22.12.2014

Politik in aller Munde

Kommentar von Christoph Lövenich

Bundesernährungsminister Christian Schmidt hat genaue Vorstellungen, was Kinder essen sollten. Auch nicht-staatliche Akteure profilieren sich mit dem Schlachtruf „Essen ist Politik“. Die Sinnhaftigkeit solcher Vorstellungen lässt sich in Frage stellen.

„Essen ist Politik“ [1] proklamierte jüngst Thilo Bode von Foodwatch. „Essen ist Politik“ zeigt sich auch die kalifornische Köchin und Gemüseaktivistin Alice Waters (eine Art US-amerikanisches Pendant zu Sarah Wiener) überzeugt. [2] Bode und den zigtausenden Foodwatch-Begeisterten geht es darum, „nicht einfach nur sein individuelles Einkaufsverhalten [zu] ändern“ [3] – sondern natürlich auch das der anderen, ob sie wollen oder nicht. Die zeitgenössische Ernährungsavantgarde möchte „nicht den Einflüsterern von Nestlé, Unilever, Mars & Co. das Feld überlassen“ [4]. Bodo, der sein Handwerk als Moralunternehmer bei Greenpeace erlernt hat, wendet hier die übliche Argumentationsfigur des Aktivismus vergangener Jahrzehnte an: Böse, übermächtige Konzerne als Bedrohung, und man selbst stilisiert sich vor dieser Folie zum Rächer der Enterbten – Spendenkontonummer inklusive.

Alice Waters wiederum, laut Time Magazine eine der 100 einflussreichsten Amerikaner, sieht ihre Mission darin, „einen Slow-Food-Stundenplan für eine Fast-Food-Kultur durchzusetzen“ und erkennt in dem Eifer, ihren Mitmenschen ihre kulinarischen Vorstellungen schmackhaft zu machen, „immer noch die Aktivistin, die ich im Berkeley der Sechzigerjahre war“. [5] Damit steht sie für ein Milieu, das nach 1968 sein Heil nicht mehr in politischer Revolution, sondern in neuer Innerlichkeit und Selbstreform gesucht hat, um dann im nächsten Schritt die Gesellschaft Schritt für Schritt mit den neuen Gewohnheiten anzustecken. Nicht das Öffentliche, sondern das Private war nun politisch, und für Speisevorschriften sind heute nicht mehr nur die Religionsgemeinschaften zuständig.

„Nicht das Öffentliche, sondern das Private war nun politisch“

Waters setzt sich für das Anlegen und Pflegen von Gemüsegärten in Schulen ein, in Kalifornien so erfolgreich, dass viele Schüler nun ihre Unterrichtszeit mit Gartenarbeit verbringen. Nach Ansicht der Autorin Caitlin Flanagan leidet darunter bereits das allgemeine Bildungsniveau. Waters‘ Ideologie sei „verantwortlich dafür, dass immer mehr amerikanischen Schulkindern Zeit geraubt wird, die sie sonst für die Lektüre wichtiger Bücher oder das Erlernen höherer Mathematik hätten verwenden können (mit anderen Worten: zur Erlangung von Kulturtechniken, die unzählige Generationen gerade des verzweifelten Herumwühlens in der Erde – um von der Hand in den Mund seinen Lebensunterhalt zu bestreiten ­– enthoben haben).“ [6]

Und hierzulande zeigt sich 3sat-Moderator Gert Scobel empört, „dass es uns, unseren Politikern, unserer Regierung einfach völlig egal zu sein scheint, wie Kinder essen.“ [7] Der Mann irrt. Nicht nur für die – eng mit den paternalistischen Alt-Hippies Kaliforniens verwandten – Grünen bleibt auch nach ihrem halbherzigen Abschied vom Veggie Day die Ernährung der Menschen ein politisches Großthema [8], sondern der gesamte politische Mainstream läuft in die gleiche Richtung.

Kürzlich erschienene Studien zur Verpflegung in Kindertagesstätten und Schulen nahm der Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) zum Anlass, für den Nachwuchs gleich drei Veggie Days pro Woche zu fordern. Er will nämlich Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) dort verbindlich verankern, und das heißt: höchstens zweimal pro Woche Fleisch. Peter Mühlbauer von Telepolis, der hierauf aufmerksam gemacht hatte, stieß auf noch mehr Paternalismus in den Verlautbarungen des Ministers: Kinder „sollen […] ‚stärker mitreden, was auf die Teller kommt und wie es präsentiert wird‘. Dabei könne es allerdings ‚nicht darum gehen, jeden Tag Pizza und Pommes auf den Tisch zu bringen‘. Anderswo nennt man so etwas ‚gelenkte Demokratie‘.“ [9]

„Fleischphobie und Gemüsefetischismus haben mit wissenschaftlichen Erkenntnissen wenig zu tun.“

Bei den Studien waren die Kinder selbst bezeichnenderweise gar nicht gefragt worden, ob ihnen ihr Kantinenessen gefällt. Und: „Die DGE-Standards sind reine Willkür“, so der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop, „denn warum sollen Kinder innerhalb von 20 Tagen 8x Rohkost, mindestens 8x Obst und 4x Seefisch essen? Es liegt kein einziger Beweis vor, dass dieser Zahlenhokuspokus auch nur ein Promille mehr Kindergesundheit bringt.“ [10]

Fleischphobie und Gemüsefetischismus haben mit wissenschaftlichen Erkenntnissen wenig zu tun. Die einseitige Huldigung pflanzlicher Lebensmittel geht in die Irre, wenn man etwa an die Qualität von Tierprodukten als zentrale Lieferanten von Proteinen, B-Vitaminen, Eisen usw. denkt. Sie hat aber Tradition. Die „Lebensreform“-Bewegungen um 1900 propagierten eine ‚naturnahe‘ Lebensweise mit Vegetarismus, Alkohol-und Tabakabstinenz – was uns angesichts heutiger Entwicklungen wieder seltsam bekannt vorkommt. Im Dritten Reich konnten sie dann ihren Niederschlag in staatlicher Politik finden, Hitler persönlich maß der Veränderung von Ernährungsgewohnheiten in der Bevölkerung erhebliche Bedeutung bei. [11] Dieser Gedanke war bei führenden Politikern zuvor und auch in den Jahrzehnten danach nicht aufgekommen, erst nach der Jahrtausendwende ereignete sich wieder eine essenspolitische Wende, mit den Grünen um die damalige Bundesministerin Renate Künast voran.

Und so gilt es heute wieder als politische Aufgabe des Staates, in die Kühlschränke und Kehlen der Menschen hineinzuregieren. Teils aus ideologischer Überzeugung, überwiegend aber aus Desorientierung unter Politikern, die den Kompass verloren haben, worin eigentlich ihre Aufgabe bestehen sollte. „Und „politisch“ – das zeigt das Beispiel Essen – scheint heutzutage nicht mehr den kontroversen Streit von Meinungen und Interessen zu bedeuten, stattdessen springen alle auf denselben Zug auf. Salat statt Fleisch, dünn statt dick, „bio“ und regional soll es sein – kritische Stimmen werden kaum gehört. Missionare wie Bode und Waters sowie Politiker vom Schlage Schmidts erfahren wenig Gegenwind. Da wird es schon zum oppositionellen Akt, wenn Sie sich den Weihnachtsbraten schmecken lassen.

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