13.09.2017

Nationalfetisch E-Auto

Von Kolja Zydatiss und Johannes Richardt

Titelbild

Foto: Avda via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Die Regierung will weg vom Verbrennungsmotor. Zur IAA kündigt VW eine „E-Offensive“ an. Aber Elektromobilität hat viele Schwächen.

In der Hochphase des Bundestagswahlkampfs verkündet die große Koalition das Ende des Verbrennungsmotors im Autoland Deutschland. Und fast jeder findet‘s irgendwie gut. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist er eine „Brückentechnologie“, die langfristig gesehen ausgemustert werden müsse. Die scheinbar über hellseherische Kräfte verfügende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) offenbarte kürzlich der Deutschen-Presse-Agentur: „Autos mit Verbrennungsmotoren wird man Mitte des Jahrhunderts nur noch sehr vereinzelt im Straßenbild sehen.“

Die Opposition nickt wohlwollend, mahnt höchstens zu noch größerer Eile bei der Umsetzung und auch die meisten Medien kommentieren zustimmend. Nach der Energie- und Agrarwende folgt nun also die Verkehrswende als nächste gemeinschaftsstiftende nationale Mission auf dem Weg in die grüne Wohlfühlrepublik.

Auch die traditionell staatsnah agierenden Autobauer haben verstanden, was von ihnen erwartet wird. Der größte deutsche Autobauer VW nimmt die am Donnerstag in Frankfurt beginnende Internationale Automobilausstellung (IAA) zum Anlass, eine „E-Offensive“ vorzustellen. Bis 2025 will das Unternehmen 80 elektrifizierte Modelle anbieten. Davon sollen 50 mit reinem Elektroantrieb fahren und 30 Hybrid-Modelle sein. Längerfristig sollen alle Modelle des Konzerns mit E-Motor verfügbar sein.

„Nach der Energie- und Agrarwende folgt nun also die Verkehrswende als nächste gemeinschaftsstiftende nationale Mission auf dem Weg in die grüne Wohlfühlrepublik.“

Eine ambitionierte Zielvorgabe. Aktuell gibt es 45 Millionen PKW im Land. Davon sind gerade mal 34.000 reine Elektroautos und 165.400 solche mit Hybridantrieb. Sollte nicht ein „Wunder“ geschehen (z.B. in Form massiver Subventionen für den Kauf von Elektroautos oder durch Strafsteuern auf Verbrenner) wird selbst das im Vergleich zu Hendricks Vision bescheidene Ziel von einer Million E-Autos, das 2010 von der damaligen schwarz-gelben Regierung für das Jahr 2020 ausgegeben wurde, nicht zu erreichen sein. Die Kaufprämie von stolzen 4000 Euro scheiterte kläglich. Der Grund ist einfach: E-Autos mögen zwar ein nettes Spielzeug respektive Statussymbol für das urbane, grüne Bürgertum sein, aber für die breite Masse der Autofahrer sind teure E-Autos mit geringen Reichweiten und langen Ladezeiten keine ernsthafte Alternative zum Verbrennungsmotor.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Elektroautos durch umfangreiche Investitionen in Forschung und Fertigung langfristig zu einer brauchbaren Alternative zum Verbrennungsmotor entwickeln (Allerdings ist ihnen das seit über hundert Jahren nicht gelungen. Was die wenigsten wissen: Diese „Zukunftstechnologie“ ist älter als der Verbrennungsmotor). Der Versuch von Politik und Industrie, sich durch überhastetes und aktionistisches Vorantreiben dieser angeblich so ökologisch korrekten und nachhaltigen Technologie von der „Sünde“ des Dieselskandals zu läutern, offenbart wenig Weitsicht.

Erstens ist der ökologische Nutzen der Stromer sehr umstritten. Die CO2-Einsparungen sind bestenfalls dürftig. Außerdem müssen Umweltbelastungen im Zusammenhang mit den Herstellungsprozess berücksichtigt werden. Diese sind laut einer aktuellen norwegischen Studie bei Elektroautos höher als bei Konventionellen. Zweitens besteht die Gefahr ernsthafter ökonomischer Fehltritte. Die Handvoll bestehender elektrischer Modelle verkauft sich schlecht. Ist es von VW wirklich betriebswirtschaftlich sinnvoll, 80 neue Modelle auf den Markt zu werfen, wenn es wenig Anzeichen dafür gibt, dass es dafür Kundeninteresse gibt?

„Die staatlich verordnete Festlegung auf exakt eine seligmachende Technologie kann sich noch als Bumerang für unseren Wohlstand erweisen.“

Die Politik hat den „Dieselskandal“ als Anlass genommen, die für den deutschen Wohlstand so wichtige Autobranche „zukunftsfest“ zu machen. Und die mächtige Autolobby, die nicht wenigen als eigentliche Machtzentrale im Land galt, ordnet sich gehorsam den neuen Spielregeln unter. Aber die staatlich verordnete Festlegung auf nur eine seligmachende Technologie kann sich noch als Bumerang für den maßgeblich auf Exporten basierenden Erfolg der Autobauer erweisen. Nämlich dann, wenn sich die Menschen auf diesem Planeten anders entscheiden, als von Frau Hendricks prophezeit.

Dabei haben die E-Auto-Enthusiasten an einer Stelle Recht: Das Auto mit Verbrennungsmotor ist mit Sicherheit nicht das Ende der Geschichte der Mobilität. Aber wenn wir über deren Zukunft nachdenken, sollten wir nicht das E-Auto zum nationalen Fetisch erheben, sondern ergebnisoffen und innovativ forschen.

Natürlich sollten E-Autos verbessert werden, es sollte aber auch an effizienteren, saubereren Verbrennungsmotoren gearbeitet werden (etwa solche, die synthetischen Kraftstoff auf Basis von Methan verbrennen), sowie an anderen Technologien wie z.B. der Brennstoffzelle, auf die Toyota (immerhin der größte Autokonzern der Welt) und Honda setzen. Oder wie wär’s, wenn wir ganz anders, wirklich neu und revolutionär über Mobilität nachdenken würden? Über fliegende Autos zum Beispiel, an denen etliche vielversprechende Start-Ups überall auf der Welt zurzeit tüfteln? Man wird ja mal träumen dürfen – selbst im ökoseligen Deutschland des Jahres 2017 kurz vor der Bundestagswahl.

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