13.03.2025

Die Suche nach dem Wahren

Rezension von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Discovery Communications via FLickr / CC BY 2.0

Mit dem Buch „Wo bitte geht’s hier zur Wahrheit?“ legt der Schriftsteller Zé do Rock ein Zeugnis seiner Sprachakrobatik und seiner oft von gängigen Narrativen abweichenden Anschauungen vor.

„Was ist Wahrheit?“ fragte Pontius Pilatus. „Wo bitte geht’s hier zur Wahrheit?“, heißt etwas praktischer das neueste Buch von Zé do Rock. Für den aus Brasilien stammenden und in Deutschland lebenden Schriftsteller liegt es nahe, sich nach dem Weg zu erkundigen und einen Ort aufsuchen zu wollen. Schließlich hat er schon über drei Viertel aller Länder dieses Erdballs bereist.

Daneben entwickelte er als Sprachtüftler insbesondere verschiedene Varianten des Deutschen, manche als Vereinfachung, andere als Verschmelzung mit anderen Sprachen (oder auch das rein germanische „Siegfriedisch“). Seine fünf zuvor erschienenen Bücher kennzeichnet beides: inhaltlich die Reisetätigkeit und formal das Spiel mit der Sprache. Sein neues Werk hingegen kommt weitgehend ohne irgendwelche Fahrten und Trips aus, wenn man u.a. von einer Trunkenheitsfahrt auf dem Fahrrad absieht, die zu einem Führerscheinverlust führte, in dessen Folge Zé do Rock in die Mühlen des „Idiotentests“ geriet, also der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU).

Dafür aber tobt er sich in „Wo bitte geht’s hier zur Wahrheit?“ richtig aus, was das Sprachliche angeht. Ganze 18 Sprachen kommen vor, schrittweise – das ist Kennern seiner Werke geläufig – intensivieren sich die Varianten. Das Ganze gipfelt in der Universalsprache Europix, einem „Esperanto für Lasterfahrer“. Selbst einen Heiratsantrag stellte Zé do Rock seiner langjährigen Lebensgefährtin auf Europix – er war trotzdem erfolgreich. Da so viel Sprachakrobatik nicht jedermanns Sache ist, findet sich nach jedem Absatz die „normaldeutsche“ Übersetzung. Dadurch wächst das Buch auf über 500 Seiten an – das bisher mit Abstand längste des Autors. Aber man kann sich eben mit der Hälfte des Wälzers begnügen, um den Inhalt komplett zu erfassen.

Und dieser Inhalt besteht aus Themen, mit denen sich Zé do Rock seit Jahren oder gar Jahrzehnten näher beschäftigt. So entkräftet er Vorurteile über Brasilien, wie z.B. dass das Land aus ein paar Reichen und vielen Armen bestünde, eine Mittelschicht aber fehle. Oder er widerlegt die Legende, dass die deutsche Sprache besonders präzise sein soll. Die Diskriminierung von Rauchern hat der Schriftsteller schon in seinem Werk „jede sekunde stirbt ein nichtraucher“ von 2009 angeprangert und sich verschiedentlich gegen sie engagiert. In „Wo bitte geht’s hier zur Wahrheit?“ finden sich zusammengefasst Betrachtungen zur Manipulation um das sogenannte Passivrauchen, zu den mächtigen Akteuren hinter der Regulierung (WHO, Big Pharma) und zum Minderheitenschutz. Mit seinen diesbezüglichen Aktivitäten hatte sich Zé do Rock nicht nur Freunde gemacht. Er erfuhr schon damals, wie er schreibt, eine Cancel Culture avant la lettre am eigenen Leibe. Das passt zu seinen Erfahrungen im Vorfeld der Fußball-WM 2014 in seinem Herkunftsland Brasilien: Medien lehnten die Artikel, die er ihnen anbot, nach seiner Einschätzung, deshalb ab, weil sie nicht in ihr Narrativ passten.

„Die ersatzreligiösen woken Verhaltensregeln fügen sich für Zé do Rock in eine generelle Zunahme von Verboten seit den 1970er Jahren ein.“

Als Sprachexperte hat sich Zé do Rock in den letzten Jahren mit dem Gender-Sprech auseinandergesetzt, z.B. in der Zeit (hier im Volltext) oder in Videoform. Er listet eine Reihe von Nachteilen dieser Sprachverhunzung auf und lehnt den Zwang zu ihrer Verwendung ab. Im Übrigen kenne die persische Sprache keine Genera, ohne „dass im Iran die vollkommene Geschlechtergleichberechtigung herrscht.“ Im Buch verwendet er aber streckenweise eine spielerische Variante des Genderns, die zu Ergebnissen wie „Zoigende Jehowas“ führt. Aus eigener Erfahrung beschreibt er, wie bei der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum – der er angehört – das Gendern gegen den Mehrheitswunsch in die überarbeitete Satzung geschmuggelt worden sei.

Der Lateinamerikaner sieht sich als Altlinker – „Kleinlinker“ in seiner Formulierung –, der mit manchem Unfug der Neuen Linken, insbesondere der Woken, nichts anfangen kann. Politische Korrektheit ist ihm fremd, er spricht von „Schlitzaugen“, ein Kapitel trägt die Überschrift „Die Negis und Zigeunis“. Zum Voranschreiten der Wokeness erläutert er: „Linke Aktivisten in Universitäten sind nicht die Mitte der Gesellschaft, sie sind auch nicht besonders zahlreich. Aber sie können mit dem vorauseilenden Gehorsam von vielen rechnen.“

Die ersatzreligiösen woken Verhaltensregeln fügen sich für Zé do Rock in eine generelle Zunahme von Verboten seit den 1970er Jahren ein. Er befürchtet schon lange, dass wir in ein „Hightech-Mittelalter“ absinken. Verbote gegen Raucher und Kiffer, die „überproportionale Fixierung auf Alkoholsünder“ bei der MPU, Sprachdiktate, Einschränkungen der Meinungsfreiheit – das alles und noch mehr bewertet der Autor in einem eigenen Freiheits-Ranking, wo er Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine gegenüberstellt. Dass dabei Russland am freiesten abschneidet, liegt zwar an angreifbaren Punkteverteilungen. Überkommene Vorstellungen, dass es besonders „freie“ Länder gäbe, wirken heutzutage aber naiv.

Man denke nur an die Corona-Transformation, der Zé do Rock ein Kapitel im Buch widmet, und bei der sich Deutschland besonders autoritär gebärdete. Hier wie anderswo belastet ein „allgemeiner Konsens“ die Meinungsbildung, der Mensch agiert oft als Herdentier. Und: „Man glaubt nicht an die Wissenschaft, sondern an das, was die Medien uns als Wissenschaft verkaufen.“ Apropos Medien: „Was gestern investigativer Journalismus war, heißt heute Verschwörungstheorie“, so sein Urteil. Siehe etwa die Berichterstattung über den mächtigen Multimilliardär Bill Gates, dessen „rentabler Nächstenliebe“ der Schriftsteller skeptisch gegenübersteht.

„Zur Wahrheit geht es manchmal über Umwege, als hilfreich erweist sich aber, sich unterschiedlichen Sichtweisen zu stellen.“

Zu den weiteren Themen gehört die Krebsbehandlung, zu der er seit einer Weile recherchiert. Ohne die Schulmedizin in Bausch und Bogen zu verdammen, zweifelt er an deren Leistungen bei der Krebsbekämpfung. Seiner Ansicht nach könne Cannabis-Therapie in diesem Bereich viel Gutes bewirken.

Bei der Lektüre dürften unterschiedliche Leser sich mal von einem Kapitel bestätigt, mal von einem anderen herausgefordert fühlen. Ist der brasilianische Präsident Lula besser als sein Vorgänger – außer bei der Coronapolitik natürlich –, wie Zé do Rock findet? Stellt islamische Einwanderung nach Deutschland kein großes Problem dar?

Auch seine ausführlichen Betrachtungen rund um den Ukrainekrieg dürften polarisieren. Man findet bei ihm eher östliche als westliche Narrative, was Imperialismus und Konflikte angeht. Dabei beschäftigt er sich auch mit der russischen und der ukrainischen Sprache. Und er traf mal einen, der Putin aus der Nähe kennenlernen durfte und den russischen Präsidenten für schwul hält. In Sachen Krieg erfahren wir zudem Tröstliches vom Autor: „Selbst eine Hiroshima-Bombe am Tag würde die Weltbevölkerung nicht daran hindern, zu wachsen.“

Hat Zé do Rock die im Titel genannte „Wahrheit“ zwischen Buchdeckel gepackt? Man findet sie weder, indem man seine Thesen ignoriert, noch, indem man ihnen allen blindlings folgt. Zur Wahrheit geht es manchmal über Umwege, als hilfreich erweist sich aber, sich unterschiedlichen Sichtweisen zu stellen. Zumeist bietet der Band gute Argumente, die die eigene Anschauung entweder stützen oder dazu einladen, sich an ihnen abzuarbeiten. So kommt man der Sache schon näher.

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