09.09.2016
Elektromobilität ganz ohne Strom?
Analyse von Fred F. Mueller
Spätestens ab 2050 sollen im Pkw-Bereich nur noch sogenannte Nullemissions-Fahrzeuge in Deutschland zugelassen werden. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, steht in den Sternen
Mit der Unterzeichnung des „Klimaschutzabkommens“ von Paris (COP 21) hat sich die Bundesregierung ehrgeizige Ziele gesetzt, was die Reduzierung von CO2-Emissionen und die damit verbundene „Dekarbonisierung“ der Volkswirtschaft angeht. Wie schwer dies fallen dürfte, kann man daran ermessen, dass es trotz zahlreicher seit Jahren massiv betriebener politischer Maßnahmen – Stichwort Energiewende – nicht gelungen ist, die deutschen CO2-Emissionen von ca. 1051 Millionen Tonnen im Jahr 1990 weiter als bis auf ca. 800 Millionen Tonnen im Jahr zu senken. Bild 1 zeigt, dass man hier offensichtlich an eine „harte“ Grenze gestoßen ist, die sich nicht so ohne weiteres überwinden lässt. Zumindest dann nicht, wenn man sich als Regierung dem Erhalt von Arbeitsplätzen und dem Wohlstand des Volkes verpflichtet sieht.
Bild 1. Trotz großer politischer und finanzieller Anstrengungen erwies es sich bisher als nicht möglich, die CO2-Emissionen dauerhaft unter die Marke von ca. 800 Millionen Tonnen/Jahr zu senken. Gelb: Zielmarke 2020, Blau: Obergrenze für 2050, Schwarz: Untere Zielmarke für 2050
Allerdings hat Deutschland eine Regierung, die offenbar andere Prioritäten setzt. Mit Unterzeichnung des COP-21-Abkommens hat man sich verpflichtet, die deutschen CO2-Emissionen bis 2050 auf maximal 210 Millionen Tonnen pro Jahr, möglichst sogar auf nur noch 53 Millionen Tonnen im Jahr zu reduzieren. Jetzt gibt es in diesem Zusammenhang einen Entwurf zu einer Neuauflage der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, der im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden soll. Das wird nur mit Zwang vor allem zu Lasten der deutschen Industrie gehen, allen voran der Autobranche, an der noch 2015 rund 800.000 Jobs hingen. Denn die aktuellen Planungen der Regierung beweisen, dass der Stab über das Auto bereits gebrochen ist und selbst eine Umstellung auf E-Mobile diese Branche wohl nicht mehr retten dürfte.
Kaum Interesse an Elektroautos
Dieser Kurs dürfte selbst angesichts der bereits jetzt erkennbaren Probleme unverändert beibehalten werden. Auch hierbei zeigt sich, dass unseren Regierenden Ideologie alles und praktische Daseinsvorsorge nichts bedeutet. Wenn man den Straßenverkehr in Deutschland komplett auf elektrisch betriebene Fahrzeuge umstellen will, dann sollte man als verantwortliche Regierung eigentlich auch dafür sorgen, dass hierdurch die Mobilitäts- und Transportbedürfnisse der Bevölkerung in gleichwertiger Weise abgedeckt werden können wie bisher. Dies ist beim derzeit verfügbaren Stand der Technik nicht der Fall.
Die Zahl der in Deutschland fahrenden reinen Elektrofahrzeuge ist mit rund 25.500 Zulassungen bis Ende 2015 im Vergleich zu den erklärten Zielen (eine Million bis 2020 und sechs Millionen bis 2030) geradezu lächerlich niedrig. Trotz intensiver Fördermaßnahmen ist die diesbezügliche Politik bisher kläglich gescheitert. Auch die ab Juli 2016 gewährte Prämie von bis zu 4000 Euro beim Kauf eines E-Fahrzeugs wurde im ersten Monat lediglich 1791 Mal abgerufen. Die Fahrzeuge werden in der Breite der Bevölkerung nicht angenommen, weil sie zu unpraktisch und zu teuer sind. Zu den größten Hindernissen zählen die geringen Reichweiten, die langen Ladezeiten, die geringe Batterielebensdauer und die hohen Wertverluste.
Strom-Pkw brauchen Strom …
Es gibt allerdings noch einen weiteren wichtigen Nachteil, der wegen der geringen Zahl zugelassener Elektroautos im öffentlichen Bewusstsein bisher keine Rolle gespielt hat: den Strombedarf der E-Mobile. Immerhin beträgt der aktuelle Pkw-Bestand in Deutschland rund 45 Millionen Stück und ihre durchschnittliche Jahresfahrleistung liegt nach Erkenntnissen des Kraftfahrtbundesamtes bei 14.260 Kilometern. Die Frage muss daher zunächst lauten, wieviel Strom für die vollständige Elektrifizierung benötigt wird.
Hierzu gibt es zahlreiche geschönte Angaben der Hersteller. Zum Glück gibt es realistische Zahlen von unabhängiger Seite. Im Rahmen einer sehr ausführlichen Studie des Instituts für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik der Technischen Universität Wien vom Oktober 2012 wurde festgestellt, dass der durchschnittliche Energiebedarf eines typischen Elektro-Automobils mit üblichem Nutzerprofil (Stadt- und Landfahrten, 15.000 km/Jahr) bei 25,5 kWh/100 km liegt. Hinzu kommen allerdings noch Lade-/Entladeverluste von 24,7 Prozent sowie Leitungsverluste zwischen Kraftwerk und Anschlusspunkt von knapp sechs Prozent. Wird dies korrekt berücksichtigt, so benötigt ein typisches E-Automobil eine Energiebereitstellung ab Kraftwerk von 36 kWh/100 km. Für die komplette Umstellung der deutschen Pkw-Flotte ergibt sich demnach bei Annahme ansonsten konstanter Verhältnisse ein Gesamtbedarf an elektrischer Energie ab Kraftwerk von 231 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr.
… und strombetriebene Lkw ebenso
Angesichts der klaren Regierungsvorgaben bezüglich der Reduktion von verkehrsbedingten CO2-Emissionen wäre es unrealistisch zu erwarten, dass man bei Nutzfahrzeugen etwas anderes als 100 Prozent Strombetrieb zulassen würde. Da es in diesem Bereich kaum repräsentative Untersuchungen zum Bedarf an elektrischer Energie gibt, ist es für eine entsprechende Abschätzung am einfachsten, wenn man dabei den Umweg über die Flottenverbräuche wählt. So beziffert eine Studie der Deutschen Energieagentur für das Jahr 2010 den Energiebedarf der deutschen Pkw-Flotte mit 1.441 PJoule (Petajoule), während Nutzfahrzeuge und Busse zusammen auf 669 PJoule kamen. Das Verhältnis lag demnach bei 0,46 zu 1. Bei Umstellung aller Lkw und Busse auf E-Antrieb würden diese demnach im Jahr rund 106 TWh an elektrischer Energie benötigen. Zusammen mit dem Pkw-Bereich wären für eine vollständige Elektrifizierung dieser Sektoren demnach 337 TWh/Jahr bereitzustellen.
Selbstverständlich gelten diese Annahmen nur unter der Voraussetzung mehr oder weniger konstanter Verhältnisse. Bei Projektionen über derart lange Zeiträume sind erhebliche Veränderungen zu erwarten. Aufgrund dieser Unsicherheiten müssen die oben errechneten Relationen zwischen Pkw und Nutzfahrzeugen als reine Anhaltswerte für grobe Abschätzungen genügen. (Mathematiker vertreten in solchen Situationen häufig die Ansicht, es sei besser, ungefähr richtig als genau falsch zu kalkulieren.)
Gleichzeitig soll die Stromproduktion sinken
Natürlich ergibt sich aus diesen Überlegungen als nächstes die Frage, wo dieser zusätzliche Strombedarf herkommen soll. Im Prinzip müssten bereits jetzt Planungen anlaufen, um bis zum Jahr 2050 zusätzliche Kapazitäten für die geplante „Elektrifizierung“ des Straßenverkehrs zu schaffen. Bis dahin, so die normalerweise naheliegende Schlussfolgerung, müssten ja voraussichtlich zusätzlich zum aktuellen Stromverbrauch von ca. 510–524 TWh/Jahr weitere 337 TWh/Jahr für den Verkehrssektor erzeugt werden.
Wer jedoch so denkt, gehört anscheinend zur veralteten Denkkategorie der „schwäbischen Hausfrau“. Stattdessen will die Bundesregierung übergeordneten Aspekten der Klima- und Planetenrettung Priorität einräumen und legt sich unter dem Motto „Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie“ auf eine massive Verringerung fest. Da der Verbrauch 2008 bei 524 TWh lag, dürften nach diesen Planungen im Jahre 2050 nur noch 393 TWh erzeugt werden.
Die wundersame Stromvermehrung
Damit geht die deutsche Regierung bezüglich des künftigen Stromverbrauchs nochmals deutlich über die Reduktionsziele einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahre 2010 mit dem Titel „Energieziel 2050: 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen“ hinaus. Dort war für 2050 noch von insgesamt 468,4 TWh Stromverbrauch ausgegangen worden, davon 396,7 TWh für Haushalte, Gewerbe, Dienstleistungen und Industrie sowie immerhin 71,7 TWh für den Verkehrsbereich. Selbst diese zusätzlichen 71,7 TWh für den elektrifizierten Straßenverkehr hat die Bundesregierung im jetzt vorliegenden Entwurf, der noch im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden soll, gestrichen.
Ausweislich dieses offiziellen Dokuments scheint man davon auszugehen, dass für den 2050 nahezu vollständig auf E-Mobilität umzustellenden Verkehrssektor gar keine Stromerzeugung erforderlich sein wird. Es ist demnach völlig egal, ob es der Industrie in den nächsten Jahren gelingen wird, Wunderakkus zu entwickeln, welche eine Speicherdichte wie Benzin bieten, ewig halten und selbst an den Polen ohne Beheizung eingesetzt werden können: Wo kein Strom ist, kann auch nichts geladen werden. Helfen könnte dann nur noch ein Wunder, das selbst die aus der Bibel überlieferte wundersame Brotvermehrung Jesu weit in den Schatten stellen würde. Doch auch hier gilt der Spruch unserer höheren Pfarrerstochter: „Wir schaffen das“.