14.05.2019
Programmvorschau Europawahl-Furcht
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland sieht Europa von EU-Kritikern bedroht. Die Demokratie braucht aber Alternativen – auch zur Europäischen Union.
Wer sich vor dem Fernsehbildschirm auf die Europawahl einstimmen will, kann fast von einer Sendung in die nächste zappen, vor allem auf den öffentlich-rechtlichen Kanälen. Auffällig ist eine Zahl von Dokus, die – man kennt es – die gleiche Stoßrichtung zu haben scheinen.
„Feindbild Brüssel – was wollen Europas Rechtspopulisten?“ fragte gestern Abend die ARD, und die Sendung wird bis zur Wahl noch eine Handvoll Mal auf verschiedenen Sendern wiederholt. „In Italien, Frankreich, Ungarn, aber auch Deutschland droht 2019 das Jahr der Rechtspopulisten zu werden.“ Bei ZDFinfo läuft am Donnerstag „Schafft Europa sich ab? EU-Gegner auf dem Vormarsch“ (ebenfalls mehrere Wiederholungen bis zur Wahl) und auch dort fühlt man sich bedroht: „Laut aktueller Umfragen sollen rechtspopulistische Parteien bei der Wahl des EU-Parlaments zulegen. Sie alle setzen auf lautstarke Stimmungsmache gegen die EU. Dabei könnten die Folgen für Europa dramatisch sein.“
Was droht denn durch solche Parteien? Der gleiche Sender wiederholt am Sonntag die Doku „Die sieben größten Gefahren für die EU“, die auch schon letzte Woche auf Phoenix lief, und liefert eine Antwort: „Ein Europa ohne EU klingt unvorstellbar. Doch die Bedrohung scheint real.“ Ich kann mir das hingegen gut vorstellen, in meiner Kindheit gab es die Europäische Union noch nicht, sondern die Europäische Gemeinschaft (EG) – und der Kontinent ist ohne die inzwischen erfolgten Schritte der Integration keineswegs untergegangen. Im Gegenteil, damals kam aus Brüssel noch kein beständiger Schwall an Verordnungen und Richtlinien, die in die täglichen Freiheiten eingreifen – von der Glühbirne und dem Staubsauger über den Waffenbesitz bis hin zum Tabak oder dem Internet. Aber auch von Kindheitserinnerungen abgesehen finde ich grundsätzliche Alternativen zum Status quo denkbar – was mich in den Augen der Redakteure und Dokuproduzenten wohl schon verdächtig macht. „Europas Feinde, sie beziehen auch im Inneren Stellung“: Hier wird der Kontinent mal wieder mit dem monströsen EU-Konstrukt gleichgesetzt.
„Wer von der auf zwangsgebührenfinanzierten Redaktionsfluren herrschenden Meinung abweicht, ist offenbar ein Spalter.“
Wer nicht für die EU ist, sei „antieuropäisch“, so auch die Sendung „Wahlkampf der Wutbürger“ (in einer Woche auf ARTE). Es „stellen sich die AfD, das Rassemblement National um Marine Le Pen und die Gelbwesten einem transnationalen Europa offen entgegen“. Damit nicht genug, auch „Ungarn und Polen stellen […] eine Gefahr für den europäischen Zusammenhalt dar“, wie die ZDFinfo-Doku „Wut auf Brüssel – Polen, Ungarn und die EU“ am kommenden Samstag warnt. Irgendwie fühlen sich die Journalisten der Rundfunkbehörden von einer wilden Mischung an bedrohlich Andersdenkenden umzingelt. „Laut, forsch, national: Wie Salvini, Orbán & Co. Europa spalten“, heißt es heute im ZDF. Gelbwesten-Straßenprotestierer, Gauland mit seiner Hundekrawatte und ein Orbán, der seit Jahrzehnten zur EU-Elite gehört – alles wird in einen Topf geworfen und über einen Kamm geschoren. Wer von der auf zwangsgebührenfinanzierten Redaktionsfluren herrschenden Meinung abweicht, ist offenbar ein Spalter. Viktor Orbán und Matteo Salvini seien es demnach, „die die liberale Demokratie verachten“. Gehört zur liberalen Demokratie nicht auch, dass man verschiedene Auffassungen und unterschiedliche politische Entwürfe aushält und dass es Alternativen im Diskurs wie an der Wahlurne gibt?
Gehört zur vielbeschworenen Demokratie nicht auch, Mehrheitsentscheidungen bei Volksabstimmungen zu respektieren, Stichwort Großbritannien? Nein, nicht ganz. „Angriff auf die Demokratie – Wurde der Brexit gekauft?“ sendet ZDFinfo nämlich, mit Verweis auf Spendengelder für die Leave-Kampagne. „Brexit ungültig – Farage war gedopt“? Vielleicht sollte die Abstimmung einfach wiederholt werden, wie die Istanbuler Bürgermeisterwahl, bis das Ergebnis den lupenreinen Demokraten des Behördenfunks in den Kram passt …
Da wirkt eine Aussage zur heute Abend auszustrahlenden ARTE-Sendung „Demokratie unter Druck – Europa vor der Wahl“ unfreiwillig vielsagend: „Heute rebellieren in vielen Ländern Europas Menschen gegen die Demokratie“. Das sind aber nicht die Brexit-Anhänger, AfD-Wähler oder Gelbwesten, sondern diejenigen, die versuchen, die Brexit-Entscheidung von oben zu unterlaufen, oder die Junckers, die die Macht des Brüsseler Apparats gezielt immer mehr ausweiten, und gewiss auch alle, die dissidente Stimmen verteufeln. „Wenn die EU ein Staat wäre, und wenn dieser Staat die Aufnahme in die EU beantragen würde, müsste er zurückgewiesen werden – wegen mangelnder demokratischer Legitimation.“ So einer der ehemaligen Zwölf-Sterne-Generäle, nämlich Martin Schulz. Wer sind hier die Demokraten, möchte man fragen, und wer ist die Bedrohung für Europa?