15.06.2022

Opposition als Ordnungswidrigkeit

Von Mona Aranea

Titelbild

Foto: Ivan Radic via Flickr / CC BY 2.0

Zu den Einschränkungen des Versammlungsrechts in Deutschland gehört, dass in den letzten zwei Jahren immer wieder das Maskentragen auf Demos verordnet wurde. Erfahrungen einer Versammlungsleiterin.

Bußgelder haben sich im Zuge der Pandemiepolitik etabliert als Repressionsmaßnahme gegen Teilnehmende oppositioneller Kundgebungen, meist wegen nicht oder nicht korrekt getragener Mund-Nasen-Bedeckungen. Widerspruch gegen die häufig ziemlich willkürlichen Bußgelder war und ist möglich, und teils erfolgreich.

Die Mönchengladbacher Lokalpolitik hat die maßnahmenkritischen Kundgebungen der oppositionellen Bürgerinitiative MG Demo gründlich satt. Ende Januar 2022 versammeln sich erneut rund 700 Menschen auf dem Rheydter Markt und demonstrieren gegen die demokratiefeindliche 1 Pandemiepolitik der Bundes- und Landesregierung und insbesondere gegen die zu diesem Zeitpunkt geplante allgemeine Impfpflicht. Regierungsparteien und linientreue Gewerkschaften sehen nicht länger tatenlos zu, sondern veranstalten auf demselben Platz eine Gegenkundgebung gegen die Maßnahmengegner. Oberbürgermeister Felix Heinrichs (SPD) lobt die knapp zwei hundert Teilnehmer der Gegenkundgebung für die hohe Impfbereitschaft in der Stadt und ihre Unterstützung der Coronamaßnahmen. Die Behauptung eines Verlusts an Rechtstaatlichkeit und Demokratie durch die Maßnahmen sei Unsinn, schließlich sei es nur in funktionierenden Demokratien möglich, dass Gegner der Regierungspolitik unbehelligt demonstrieren.

Nebenan, auf der gleichzeitigen oppositionellen Kundgebung, fühlen wir Corona-Impfkritiker uns durchaus ein bisschen behelligt. Es hagelt an diesem kalten Sonntagnachmittag Bußgelder für unsere Teilnehmer. Es gilt zu diesem Zeitpunkt qua Landesverordnung Maskenpflicht bei der Versammlung. Zahlreiche Diskussionen kommen auf über Zigarettenpausen, Trillerpfeifennutzung und „notwendige Nahrungsaufnahme“. Die eingesetzten Polizeikräfte sind durchweg höflich, aber unerbittlich. Die Menschen sind hier, um gegen die Pandemiepolitik der Bundes- und Landesregierung und nicht zuletzt ihre Umsetzung hier vor Ort durch Mönchengladbachs Stadtverwaltung zu protestierten. Fruchtlose Stellvertreterkriege mit der Polizei sind nicht hilfreich. In meiner Funktion als Versammlungsleiterin weise ich die Teilnehmer regelmäßig auf die Auflagen hin und deeskaliere, wo ich kann. Ich bin fast durchgehend am Megafon oder Mikrofon, wozu ich laut Auflagen die Maske abnehmen darf.

Endgegner Ordnungsamt

Nach dem Spaziergang, gegen Ende der Abschlusskundgebung, teilen meine uniformierten Ansprechpartner mir mit, dass ich eine Ordnungswidrigkeit begangen hätte, indem ich zu häufig und zu lange Pausen vom Tragen der Maske gemacht habe. Mein Einwand, dass ich als Versammlungsleiterin und Hauptrednerin viel sprechen und hierfür auch Luft holen muss, beeindruckt niemanden. Resigniert lasse ich die Uniformierten tun, was sie offenbar nicht lassen können, und bedanke mich für die freundliche Zusammenarbeit und den Schutz unserer Versammlung. Wenige Wochen später erhalte ich einen unkonkreten und offensichtlich politisch motivierten Bußgeldbescheid von der Corona-Stabsstelle des Ordnungsamtes. Der Vorwurf der Ordnungswidrigkeit lautet konkret, ich habe „im Rahmen der Abschlusskundgebung“ keine Maske getragen und Mindestabstände nicht eingehalten und sei überdies „bereits zuvor […] ohne Maske aufgefallen“. Sanktioniert werden soll also keine konkrete Maskenverweigerung oder zu lange Maskenpause, sondern meine Umsetzung der Versammlungsauflagen. Als Hauptrednerin und Versammlungsleiterin bin ich den Verbindungsbeamten der Polizei tatsächlich „aufgefallen“, was nicht unbedingt bedeutet, dass mein Verhalten sanktionswürdig gewesen sein muss.

Ich setze mich hin und formuliere einen höflichen, aber deutlichen Brief an die Corona-Stabsstelle des Ordnungsamtes. Ich erkläre, dass der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit unberechtigt ist, denn „die Nutzung eines Megafons auf Versammlungen verlangt schon aufgrund der Größe und Lautstärke des Hilfsmittels einen regulären Mindestabstand zu anderen Teilnehmenden.“ Selbstbewusst führe ich Beweismittel zu meinen Gunsten an: „Videomaterial der Bürgerinitiative MG Demo dokumentiert meine Kommunikation aller Versammlungsauflagen sowie mein Bemühen, diese durchgehend verhältnismäßig umzusetzen.“ Ich weise die Corona-Stabsstelle auf ihre Verpflichtung zur politischen Neutralität hin und übe deutliche Kritik am mir zugesandten repressiven Verwaltungsakt: „Kommunale Ordnungsbehörden sind weder beauftragt noch befugt, politische Oppositionsarbeit zu sanktionieren“. Meinen Schrieb trage ich tagelang mit mir herum, ohne ihn beim Ordnungsamt einzuwerfen. Mein eigener Widerwille macht mich sehr nachdenklich. Der erste Mahnbescheid trudelt ein. Mitte Mai zahle ich schließlich 185,50 EUR auf das Konto der Stadtkasse. Die Zahlung hat mich im doppelten Sinn erleichtert.

„Die Pandemiepolitik hat auf dem normalen politischen Parkett der Argumente und Gegenargumente keine Chance.“

Das Bußgeld zehrt an meiner finanziellen Substanz, was allein meine Sorge ist. Ich trage die Folgen meiner Entscheidung vom April 2021, öffentlich die Pandemiepolitik zu kritisieren, und dazu auch noch Studien von Wissenschaftskollegen als politisch einseitig und methodisch unter aller Kanone zu kritisieren. Zu beidem hätte ich einfach den Mund halten können, um mein Einkommen zu schützen. Ich habe mich anders entschieden, und die Kündigung meines damaligen Arbeitgebers, eines gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts in Düsseldorf, als unvermeidbar hingenommen. Seitdem habe ich gefühlt an Lebensqualität gewonnen – aber manch liebgewonnene Gewohnheit musste dran glauben. In alter grüner Tradition spendete ich auch nach meinem grünen Parteiaustritt 2 weiterhin die Hälfte meiner Aufwandsentschädigung als Mitglied eines Stadtteilparlaments, und zwar an den Verein Eltern stehen auf. Nach einem Jahr habe ich diese Spende von monatlich 124,10 EUR im Mai 2022 eingestellt. Ich unterstütze zwar weiterhin Eltern, die aufstehen. Zum Beispiel mit Musterschreiben. Geld gebe ich aber keines mehr. Denn ich schnalle den Gürtel enger. Viele andere auch.

Die Zahlung des Bußgeldes erspart mir und dem Ordnungsamt einen juristischen Stellvertreterkrieg, zu dem mir jede Motivation fehlt. Die Behörde behandelt bis dato alle Bürger und Parteien gleich, und ist auch der Opposition gegenüber fair. Genehmigungen, zum Beispiel für Wahlkampfveranstaltungen oder für Plakatstandorte, stellt das Ordnungsamt für alle Parteien gleichermaßen zügig und zuverlässig aus. Fragen zu verwirrenden Versammlungsauflagen beantworten Mitarbeiter geduldig und verständlich. Als ich vor einigen Monaten beim Ordnungsamt ein Hygienekonzept für eine lokale Mitgliederversammlung der Oppositionspartei dieBasis einreichte, wies die Corona-Stabsstelle des Ordnungsamtes mich freundlich darauf hin, dass aufgrund der Art und Größe der Veranstaltung kein Hygienekonzept gefordert sei, zumindest nicht nach der zu jenem Zeitpunkt geltenden Corona-Verordnung. Die sich ständig ändernden Verordnungen nahm das Ordnungsamt nicht einfach hin, sondern initiierte teils ihre interne juristische Prüfung durch den Fachbereich Recht der Stadtverwaltung. Dieses Ordnungsamt traut sich was.

Agonie des Rechtsstaats

Ihre Rechtstreue macht die Mitarbeiter der Stadtverwaltung nicht zu Verbündeten der weiterhin in der Minderheit befindlichen Opposition. Sie ist aber sicherlich nicht zum Gefallen der regierenden Lokalpolitik. Wo Stadtverwaltungen neutral sind, und die Arbeit der Opposition nicht aktiv behindern, da geraten politisch Verantwortliche in Zugzwang, für ihre Politik überzeugende Sachargumente vorzubringen. Die Pandemiepolitik hat auf dem normalen politischen Parkett der Argumente und Gegenargumente keine Chance. Die akademischen Rechtfertigungstruppen der Pandemiepolitiker im Bundesgesundheitsministerium haben dies von Anfang an verstanden. Weshalb zum Beispiel der Expertenbeirat zur Evaluierung des Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetzes Mitte 2020 argumentierte, man wisse eben nicht so genau, was ein Intensivbett sei, und was nicht. So sind dann die Intensivbettenkapazitäten in Deutschland schwer zu definieren.3

Die Profiteure der Pandemiepolitik instrumentalisieren staatlich beauftragte Akademiker ebenso wie Verwaltungseinheiten unseres Staates, um sich einer Konfrontation in der Sache zu entziehen. Individuelle juristische Auseinandersetzungen sind Nebenkriegsschauplätze, auf denen oppositionelle Energie sich entlädt, ohne direkte politische Wirkung zu entfalten. Erst über den Umweg der öffentlichen Diskussion von Urteilen kann die politische Opposition diese für sich nutzen. Genau dieser Diskurs bleibt aber einseitig und begrenzt.

Die Ausstellung des Bußgeldbescheides durch eine bis dato größtenteils regelkonforme und vernünftige Corona-Stabsstelle ist die Kapitulationserklärung eines Ordnungsamtes vor dem Druck von oben. Gegen die Agonie des Rechtsstaats hilft auch kein im Einzelfall erfolgreiches Anrufen der Gerichte. Die Frage, ob wir in einem demokratischen Rechtsstaat oder einer technokratischen Feudalherrschaft leben wollen, ist keine juristische, und schon gar keine administrative Frage. Es eine politische Frage.

„Wir Bürger sind der demokratische Souverän. Es ist unsere Verantwortung, Stadtverwaltungen vor politischer Instrumentalisierung zu schützen.“

So war es auch eine politische Entscheidung des Mönchengladbacher Oberbürgermeisters, im April und Mai 2022 das Maskentragen in den öffentlichen Gebäuden der Stadt weiterhin vorzuschreiben. Dies gilt inzwischen „nur noch dann […], wenn ein Mindestabstand von anderthalb Metern nicht eingehalten werden kann“ … Die Ausstellung eines Bußgeldbescheids für eine oppositionelle Rednerin die „ohne Maske aufgefallen“ ist, ist dann nur ein Symptom von vielen für die ausufernde Willkür im Land. Jede gerichtliche Klärung erübrigt sich für mich.4

Defekte Demokratie

Unsere Demokratie ist defekt. In stabilen, reibungslos funktionierenden Demokratien ist öffentlicher Protest, insbesondere Massenprotest ein Alarmzeichen mit Wirkung. Kollektive Meinungsäußerung führt dann zu einem erweiterten Bürgerdialog vor Ort, in jedem Ort, und zu einer demokratischen Einbindung benachteiligter Gruppen oder oppositioneller Kräfte, zwecks Befriedung der Gesellschaft. Dass Regierungsparteien angesichts von kaum mehr als 50 Prozent Wahlbeteiligung und über Monate anhaltenden Protesten auf der Straße für sich und ihre Politik weiter stabile Mehrheiten annehmen, ist nicht normal, sondern realitäts- wie demokratiefern. Gut funktionierende Institutionen einer Demokratie, insbesondere die gesetzgebenden Parlamente, regulieren auf friedlichem Wege Interessenkonflikte zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen oder zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Wenn Oppositionelle für ihren öffentlichen Protest massenhaft Bußgelder zahlen, die Politik ihre Demonstrationszüge zu verbieten sucht, und die Lufthansa staatliche Maskenregeln zum Risiko für die Flugsicherheit erklärt, dann sind die Bürger dieses Landes entweder unwahrscheinlich renitent, oder die Regeln unerhört widersinnig. Massiver Protest, und erst Recht die Sanktionierung statt Einbindung von Opposition sind klare Anzeichen für ein eklatantes, dramatisches Versagen institutioneller Mechanismen der Konfliktregulierung. Wo politische Institutionen versagen, verlagern Interessenskonflikte sich auf öffentliche Plätze, in die Verwaltungen, in Flugzeuge, und eben vor Gericht. Normal ist der sich ausweitende zivile Ungehorsam nicht, außer in defekten, also nicht mehr funktionierenden Demokratien. Für diese Erkenntnis sind 185,50 Euro kein zu hoher Preis.

Wir Bürger sind der demokratische Souverän. Es ist unsere Verantwortung, Stadtverwaltungen vor politischer Instrumentalisierung zu schützen, indem wir rücksichtslose Parteipolitiker öffentlich für ihr Tun kritisieren. Politisch mitverantwortlich für die gemeinschaftszersetzende Pandemiepolitik der vergangenen zwei Jahre ist in jedem Ort das jeweilige Oberhaupt der Verwaltung. Denn es gibt Ermessensspielräume und Verantwortlichkeiten. Es macht einen Unterschied, ob die Verwaltungsspitze von unteren Einheiten Verhältnismäßigkeit oder Durchgreifen erwartet. Wenn Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs zu Karneval eine Impfparty für Kinder jeden Alters veranstaltet, dann verwischen Grenzen zwischen Volksvertreter und Pharmavertreter. Wenn er dann noch behauptet, der konfrontative Umgang seiner Behörden sowie der Mönchengladbacher Lokalpolitik insgesamt mit massivem zivilen Protest sei normale demokratische Gepflogenheit, dann hat er entweder ein sehr oberflächliches Demokratieverständnis oder er hält Bürger für demokratisch inkompetent. Das eine wie das andere lässt sich korrigieren. Nur Mut.

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