19.05.2015

Kreuzberg: Für Flüchtlinge und gegen Rollkoffer

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Ein Ausländer auf der Flucht wird willkommen geheißen, als Tourist ist er unerwünscht. Der einst nach Kreuzberg gezogenen Bohème sind Touristen suspekt. Das eigentliche Problem des knappen Wohnungsangebots wird in Kreuzberg nicht angegangen, meint Sabine Beppler-Spahl

Im „fortschrittlich-alternativen“ Kreuzberg kann es passieren, dass am Fenster eines Hauses ein Transparent mit dem Slogan „Refugees Welcome“ (Flüchtlinge willkommen) flattert, während auf der Fassade „No more Rollkoffer“ steht. „Rollkoffer“ ist ein Synonym für Touristen und die sind bei manchen Kreuzbergern nicht willkommen. Das Phänomen wurde schon letztes Jahr im Dokumentarfilm Welcome Goodbye aufgegriffen. „Berlin“, sagt die Regisseurin Nana Rebhan, brauche „dringend ein Tourismuskonzept“. Klingt das wie der Ruf nach einem „Zuwanderungskonzept“, der von anderer Seite erhoben wird?

Jedenfalls geht es, wie bei der Zuwanderung, auch bei dieser Debatte um die „Grenze der Belastbarkeit“, die angeblich durch den Zustrom Fremder überschritten wird: „Wenn ich täglich mit Touristen zu tun habe, in meinem Kiez die Läden des täglichen Bedarfs verschwinden und überall nur noch Inder und Fressmeilen stattfinden, dann hat man einen anderen Blick auf das Thema, als wenn man irgendwo im wohnfreundlichen Steglitz eine Wohnung hat“, meint die Filmemacherin [1]. In einer anderen Dokumentation mit dem Titel Kreuzberg wird verhökert erfahren wir, dass Berlins Szenenkieze „umzukippen“ drohen [2] – ein Wort, das üblicherweise benutzt wird, wenn Gewässer übermäßig verschmutzt werden. Auch in dieser Sendung werden kofferziehende Touristen gezeigt, die den einst so gemütlich-verkommenen Stadtteil überrollen – das Bild von „Flüchtlingsströmen“ lässt grüßen!

„Die Gentrifizierer der früheren Jahrzehnte rufen jetzt nach Abschottung“

Trotzdem versteht sich die Kreuzberger Szenenkultur nicht als fremdenfeindlich. Der Unterschied besteht darin, dass die Feinde in diesem Falle Ausländer mit Geld sind. Die Touristengegner wähnen sich auf der richtigen Seite, weil sie für Flüchtlinge eintreten (die sie als Opfer betrachten), aber gegen Kapitalisten, Schwaben, Bierbäuche und Gentrifizierer – die zuziehenden wohlhabenden Bevölkerungsgruppen. Der Tourist ist der Vorbote des Investors: „Natürlich sind die Touristen nicht alleine schuld an der Gentrifizierung. Sie sind nur ein Teil. Es gibt reiche Investoren aus aller Welt, die ein Stück von Berlin abhaben wollen“, sagt Rebhan.

Das Traurige ist, dass diese Proteste uns nicht weiterbringen. Wie immer, wenn es gegen eine diffuse Bedrohung von außen geht, wird das größere, zusammenhängende Bild ausgeblendet. Kreuzberg verändert sich nicht wegen der Touristen und Investoren, sondern die Investoren und Touristen kommen, weil sich Kreuzberg verändert hat. Das wiederum hat mit den Protestierern selber zu tun, denn auch sie sind keine waschechten Kreuzberger. Auch sie sind irgendwann, wegen der niedrigen Mieten und weil der Stadtteil trendy war, zugezogen. Dadurch sorgten sie indirekt dafür, dass der einst ärmliche Kiez zu einer nicht unbedingt reichen, aber hippen Gegend wurde, in der immer weniger Platz für die früheren Bewohner blieb. Kneipenbesitzer, Galeristen, Künstler und allerlei Bohème (vor allem Lebenskünstler) sind die Gentrifizierer der früheren Jahrzehnte, die jetzt nach Abschottung rufen.

„Die Lösung ist nicht weniger, sondern mehr Veränderung“

Was sich in Berlin abspielt, ist ein Strukturwandel, der mit der Aufwertung vieler Gegenden zu tun hat. Die Rollkoffergegner machen aus ihrem Konflikt einen Wettbewerb um Ressourcen. Touristen aber sind nicht die Verursacher steigender Mieten. Schuld ist die Wohnungsknappheit, die auch andere Stadtteile trifft. Die Lösung ist nicht weniger, sondern mehr Veränderung. Schon vor Jahren zeichnete sich ab, dass Berlin einen massiven Bedarf an neuem Wohnraum hat. Trotzdem wird – mit Vorliebe gerade in Kreuzberg, Neukölln oder anderen „alternativen“ Stadtteilen – gegen Neubauprojekte (z.B. auf dem ehemaligen Flughafengelände Tempelhofer Feld) protestiert. Damit bleibt das Angebot an Wohnungen hinter der Nachfrage zurück. Die Folge sind steigende Mieten, und darunter leiden auch Flüchtlinge, die ebenfalls Wohnraum brauchen. Bezeichnend ist die Forderung des BUND, statt Wohnungen auf Freiflächen zu bauen, die unliebsamen Discounter abzureißen und dort Wohnungen zu errichten. Schließlich haben Leute, die in Discountern einkaufen (und das sind nicht die Reichen!), in Kreuzberg nichts zu suchen. [3]

Die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Ausländern ist spalterisch und geht nach hinten los. Wer Ressentiments gegen eine Art von Fremden schürt, braucht sich nicht zu wundern, wenn andere eine andere Art von Fremden ablehnt. Kreuzberger Kiezbewahrer und rechte Ausländerfeinde zeigen beide die gleichen Abwehrreflexe gegen Veränderung und Öffnung. Flüchtlinge, deren Ziel es ist, Armut und Not zu überwinden, werden zu hilflosen Opfern erklärt, Touristen zu bösen Eindringlingen. Man sollte stattdessen das Recht aller Menschen anerkennen, vorübergehend oder dauerhaft dorthin zu gehen, wo sie hingehen möchten.

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