26.11.2025

Wenn Heulsusen zu Möchtegern-Tyrannen werden

Von Frank Furedi

Titelbild

Foto: Eden, Janine and Jim via Flickr / CC BY 2.0

Werden in der amerikanischen Rechten Rassisten um Nick Fuentes und seine Anhänger, die sogenannten Groyper, gesellschaftsfähig? Diese betreiben linke Identitätspolitik unter umgekehrten Vorzeichen.

Während meines Besuchs in Washington, D.C. vor einigen Wochen wurde ich mit dem zerstörerischen Einfluss der Politik weißer Identität konfrontiert. Die Erfindung der weißen Identität und ihre Politisierung waren bis vor kurzem das Werk einer winzigen Gruppe verwirrter, von Ressentiments besessener Fantasten, die am Rande des öffentlichen Lebens standen. In den letzten zwei bis drei Jahren hat die Unterstützung für die weiße Identitätspolitik jedoch zugenommen, da sie sich zu einer jugendorientierten Online-Subkultur gewandelt hat, die sich ungeduldig von der Enttäuschung über den amerikanischen Mainstream-Konservatismus nährt.

Der bekannteste und meistdiskutierte Vertreter des Online-Weißen Nationalismus ist Nick Fuentes. Bekannt für seinen Podcast „America First“, hat seine Marke des unverhohlenen Rassismus und die Synthese aus üblen antisemitischen Verschwörungstheorien und christlichem Nationalismus Einfluss auf junge Konservative gewonnen, die mit der Richtung der konservativen Mainstream-Politik unzufrieden sind. Fuentes verkörpert diese berauschende Mischung aus provokativer jugendlicher Subkultur und selbstbewusst infantilisierter Demagogie, die für die zeitgenössische, demoralisierte Erwachsenenwelt schwer zu verstehen ist. Als Fuentes scherzhaft bemerkte, Hitler sei „wirklich verdammt cool”, und einige der widerlichsten antijüdischen Verschwörungstheorien vortrug, ignorierten viel zu viele Personen in und um die verschiedenen Maga- und republikanischen Institutionen seine Äußerungen einfach. Sie waren der Ansicht, es sei nicht ihre Aufgabe, ihn herauszufordern.

Unterdessen wurde Fuentes' primitive Version der Identitätspolitik der weißen Unterdrückten von zahlreichen jungen Aktivisten unter 30 Jahren, die in der rechten Blase von Washington, D.C. arbeiten, begeistert aufgenommen. Wenn man mit einigen dieser unreifen Fuentes-Fans spricht, wird deutlich, dass sie sich eindeutig von etwas anstecken lassen haben, das man am besten als groteske Karikatur der Identitätspolitik beschreiben kann. Denken Sie an Black Lives Matter, islamistischen Dschihadismus, intersektionalen Feminismus und Trans-Ideologie. Kehren Sie nun diese Synthese aus hysterischem Opferbewusstsein um, und Sie erhalten eine verzweifelt traurige Version einer intellektuell gehaltlosen Erzählung über weißen Nationalismus.

„Die Taktik der Groyper, konservative Mainstream- und Pro-Trump-Netzwerke zu unterwandern, hat sich als bemerkenswert erfolgreich dabei erwiesen, die Maga-Bewegung zu polarisieren.“

Fuentes' spielerischer und infantiler Kommunikationsstil drückt sich in seiner Begeisterung für die Online-Meme-Kultur aus. Seine Armee von Anhängern, die sogenannte Groyper-Bewegung, lässt sich am besten als eine rechtsgerichtete Jugend-Subkultur verstehen, die aus Online-Kriegern besteht, die manchmal den Groyper-Cartoon (eine groteske Kröte) als Avatar verwenden, um ihr Image als ernsthafte, hartgesottene, aber coole Kämpfer für die Sache des weißen Nationalismus zu pflegen. Das digitale Schlafzimmer ist zu einem sicheren Ort geworden, an dem Groyper-Fantasten sich austoben und entfalten können.

Fuentes und seine Anhänger in der Groyper-Bewegung nehmen bewusst traditionellere konservative Organisationen ins Visier, darunter die heterogene Koalition, die Donald Trump unterstützt. Die Taktik der Groyper, konservative Mainstream- und Pro-Trump-Netzwerke zu unterwandern, hat sich als bemerkenswert erfolgreich dabei erwiesen, die Maga-Bewegung zu polarisieren.

Wie die Financial Times berichtete, droht die Maga-Koalition aufgrund eines Interviews, das Nick Fuentes kürzlich in der „Tucker Carlson Show" gab, zu zerbrechen. Im Laufe des Interviews wiederholte Fuentes seine Befürchtungen hinsichtlich der Rolle des „organisierten Judentums” in Amerika und erklärte, ein Bewunderer von Josef Stalin zu sein. Die joviale Art, mit der Carlson seinen Gast behandelte, deutete darauf hin, dass es sich hier um zwei Seelenverwandte handelt, die Freude daran haben, Ansichten zu normalisieren, die bis vor kurzem noch als das Geschwätz von rechtsextremen Spinnern galten.

„Die zeitgenössische Version des weißen Nationalismus basiert auf dem Gefühl grenzenloser Benachteiligung.“

Viele führende Maga-Mitglieder – darunter auch der Vorsitzende der Heritage Foundation – taten sich schwer damit, auf Carlsons Hinwendung zu einer weiß-nationalistischen politischen Sichtweise zu reagieren. Unter Druck gab der Vorsitzende der Heritage Foundation, Kevin Roberts, nach und verteidigte Carlsons Gespräch mit Fuentes. Später entschuldigte er sich für seine Reaktion, aber der Schaden war bereits angerichtet. Andere Konservative waren überrascht von Roberts' augenscheinlicher Beschwichtigungspolitik gegenüber Carlson und Fuentes und äußerten mir gegenüber ihre Befürchtung, dass der weiße Nationalismus auf Kosten der Mainstream-Maga-Bewegung an Dynamik gewinnen könnte. Ob sie Recht haben oder nicht, bleibt abzuwarten.

Im Laufe meiner Diskussion mit Anhängern von Fuentes wurde mir klar, dass meine Gesprächspartner die unbewussten Erben der neuesten Version der westlichen Identitätspolitik waren. Die zeitgenössische Version des weißen Nationalismus basiert auf dem Gefühl grenzenloser Benachteiligung. Sie sehen sich selbst als unterdrückte weiße christliche Männer, die systematisch Opfer einer politischen Ordnung geworden sind, die sie strukturell diskriminiert. Sie vertreten eine Narrativ der umgekehrten Opferrolle – ein Spiegelbild der woken Klagen über die strukturelle Unterdrückung, der sie ausgesetzt sind. Der feministischen und antirassistischen Rhetorik der Intersektionalität setzen sie eine weiße nationalistische Version einer Hierarchie der Unterdrückung entgegen. Das ideologische Konstrukt der Groypers ist das Spiegelbild der Weltanschauung, die von den kulturellen Eliten gepflegt wird, die sie angeblich verachten. Es ist genauso simpel und krude wie die Antwort auf das Mantra „Black Lives Matter“ mit der Aussage „White Lives Matter“!

Fuentes verkörpert die Diktate des Narrativs der umgekehrten Unterdrückung so sehr, dass er die Identität annimmt, die seine Gegner ihren Feinden zuweisen. So ist seine Antwort auf den Vorwurf der toxischen Männlichkeit die dümmliche Behauptung, dass manche Frauen vergewaltigt werden wollen. Seine Antwort auf den Vorwurf des Rassismus ist, dieses Vorurteil ungeniert zu akzeptieren.

„Die Groyper haben mehr mit den Identitätskreuzrittern der woken Linken oder der islamistischen Dschihad-Identitätsbewegung gemeinsam, als ihnen bewusst ist."

Obwohl sie sich als Feinde der woken Identitätspolitik präsentieren, haben die Anhänger von Fuentes unbewusst die grundlegende Weltanschauung ihres Erzfeindes verinnerlicht. Die Groyper-Bewegung hat sich die Sprache der traditionellen Identitätspolitik zu eigen gemacht. Sie verwenden einen ähnlichen rhetorischen Rahmen aus Klagen und Opferhaltung, den sie durch die Sprache des weißen Nationalismus umfunktionieren. Trotz ihrer Ablehnung der Identitätspolitik der Linken haben sie stillschweigend eine alternative Form der Identitätspolitik übernommen. Ihre Hinwendung zum Christentums hat wenig mit der Suche nach Spiritualität zu tun, sondern vielmehr mit dem Versuch, die weiße Identität zu stärken. Ihre Umwandlung des Christentums von einer Religion zu einer politisierten Identität ist durch das Ziel motiviert, eine eigene Gegenkultur zu schaffen.

Die Groyper sind das Produkt eines Zeitgeistes, der der Universalisierung der Identitätspolitik über das gesamte politische Spektrum hinweg besonders förderlich ist. Deshalb haben sie mehr mit den Identitätskreuzrittern der woken Linken oder der islamistischen Dschihad-Identitätsbewegung, die im Westen an Boden gewinnt, gemeinsam, als ihnen bewusst ist. Was diese drei äußerlich unterschiedlichen Identitätsbewegungen gemeinsam haben, ist die Ablehnung der zivilisatorischen Errungenschaften des Westens. Die Konvergenz ihrer anti-zivilisatorischen Sensibilität kommt am deutlichsten in ihrer gemeinsamen Feindseligkeit gegenüber der Existenz Israels zum Ausdruck.

Friedrich Nietzsches Begriff des „Ressentiments“ der Sklaven erfasst den Geist, der die zeitgenössische Bewegung der weißen Nationalisten beseelt. Wie Nietzsche feststellte, basiert die „Sklavenrevolte in der Moral” auf einer simplen Umkehrung der Werte – einer Art „nein-sagender Moral”. Im Gegensatz zu der von Nietzsche diskutierten Sklavenmoral haben wir es heute mit einer Form der doppelten Umkehrung zu tun. Die Woke-Identität ist eine Umkehrung, die auf dem Sklaven-Ressentiment gegenüber den Werten der westlichen Zivilisation basiert. Der weiße Nationalismus ist eine Umkehrung einer bereits bestehenden Umkehrung und noch weniger moralisch klar als sein Vorgänger.

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