18.10.2023

Unkritisch reisen: Saudi-Arabien

Von Niels Hipp

Titelbild

Foto: Konevi via Pixabay

Inzwischen kann man touristische Reisen in die Golfmonarchie Saudi-Arabien unternehmen. Dort herrscht eine gewisse Dynamik; Unterschiede zu Europa, aber auch zum Iran drängen sich auf.

Unsere heutige „unkritische Reise“ führt uns nach Saudi-Arabien, das ich im Februar 2023 zum ersten Mal bereist habe. Der Titel bedeutet nicht, dass überhaupt keine Kritik am Reiseland geübt werden soll, sondern setzt der Schlagseite in Sendungen wie der WDR-Dokureihe „Kritisch reisen“ etwas entgegen. Typisch für hiesige Artikel über das Land ist das Interview von Theresa Crysmann mit dem Islamwissenschaftler Dr. Sebastian Sons bei t-online.

Der Interviewpartner fasst das saudische Modernisierungsmodell sehr treffend zusammen: Bei den Reformen des Kronprinzen Mohammed Bin Salman handelt es sich um keine politische, sondern um eine gesellschaftliche, teilweise auch um eine wirtschaftliche Öffnung. Bin Salman ist seit 2017 Kronprinz und seit 2022 Premierminister von Saudi-Arabien. Eine Demokratisierung ist nicht geplant, erschreckend ist die hohe Zahl an Hinrichtungen.

Was die wirtschaftliche Öffnung anbelangt, muss man sagen, dass das Land schon vorher in die Weltwirtschaft integriert war und es westlichen Konsum wie Shopping Malls, Fast-Food-Ketten u.ä. dort seit Jahrzehnten gibt – im Gegensatz zur konkurrierenden Regionalmacht Iran, wo derlei nach der Islamischen Revolution von 1979 verbannt wurde. Außerdem sind in Saudi-Arabien seit Jahrzehnten Gastarbeiter v.a. vom indischen Subkontinent tätig. Zu den wirtschaftlichen Reformen gehören die Diversifizierung weg vom einseitigen Fokus auf Öl – die aber kein Ende der Ölforderung bedeutet –, die stärkere Öffnung des Arbeitsmarkts für Frauen und die Zulassung einzelner, vorher verbotener Branchen (wie Kinos und Events). Um einen ökonomischen Turnaround wie in Osteuropa nach 1989/90 oder in China nach 1979 handelt es sich also mitnichten.

Die gesellschaftliche Öffnung hängt mit der wirtschaftlichen zusammen: Frauen dürfen seit 2018 Auto fahren, das Vormundschaftssystem wurde deutlich gelockert und die Sittenpolizei sowie die Religionsgelehrten wurden in ihre Schranken verwiesen. Es ist alles in allem also eher eine Normalisierung auf das Niveau anderer Golfstaaten, jedoch keineswegs auf das Westeuropas. Die saudische Gesellschaft ist weiterhin sehr religiös-konservativ geprägt, was man daran sieht, dass die meisten Frauen weiterhin Niqab tragen und es abgetrennte Bereiche in Restaurants nur für Frauen oder die Familie gibt, auf die viele Frauen Wert legen.

„In Saudi-Arabien herrschen völlige Technologieoffenheit, kaum Bürokratie und viel Geld.“

Wenig schmeichelhaft für Europa ist, dass in Saudi-Arabien viele Dinge möglich sind, die in Deutschland und der EU nicht mehr gehen: Dort herrschen völlige Technologieoffenheit, kaum Bürokratie und viel Geld. Das zeigt sich nicht nur im Bereich der neuen Stadt Neom. Auch energiepolitisch ist man pragmatisch: Man will gegen gutes Geld sogenannten grünen Wasserstoff liefern, primär nach Europa, aber auch das Öl bis zum letzten Tropfen fördern. Das heißt: Die deutsche (und europäische) Weltrettungspolitik beim Klima wird schon deswegen scheitern, weil andere nicht mitmachen. Die Emissionen werden nicht vermieden, sondern nur verlagert, worauf der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn schon länger hinweist. Zurückbleiben wird ein Kontinent (Europa), der auf Dauer Verarmung riskiert, wenn er billige Energieträger aus ideologischen Gründen ablehnt.

Fraglich ist, ob Saudi-Arabien wirklich so ein attraktives Reiseland wird, wie Prinz Mohammed bin Salman es sieht vorstellt und wie es auch der Interviewpartner sieht, und selbst wenn, ob dies anhält. Mohammed bin Salman will Ressorts am Roten Meer für betuchte Touristen. Ansonsten ist Saudi-Arabien zumindest für Touristen mit historischem Interesse, wie ich es bin, deutlich uninteressanter als etwa der Iran oder das saudische Nachbarland Jordanien. Für Frauen ist positiv, dass – im Gegensatz zum Iran – kein Verschleierungszwang besteht, und damit auch nicht für Touristinnen.

Zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten: Die Hauptstadt Riad gibt einiges her, auch Jeddah bietet mit seiner Altstadt und der Uferpromenade am Roten Meer etwas; das kulturelle Highlight ist aber sicherlich Al Ula mit den Gräbern der Nabatäerstadt Hegra. Mittlerweile kann man auch als Nicht-Muslim nach Medina – nicht aber nach Mekka – fahren und sich alle Moscheen von außen anschauen und in der Stadt auch übernachten. Ansonsten gibt es nur vereinzelte, weit auseinander liegende Sehenswürdigkeiten. Wenn man mit dem Auto von Al Ula nach Riad fährt, muss man gut 1000 Kilometer durch die Wüste und vereinzelte Orte zurücklegen, zwischendrin liegen (fast) keine Sehenswürdigkeiten. Der Distanzen wegen böten sich Flüge an; allerdings sind die Mietwagenkonditionen nicht an allen Flughäfen akzeptabel, am besten sind sie am King Khalid International Airport in Riad. Ohne Auto kommt man nur sehr schlecht voran. Eine U-Bahn ist in Riad in Bau, ansonsten gibt es eine – primär für Pilger gedachte – Schnellfahrstrecke von Mekka über Jeddah nach Medina. Generell sind schienengebundene Verkehrsmittel Mangelware.

„Sehr teure Bauvorschriften aus Klimaschutzgründen gibt es in Saudi-Arabien nicht, auf eine EU-Taxonomie oder ein geplantes Verbrenner-Verbot kann man dort lange warten.“

Auch im genannten t-online-Artikel gerät die Erwähnung der „Menschenrechte“ wieder zur Moralkeule. Schaut man sich einmal die – bei uns gerne missachteten – wirtschaftlichen Grundrechte (Berufsfreiheit, Eigentum, Vertragsfreiheit) an, dann merkt man, dass diese in Saudi-Arabien deutlich besser geschützt sind als in Deutschland und der EU. Einige Beispiele: Ein Meisterzwang ist unbekannt, viel weniger Medikamente sind verschreibungspflichtig, gesetzliche Ladenschlusszeiten sind unbekannt (wenn auch während der Gebetszeiten nicht untypisch), sehr teure Bauvorschriften aus Klimaschutzgründen gibt es nicht, auf eine EU-Taxonomie oder ein geplantes Verbrenner-Verbot kann man dort lange warten. Die extreme Arbeitsmarktregulierung in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien und die Auswüchse der Verbraucherschutzbestimmungen sind dort auch unbekannt – allerdings ist Alkohol strikt verboten und es gibt „Plain Packaging“ bei Zigaretten.

Auch die Besteuerung ist viel niedriger: Erst vor wenigen Jahren wurde in Saudi-Arabien überhaupt eine Mehrwertsteuer eingeführt, die heute 15 Prozent beträgt. Eine Einkommenssteuer gibt es nicht. Ebenso wenig teure Energiesteuern (Stromsteuer, CO2-Steuer, Mineralölsteuer usw.), ein Liter Benzin (Diesel ist für Privat-PKW unüblich) kostet umgerechnet ungefähr 60 Eurocent. Die Steuerquote betrug 7,2 Prozent des BIP, einer der niedrigsten Werte weltweit (Zum Vergleich: In Deutschland beträgt sie 38,8 Prozent, beim weltweiten Spitzenreiter Dänemark 46,3 Prozent).

Bei Grundrechtsverletzungen wären neben Hinrichtungen auch Auspeitschungen zu nennen. Auf dem höchsten Ross sitzt Deutschland allerdings nicht, wenn es um das Recht auf körperliche Unversehrtheit geht – man erinnere sich an Corona-Maßnahmen wie die einrichtungsbezogene Impfpflicht und 2G/3G-Vorschriften mit experimentellen Impfstoffen.

Bei Meinungs-/Presse-/ und Wissenschaftsfreiheit schadet es ebenso wenig, hiesige Negativentwicklungen in den Blick zu nehmen, bevor man über die Probleme in Saudi-Arabien besserwisserisch den Zeigefinger schwingt. Wer hierzulande bei Reizthemen wie Corona, Klima, Gender und Migration Widerspruch artikuliert, wird schnell zum „Leugner“ oder wie der Journalist Boris Reitschuster sogar ins Exil getrieben.

Fazit: Wenn Sie arabische Länder mögen, sollten Sie auch Saudi-Arabien bereisen mit dem Wissen, dass die Sehenswürdigkeiten weit auseinanderliegen. Wirtschafts- und energiepolitisch ist das Land – im Gegensatz zu Deutschland – auf einem guten Weg. Für einen kurzen Zwischenstopp ist es deutlich weniger geeignet als Dubai, da es (noch?) über kein großes Drehkreuz verfügt, und zwar weder Riad noch Jeddah. Außerdem sind die Visa viel zu teuer sind; ein E-Visum kostet umgerechnet ca. 135 Euro pro Person. Low-Budget-Hotels gibt es kaum und wenn, dann von (sehr) schlechter Qualität. Preiswerter Tourismus für alle ist nicht gewünscht, was tonangebenden Kreisen im Westen wiederum gefallen dürfte.

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