01.07.2008

Mehrwert und Werbung

Analyse von Stefan Chatrath

Sponsoren sind nicht schuld am Doping im Radsport. Aber auch Antidoping liegt nicht unbedingt in ihrem Interesse.

Früher war natürlich alles besser: Sport war unkommerziell und daher fair und weniger leistungsorientiert. Zum Beispiel die Tour de France: Sie wurde 1903 erstmals ausgetragen – mit dem Ziel, das schöne, gesunde und umweltfreundliche Hobby des Radwanderns einem breiten Publikum nahe zu bringen. So hätte es sein können. War es aber nicht: Schon die Gründung der Tour de France ist kommerziell motiviert gewesen. Die Zeitung L’Auto kränkelte und suchte dringend eine neue Werbeplattform, um den Verkauf anzukurbeln. Warum nicht das Fahrrad als Werbeträger nutzen und sich so im hart umkämpften Zeitungsmarkt einen Vorteil verschaffen? Schließlich war der Radsport schon damals äußerst populär in Frankreich. Radfahrer galten als Helden, die die Grenzen des Vorstellbaren sprengten, begeisterten die Massen, darunter auch viele Motorsportinteressierte, die Zielgruppe von L’ Auto.

Kein Wunder also, dass auch die Werbewirtschaft schon sehr früh ihr Interesse an der Frankreichrundfahrt bekundete: Die Werbekarawane der Tour ist keine Erfindung von heute, sondern wurde 1930 eingeführt – und gehört damit mittlerweile zur Tour de France wie das Radrennen selbst. Im vergangenen Jahr verteilten 40 Unternehmen 15 Millionen Werbegeschenke, ein (Werbe-)Zug von insgesamt 20 Kilometern Länge, der die Zuschauer am Straßenrand unterhalten und in Stimmung bringen soll, bevor die Alberto Contadors im Eiltempo vorbeirauschen. Die Tour nimmt so mehr als 30 Millionen Euro ein und leitet diese über Siegprämien an die teilnehmenden Rennställe weiter – allein 400.000 Euro an den Gesamtsieger. Die Öffnung des Radsports für kommerzielle Zwecke wird heute besonders kritisch gesehen. Sie gilt als eine der wichtigsten Ursachen für das Doping im Radsport: Die Sportler müssten faktisch dopen, denn sie dürfen nicht versagen, müssten alles versuchen, auch mit illegalen Mitteln. Nur wer sportlich erfolgreich sei, tauge als Werbeplattform, so heißt es – was ja auch richtig ist, nur: Führt das unweigerlich zum Doping? Sind also die Sponsoren an allem schuld? Sind sie es, die die Sportler in die Dopingfalle treiben?

Der Griff zur Pille: Höchstleistung ohne (Werbe-)Wert

Wer behauptet, die Öffnung des Radsports für den Kommerz sei einer der wichtigsten Gründe für Doping, der irrt gewaltig: Entgegen weit verbreiteter Meinung sind die Unternehmen nicht an sportlicher Höchstleistung per se interessiert. Mit ihrem Engagement im Sport wollen sie vielmehr ihre Produkte emotional aufladen und die Konsumenten so zum Kauf des Beworbenen veranlassen. Egal, ob für den Verkauf von Autos, Bier, Versicherungen oder zum Beispiel Babynahrung: Der Spitzensport bewegt die Massen, und davon will ein Sponsor profitieren, ein Teil der Begeisterung für den Sport soll auf ihn abfallen. Kaum ein anderer Teilbereich der Gesellschaft eignet sich für diesen Zweck so gut wie der Sport. Nirgendwo sonst, außer vielleicht im Kino oder auf der Theaterbühne, lassen sich Sieg und Niederlage, Aufstieg und Fall so unmittelbar mitfühlen.

Die Sportförderung ist für einen Sponsor also immer Mittel zum Zweck. Er erhofft sich damit eine Emotionalisierung seiner Produkte. Wird jedoch, wie im Radsport, ernsthaft an der Integrität des sportlichen Wettbewerbs gezweifelt, ist die Spitzenleistung der Sportler für die Sponsoren ohne emotionalen (Mehr-)Wert: Laut dem Dopingbarometer des Meinungsforschungsinstituts Ipsos sind 56 Prozent der Sportinteressierten der Meinung, dass Dopingvorfälle auch ein schlechtes Bild auf die Sponsoren werfen. Kein Sponsor kann das ignorieren – gerade im Radsport, wo Sponsor und Gesponserter eine vergleichsweise enge Beziehung eingehen und deshalb durch die Zuschauer als eine Einheit wahrgenommen werden. So wurde der Spitzenradsport in Deutschland bis letztes Jahr von vielen quasi mit der Telekom gleichgesetzt: Radsport war Telekom, und Telekom war Radsport. „Es gibt kaum eine andere Sportart, wo der Sponsor so nah dran ist am Geschehen wie im Radsport“, sagt Stephan Schröder, der die Kölner Sport+Markt AG leitet. Wie es scheint, ist genau das heute das Problem: „Doping im Radsport birgt die Gefahr, die Marke des Sponsors zu beschädigen“, warnt Thomas Röttgermann von Sportfive, einem der führenden Sportrechtevermarkter in Europa. „Den meisten Zuschauern ist gar nicht bewusst, dass die Rennställe selbstständig sind.“ Was lange Jahre über so erwünscht war, die Wahrnehmung eines Rennstalls als quasi zum Konzern gehörend, wird angesichts der jüngsten Dopingskandale zum Problem. Kein Wunder: Wie soll auch von heute auf morgen glaubhaft gemacht werden, dass die sportliche Leitung unabhängig ist? Wer würde es den Unternehmen abnehmen, wenn sie nun, scheinbar ganz opportunistisch, behaupteten, die Rennställe eigentlich nur als Werbeplattform zu nutzen, ihnen aber ansonsten, in sportlichen Dingen, freie Hand zu lassen? Wohl kaum jemand. Ein Sponsor, der Doping im Radsport toleriert, würde daher grob fahrlässig handeln, denn jeder Dopingvorfall „seiner“ Mannschaft würde unmittelbar negativ auf ihn zurückfallen.

62 Prozent der von Ipsos Befragten assoziieren inzwischen die Leistungen der Radsportler spontan mit Doping. Der Marktforscher Hartmut Zastrow, seit vielen Jahren Sponsoren beratend, geht davon aus, dass der Radsport daher als Werbeplattform an die „100 Millionen Euro an Wert verloren hat“. Keine Überraschung ist deshalb auch, dass sich neben der Telekom weitere Sponsoren entschlossen haben, ihre Verträge mit den Rennställen aufzulösen – darunter mit Adidas, der Crédit Agricole, Gerolsteiner und Wiesenhof auch Unternehmen, die ähnlich wie die Telekom dem Radsport schon seit vielen Jahren verbunden waren. Sie sind längst keine Einzelfälle mehr: Der Ausstieg einzelner Sponsoren weitet sich nach und nach immer mehr zu einer fast panikartigen Flucht aus. Laut der Studie „Sponsor Visions“ wollen 68 Prozent der Unternehmen ihr Radsport-Sponsoring reduzieren, nur ein Prozent will es in den nächsten Jahren ausbauen, die verbleibenden 31 Prozent sehen sich noch aufgrund langfristiger Verträge gebunden. Keine andere Sportart in Deutschland schneidet in der Studie derart schlecht ab. Der Radsport befindet sich in einer Abwärtsspirale: Selbst das erfolgreichste Team der letzten zehn Jahre, Discovery Channel (vormals US Postal), musste sich auflösen. Die Teamleitung konnte trotz acht Toursiegen in den letzten zehn Jahren keinen neuen Werbepartner davon überzeugen, als Sponsor einzusteigen.

Der Griff zur Pille ist für Sponsoren also ohne jeden Zweifel ein großes Problem. Zu dopen bedeutet für einen Sportler, ein großes Risiko einzugehen: Sponsoren wollen keine Höchstleistung um jeden Preis. Sie wollen mithilfe des Sponsorings ihre Produkte emotional aufladen, von der Begeisterung rund um sportliche Spitzenleistung profitieren. Gilt aber der sportliche Wettbewerb als „unecht“, ist also die sportliche Leistung diskreditiert, dann kann ein Unternehmen seine Ziele nicht mehr erreichen und wird sich früher oder später aus der Sportart zurückziehen – so wie es die Telekom und viele andere im Radsport getan haben. Es ist daher auch falsch zu behaupten, die Unternehmen trieben die Sportler in eine Dopingfalle. Das Gegenteil ist der Fall: Ihre Motivation, in den Sport einzusteigen, verbietet es den Sportlern geradezu zu dopen. Leistung besitzt nämlich nur dann einen Werbewert, wenn sie von den Zuschauern als authentisch wahrgenommen wird.

Radsport-Sponsoring: Schon immer ein Risiko wegen Doping

Dopingvorfälle begleiten den Radsport nicht erst seit heute: „Doping wurde im Radsport erfunden“, sagt der Radsportexperte Bernd Herrmann. „Schon Ende des 19. Jahrhunderts wird von zahlreichen Geheimmittelchen berichtet, das bekannteste davon war das wenig gesunde Strychnin.“ Zwar war noch nie zuvor einem Toursieger nachträglich der Titel aberkannt worden wie 2006 Floyd Landis, doch wer sich ein wenig in der Geschichte des Radsports auskennt, der weiß: Doping im Radsport ist so alt wie die Sportart selbst. Auch frühere Radsportgrößen wie Eddy Merckx und Pedro Delgado wurden zu ihrer aktiven Zeit positiv getestet – ohne dass gleich der gesamte Radsport infrage gestellt worden wäre. Warum, fragt man sich, ist Doping aber gerade heute so ein großes Problem? Und warum waren Unternehmen überhaupt bereit, in den Radsport als Sponsor einzusteigen?

Im Radsport stehen einem Werbetreibenden meist nur sehr begrenzte Flächen und Zeiträume für die werbliche Nutzung zur Verfügung. Daher wird – neben der schon angesprochenen Emotionalisierung – meist nur eine weitere Zielstellung verfolgt: die Steigerung des Bekanntheitsgrades des Unternehmens und seiner Produkte. Gerade die Tour de France eignet sich dafür hervorragend: Sie ist nach Fußball-Weltmeisterschaft und den Olympischen Spielen das, je nach Lesart, weltweit drittgrößte Sportereignis. Noch 2005, mit Jan Ullrich auf Platz drei in der Gesamtwertung endend, verfolgten 3,1 Millionen Zuschauer die Live-Übertragungen von ARD und ZDF – im Durchschnitt über die gesamten drei Wochen. Einzig Fußball- und Formel-1-Übertragungen können da mithalten: Die ARD-Sportschau hat samstags während ihrer 75-minütigen Bundesliga-Zusammenfassung stabil zwischen fünf und sechs Millionen Zuschauer. RTL schalten für die 18 Formel-1-Übertragungen im Jahr zwischen sechs und sieben Millionen Motorsportinteressierte ein.

Seit den jüngsten Dopingfällen ist in Deutschland das Interesse am Radsport sprunghaft gesunken: von 41 auf 29 Prozent. Die letzte Frankreichrundfahrt verfolgten nur 1,15 Millionen Zuschauer an den Fernsehern, zumal sich die Öffentlich-Rechtlichen während der Tour aus der Übertragung verabschiedeten. Das ist zu wenig, um als attraktive Werbeplattform zu gelten. Die Sportinteressierten zeigen dem Radsport die kalte Schulter, sicherlich auch zum Teil deswegen, weil es derzeit keine „Siegfahrer“ in Deutschland gibt. 1998, als der Radsport ebenfalls eine große Dopingkrise durchlief, war das ganz anders: Jan Ullrich hatte im Jahr zuvor erstmals die Tour de France gewonnen und einen Radsport-Boom in Deutschland ausgelöst, Erik Zabel eilte im grünen Trikot von Etappensieg zu Etappensieg. Aus dem Radsport-Sponsoring auszusteigen, wurde von der Telekom damals nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Denn trotz der Dopingvorfälle war das Image des Radsports zu der Zeit, und eigentlich auch bis zur Skandaltour 2007, nicht durchweg negativ: Radsport galt, wie Umfragen zeigten, als dynamisch, natürlich und teamorientiert. Radsportler wurden von vielen als Helden verehrt, die das Unvorstellbare erreichten, wenn sie zum Beispiel einen Berg in einem mörderischen Tempo hinaufflogen, an und über ihre Grenzen gingen. Doping wurde nur als ein, wenngleich unschöner, Teil des Radsports wahrgenommen.

Der Einstieg in den Radsport als Sponsor war daher schon immer ein Kosten-Nutzen-Kalkül: Doping war das Risiko, das es für viele Unternehmen wert war einzugehen, solange es in der Wahrnehmung der Zuschauer nicht dominant wurde. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein hat das im Großen und Ganzen sehr gut funktioniert – nicht unbedingt für Sponsoren wie Gerolsteiner oder Nordmilch, die als Teil der Ernährungsindustrie sehr viel Wert auf ein natürliches Image ihrer Produkte legen und daher für Dopingfälle immer besonders anfällig waren. Aber zum Beispiel für die eher technologiegetriebene Deutsche Telekom hat sich ihr über 16-jähriges Engagement durchaus gelohnt: „Unterm Strich steht die Telekom als Gewinner dar. Es gab vier, fünf Jahre, die hervorragend waren, mit einem unwahrscheinlich hohen Return on Investment. Seit den jüngsten Dopinggeständnissen lief es nicht mehr so schön. Ich würde sagen, das Sponsoring hat der Telekom einen fiktiven Imagegewinn von maximal plus 100 gebracht. Jetzt sind noch plus zehn übrig. Insgesamt kann man zufrieden sein“, bewertet Berater Hartmut Zastrow das Radsport-Sponsoring der Telekom. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass das Thema Radsport und Doping in den nächsten Jahren ein Dauerbrenner sein wird. Damit möchten wir nichts zu tun haben“, erklärt der Sponsoring-Chef der Telekom, Stephan Althoff, den Ausstieg des Konzerns. Das Dopingproblem habe heute eine Dimension bekommen, die ein weiteres Engagement nicht mehr rechtfertige. „Ein positiver Imagetransfer ist derzeit im Radsport nicht zu erzielen“, sagt auch Zastrow, der derzeit keinem Unternehmen zum Einstieg raten würde. „Andere Sportarten werden den Radsport sehr schnell in die Ecke drängen“, sagt Stephan Schröder. „Mindestens die nächsten fünf Jahre lang sieht es für den Radsport ziemlich düster aus.“

Wie sollte ein Unternehmen mit Doping umgehen?

Für die Unternehmen ist Doping ein Problem, nicht an sich, sondern natürlich nur da bzw. solange es in der Bevölkerung als negativ wahrgenommen wird. Das ist derzeit ohne jede Frage der Fall. Bedeutet das nun, dass Unternehmen sich auch im Kampf gegen das Doping aktiv einbringen sollten? Der Fachverband für Sponsoring FASPO warnt vor einem solchen Engagement, da damit in die Autonomie des Sports eingegriffen werde. Er empfiehlt seinen Mitgliedern stattdessen, dem Bund Deutscher Radfahrer das Vertrauen auszusprechen, dass er in der Lage ist, diese innere Angelegenheit des Sports erfolgreich selbst zu regeln. So gehöre es zum Selbstverständnis der Sponsoringtreibenden, dass ein Sponsor keinerlei Einfluss auf den Gesponserten ausübe, lediglich werblichen Nutzen aus dem Sponsoring ziehe und sich damit auch in allen Fragen der Dopingbekämpfung nicht einmische, sondern dies dem Sport und seinen Verbänden überlasse. Deren Autonomie leitet sich in einer freiheitlichen Gesellschaft wie der unsrigen aus den Grundrechten der Handlungs- und Vereinigungsfreiheit ab, im Grundgesetz in den Artikeln 2 und 9 verankert. Die Mitglieder der Gesellschaft bestimmen demnach selbst darüber, in welcher Weise sie sich sportlich betätigen, in welcher Form und Gruppe sie sich zu diesem Zweck zusammenschließen und nach welchen Regeln sie die gegründete Vereinigung führen wollen. Ihnen wird damit auch innerhalb des Sports die Möglichkeit eingeräumt, ihren Willen frei zu bilden, zu äußern und entsprechend zu handeln. Dies gilt es zu respektieren, so schwer es einem Sponsor im Radsport auch fallen mag aufgrund der engen Verbindung zum Gesponserten. Dopingbekämpfung ist Sache der sportlichen Leitung und der Verbände, nicht des Sponsors. Nichtsdestotrotz ist es natürlich gerechtfertigt, wenn ein Unternehmen sein Sponsoring zurückzieht, wenn es einen Imageschaden für die eigene Marke befürchtet. Ein Sponsor sollte daher im Sponsoringvertrag über ein entsprechendes Sonderkündigungsrecht Vorsorge für einen Dopingfall treffen.

Der Telekom ist angesichts der Dopingfälle in ihrem Rennstall häufig vorgeworfen worden, sie hätte zu wenig gegen das Doping getan. Was aber genau hätte die Telekom bitte noch tun sollen? Schon die Rennfahrer dazu zu verpflichten, einen Teil ihres Gehalts für die Dopingbekämpfung abzuführen, war arg grenzwertig. Ein Sponsor, der über die Verwendung des von ihm gezahlten Geldes bestimmt, greift tief in die Verfügungsgewalt der sportlichen Leitung ein, ein klares Signal dafür, dass der Telekom der Glauben abhanden gekommen war, der Radsport sei in der Lage, das Problem eigenhändig zu lösen. Der Sponsoring-Leiter der Telekom, Althoff, begründete die spätere Vertragsauflösung entsprechend: „Wir haben die Hoffnung auf Besserung verloren. Die Verantwortlichen sollen ruhig sehen, was sie mit ihrem Verhalten anrichten.“ Rückblickend ist es eher untypisch, dass die Telekom dem Radsport so lange die Treue gehalten hat. Manch anderes Unternehmen wäre wohl schon früher ausgestiegen oder hätte versucht, stärker Einfluss zu nehmen. Gerade im Radsport ist die Versuchung dafür sehr groß.

Das mangelnde Vertrauen der Telekom und vieler anderer Sponsoren in das bestehende Dopingkontrollsystem sollte den Verantwortlichen zu denken geben. Warum nicht einmal ernsthaft über die Freigabe von Doping nachdenken? „Dass das jetzige Anti-Doping-System nicht funktioniert, ist bewiesen“, schreibt Doping-Experte Gert Wagner in der FAZ. Wahrscheinlich hat es keinen Zeitpunkt in der Geschichte des Radsports gegeben, zu dem die Leistungen der Rennfahrer mehr diskreditiert waren als heute – trotz eines engmaschigen Dopingkontrollnetzes, das von den Sportlern verlangt, den Kontrolleuren rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Gedopt wird dennoch: „Wer es gewohnt ist, an die Grenze zu gehen und sie so lange zu überschreiten, bis er bestraft wird, dem kann man nicht einreden, dass ausgerechnet bei der Unterstützung durch Medikamente alles anders sein soll“, so Wagner. Das Dopingverbot schränke die Therapiefreiheit der Sportler willkürlich ein. „Als gedopt gilt nur der, der Therapien anwendet, die auf der Dopingliste als verboten stehen.“ Eine andere Definition gibt es nicht: „Der einzige Grund, bestimmte Therapien zu verbieten, sollte die Feststellung sein, dass sie für die Sportler tödlich oder ernsthaft gesundheitsschädigend sind. Bei den meisten heutigen Dopingmitteln ist dies nicht der Fall“, sagt Radsport-Experte Bernd Herrmann. Das größere Problem für die Gesundheit der Sportler ist, dass aufgrund des Verbots bestimmter Therapien nicht offen über ihre Wirkung geforscht werden darf. Erst mit einer Freigabe, so Wagner, könnten Ärzte „über eine optimale Medikamentenunterstützung forschen und auf Kongressen berichten. Dadurch würde allein durch eine vernünftigere Dosierung das Krankheitsrisiko minimiert.“ Zu vermuten ist, dass sich dann auch zeigen würde, dass es das Wundermittelchen nicht gibt und dass das Dopingverbot eher kontraproduktiv ist, da es dazu beiträgt, den Anteil von Doping an der sportlichen Leistungsfähigkeit zu überschätzen.

Ob Sponsoren sich mit einer Freigabe von Doping anfreunden könnten, hängt davon ab, ob die Zuschauer, also ihre Zielgruppe, von einer solchen überzeugt werden könnten. Größtes Problem dürfte hierbei die diffuse Skepsis gegenüber allem „Unnatürlichen“ sein, die heute weit verbreitet ist und sich auch in der Ablehnung von Doping widerspiegelt. Doping gilt vielen als eine Steigerung der Leistungsfähigkeit, die deshalb abzulehnen sei, weil sie unnatürlich ist. Bloß: Welche sportliche Leistung ist natürlich? Leistungssport ist das Gegenteil von Natur, so wie unser ganzes Leben künstlich ist, der ständige Versuch, als natürlich geltende Grenzen zu überwinden. Die Verantwortungsträger im Sport sollten mit diesem Mythos offensiv umgehen: Was genau spricht eigentlich dagegen, mit künstlichen Mitteln Höchstleistungen zu vollbringen? Künstlich sind auch Rennanzüge und Räder aus Karbon, Diätpläne oder ein Höhentraining. Warum sollte es den Radsportlern nicht gestattet werden, auch neue Therapien für sich zu erproben?

Das aktuelle Dopingkontrollsystem hingegen schadet dem Sport: Die Glaubwürdigkeit sportlicher Leistungen hat sich, seit Doping bekämpft wird, nicht gebessert. Im Gegenteil: Im Radsport, aber auch in der Leichtathletik oder im Schwimmen werden Rekorde heute mehr denn je angezweifelt. Die Dopingbekämpfung in ihrer jetzigen Form hat ein Klima des Misstrauens geschaffen: Ein Dopingverdacht besteht bei Spitzenleistungen eigentlich immer – selbst bei einer negativen Dopingprobe des Sportlers. Für diejenigen, die mit dem Sport werben wollen, ist diese Entwicklung ein großes Problem: Für sie hat die sportliche Leistung nur dann einen Wert, wenn sie als authentisch wahrgenommen wird. Eine Doping-Freigabe würde dem nicht unbedingt entgegenstehen: Eine Sportart hätte auch dann einen Werbewert, wenn die Mehrheit der Zuschauer eine Freigabe als unproblematisch ansähe. Bis dahin ist es sicherlich noch ein weiter Weg. Aber es gibt viele gute Argumente dafür. Warum sollte es nicht gelingen, die Öffentlichkeit von einer Doping-Freigabe zu überzeugen? Auf einen Versuch käme es an.

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