24.06.2024

Mehr Geschlechter, weniger Meinungsfreiheit

Von Andrea Seaman

Titelbild

Foto: b1-foto via Pixabay (CC0)

In der Schweiz soll ein dritter Geschlechtseintrag eingeführt werden. Dabei versucht man, einer Diskussion aus dem Weg zu gehen. Als Folge droht mehr Zensur kritischer Meinungen zur Gender-Ideologie.

Das Zürich Pride Festival stand dieses Jahr unter dem Motto „Frei in jeder Beziehung“ und präsentierte sich als integres, tolerantes und freiheitsliebendes Event. Es ist alles andere als das. Vielmehr ist es eine Quelle des aufkeimenden Autoritarismus, die sich in der ganzen Schweiz auszubreiten droht, und auch der Homophobie, die sich z.B. darin ausdrückt, dass homosexuellen Kindern weisgemacht wird, „sie seien in Wirklichkeit heterosexuelle Angehörige des anderen Geschlechts“.1

Nehmen wir Michelle Halbheer, die Co-Parteivorsitzende der Zürcher Mitte, die eine Transfrau ist. Sie hielt am Samstag vor Beginn des Pride-Marsches eine Rede, in der sie die Einführung eines dritten Geschlechts und mehr „belastbare Zahlen, um die Diskriminierung [gegen LGBTQ-Menschen] sichtbar zu machen“, forderte. Auf den ersten Blick klingt der Kampf gegen Diskriminierung gut. Aber was Halbheer in Wirklichkeit vorantreibt, ob gewollt oder nicht, ist die Instrumentalisierung des Kampfes gegen Diskriminierung, um Menschen durch Zensur zu unterdrücken. Man muss kein Einstein sein, um zu erkennen, wohin ihre Forderungen führen.

In Großbritannien ist die Zahl der so genannten Hassverbrechen gegen LGBTQ-Personen bereits sprunghaft angestiegen. Was als Hassverbrechen gilt, ist dabei völlig subjektiv, denn wenn eine Person glaubt, Opfer geworden zu sein, geht die Polizei davon aus, dass dies der Wahrheit entspricht; die Zahlen sind daher überhöht. Das ist nicht nur ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, sondern hat auch zu Forderungen nach einer stärkeren Zensur von genderkritischen Stimmen wie die Schriftstellerin J. K. Rowling geführt. Normale Menschen werden zum Schweigen gebracht, indem man Prominente (oft Lesben oder Schwule), die sich gegen die Gender-Ideologie aussprechen, belästigt, schikaniert und aus dem Verkehr zieht. Das berüchtigte schottische Gesetz gegen Hassverbrechen ist der Inbegriff dieser Entwicklungen.

„Auch in der Schweiz droht jegliche Kritik an der Gender-Ideologie in Zukunft akribisch erfasst und als inakzeptable Diskriminierung abgestempelt zu werden, die durch Zensur bekämpft werden muss.“

Auch in der Schweiz droht jegliche Kritik an der Gender-Ideologie in Zukunft akribisch erfasst und als inakzeptable Diskriminierung abgestempelt zu werden, die durch Zensur bekämpft werden muss. Und zwar über eine baldige Erweiterung der Antidiskriminierungsgesetze wie der Rassismus-Strafnorm, die jetzt bereits die sexuelle Orientierung schützt. Eine Notwendigkeit, die Antidiskriminierungsgesetze zu ändern, um den Schutz der Geschlechtsidentität einzubeziehen, könnte künstlich geschaffen werden, indem man auf Fälle von Diskriminierung hinweist, die dann aufgrund „belastbare[r] Zahlen“ in die Höhe schießen.

Was heute als völlig legale Äußerung und Meinung gilt – wie etwa die Vorstellung, dass ein Mann nicht einfach so eine Frau werden könne, oder dass Transgenderismus Homophobie unter einem anderen Namen sei –, würde damit gesellschaftlich und inakzeptabler werden, als es heute schon ist, und potenziell rechtlich noch verfolgt werden können.

Es passiert bereits. Beim Aufmarsch am Samstag in Zürich haben Rechtsextreme der „Jungen Tat“ Flugblätter mit Hilfe einer Drohne verteilt und in die Menge geworfen. Dafür wurden sie auf eine Polizeiwache mitgenommen. Während der Drohneneinsatz in diesem Zusammenhang womöglich illegal sein kann, hieß es in der Pressemitteilung des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich, einer der Gründe für die Festnahme der Aktivisten sei der „homophobe“ Charakter ihrer Botschaften gewesen.

Übrigens ist das Flugblatt, das ich gesehen habe, überhaupt nicht homophob, sondern beinhaltete genau das, was Kommentatoren wie Douglas Murray oder Andrew Doyle (beide schwul) über den Trans- und den Genderwahn sagen würden. Jedenfalls gilt: Gegen eine politische Demonstration zu protestieren, auch wenn sie sich LGBTQ-freundlich gibt, sollte ein Grundrecht sein. Die „Junge Tat“ ist eine Gruppe von Rassisten. Aber die Meinungsfreiheit aller muss geschützt werden, gerade die derjenigen, deren Ansichten wir hassen.

„Die Lenden der Zensoren zucken aber schon bei dem Gedanken an die zunehmende Zahl von Hassverbrechen – fast so, als wollten sie die Meinungsfreiheit ihrer Mitbürger unterdrücken.“

Die Lenden der Zensoren zucken aber schon bei dem Gedanken an die zunehmende Zahl von Hassverbrechen – fast so, als wollten sie die Meinungsfreiheit ihrer Mitbürger unterdrücken. Ein neuer Bericht der LGBTQ-Helpline hat festgestellt, dass sich die Zahl der gemeldeten Hassverbrechen seit 2023 verdoppelt habe. Organisationen wie Pink Cross fordern jetzt, dass die Schweiz mehr zur Bekämpfung von Hate Crimes unternimmt, auch auf gesetzlicher Ebene, obwohl diese „Verbrechen“ nach dem Grundsatz in dubio pro reo keine Straftaten sind und ihnen niemand  zum Opfer gefallen ist, solange es kein entsprechendes Gerichtsurteil gibt. Der Geschäftsführer von Pink Cross, Roman Heggli, sieht laut NZZ in der „Debatte über Wokeness“ bereits einen „queerfeindlichen Diskurs“.

Wenn jemand wie Heggli Kritik am Wokismus mit der Begründung zurückweist, „Queerfeindlichkeit“ führe zu Hassverbrechen gegen sogenannte queere oder nicht-binäre Personen, weiß man genau, dass er und seine Verbündeten in anderen NGOs mit ähnlichen Zielen zu den neuen Woke-Klerikern gehören. Man stelle sich nur vor, wie sehr die Zahl der Hassverbrechen ansteigen wird, wenn noch mehr Äußerungen (wie jene der „Jungen Tat“), die eindeutig nicht homophob sind, gedankenlos von Heggli, der Medienklasse und sogar der Polizei als homophob bezeichnet werden. Um sich das auszumalen, würde das Bild einer biblischen Zensurplage nicht genügen.

Tatsache ist, dass die Schweiz eine Demokratie ist und dass laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage von Tamedia 57 Prozent der Bevölkerung die Einführung eines dritten Geschlechts ablehnen. Sozialdemokratische Politikerinnen wie Tamara Funiciello und Min Li Marti sind sich bewusst, dass ihr Vorhaben, ein drittes Geschlecht einzuführen, nur bei einer kleinen Minderheit der Bevölkerung auf Begeisterung stösst. Deshalb wollen die beiden Politikerinnen einem Artikel im Tages-Anzeiger zufolge dieses Ziel „leise“, „unauffällig“ und „in aller Stille“ erreichen.

Sie wissen, dass sie, wenn sie einen großen, lauten Wirbel darum machen würden, auf heftigen Widerstand stießen und die politische Auseinandersetzung verlören. Wenn ein drittes Geschlecht wirklich so fortschrittlich wäre, würden dann nicht diejenigen, die davon überzeugt sind, dass es richtig und gut ist, ihre Argumente laut und energisch vorbringen?

„Kritik oder gar Spott gegenüber dieser Ideologie wird dann als Versuch interpretiert werden, die Existenz derjenigen auszulöschen, die behaupten, weder männlich noch weiblich zu sein.“

Nur Dinge, die wenig Rückhalt in der Bevölkerung genießen und für die es wenig gute Argumente gibt, werden stillschweigend behandelt, um sie sozusagen durch die Hintertür einzuführen. Laut Tages-Anzeiger „ist sich Funiciello sicher“, dass Transmenschen nun ganz einfach beim Personenstandsregister ihr Geschlecht ändern können, „weil die Aufmerksamkeit nicht so groß war“.

Umso wichtiger ist es, sich dem schleichenden Autoritarismus zu widersetzen, den Funiciello und Min Li Marti in unserer Gesellschaft siegen sehen wollen. Als Politikerinnen müssen sie sich für ihre Ansichten verantworten und dürfen ihre politischen Ambitionen nicht ohne (angreifbare) Argumente verfolgen.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Probleme nicht von selbst verschwinden werden. Ich sage voraus, dass, wenn diese despotischen Ambitionen nicht gestoppt werden, einige Dinge geschehen werden.

Erstens wird die Einführung eines dritten Geschlechts eine ganze Klasse von Menschen hervorbringen, die diesem dritten Geschlecht angehören. Aktivisten, die der Ideologie des Genderismus anhängen, werden dann behaupten, dass jede Aussage, dass das menschliche Geschlecht binär und die Gender-Ideologie schlecht sei, diese neue Kategorie von Menschen bedrohe. Kritik oder gar Spott gegenüber dieser Ideologie wird dann als Versuch interpretiert werden, die Existenz derjenigen auszulöschen, die behaupten, weder männlich noch weiblich zu sein. So argumentieren bereits Studenten, Wissenschaftler und Aktivisten in Amerika und anderen Ländern. „Meine Existenz steht nicht zur Debatte!“, wird man rufen. Da ich letzte Woche persönlich auf der Pride-Parade in Zürich war, kann ich Ihnen sagen, dass dort auf einigen Transparenten genau dieser Unsinn behauptet wurde.

„Noch ist die Mehrheit in dieser Debatte eindeutig auf der Seite der Vernunft und der Freiheit.“

Zweitens: Der Eurovision Song Contest (ESC) kommt nächstes Jahr in die Schweiz. Da der diesjährige Sieger Nemo 2025 einen prominenten Platz in der Debatte einnehmen und unter dem Banner der Rechte von Nicht-Binären auftreten wird, werden die Forderungen nach Unterdrückung abweichender Meinungen zunehmen. Die Adleraugen der internationalen woken Elite werden auf die Schweiz gerichtet sein. Der Wunsch unseres Landes, unter diesem Druck tolerant zu erscheinen, wird wahrscheinlich dazu führen, dass jeder vermeintliche Fall von genderkritischer Unduldsamkeit zensiert wird.

Nemo hat jetzt mit Bundesrat Beat Jans gesprochen, und das Bundesamt für Justiz arbeitet an einem Entwurf, der bis im nächsten Sommer fertig sein soll, wie Fälle von Diskriminierung gegen Nicht-Binäre erfasst und bekämpft werden können. Sie können sicher sein, dass, wenn der ESC und dieser Vorschlag wie Schüsse aus einer doppelt geladenen Schrotflinte auf uns zukommen, uns die Zensur als Mittel zur Lösung dieser Probleme treffen wird. Wir müssen uns darauf vorbereiten.

Doch dazu müssen die Skeptiker der Trans- und Queer-Politik in der Schweiz beginnen, die ernsthafte Bedrohung zu erkennen, die diese neue Zensur darstellt. Wir müssen dieser Bedrohung unserer Rechte endlich die Aufmerksamkeit und die Bedeutung schenken, die Funiciello ihr zu verweigern versucht. Es bleibt abzuwarten, ob die Gegenseite, die sich für die Rechte der Homosexuellen und die Redefreiheit einsetzt, den Mut und die Energie aufbringen kann, dagegen anzukämpfen. Noch ist die Mehrheit in dieser Debatte eindeutig auf der Seite der Vernunft und der Freiheit. Geben wir dieser massenwirksamen, rationalen Skepsis also ein wenig mehr Gewicht.

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