18.09.2023
Unkritisch reisen: Dubai
Von Niels Hipp
Tourismus und einige Reiseziele erfahren in westlichen Gesellschaft oft negatives Framing. Ein näherer Blick durch eine andere Brille lohnt.
Sucht man nach Artikeln zum Thema Reisen und Tourismus, dann stößt man – neben regionalen Tourismusmeldungen – oft auf kritische Sichtweisen. Die Touristen verursachen zu viel CO2, verbrauchen zu viel Wasser, zu viel Energie, reisen mit dem falschen Verkehrsmittel an (Auto oder Flugzeug), schlafen in falschen Übernachtungsstätten (statt in kleinen, regionalen Unterkünften) oder nehmen Einheimischen die Wohnungen weg. Außerdem kommen zu viele („Overtourism“), die falschen (trinken Alkohol, rauchen, essen nicht vegan) und von zu weit weg („Nur regional ist nachhaltig“).
Anhand von ausgewählten Reisezielen, die ich selbst bereist habe, möchte ich die vom rotgrünen Mainstream negativ dargestellten Punkte einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Der Titel „Unkritisch reisen“ bedeutet nicht, dass überhaupt keine Kritik am Reiseland geübt werden soll, sondern setzt der Schlagseite in Sendungen wie der WDR-Dokureihe „Kritisch reisen“ etwas entgegen.
Unsere heutige Reise führt uns nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), das ich im Februar 2023 zum dritten Mal bereist habe. Ein typischer, exemplarischer Artikel für die Kritik an diesem Reiseziel stammt von der Reisebloggerin Ute Kranz und trägt den Titel „7 gute Gründe, nicht nach Dubai zu reisen“.
Zunächst behauptet sie pauschal, dass die 14 Millionen Übernachtungsgäste bei 3,3 Einwohnern in Dubai im Jahr 2022 zu vielfachen Problemen führten. Davon kann keine Rede sein: Die Abfertigung am Flughafen funktionierte reibungslos, die Autobahnen sind selten überfüllt, die Metro pünktlich, viele Sehenswürdigkeiten nicht voller als in Europa; ja, viele Museen sind sogar eher leer, wie das Etihad Museum zur Entstehung der Vereinigten Arabischen Emirate (im Jahr 1971), in dem meine Ehefrau und ich fast alleine waren.
Ein sehr merkwürdiger Kritikpunkt ist, dass man umgekehrt selten Touristenmassen sieht. Sonst gilt ja der sogenannte „Overtourism“ als Teufelszeug. Als Begründung dienen der Autorin die hohen Temperaturen. In der Tat ist es nur empfehlenswert, in den Monaten November bis März – besser noch Dezember bis Februar – nach Dubai zu reisen. Aber auch dann ist es an den meisten Orten tatsächlich nicht überfüllt. Denn die Touristen verteilen sich. Wirklich voll sind nur wenige Sehenswürdigkeiten wie das Burj Khalifa – das höchste Bauwerk der Welt – und das 2022 neu eröffnete Museum of the Future. Bei beiden empfiehlt sich eine frühe Vorbuchung.
„Es geht um ein Gefühl von ‚Übermorgenland‘.“
Zum Baustil: In Dubai stehen viele Hochhäuser und die Klimaanlagen laufen meist den ganzen Tag. Das an sich kann einem – wie Ute Kranz – in der Tat „steril“ vorkommen. Allerdings sind die Hochhäuser oft interessant gebaut – ein Haus erinnert an den Big Ben in London – und man besucht Dubai normalerweise nicht primär wegen der Hochhäuser. Es geht um die vielen Superlative wie die künstlichen Inseln, das größte Meerwasseraquarium der Welt, das größte Einkaufszentrum der Welt u.v.m. Es geht um ein Gefühl von „Übermorgenland“.
Dubai bekennt sich zwar verbal zum von Bloggerin Kranz betonten Modethema Nachhaltigkeit – auffällig oft im „Museum of the Future“ –, verfolgt dieses aber nicht ernsthaft. Sonst würde es seinen zweiten Flughafen – Dubai World Central (DWC) – nicht ausbauen, nachdem der „alte“ Flughafen Dubai (DXB) an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Aus deutscher (und europäischer) Sicht sind CO2-Emissionen die größte Sünde unseres postchristlichen Zeitalters. Diese Denkweise ist den Herrschern am Golf fremd. Ihnen geht es um die weitere Steigerung des Wohlstands.
Kranz kritisiert „die gar nicht nachhaltige Entsalzung von Meerwasser“. Das Problem des Wassermangels wird durch Meerwasserentsalzungsanlagen gelöst, Alternativen bestehen mangels Niederschlags und mangels Flüssen nicht. Man hat sich für eine unideologische, konstruktive Lösung entschieden. Dass Dubai aufgrund des Klimawandels in wenigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar sei – Kranz spricht ein solches Szenario an –, ist ähnlich plausibel wie die Warnungen von Bundesgesundheitsminister Lauterbach vor der ‚absoluten Killervariante‘ bei Corona.
Ein in der Tat sehr heikles Thema ist die Lage der Gastarbeiter aus armen Ländern wie Indien, Pakistan und Bangladesch. Man muss hier allerdings – im Gegensatz zu Kranz – die Lage in den Heimatländern sehen: Das BIP pro Kopf in den genannten Ländern liegt bei unter einem Zehntel desjenigen in den VAE. Also entfalten die Golfstaaten eine enorme Sogwirkung. Für die Gastarbeiter bedeutet Dubai eine deutliche Verbesserung der Lebensverhältnisse, trotz der problematischen Wohnsituation. Sie können Geld sparen und an ihre Familien überweisen, denen dadurch ein besseres Leben ermöglicht wird.
„Man reist – als angenehme Abwechslung – in eine (fast) ‚klimaschutzfreie Zone‘ mit dem Ziel der Wohlstandsmehrung.“
Ziemlich zynisch argumentiert Kranz im Folgenden: „Der Massentourismus in Dubai verschärft die Problematik: je mehr Menschen dorthin reisen, umso mehr wird gebaut, umso höher ist der Bedarf an Arbeitskräften und umso höher die wachsende Nachfrage nach Dienstleistungen mit einer sich fortsetzenden Ausbeutung.“ Gegenfrage: Was wäre denn, wenn fast niemand nach Dubai reisen würde? Dann würden die Leute entlassen und müssten zurück in die Heimatländer, in die gerade auf dem Land oft elenden Lebensverhältnisse – die ich aus eigener Anschauung kenne. Wo soll da der Gewinn liegen? Es wäre eine Lose-Lose-Situation.
Zum Thema Verhalten und Recht spricht Kranz pauschal von „mittelalterlich“ und „Scharia“. Bei der Scharia handelt es sich um kein festes Gesetzbuch wie das deutsche Grundgesetz oder das BGB, sie wird sehr unterschiedlich ausgelegt. Auspeitschungen sind in Dubai nicht an der Tagesordnung. Dass man sich in Dubai ganz anders verhalten müsse als in westlichen Ländern, ist ohnehin ein Irrtum: Alkoholkonsum auf der Straße ist z.B. in den USA und oft auch in Großbritannien ebenfalls verboten. Meine Frau hat sich nicht anders gekleidet als hier. Als Touristin hat sie keine Abaja mit Kopftuch getragen, außer in der Jumeirah-Moschee, erst recht kein Niqab (die Burka gibt es nur in Afghanistan und Nordwestpakistan). Kurze Hosen und Spaghetti-Träger sind oft auch in (süd)europäischen Kirchen tabu. Homosexualität ist dort in der Tat nicht akzeptiert. Wer homosexuell ist, sollte Dubai und die Golfstaaten (und große Teile Subsahara-Afrikas wie Uganda oder Sambia) meiden. Wenn sich zwei lesbische Frauen als befreundet ausgeben, kontrolliert das allerdings auch keiner.
Wer nach Dubai reist, darf in der Tat keine große „historische Tiefe“ (Kranz) erwarten. „Alt-Dubai“ (Deira) stammt aus den 1960er bis 1980er Jahren. Wirklich Altes findet sich kaum: Das Al-Fahidi-Fort (heute Dubai Museum) und die naheliegende Al Fahidi Historical Neighbourhood am Creek (einem Meeresarm des Persischen/Arabischen Golfs) sind wenige Zeugnisse der Vergangenheit und stammen auch nur aus dem 19. Jahrhundert. Wer alte Moscheen, archäologische Stätten und historische Souks sucht, dem bietet der Iran viel mehr. Dubai ist (Post-)Moderne, also spätes 20. und v.a. 21. Jahrhundert.
Fazit: Dubai ist ein tolles Reiseziel, wenn man nicht zu viel Historisches erwartet. Es gibt Millionen von Arbeitsmigranten aus armen Ländern eine Chance zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Man reist – als angenehme Abwechslung – in eine (fast) ‚klimaschutzfreie Zone‘ mit dem Ziel der Wohlstandsmehrung. Wenn es Sie nicht ganz so brennend interessiert, können Sie auf Reisen Richtung Süd(ost)asien dort einen kurzen Zwischenstopp einlegen. Ein Visum benötigen Sie als Deutscher nicht.