkarte nur aus, um ins Weiße Haus einziehen zu können, mit einem einfachen „Gut so!“. [6] Offenbar soll Clinton mit ihren „geschlechtsspezifischen Qualitäten“ auf Stimmenfang gehen. Feministen kritisieren Clinton rückwirkend dafür, dass sie nicht schon 2007/08 die Frauenkarte ausspielte. Damals sagte sie vor einem Publikum in Iowa: „Ich kandidiere nicht als Frau“. Gott sei Dank, sagen feministische Beobachter, hat sie diese dummen, genderlosen Ansichten aufgegeben, die Ideen stärker gewichten als Biologie. Feministen sind froh, dass sie nun die Nation bemuttern oder begroßmuttern will, dass sie ihr Geschlecht in den Vordergrund rückt, es zur Schau stellt, bewirbt und dabei Symbol über Substanz erhebt.

Das ist eine äußerst entmutigende Entwicklung. Was diese angeblichen Progressiven wirklich feiern, ist die Kastration und Bändigung Clintons, ihre gehorsame Lossagung von der scheinbar veralteten Vorstellung, eine Frau nach ihren Ansichten und Äußerungen zu beurteilen und die neue – eigentlich steinalte – Vorstellung, dass man Politikerinnen in erster Linie als Frauen betrachten sollte.

„Die Politikerin Hillary ist tot – es lebe die Großmutter Hillary“

Ich war noch nie ein großer Fan von Clinton - jedoch wegen ihrer politischen Ansichten und nicht, weil sie eine Frau ist. Sowas spielt für mich keine Rolle. Dennoch bewunderte ich ihre damalige Beharrlichkeit, dass sie vor allem als Politikerin und nicht als Frau angesehen werden wollte. Auch, weil sie aufgrund ihrer Vision und ihrer Überzeugungen und nicht wegen ihrer biologischen Eigenschaften, Schwangerschaften oder ihres Status als Großmutter das Potenzial zur Präsidentin hatte. Es stimmt, was im Guardian behauptet wird – Hillary Clinton kämpfte Mitte der 2000er-Jahre noch dagegen an, durch ihr Privatleben, statt durch ihre politischen Errungenschaften und ihre Äußerungen, definiert zu werden. Sie zog jedoch in eine bereits verlorene Schlacht und musste sich der übermächtigen und dominanten Identitätspolitik geschlagen geben. Hillary, die Politikerin war einmal – jetzt ist sie die Großmutter Hillary.

Hillary-Anhängern und allen anderen sollte diese Entwicklung Anlass zur Sorge sein, denn sie zeigt den starken Einfluss, den die Identitätspolitik mittlerweile ausübt – nicht nur an Universitäten, die seit Jahren von Ethnie und Gender besessen sind und die gegen die angebliche Torheit des Universalismus wettern, den die Aufklärung vertreten hatte. Wir sollten uns sorgen über die Mainstreampolitik, über Washington selbst machen.

Selbstverständlich gab es die Identitätspolitik schon 2007/08. Sie hat faktisch schon seit den 1980er-Jahren massiv an Stärke gewonnen, als die Linke ihren einstigen Glauben an den grundlegenden Wert der Menschheit zugunsten der abstumpfenden und spaltenden Politik des Multikulturalismus aufgab. Tatsächlich setzten Obama und seine Unterstützer schon 2008 die Identitätskarte geschickt ein. Aber jetzt scheint es nur und ausschließlich noch Identitätspolitik zu geben. Da die alten Ideologien immer mehr verblassen und es an mitreißenden politischen Ideen mangelt, wurde die Identität, wer man ist, immer bedeutsamer.

„In der neuen alten Welt werden wir wieder anhand biologischer Eigenschaften bewertet“

Wir werden in eine Welt zurückgeworfen, in der es noch keine Aufklärung, Demokratie, Frauenrechtlerinnen und Bürgerbewegungen gab. In der neuen alten Welt werden wir wieder anhand biologischer Eigenschaften, dem Geschlecht oder der Herkunft bewertet und beurteilt. Wir sollen uns nicht als aktive Mitgestalter abstrakter politischer Ideen oder universeller Kampagnen verstehen. Stattdessen sollen wir uns als passive, zufällige Geschöpfe unserer Gene, Umwelt oder Umstände betrachten.

Ausgehend von Hillarys Wahlkampfbeginn und seiner Resonanz wird der Weg zur US-Präsidentschaft 2016 ein trauriger und hässlicher sein. Der Wahlkampf könnte den fatalen Biologismus und Separatismus der modernen post-politischen Sphäre stärken. Während die Politik der Ideen uns noch als politische Subjekte behandelte, die die Welt aktiv durch Argumente, Analysen und Handeln mitgestalten konnten, verwandelt uns die Identitätspolitik zu biologischen Objekten, die von natürlichen Charakteristika, der Hautfarbe oder der privaten Entscheidung, ein Kind zu bekommen, verheiratet oder homosexuell zu sein, determiniert werden.

Obwohl Hillary im Jahr 2008 ihre Rolle als Frau noch „heruntergespielt“ haben mag, wehrt sie sich nicht länger gegen die Auffassung, dass das, was man ist, wichtiger ist als das, woran man glaubt. Wir sollten da nicht mitmachen. Wir sind mehr als das zwischen unseren Beinen. Wenn man Hillary wählt, weil sie eine Frau ist, dann ist man nicht besser als die alten Sexisten, die Jahrhunderte lang übersahen, dass Frauen auch ein Gehirn und Ideen haben.

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