18.04.2019

Sündensteuern auf dem Vormarsch

Von Bill Wirtz

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Foto: AKuptsova via Pixabay / CC0

Auf alkoholische Getränke, Tabakwaren und bestimmte Nahrungsmittel werden zunehmend hohe Strafsteuern erhoben. Diese schränken die Konsumfreiheit ein und führen selten zu weniger Konsum

Ob Alkohol, Tabak oder zuckerhaltige Getränke: Jeder Mensch hat eine Reihe von „Sünden“, die er freiwillig begeht. Es ist allgemein bekannt, dass viele Politiker versuchen, diesen freien Entscheidungen mit der geballten Macht des Staates entgegen zu treten. In den letzten Jahren haben es sich Vertreter des Gesundheitsbereichs zur Aufgabe gemacht, den Lebensstil der Menschen direkt und indirekt zu regeln. Daher ist der so genannte „Nanny-Staat“ entstanden, der sich kompetent erachtet, den „korrekten“ Konsum von verschiedenen Gütern zu erfassen. In den letzten Jahren hat der Druck (und Einfluss) dieses bevormundungsstaatlichen Ansatzes rasant zugenommen.

Der britische Abgeordnete Iain Macleod benutzte das Wort „Nanny State“ bereits in den 1960er-Jahren. Obwohl der Nanny-Staat weitgehend ein Phänomen Nord- und Westeuropas ist, dehnt er sich auf Mittel- und Osteuropa aus, gefördert von einzelnen Staaten wie dem Vereinigten Königreich, von der Europäischen Union sowie internationalen Organisationen wie den UN und der Weltgesundheitsorganisation.

Alkohol

„Der Alkohol des Menschen Feind, doch in der Bibel steht geschrieben, auch deine Feinde sollst du lieben.“1 Sei es Frank Sinatra, als möglicher Urheber dieses Zitats, oder die lauten Verfechter der Prohibition im 19. und 20. Jahrhundert2: Die Positionen des Staates zum Thema Alkohol waren sicherlich immer zweideutig. Die Zahlen deuten darauf hin, dass die Trinkprävalenz im Laufe der Zeit abgenommen hat: WHO-Zahlen zufolge ist der gesamte Alkoholkonsum in Europa (in Liter puren Alkohols) pro Kopf von 12,5 Liter im Jahr 1961 auf etwas über 10 Liter im Jahr 1999 gesunken.3 Bei der Betrachtung des globalen Gesamtalkoholkonsums ist zu beobachten, dass es starke Schwankungen gibt, die nicht unbedingt einen allgemeinen Trend erklären. So war beispielsweise der Spitzenwert des europäischen Konsums von 1979 angesichts des allmählichen Rückgangs, der in den nächsten Jahrzehnten folgte, nicht signifikant, um einen Trend für seine Zeit zu setzen. Dies stellt bestimmte Schlagzeilen über explodierende Raten des Alkoholkonsums, deutlich in Frage.

„Die Schattenwirtschaft spielt eine wichtige Rolle im Verbraucherverhalten.“

Während das erste Ziel der Steuererhebung in Europa darin besteht, die Einnahmen zu erhöhen, soll sie zunehmend auch bestimmte Verhaltensweisen verhindern. Beispiele finden sich in der Erhöhung der Tabak- und Alkoholsteuern.4 Um den Gesamtalkoholkonsum zu senken, angetrieben von der Idee, dass die öffentliche Gesundheit in Europa – trotz des langfristigen Rückgangs des Alkoholkonsums – in Gefahr sei, etablierte die Politik Sündensteuern.5 Dies geschieht durch unterschiedliche Mehrwertsteuersätze auf Alkohol, insbesondere aber durch Verbrauchssteuern.

Beim Vergleich der Verbrauchsteuersätze in ganz Europa zeigt sich, dass die mittel- und osteuropäischen Länder Sätze wählen, die unter dem Durchschnitt anderer Regionen in Europa liegen. So liegen beispielsweise die Steuern für Schaumwein in der Tschechischen Republik, Estland, Kroatien, Ungarn oder der Slowakei im Jahr 2017 nahe bei 0. Tatsächlich sind die Verbrauchsteuern auf Stillwein und Sekt nur in west- und nordeuropäischen Ländern hoch, die auf diesen Gebieten vernachlässigbare Produktionsraten aufweisen, wie beispielsweise Großbritannien, Irland, Schweden, Finnland oder Dänemark.6 Beim Ethylalkohol, auch als „starker Alkohol“ bekannt, sehen wir 2017 deutlich höhere Sätze. Nur eine Handvoll Staaten, darunter Bulgarien, Kroatien und Rumänien, haben einen Verbrauchsteuersatz von unter 1000 Euro pro Hektoliter.

In einer umfassenden Übersicht über die alkoholische Besteuerung und die Schattenwirtschaft in Estland erläutert Robert Müürsepp den Zusammenhang zwischen einer erhöhten Verbrauchsteuer und der Entwicklung des illegalen Handels und erklärt, dass „Befürworter der Erhöhung der Verbrauchsteuer unter dem Motto der Rettung der öffentlichen Gesundheit, behaupten, dass es möglich sei, die Steuern zu erhöhen, um den Alkoholkonsum zu senken. Während dies in der Theorie gilt, ist es im wirklichen Leben aufgrund der Volatilität der Schattenwirtschaft schwer zu erreichen.“7 Selbst wenn also der Verbrauch unter der Wirkung eines bestimmten Bündels steuerpolitischer Maßnahmen sinkt,  bedeutet dies nicht, dass der Gesamtverbrauch zurückgegangen wäre, da die Schattenwirtschaft eine wichtige Rolle im Verbraucherverhalten spielt.

„Kein Beweis deutet darauf hin, dass eine Mindestpreisgestaltung den Konsum von Spirituosen tatsächlich senken würde.“

Eine Überprüfung von 19 Studien durch Ökonomen der Pennsylvania State University Nelson ergab nur zwei Beispiele einer signifikanten und substanziellen Senkung der Trinkraten als Reaktion auf Alkoholpreissteigerungen – „und selbst diese beiden zeigten gemischte Ergebnisse“.8 Robert Pryce fand heraus, „dass preisbasierte Maßnahmen aufgrund ihrer geringen absoluten Preiselastizität wenig Einfluss auf die Verringerung des hohen Konsums haben werden.“9 Nehmen wir das Beispiel der Mindestpreise pro Einheit für Alkohol in Schottland. Nach einer jahrzehntelangen Fehde mit den Herstellern haben die Schotten die Mindestbesteuerung von Alkohol erst kürzlich eingeführt. Das Gesetz, das das schottische Parlament 2012 verabschiedete und dessen Umsetzung der Oberste Gerichtshof erst vor kurzem gestattete, sieht einen Mindestpreis von 50 Pence pro Alkoholeinheit vor, was den niedrigsten Preis einer Flasche Whisky auf 14 Pfund anhebt.10

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hatte 2015 entschieden (Urteil C-333/14), dass Schottland nur dann Mindestpreise festlegen darf, wenn es nachweisen kann, dass die Maßnahme die Gesundheit der Bevölkerung verbessern würde.11 Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs kam jedoch in einem Urteil aus dem Jahr 201712 zu dem Schluss, dass „die Mindestpreisgestaltung ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels ist“. Wird dies von der Wissenschaft gestützt? Das Gegenteil ist der Fall: Kein Beweis deutet darauf hin, dass eine Mindestpreisgestaltung den Konsum von Spirituosen tatsächlich senken würde. Die empirischen Belege zeigen, dass die Reaktion der stärksten Trinker auf Preisänderungen statistisch nicht von Null zu unterscheiden ist.13 Noch neuere Studien legen dar, dass starke Trinker eine sehr geringe Reaktion auf Preisänderungen aufweisen.14 Es spielt offenbar keine Rolle, ob diese politische Maßnahme funktioniert oder nicht, solange sie gute Absichten verfolgt.

Tabak und Schattenwirtschaft

Die Tabaksteuerpolitik unterliegt einer kontinuierlichen politischen Debatte und ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren der Politik auf den Konsum einschlägiger Produkte. Der übergreifende Konsens in der Öffentlichkeit besteht darin, dass Steuererhöhungen den Konsum von Tabakerzeugnissen verringern, wobei verschiedene Studien die Preiselastizität auf  Minus 0,415 festlegen. Die internationale Forschung variiert, inwieweit die Verteuerung von Zigaretten die Menschen zum Ausstieg zwingt und verhindert, dass Ex-Raucher wieder anfangen, oder ob sie die beste Strategie zur Senkung des Tabakkonsums ist.

„Es sollte eine persönliche Entscheidung bleiben, ob man fettreiche Lebensmittel konsumieren möchte.“

Allerdings ist die Berechnung der Raucheranteile durch die offiziellen Verkaufszahlen von vornherein irreführend, da Schwarzmarktverkäufe weit verbreitet sind. Der illegale Tabakhandel ist ein globales Problem, auf das schätzungsweise 10,4 Prozent des weltweiten Zigarettenmarktes entfallen. Der Steuerausfall in Europa wird auf 11,3 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.16 Tatsächlich haben die osteuropäischen Länder zu diesem Trend der „illegalen Weißen“ (illegal whites), d.h. Zigaretten, die in einem Land legal hergestellt wurden, aber ohne Zölle in ein anderes Land geschmuggelt wurden, am meisten beigetragen. Weißrussland ist über eine Vielzahl von Marken Quelle Nummer 1 für die illegalen Weißen in der Europäischen Union. Im Jahr 2014 stammte der größte Teil der geschmuggelten und gefälschten Zigaretten im Vereinigten Königreich mit 15,7 Prozent aus Weißrussland; in Deutschland stammten mit 20,1 Prozent die meisten aus der Tschechischen Republik; in Österreich kam der größte Teil (26,6 Prozent) illegaler Zigaretten aus Ungarn.17

Zucker- und fettreiche Produkte

Zuckerhaltige Produkte und so genannte „fettige“ Lebensmittel stehen wegen der gegen sie gerichteten gesundheitlichen Bedenken zunehmend in der Kritik. Die bereits bestehenden Nanny-Staate-Gesetze sind allerdings nicht so weitreichend wie in den Bereichen Tabak und Alkohol. Die meisten Regierungen drängen darauf, den Konsum von Zucker in der Gesellschaft zu begrenzen, sei es durch das Verbot der unbegrenzten Nachfüllmengen von Softdrinks in Frankreich oder durch die Softdrinksteuer in Irland. Frankreich erhebt eine solche Steuer seit 2012, doch steigende Verbreitung von Fettleibigkeit und das Fehlen von Langzeitstudien machen es schwierig, die Wirkung bereits jetzt zu bestimmen. Die Bewertung der bevölkerungsweiten Adipositasraten ist grundsätzlich eine komplizierte Aufgabe. Ein bemerkenswertes Beispiel wie die dänische „Fettsteuer“ fällt jedoch auf.

Im Oktober 2011 führte Dänemarks damalige Koalition eine Steuer auf „dickmachende“ Lebensmittel und Getränke wie Butter, Milch, Käse, Fleisch, Pizza, Öl ein, sofern sie mehr als 2,3 Prozent an gesättigten Fettsäuren enthielten.18 Nach 15 Monaten wurde die Steuer von der gleichen parlamentarischen Mehrheit aufgehoben, da die Dänen die Maßnahme als gescheitert ansahen. Bei der Analyse der Auswirkungen in den 15 Monaten, in denen die Steuer in Dänemark in Kraft war, lässt sich nämlich ein leichter Rückgang des Verbrauchs von fetthaltigen Lebensmitteln und Getränken um 0,9 Prozent feststellen, der innerhalb der Fehlertoleranz liegt.19 Im Übrigen ist es für niemanden von Vorteil, wenn sich die Verbraucher für minderwertige Produkte mit der gleichen Menge an Zucker und Fett entscheiden, nur um dem Preis für ihren Konsum gleich zu halten.20

Es sollte eine persönliche Entscheidung bleiben, ob man fettreiche Lebensmittel konsumieren möchte. „Jedes Mal, wenn man Zigaretten oder ungesundes Essen kauft, und jedes Mal, wenn man kein Essen kauft, das gut für einen wäre, trifft man seine persönliche Kosten-Nutzen-Abwägung.“21 Die Verbraucher würden sich nicht für den Kauf dieser Waren entscheiden, wenn sie nicht davon überzeugt wären, dass sie ihr persönliches Wohlbefinden steigern würden: Es findet kein freiwilliger Austausch (hier: Einkauf) statt, es sei denn, beide Parteien profitieren davon.22 Stella Zawistowski schreibt in The Objective Standard: „Die richtige Rolle der Regierung besteht nicht darin, unsere Kalorien zu zählen oder unser Gewicht zu überwachen, sondern unsere Rechte zu schützen. Der Staat hat kein moralisches Recht, sich in die Angebote eines Lebensmittelherstellers, die Speisekarte eines Restaurants oder die Ernährung einer Person einzumischen. Und wenn der Staat sich ein gesetzliches Recht dazu geschaffen hat, sollten solche Gesetze aufgehoben werden.“23 Im Wesentlichen erlaubt Freiheit dem Einzelnen, Entscheidungen zu treffen, die nicht in jeder Hinsicht gesund sein mögen, und gibt ihm das unveräußerliche Recht, unabhängig davon zu entscheiden.

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