13.05.2019
Der Fiskus und das Klima
Von Thilo Spahl
Das Böse teuer und das Gute billig machen. Dann kauft der Bürger endlich das Richtige. Wird die CO2-Steuer funktionieren? Man darf es bezweifeln.
Auch nach über 30 Jahren internationaler Klimaschutzpolitik wartet das Klima immer noch auf seine Rettung. Obwohl der letzte Sommer fantastisch war und daher als ultimativer Beweis für die bereits in unser Leben tretende Katastrophe herhalten musste, fahren immer noch alle mit ihren Autos zur Arbeit. Obwohl die „Fridays for Future“-Bewegung dem Wort „Flugscham“ den Weg zur Aufnahme in den Duden geebnet und dem damit bezeichneten Sentiment Eingang ins Gefühlsrepertoire der urlaubsfreudigen Deutschen ermöglicht hat, jetten wir munter weiter um die Welt. Wenn wir nicht gerade mit dem Kreuzfahrtschiff unterwegs sind.
Deutschlands viel beschworene Vorbildfunktion erweist sich beim Blick auf die nicht vorhandenen Erfolge bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes als bloße Autosuggestion. Und die EU-Wahl steht vor der Tür, angekündigt mit dem Allparteienslogan „Europa ist die Lösung“. Was also tun? Eine CO2-Steuer soll‘s nun richten. Europaweit, oder am besten weltweit. Wird sie es schaffen?
Wird sie was schaffen? Das Klima zu retten? Oder Europa vor den Populisten? Meine Prognose: keines von beiden. Der Grundgedanke ist einfach: Wir verteuern die Emission von CO2 und damit alle Produkte, deren Herstellung damit verbunden ist. Der Markt erledigt den Rest. Die Menschen werden durch Preissignale weggelenkt von den „klimaschädlichen“ Produkten und hin zu denen, die ohne Energie hergestellt werden. Gibt es nicht? Dann mit etwas weniger Energie. Oder mit etwas freundlicherer Energie.
„Die Elektromobilität hat nur auf dem Papier null CO2-Emissionen.“
Ein Kommentator fordert in der Süddeutschen Zeitung, die Menschen müssten „ihren Politikern“ jetzt ein Mandat geben, „endlich ihren Alltagskonsum zu lenken“. Dabei soll es nicht nur den Reiselustigen ans Portemonnaie gehen, sondern auch den Stubenhockern. Netflix gucken sei nämlich laut Esslinger „kaum unökologischer als Fliegen“.
Und es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen der deutschen Öko-Aristokratie, die nach der Steuer rufen, auch ein Haufen amerikanischer Wirtschaftsnobelpreisträger hat sich zusammengefunden, um „carbon dividends“ zu fordern. Und sogar der IWF ist mit von der Partie. Wir müssen die Sache also etwas ernster nehmen.
Es wird teuer
Schauen wir uns die großen Brocken an: Strom, Mobilität, Wärme. Beim Strom haben wir ja schon angefangen. Rund 38 Prozent des Bruttostromverbrauchs stammt in Deutschland aus Wasserkraft, Biomasse, Wind und Solar. Wasserkraft hat wenig Steigerungspotenzial. Biomasse ist nicht wirklich klimaschonend. Wind und Solar sind angeblich schon ganz billig geworden – aber auch wieder nicht so billig, dass das Ganze nicht mit über 30 Mrd. Euro pro Jahr subventioniert werden müsste.
Bei der Wärme wäre das Ziel, den gesamten Häuserbestand Deutschlands in Nullenergiehäuser zu verwandeln. (Wovon reden wir? Billionen Euro?) Oder zumindest mit ‚freundlichem‘ Strom zu beheizen. Der muss aber auch irgendwo herkommen, und bisher machen Sonne und Wind nur etwa 10 Prozent vom Primärenergieverbrauch aus.
Bei den Autos soll es die Elektromobilität richten. Die hat aber leider nur auf dem Papier null CO2-Emissionen. In der Wirklichkeit jedoch mehr, gleich viel oder halt nur ein bisschen weniger als herkömmliche Autos. Je nachdem, wie man das rechnet. Zudem subventionieren wir die Elektroautos im Moment mit rund 10.000 Euro pro Stück. Da muss schon ordentlich Steuer aufs Benzin, damit sie irgendwann billiger werden als die guten alten Benziner.
„Wir haben die CO2-Steuer ja schon. Sie heißt nur ‚Energiesteuer‘ (früher ‚Mineralölsteuer‘).“
Und dann fällt noch auf: Wir haben die CO2-Steuer ja schon. Sie heißt nur „Energiesteuer“ (früher „Mineralölsteuer“). Sie beträgt 65,45 Cent pro Liter Benzin. Das entspricht je 276 Euro pro Tonne CO2, plus Mehrwertsteuer, insgesamt also knapp 330 Euro. Und wahrscheinlich hat sie tatsächlich schon eine Lenkungswirkung entfaltet. Viele Autos verbrauchen heute nur noch fünf oder sechs Liter, früher war es doppelt und noch früher dreimal so viel. Mit anderen Worten: Die niedrig hängenden Früchte sind längst gepflückt. Glaubt wirklich jemand, wir könnten die Kohlen aus dem Feuer holen, indem wir hier nochmal 20, 50 oder mitunter 100 Euro drauf packen?
Keinem wird etwas genommen
Dass niemand über neue Steuern jubelt, hat sich herumgesprochen. Weitgehend Einigkeit herrscht daher in der Debatte darüber, dass der Staat an der Angelegenheit nichts verdienen darf. Was eingenommen wird, muss auch wieder an den Bürger zurückgegeben werden. Am besten am Anfang des Jahres im Voraus und cash, damit es auch jeder glaubt, schlägt Sigmar Gabriel vor. Wenn man das macht und zwar mit einem einheitlichen Betrag pro Kopf, dann dürften davon Menschen mit geringem Einkommen profitieren. Sie erhalten mehr zurück, als sie abgeben, insbesondere wenn sie Kinder haben. (Vielleicht allerdings auch nicht, weil sie zum Beispiel in einer schlecht gedämmten Wohnung leben). Malte Kreutzfeldt von der taz stellt es sich so vor: „Teurer wird es für alle, die dickere Autos fahren, größere Häuser bewohnen und mehr fliegen als der Durchschnitt. Und das sind in der Regel nicht die Hartz-IV-EmpfängerInnen und GeringverdienerInnen.“ So weit, so gut.
Welcher Effekt stellt sich dann ein? Die Ärmeren werden, das Geld (die Kohlenstoffdividende), das sie ausgeschüttet bekommen, vollständig für Konsum einsetzen. Und zwar sehr wahrscheinlich nicht, um ein Elektroauto oder ein Niedrigenergiehaus zu kaufen, dafür reicht es offensichtlich nicht. Sondern eher für ein paar Tankfüllungen, ein paar Hamburger, ein paar neue Turnschuhe, oder was auch immer. (Vielleicht hat sich Sigmar Gabriel getäuscht, und man sollte statt in Bargeld lieber in Gemüsegutscheinen vorauserstatten.) In der Mittelschicht würde es wohl so aussehen, dass die Leute ungefähr gleichviel bekommen, wie sie ausgeben, und an ihrem Konsumverhalten ungefähr nichts ändern. Die Reichen bekommen weniger, als sie einzahlen. Das kann ihnen aber ganz egal sein. Zumindest wird es für sie kein Anlass sein, die Villa im Winter weniger zu heizen. So hätten wir evtl. ein bisschen sozialen Ausgleich, was schön ist, aber keinen Klimaschutzeffekt. Deshalb wird es eine CO2-Steuer nach diesem Modell sicher nicht geben.
Oder doch?
Wie könnte es klappen? Es müsste irgendwie so gestaltet sein, dass die (armen) Menschen aufhören zu fliegen, Auto zu fahren und Fleisch zu essen. Mit dem eingesparten Geld können sie dann ganz viel billiges Gemüse kaufen. Vor allem aus regionalem Anbau: Möhren, Zwiebel, usw. Das hatte damals schon Thilo Sarrazin festgestellt, dass sich daraus ja sehr gutes Essen zubereiten lässt. Oder sie können sich endlich den gleichen guten Ökostrom erlauben, den taz-Redakteure schon lange beziehen. Ach nee, den bezahlen die Armen ja schon immer mit, da die Mehrkosten bekanntlich auf alle umgelegt werden. (Wäre ja noch schöner, wenn die Ökostromkunden für den Ökostrom auch noch selber bezahlen müssten!) Vielleicht können sie ja auch Herrn Kreutzfeldts Rat folgen, „zum Heizen und Autofahren verstärkt Strom statt Öl und Benzin einzusetzen“ – wenn die Gerätschaft das zulässt.
„Atomstolz statt Flugscham!“
Nein, so wollte es dann doch niemand formulieren. Die Sache muss angebotsseitig gelöst werden. Ziel ist es, dass die Industrie endlich die Flugzeuge, Autos, Heizungen auf den Markt bringt, die sich alle leisten können und die trotzdem CO2-frei hergestellt werden. Das würde schon gehen. Man könnte Atomkraftwerke bauen. Atomstolz statt Flugscham! Aber wo sind die Politiker, die das unterschreiben?
Dann doch lieber die Botschaft „Alltag muss Luxus werden!“ Zwei Wissenschaftler fassen es für uns zusammen:
„Inkrementelle Steuererhöhungen (z.B. auf Kraftstoff) ohne Alternativen tragen wenig dazu bei, das Verhalten zu ändern. Stattdessen erhöht sich die finanzielle Belastung der weniger wohlhabenden Menschen – ein Grund für die Proteste der „Gelbwesten“ (Gilets jaunes) in Frankreich. Um schnelle und angemessene Veränderungen im Verbraucherverhalten zu erreichen, bedarf es großer Steuererhöhungen für die umweltschädlichsten Produkte, um sie von Alltagsgegenständen in Luxusgüter zu verwandeln. Dazu gehören Flugreisen, fossile Brennstoffe und rotes Fleisch.“
Eine Flugschamkolumnistin von Zeit Online stimmt zu: „Fliegen war mal etwas Außergewöhnliches, ein großes Abenteuer. […] Es wird Zeit, dass wir genau dahin zurückkehren und aufhören, einen Flug wie eine Zugfahrt anzusehen.“ Und erinnert an unsere überragende Schuld: „Lediglich drei Prozent der Menschheit sind im Jahr 2017 geflogen. Nur 18 Prozent haben überhaupt schon mal ein Flugzeug betreten. Einfach gesagt: Ein paar wenige Privilegierte fliegen das Klima kaputt.“
„Für die ganze Menschheit sollte ein Lebensstil angestrebt werden, wie wir Onlinekolumnisten und die ‚Fridays for Future‘-Kinder ihn schon heute genießen.“
Dann wäre es doch naheliegend, dem Einskommafünfgradziel (hallo Duden, bitte aufnehmen!) noch die Einskommafünfprozentschranke fürs Fliegen zur Seite zu stellen. Oder besser – schließlich sind anderthalb Prozent Privilegierte noch ungerechter als drei Prozent: die Nullprozentschranke.
Was, wenn ich jetzt mit 100 Prozent komme?! Ich finde, für die ganze Menschheit sollte ein Lebensstil angestrebt werden, wie wir Onlinekolumnisten – und die FfF-Kinder (hallo Duden, bitte aufnehmen!) ja auch – ihn schon heute genießen. Also zumindest ab und zu mal in den Urlaub fliegen. Mal was sehen von der Welt!
Meinetwegen auch ohne CO2. Es gäbe ja Möglichkeiten. Ich hab‘s oben schon mal erwähnt, das neue Zauberwort: Atomstolz. Lasst uns darüber nachdenken!
PS: Duden im Jahr 2050: „Atomstolz“. Bedeutung: Der Begriff bezeichnet die Einstellung, dass durch den Einsatz hochleistungsfähiger Technik und die Bereitschaft, tief in die Natur einzugreifen, etwa durch das Spalten oder Verschmelzen von Atomkernen, global auf Verzicht verzichtet werden kann: Gegenteil: „Flugscham“.
---
Der Text wurde korrigiert. In der zunächst veröffentlichten Fassung wurde der Preis pro Tonne CO2, dem die aktuelle Energiesteuer auf Benzin entspricht, mit 200-300 Euro angegeben. Leser Bernd Michalski hat freundlicherweise darauf hingewiesen, dass es 276 Euro sind.