01.09.2008

Debatte: Doping

Von Matthias Heitmann und Stefan Chatrath

Von der EURO 2008, bei der die ausgeprägte Fitness der russischen Mannschaft Anlass für Spekulationen bot, über den Doping-Dauerbrenner Tour de France bis hin zu den Olympischen Spielen in Peking – der Sportsommer 2008 lieferte wieder ausreichend Stoff für die Dopingdebatte. Die ihr zugrunde liegende Standpunkte werden jedoch nur selten hinterfragt, und die Protagonisten begegnen sich zu selten auf Augenhöhe. Novo widmet sich seit Längerem intensiv dem Thema „Doping“. In dieser Debatte treffen die beiden Novo-Redakteure Matthias Heitmann und Stefan Chatrath auf Steffen Moritz, Vorstandsmitglied von Sport Transparency – Für den Sauberen Sport e.V., ein Verein, der Projekte und Aktionen zur Aufdeckung und Prävention von Doping, Täuschung und Korruption im Sport unterstützt. Beide Seiten eint die Unzufriedenheit ob des aktuellen Umgangs mit der Doping-Problematik; ihre Standpunkte und Lösungsansätze sind jedoch sehr unterschiedlich.

Steffen Moritz: Ein effizienter werdendes Antidoping-System greift den Berufssport vital an – der Spitzensport im Dilemma zwischen Dopingkampf und Glaubwürdigkeitskrise

IOC-Präsident Jacques Rogge kündigte im Sommer 2007, gut ein Jahr vor den Olympischen Spielen von Peking, mit einer „Null-Toleranz-Politik“ den kompromisslosen Kampf gegen Doping an. Dafür würde die Anzahl der Dopingkontrollen während der Spiele auf 4500 angehoben. Rogge weiß, wie stumpf sein Schwert ist: Nur unwissende, schlecht beratene oder fahrlässige Sportler werden während der olympischen Wochen mit „positiven“ Blut- oder Urinwerten auffallen. Doping in den Medien- und Olympiasportarten hat ein solch hohes Niveau erreicht, dass die offiziellen Antidoping-Maßnahmen nahezu chancenlos sind. „Nur Bescheuerte“, wie Antidoping-Kämpfer Werner Franke es jüngst ausdrückte, werden erwischt. Intelligente Dopingsysteme mit Wissenschaftlern, Medizinern, Juristen und Managern finden Wege und Mittel, entweder Dopingfahnder oder Dopinganalytik zu täuschen. Angekündigte Dopingkontrollen während großer Wettkämpfe sind zwar weitgehend zwecklos, stellen für Verbände aber ein sehr gutes Mittel dar, der Weltöffentlichkeit dopingfreien Sport vorzugaukeln.

Auch wenn die Kontrollen effizienter würden, die Verbände stoßen mit ihren aktuellen Antidoping-Verfahren auch noch an juristische Grenzen: Die „Whereabout“-Regelung zwingt Athleten, zu jeder Zeit ihren Aufenthaltsort bekannt zu geben, um für einen möglichen Dopingtest auffindbar zu sein; dagegen wehren sich einige Sportler, die sich in ihren Persönlichkeitsrechten eingeschränkt fühlen. Neue Regeln sehen ab 2009 bei Doping-Erstvergehen eine Sperre von bis zu vier Jahren vor; in vielen Ländern wäre das für Berufssportler ein nicht verfassungskonformes Berufsverbot und würde von nationalen ordentlichen Gerichten aufgehoben. Die Menschenwürde angegriffen sehen Antidoping-Kritiker auch bei der Abnahme von Dopingproben; laut Regel muss der Kontrolleur ganz genau hinschauen, wo der Urin den Körper verlässt – Manipulationen mit Fremdurin in abenteuerlichen Vorrichtungen oder absichtliche Urinverunreinigungen sind der Grund dafür.

Sind Dopingfahndung und -analytik trotz dieser Hemmnisse bisweilen erfolgreich und überführen einen gedopten Sportler, funktionieren die Mechanismen der Sportorganisationen heute so wie vor 30 Jahren: Der Gedopte wird fallen gelassen und als Einzeltäter dargestellt. Ohne Trainer und den Rest des Umfeldes zu hinterfragen, wird der Öffentlichkeit die Sportart als sonst dopingfrei, gar dopingfeindlich vorgegaukelt, es wird totgeschwiegen, verleugnet, gelogen, abgewiegelt. Ob in ihrem Sport gedopt wird oder nicht, scheint vielen Verantwortlichen gleichgültig, solange nur das öffentliche Image „sauber“ erscheint. Diese Doppelmoral bildet das Doping fördernde Milieu der vergangenen Jahrzehnte.

Seit etwa zehn Jahren kommt, vor allem in Deutschland, ein gegenläufiger Prozess in Gang. Beginnend mit den Entschädigungsverhandlungen der DDR-Dopingopfer wuchs ein verändertes Bewusstsein für Doping im Spitzensport. Mit den Affären um den spanischen Arzt Fuentes, Jan Ullrich und Co. sensibilisierten sich die Medien – und damit Zuschauer und Sponsoren – mehr und mehr für Doping und seine komplexen Zusammenhänge und Hintergründe. Inzwischen wird über Doping nicht mehr nur bei Skandalen prominenter Sportler oder nur in den „Qualitätsmedien“ berichtet. 2007 wurde die Berichterstattung zur Tour de France fast ausschließend auf das Thema Doping reduziert. Und die Zeiten, in denen ein öffentlich-rechtlicher Sender eine offensichtlich dopende Sportart als Sponsor unterstützte, erscheinen – glücklicherweise – antik.

Stückchenweise weicht also die Illusion des dopingfreien Sports seiner Realität. Das bringt ganz neue Schwierigkeiten, denn das reale Bild des Spitzensports ist eine Fratze. Das erkennen mit jedem neuen Dopingfall mehr und mehr Zuschauer. Spitzensport wird in der öffentlichen Wahrnehmung zu Dopingsport. Mit dieser Erkenntnis werden Topleistungen und Rekorde infrage gestellt – unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Doping zustande kamen. Der Sport verliert seine Glaubwürdigkeit, Medaillen ihren Wert. Was einer Sportart passieren kann, wenn ihr wahres Wesen öffentlich wird, macht uns der Radsport seit 2006 in Deutschland vor. Erst verlor er seine Glaubwürdigkeit, dann seine Medien, dann Sponsoren, dann Substanz – erst im Spitzenbereich, inzwischen auch im Amateur- und Breitensport.

Das Dilemma des Sports wird klar: Wird Antidoping gefördert, werden die Medien – und damit Zuschauer und Sponsoren – sensibilisiert, werden in vielen Sportarten Realitäten deutlich, die der Sport lange Zeit unterstützt hat, die heute aber seine Glaubwürdigkeit und damit die Verwertbarkeit angreifen. Effizienter öffentlicher Dopingkampf beginnt, den Sport vital anzugreifen. Das ist der Status quo.

Matthias Heitmann / Stefan Chatrath: Nicht der Sport ist unglaubwürdig, sondern der Begriff „Doping“

Steffen Moritz hat nicht unrecht, wenn er feststellt, dass der Sport sich in einem Dilemma befindet: Im Radsport, aber auch in der Leichtathletik oder im Schwimmen werden Weltrekorde heute mehr denn je angezweifelt. Selbst bei einer negativen Dopingprobe bleibt bei vielen die Skepsis ob der „Echtheit“ der Leistung.

Herrn Moritz ist jedoch zu widersprechen, wenn er die Schuld für diese Entwicklung bei den Sportlerinnen und Sportlern sucht – die alles, „Doping“ inklusive, dafür tun würden, sich einen Vorteil zu verschaffen. Warum der Sport in einer „Glaubwürdigkeitskrise“ steckt, hat vielmehr damit zu tun, dass der Sport heute für die Gesellschaft so bedeutend ist wie nie zuvor. Besonders augenfällig ist das bei Großereignissen wie Fußballturnieren oder Olympischen Spielen. Sie sollen sinnstiftend wirken, der Gesellschaft die Orientierung geben, die die Politik und andere gesellschaftliche Institutionen offenbar nicht mehr vermitteln können. Von den Sportlerinnen und Sportlern wird daher ein entsprechendes Verhalten eingefordert: Sie sollen der Gesellschaft als „Vorbilder“ dienen für ethisch-korrektes Wohlverhalten.

Das Ziel – ein Sport, der „sauber“ und damit vorbildhaft ist – heiligt heute, wie es scheint, alle Mittel. Was aber, fragen wir, sagt es über ein Ziel aus, wenn es nur unter dem Rückgriff auf „unheilige“ – sprich: repressive und die Menschenwürde verachtende – Mittel erreicht werden kann? Ist eine Gesellschaft, die glaubt, nur über die Missachtung von Freiheitsrechten von Sportlern sowie durch ein quasi-totalitäres Überwachungsregime die „Sauberkeit“ des Sports retten zu können, auf dem richtigen Wege? Wir denken, nein. Auch für Profisportler haben die Prinzipien des Rechtsstaates zu gelten. Die Gesellschaft sollte in ihrem unbedingten Wunsch nach dem „sauberen“ Sport nicht das Augenmaß verlieren.

Dass es dem Leistungssport heute an Glaubwürdigkeit mangelt, ist auch darauf zurückzuführen, dass sich die Sportverbände in der Vergangenheit auf eine überaus fragwürdige Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Mitteln und Methoden der Leistungssteigerung eingelassen haben. Auf dieser Unterscheidung basiert der Begriff „Doping“. Dass sie jedoch alles andere als eindeutig ist und nicht einmal Antidoping-Experten eine griffige Definition des Begriffes vorlegen können, liegt in der Natur der Sache: Es ist schlichtweg unmöglich, eine plausible Grenze zwischen anerkannten Mitteln und Methoden der Leistungssteigerung und „Doping“ festzulegen. Was macht Höhentraining moralisch wertvoller als eine Eigenblutbehandlung, obwohl beides demselben Zwecke dient? Warum gilt die Eigenblutbehandlung überhaupt als „Doping“, obwohl keinerlei körperfremde Substanzen in den Organismus eingebracht werden?

Dieses grundlegende Definitionsproblem umgeht die Welt-Antidoping-Agentur WADA über die Veröffentlichung einer „Positivliste“, auf der all jene Medikamente und Methoden aufgeführt werden, die als „illegales Doping“ zu gelten haben. Zur Beantwortung der Frage, was „Doping“ sei, wird dann auf eben diese Liste verwiesen, die sich zudem jedes Jahr ändert und auch in sich widersprüchlich ist – für Außenstehende, aber auch für viele Sportler ist dies jedenfalls kaum noch nachvollziehbar. So wurde etwa dem deutschen Radprofi Stefan Schumacher angedichtet, er hätte gedopt – hat er aber nicht. Im Oktober 2007 wurde er von den Kontrolleuren zwar positiv auf Amphetamin getestet, dies jedoch während einer Trainingsphase, was nach den Vorgaben der WADA zulässig ist. Lediglich der Nachweis dieser Substanz in einer Wettkampfphase gilt offiziell als „Doping“. Was im Training erlaubt ist, gilt im Wettkampf als „Doping“ – wer bitte soll das verstehen? Solche Beispiele gibt es zuhauf – dies ist aber auch kein Wunder, denn eine klare Definition gibt es eben nicht.

Das größte Problem in der Diskussion über die Glaubwürdigkeit des Leistungssports ist unseres Erachtens der Dopingbegriff an sich. Er steht einer rationalen Auseinandersetzung über die Vor- und Nachteile leistungssteigernder Medikamente und Methoden im Wege. Es ist an der Zeit, sich von diesem Konstrukt zu trennen – zum Wohle des Sports.

Steffen Moritz: Wer Doping abschafft, zerstört den Sport gleich mit


Meine Mitautoren wollen eine rationale Diskussion um Leistungssteigerung, ohne scheinheilige Verteufelung moderner Mittel und Methoden – das will ich auch. Wenn sie sich in dieser Diskussion aber vom Konstrukt Doping lösen wollen, müssten sie sich auch vom Konstrukt Sport trennen. Denn Doping gehört systemimmanent zum Sport dazu. Beides existiert ohne das andere nicht. Damit aus Leistungsvergleich Sport wird, braucht er Normen und Regeln – auch dafür, welche Mittel und Methoden zur Leistungserzeugung verwendet werden dürfen. Doping bezeichnet das Übertreten dieser Regeln. Doping existiert, weil es in der Natur des Sports liegt, für den Leistungszweck an die Grenzen dieser Regeln zu gehen und darüber hinaus. Die Regeln und Normen basieren auf ethischen Grundsätzen der jeweiligen Gesellschaft, die sie hervorbringt. Über die Festlegung dieser Dopingregeln lässt sich rational diskutieren, über die Existenz von Doping und Sport nicht.

Aus den Regelungen des Sports zu Mitteln und Methoden der Leistungssteigerung ist inzwischen ein umfangreiches, komplexes und auslegbares Regelwerk entstanden, das im Detail nur noch Sportjuristen verstehen können. Und es wird mit dem neuen WADA-Code 2009 noch ausdifferenzierter werden. Die Antidoping-Regeln des Sports ähneln in ihrer Komplexität Gesetzen eines Rechtstaates. Und genauso sind auch sie konstruiert, unvollkommen und müssen stets neu an wissenschaftliche Erkenntnisse, Regellücken und veränderte ethische Grundsätze der Gesellschaft angepasst werden. Alle am Sport beteiligten Gesellschaftsbereiche sollten versuchen, die Sinnhaftigkeit des Doping-Regelwerks zu verstehen und aufgeklärt und rational an seiner Veränderung und Verbesserung mitwirken. Sie aufgrund ihrer Unvollkommenheit abzuschaffen, wäre falsch, liebe Mitautoren.

Die Frage, warum Eigenblutdoping verboten, Höhentraining oder Sauerstoffzelt jedoch erlaubt sind, führt uns mitten in die ethischen Debatte um die Festlegung der Grenze zwischen erlaubten und verbotenen Mitteln und Methoden der Leistungssteigerung. In dieser nur bis zu einem gewissen Grad rational führbaren Debatte kann ich darauf hinweisen, dass die normgebenden ethischen Grundsätze noch nicht damit konform gehen, dass Sportler zu Blutbanken geschickt werden, um sich Blut abnehmen zu lassen, das in einer Zentrifuge aufgeteilt wird in rote Blutkörperchen, die mit Gerinnungshemmern stabilisiert und gekühlt gelagert werden, und in restliche Blutbestandteile, die umgehend wieder in den Blutkreislauf zurückgeführt werden, um kurz vor dem Wettkampf mit Wiederzuführung der gelagerten Blutkonserven die Leistung über ein Vorniveau zu bringen. Möglicherweise ist es ethisch auch nicht vertretbar, Sportler gegen ihren Willen zu zwingen, ihren Aufenthaltsort bekannt zu machen oder sich beim Urinieren zuschauen zu lassen.

Doch in der Diskussion um Doping im Sport geht es nicht nur um die Fest- und Auslegung der Regeln und Normen. Es geht auch darum, warum genau gegen die Regeln verstoßen wird, und wie mit den Verstößen umgegangen wird. Der organisierte Sport zeigt sich bislang mit der Herausforderung Doping tatsächlich überfordert und reagiert mit individualisierter Schuldzuweisung, Intransparenz, Propaganda, Oberflächlichkeit und vermehrter und grenzwertiger Repression insbesondere gegen seine Sportler. Dabei sollte niemand die Schuld an Doping und an der Glaubwürdigkeitskrise des Sports bei den Sportlern allein suchen. Ich mache das sicher nicht, den Vorwurf meiner Mitautoren muss ich zurückweisen! Doping wird in der öffentlichen Diskussion oft nahezu ausschließlich als Fehlverhalten einzelner Personen dargestellt. Diese Sichtweise ist viel zu profan! Doping ist ein kollektiv erzeugtes Phänomen, das sich vornehmlich aus dem Zusammenwirken von Spitzensport, Wirtschaft, Politik, Massenmedien und Publikum ergibt. Der Sport sollte einen konstruktiven und rationalen Dialog dieser Doping erzeugenden Gesellschaftsbereiche anführen und Sportler mit deren Managern, Medizinern und Juristen, mit Wirtschaft, Politik und Medien an einen Tisch bringen. Gemeinsam sollte versucht werden, durch Einsatz von Transparenz, Aufklärung, Offenheit und Ehrlichkeit das wahre, ungeschönte Bild des modernen Dopingsports öffentlich zu zeigen, die Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen und dann gemeinsam die Vision des dopingarmen, ehrlichen, humanistischen – sprich „sauberen“ – Sports anzustreben.

Matthias Heitmann / Stefan Chatrath: Künstliche Leistungssteigerung ist zutiefst menschlich und „sauber“

Der Aussage von Steffen Moritz, die Antidoping-Regeln des Sports ähnelten den Gesetzen eines Rechtsstaates, ist vehement zu widersprechen: Dieses Regelwerk würde vom Bundesverfassungsgericht höchstwahrscheinlich aufgrund der fehlenden abstrakten Definition des „Straftatbestandes Doping“ als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Man stelle sich vor, der Straftatbestand „Diebstahl“ wäre nicht als Verletzung von Eigentumsrechten, sondern lediglich über eine Positivliste all der Dinge definiert, die man nicht entwenden dürfe – ein Jeder hielte dies zu Recht für völlig willkürlich und widersinnig, da so der Diebstahl nicht gelisteter Güter legitimiert würde. Genau dies geschieht aber im Doping-Kontext: Man drückt sich vor einer abstrakten Definition – weil sie nicht existiert! – und verweist stattdessen auf die Liste als „verboten“ geltender Substanzen und Methoden, deren Zusammenstellung aufgrund des Fehlens einer tragfähigen „Doping“-Definition willkürlich sein muss. Mit Rechtsstaatlichkeit hat dies nichts zu tun.

Die Absurdität des Doping-Diskurses geht aber noch viel weiter: Kritisiert wird mittlerweile auch, dass gezielt Mittel und Methoden zur Medikamentenunterstützung eingesetzt werden, die nicht auf der Verbotsliste stehen, und dass mithilfe freiwilliger interner Kontrollen sichergestellt wird, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte nicht überschritten werden. Den Sportlern wird vorgeworfen, sie würden sich so bis an die Grenzen des Erlaubten „herandopen“. Dies bringt Leistungssportler in eine absurde Situation: Nicht nur „Doping“ wird geächtet, sondern auch der Einsatz „legaler“ Mittel zur Leistungssteigerung. So verhärtet sich der Eindruck, dass es den meisten Antidoping-Aktivisten gar nicht darum geht, Regelverstöße zu ahnden, sondern das Leistungsstreben ganz grundsätzlich als Problem darzustellen. Diese zutiefst zynische Haltung kann nicht durch ein „Nachbessern“ des Doping-Regelwerks überwunden werden; es bedarf vielmehr eines grundsätzlichen Überdenkens des Dopingbegriffs.

Steffen Moritz kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass es eigentlich keine rationale Grundlage für ein Verbot von Eigenblutdoping gibt. Stattdessen begründet er – wie auch viele andere Antidoping-Aktivisten, die die grundsätzliche Problematik der „Doping“-Definition erkannt haben – das Verbot damit, dass Eigenblutdoping „unethisch“ sei. Was genau aber sind „ethische“ Mittel und Methoden der Leistungssteigerung, und wo liegt die Grenze zu den „unethischen“? Eine schlüssige Antwort auf diese Fragen ist in der Debatte nicht zu hören.

Steffen Moritz’ Forderung, es müsse Regeln dafür geben, wie Leistungsfähigkeit erzeugt werden dürfe, kann eigentlich nur bedeuten, dass er manche Mittel und Methoden der Leistungserzeugung nicht mit einem „humanistischen, sauberen und ehrlichen Sport“ für vereinbar hält. Wir fragen: Wird Sport dadurch, dass Sportler die Vorzüge moderner Wissenschaften und Technologien nutzen, inhuman oder gar „unsauber“? Ist mit „Sauberkeit“ gemeint, dass alle Sportler dieselben Voraussetzungen haben sollen? Dann wäre schon der Wettkampf zwischen Sportlern aus reichen, sich Leistungssport leisten könnenden Nationen und solchen aus ärmeren Ländern an und für sich als „unfair“ abzulehnen. Es ist aber nicht „unfair“, dass besser ausgestattete Hochleistungssportler bessere Leistungen erbringen können als schlechter alimentierte. Oder ist mit „Sauberkeit“ gemeint, dass Sportler ihre Leistung auf „natürlichem“ Wege erzielen sollen? Dann wären wir in der Tat auf dem Wege in einen „antihumanistischen Sport“, denn es macht gerade den Menschen und seine Menschlichkeit aus, sein Wissen und seinen Geist zur „künstlichen“ Verbesserung seiner Leistung einzusetzen. Menschliche Leistung ist per se „unnatürlich“. Ausgerechnet im Sport – einem zutiefst kulturellen und mithin künstlichen Phänomen mit menschgemachten Regeln und Normen – plötzlich imaginäre „natürliche Normen“ einzuführen, wäre widersinnig, denn dies käme der Zerstörung des Leistungssports, ja des Begriffs der „menschlichen Leistung“ an sich gleich.

In einem Punkt ist Steffen Moritz jedoch Recht zu geben: Offenheit und Ehrlichkeit in Bezug auf gesundheitliche Vor- und Nachteile von zur Leistungssteigerung verwandten Medikamenten und Methoden ist in der Tat wünschenswert – eine solche Debatte hätte einen aufklärerischen Wert und wäre für die Öffentlichkeit handlungsleitend. Es ist ein Leichtes, dem organisierten Sport vorzuwerfen, er trage hierzu wenig bei. Der entscheidende Durchbruch wird hingegen nur gelingen, wenn in der Öffentlichkeit die Einsicht reift, dass der rein ethisch definierte Dopingbegriff selbst sowie der auf dem Sport lastende moralische Druck einer offenen und sachlichen Debatte im Wege steht. Erst wenn das geschehen ist, wird auch in den Sportverbänden Offenheit und Ehrlichkeit das inhumane Katz-und-Maus-Spiel zwischen Sportlern und Kontrolleuren ersetzen können.

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