20.04.2020
Nicht vor den Kindern
Das Foto von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und anderen Politikern im vollbesetzten Aufzug sagt etwas über die Heuchelei in der Corona-Krise. Den Bürgern wird verboten, Risiken einzuschätzen.
Ein Foto, das durch die Medien ging, zeigt Gesundheitsminister Jens Spahn, Kanzleramtschef Helge Braun, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und Sozialminister Kai Klose am 14. April zusammen mit sieben weiteren Personen dicht gedrängt in einem Fahrstuhl. Die Aufregung über den „Fahrstuhl-Gate von Gießen“ war groß. Prompt gingen auch sieben Anzeigen bei der Polizei ein.
Abb. 1: Tweet von Bodo Weissenborn
Gewiss, die Herren trugen – ebenso wie alle anderen Beteiligten – Gesichtsmasken. Auch dürfte der Aufenthalt in dem Aufzug nur wenige Sekunden gedauert haben. Das Risiko einer Ansteckung war somit überschaubar und die Alternativen (z.B. der gemeinsame Aufstieg in einem engen Treppenhaus oder das Warten, bis der Aufzug mehrmals hin- und hergefahren wäre) nicht unbedingt sicherer. Wäre nicht der Aufschrei so groß, könnten wir zu dem Schluss kommen, dass unsere Politiker genau das taten, was wir von ihnen erwarten sollten: Sie trafen eine Entscheidung unter Abwägung von Risiko und Nutzen. Und wir können getrost davon ausgehen, dass ihr Verhalten der Verbreitung des Virus in Deutschland keinerlei Vorschub leistete.
„Uns normalen Bürgern wird die vernünftige Abwägung eines Risikos nicht mehr zugetraut."
Das Problem ist, dass uns normalen Bürgern genau dies, die vernünftige Abwägung eines Risikos, nicht mehr zugetraut wird. Uns ist es seit Wochen verboten, uns gemeinsam mit anderen in einem Raum aufzuhalten. Selbst an der frischen Luft müssen wir Dummköpfe überwacht und kontrolliert werden, weswegen jede Ansammlung streng verboten ist und Hubschrauber, Drohnen und sonstiger Schnickschnack zum Einsatz kommen. Geradezu aufrührerisch klingt es, wenn wir angesichts der Corona-Krise z.B. das Demonstrationsverbot beklagen.
Und so lässt sich auch die Aufregung über den Gießener Aufzugsvorfall und die nachträgliche Reue der Minister verstehen. Es geht bei ihr gar nicht um die vermeintliche Gefahr, der sie sich aussetzten. Beklagt wird lediglich, dass sich der Vorfall vor unser aller Augen abspielte (oder zumindest an die Öffentlichkeit geriet). Die Organisatoren des Lockdowns verstießen gewissermaßen gegen die alte Regel: „Nicht vor den Kindern“.