10.01.2024

Knast wegen „fetter Lesbe“

Von Andrea Seaman

Titelbild

Foto: Martin Abegglen via Flickr / CC BY-SA 2.0

Alain Soral wurde in der Schweiz zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er eine Journalistin beschimpft hatte. Aber auch für einen sich unangenehm äußernden Antisemiten sollte Meinungsfreiheit gelten.

Homosexuellenfeindliche Äußerungen können in der Schweiz jetzt mit 60 Tagen Gefängnis bestraft und einer saftigen Geldstrafe belegt werden. Genau das ist Alain Bonnet geschehen, einem 65-jährigen französisch-schweizerischen Polemiker, der das Pseudonym Alain Soral verwendet.

Im Jahr 2022 veröffentlichte Soral ein Video, in dem er die Schweizer Journalistin Catherine Macherel als „fette Lesbe" und (gestörte) „Queer-Aktivistin" bezeichnete. Ein Waadtländer Gericht verurteilte ihn zunächst wegen übler Nachrede und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Soral legte daraufhin Berufung gegen das Urteil ein, weil es ungerecht sei. Die Staatsanwaltschaft legte ebenfalls Berufung ein, da sie das Urteil als nicht streng genug erachtete.

Im Oktober entschied das Waadtländer Kantonsgericht, dass die ursprüngliche Strafe nicht ausreichend sei. Es befand Soral der Diskriminierung und der Aufstachelung zum Hass für schuldig und verurteilte ihn prompt zu zwei Monaten Gefängnis. Soral könnte sich nun an das höchste Schweizer Gericht wenden, um eine weitere Beschwerde einzulegen. Und wenn das scheitert, kann er seinen Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. So oder so, sieht es aber nicht hoffnungsvoll für ihn aus.

Es besteht kein Zweifel, dass es sich bei Soral um eine zutiefst unangenehme Figur handelt. Er wurde 2019 in Frankreich wegen Holocaust-Leugnung verurteilt, er prahlt damit, wie er Menschen in Clubs verprügelt, und er hält sich für einen Experten darin, wie man mit so vielen Frauen wie möglich Sex haben kann. Doch wenn Redefreiheit überhaupt etwas bedeuten soll, dann muss sie auch Redefreiheit für diejenigen bedeuten, deren Ansichten wir anstößig finden.

„Sorals Äußerungen waren unappetitlich, aber sie sollten kein Verbrechen sein.“

Die Verurteilung von Soral wirft ein Licht auf den desolaten Zustand der Meinungsfreiheit in der Schweiz. Vor allem entlarvt die Entscheidung der Schweiz im Jahr 2019, Homosexualität zu einem gesetzlich geschützten Merkmal zu machen, als töricht. Diese Gesetzesänderung, über die in einem Referendum abgestimmt wurde, war von Anfang an darauf ausgelegt, den Grundstein für die Kriminalisierung homophober „Hassrede" zu legen. Und so hat es sich auch bewährt.

Sorals Äußerungen waren unappetitlich, aber sie sollten kein Verbrechen sein. Leider waren zu wenige in der Schweizer Öffentlichkeit bereit, sein Recht zu verteidigen, sich beleidigend zu äußern. Sogar jene Schweizer Medien, die sich normalerweise rühmen, gegen Autoritarismus und Cancel Culture zu sein, haben sich ziemlich still verhalten.

Nehmen Sie das Nachrichtenportal Nebelspalter. Es behauptet: „Wir sind liberal, dass es kracht, wir glauben an den freien Willen und den freien Menschen“. Dennoch hat es nichts darüber geschrieben, dass ein Mann inhaftiert wurde, weil er beleidigende Dinge gesagt hat.

Und dann gibt es noch die rechtsgerichtete Weltwoche, die sich als vehementer Gegner von Woke und als Befürworter der Freiheit präsentiert. Die Zeitschrift wird von Roger Köppel geleitet, einem Parlamentarier der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP). Seit der ersten Verurteilung von Soral im Jahr 2022 hat das Magazin nur einen einzigen Artikel von 200 Wörtern über seinen Fall veröffentlicht. Und das war kaum mehr als eine sachliche Meldung, die mit einem Zitat der LGBT-Organisation Pink Cross endete, die behauptete, Sorals Inhaftierung sei „ein starkes Signal, dass in der Schweiz nicht alles erlaubt ist und es Grenzen für den Hass gibt". Die Weltwoche sieht offenbar nichts Falsches daran, Menschen für Meinungsverbrechen ins Gefängnis zu schicken.

„Bei zu vielen auf der linken und rechten Seite verschwindet ihr Engagement für die Meinungsfreiheit, wenn sie mit jemandem konfrontiert werden, dessen Ansichten sie nicht teilen.“

Bei zu vielen auf der linken und rechten Seite verschwindet ihr Engagement für die Meinungsfreiheit, wenn sie mit jemandem konfrontiert werden, dessen Ansichten sie nicht teilen. Und so erhält der Staat die Erlaubnis, Menschen für das, was sie sagen und denken, zu unterdrücken und zu inhaftieren. Dies stellt eine ernsthafte Bedrohung für die grundlegendste Freiheit der Schweizer Bürger dar – die Freiheit, ihre Meinung zu sagen.

Es ist jedoch noch nicht alles verloren. Dank der Schweizer Verfassung gibt es immer die Möglichkeit, Gesetze durch ein Referendum aufzuheben oder zu ändern, wenn mehr als 100.000 Menschen dies beantragen. Wir haben die einmalige Gelegenheit, genau die Gesetze abzuschaffen, die zu Sorals Inhaftierung geführt haben.

Um diese drakonischen Redebeschränkungen in naher Zukunft zurücknehmen zu können, müssen wir jetzt damit beginnen, harte Argumente vorzubringen. Wir müssen für das Recht kämpfen, beleidigend sein zu dürfen. Und wir müssen deutlich machen, dass die Meinungsfreiheit entweder absolut ist oder gar nichts bedeutet.

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