16.07.2025

Maja und Marla

Von Thilo Spahl

Zwei Gerichtsprozesse – einer in Leipzig, einer in Budapest – werfen ein Schlaglicht auf die Situation im Deutschland des Jahres 1 nach Inkrafttreten des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes.

Laut Gesetz gibt es in Deutschland eine Person namens Marla-Svenja Liebich.

Man liest, es habe früher auch eine Person namens Sven Liebich gegeben. Dieser habe seinen Geschlechtseintrag und Vornamen gemäß dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) im November 2024 geändert.

Hier ist ein Foto von Marla-Svenja Liebich.

Es gibt auch eine Person namens Maja T. Von ihr erfährt man, dass sie non-binären Geschlechts sei. Ich weiß nicht, ob es in Ordnung ist, dass ich die Pronomen „sie“ und „ihr“ verwende. „Maja“ habe ich bisher für einen weiblichen Vornamen gehalten. Und Person ist ja grammatikalisch auch weiblich. Der Einfachheit halber bleibe ich also beim „sie". Es ist nicht so wichtig. Maja verklagt keine Leute, die ein falsches Pronomen verwenden. Marla dagegen schon. Marla verklagt alle. Marla „erstatte Anzeigen wie am Fließband“, erfahre ich auf t-online.

Man liest, es habe früher auch eine Person namens Simeon T. gegeben. Diese Person ist im Dezember 2023 festgenommen worden. Im Gericht in Ungarn wird Maja als Simeon angesprochen.

Hier ist ein Foto von Maja T.

Marla ist von Amts wegen eine Frau. Bei Maja finde ich keine Informationen, ob eine Änderung des Geschlechtseintrags auf dem Standesamt erfolgt ist. Wenn man sein Geschlecht offiziell ändern will, hat man die Wahl zwischen männlich, weiblich, divers und „kein Geschlechtseintrag“.

Marla und Maja stehen vor Gericht. Maja in Ungarn. Marla in Leipzig

Multiple Gesichts- und Schädelfrakturen

Maja ist im Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen in Ungarn zu protestieren. Majas Vater lief 300 Kilometer nach Berlin, um eine von 100.000 Menschen unterschriebene Petition abzugeben. „Denn der Lehrer aus Jena macht sich große Sorgen um sein Kind.“ Das Kind ist 24 Jahre alt. Es kann sein, dass bei zdf heute „Kind“ steht, weil man nicht „Sohn“ und nicht „Tochter“ schreiben darf.

Maja T. wird von der Bundestagsabgeordneten Anne Zerr (LInke) besucht. Sie sagt: „Maja ist in einem besorgniserregenden Zustand. Die körperlichen und psychischen Belastungen des Hungerstreiks sind mittlerweile deutlich wahrnehmbar."

Maja T. wird von der Bundestagsabgeordneten Katrin Göring-Eckardt (Grüne) besucht. Sie bezeichnet die Haftbedingungen als „Katastrophe mitten in Europa“. Ebenfalls zu Besuch sind der Europa-Abgeordnete Daniel Freund und die Jenaer Stadträtin Christina Prothmann (beide ebenfalls Grüne).

„Überwachungsvideos zeigen maskierte Angreifer, die mit Hämmern, Totschlägern und Schlagstöcken gezielt auf die Köpfe ihrer Opfer schlugen."

Tagesschau.de berichtet über den Prozess in Budapest unter der Überschrift „Ein deutsch-ungarisches Justizdrama“. Der Reporter zeigt sich einfühlsam: „Als sie draußen ‚Free Maja' rufen, huscht kurz ein Lächeln über das Gesicht der scheu wirkenden Person Maja T., im blass-lila Pullover, in schwarzer Hose und mit Pferdeschwanz. Ein harter Kontrast zu den beiden Justizbeamten in voller Kampfmontur, die sie begleiten.“

„Ich stehe hier in einem Land vor Gericht, in dem ich als non-binäre Person nicht existiere", sagt Maja T.

„Wir leben in einer Gesellschaft voller Gewalt. Aber von mir erwarte ich, dass mein Handeln der Utopie einer gewaltfreien Gesellschaft gerecht wird“, sagt Maja dem Spiegel.

Unterstützer von Maja T. beschmieren das Amtsgericht in Leipzig mit schwarzer Farbe.

Maja T. wurde im Dezember 2023 in einem Berliner Hotel festgenommen und im Sommer 2024 nach Ungarn ausgeliefert, wo sie sich vor Gericht für mutmaßliche Angriffe auf Neonazis beim Gedenkmarsch „Tag der Ehre“ in Budapest im Februar 2023 verantworten muss. Die Anklage umfasst schwere Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, mit einer möglichen Strafe von bis zu 24 Jahren nach ungarischem Recht. 

Überwachungsvideos zeigen maskierte Angreifer, die mit Hämmern, Totschlägern und Schlagstöcken gezielt auf die Köpfe ihrer Opfer schlugen, bis Passanten eingriffen. Die Taten sollen bei den Geschädigten zu Prellungen, Quetschungen, Knochenbrüchen, multiplen Gesichts- und Schädelfrakturen geführt haben. Maja T. wird als Mitglied der Gruppe betrachtet, die an den Angriffen in Budapest beteiligt war. Weiter werden der Gruppe zugerechnet: Nele A., Paul M., Paula P., Luca S., Moritz S. und Clara W. – nach Aussage der Anwälte „‚junge Antifaschist:innen' im Alter zwischen 21 und 27 Jahren“. Mit dabei war auch Johann G., der seit November 2024 als mutmaßlicher Täter u.a. wegen versuchten Mordes an einem Mann in Erfurt in Haft ist und auf seinen Prozess wartet. Dem Netzwerk um Johann G. werden bis zu 40 Tatverdächtige zugerechnet. Seine ehemalige Verlobte, Lina E., wurde bereits im Mai 2023 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Im Rahmen des „Budapest-Komplexes" werden insgesamt Strafverfahren gegen mehr als zwölf Personen geführt.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Auslieferung von Maja T. im Januar 2025 für rechtswidrig, da das Berliner Kammergericht die Haftbedingungen in Ungarn nicht ausreichend geprüft hätte. Dennoch blieb die Auslieferung bestehen, da die Entscheidung zu spät kam. Laut Budapester Zeitung gab es in Deutschland seit 2017 insgesamt acht Strafverfahren gegen sie, sie wurde u.a. mehrerer Gewalttaten und des bewaffneten Raubes verdächtigt. Den Nachnamen von Maja T. erfährt man aus deutschen Medien nicht – im Gegensatz zu dem von Marla-Svenja. Wenn man den vollständigen Namen von Simeon T. googlet, landet man fast nur auf ungarischen Seiten. Lediglich die Regionlausgabe der BILD in Dresden hat im November 2023 das offizielle Fahndungsfoto mit ganzem Namen veröffentlicht.

Die stadtbekannte Marla-Svenja

Marla-Svenja Liebich ist in Halle eine „wegen ihrer Demonstrationen auf dem Marktplatz stadtbekannte Rechtsextremistin“, berichtet der MDR. Sie wurde im Mai in einem Berufungsverfahren rechtskräftig wegen Volksverhetzung (Tat 1 laut Staatsanwaltschaft: Vertrieb von Baseballschlägern mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“, Tat 2: über Mikrofon an die Vereinigung „Omas gegen Rechts“ gerichtete sinngemäße Aufforderung, in das nächstgelegene Flüchtlingsheim zu gehen und sich dort sexuell hinzugeben, „auf dass es weniger Vergewaltigungen in Deutschland gibt“.) und Billigung eines Angriffskriegs (Tat 3: Abstellen eines weißen Transporters auf dem Marktplatz in Halle, der eine Flagge der Russischen Föderation auf der Beifahrerseite mit der Aufschrift „Frieden mit Russland“ und zeitweise ein schwarzes „Z“ auf der Fahrerseite aufwies.) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Es werde geprüft, ob Liebich in einem Männer- oder Frauenvollzug untergebracht wird. „Dies beinhalte auch die Beurteilung, ob eine Änderung des Geschlechtseintrags möglicherweise missbräuchlich mit dem Ziel erfolgt sei, im Frauenvollzug untergebracht zu werden.“

Generell erfreut sich Liebich großer Aufmerksamkeit. Der MDR berichtet von 342 Ermittlungsverfahren, die Stand März 2023 allein bei der Staatsanwaltschaft Halle gegen Liebich anhängig sind. Marla gibt vielen Juristen Lohn und Brot. Am Landgericht Leipzig fand zuletzt ein Revisionsprozess gegen Liebich statt, weil sie auf einer Corona-Demonstration im November 2020 einen Reporter geschlagen habe und deswegen vom Amtsgericht zu sieben Monaten Haft verurteilt worden war. Am 11. Juli sollte ein Urteil gesprochen werden.

„Generell erfreut sich Liebich großer Aufmerksamkeit."

„Ich bin wie in der Truman-Show – nur dass ich nicht mitspiele. Die Medien: Dauerbestrahlung. Ich: null Kooperation. ‚The Show must go on' – aber bei mir ist nichts inszeniert. Alles echt. Und trotzdem: immer Bühne, immer Scheinwerfer“, schreibt Liebich am Vortag und postet dazu ein Video von Freddie Mercury in Frauenkleidung mit Perücke und Schnauzbart.

Das Verfahren wird eingestellt. Es waren Videoaufnahmen gezeigt worden. Demnach hatte der Reporter seinerseits einen Schlag gegen Liebich ausgeführt. Anschließend kam es zu der Auseinandersetzung, meldet die dpa. Liebich ist eine sehr klein gewachsene Person.

„Recht muss Recht bleiben. Das Verfahren wurde konsequenterweise eingestellt – vor dem Landgericht Leipzig. Ich bleibe standhaft. Ich bleibe ich. Und ich bleibe eine Frau“, schreibt Liebich auf X.

Dass „rechte Hetze“ Gutes für die Gegenseite bewirken kann, erfahren wir aus Halle. Liebich hatte angekündigt, ein mindestens 13-stündiges Schlusswort zu sprechen. Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage nimmt dies zum Anlass, um unter dem Motto „Jede Stunde zahlt ein” um Spenden zu werben. „Aus rechter Hetze etwas Gutes machen: ich unterstütze die Aktion! Je länger Liebich hetzt, desto mehr kommt bei Halle gegen Rechts in die Demokratiekasse.“, sagt Sebastian Striegel (Grüne).

Antifaschismus pur

Über die Person Maja T. ist fast nichts bekannt. Es gibt offenbar keine Berichterstattung, die über den Gerichtsprozess hinausgeht.

Über die Person Marla-Svenja Liebich ist in den Medien viel zu finden. Sie ist allerdings auch schon 30 Jahre älter als Maja. Der MDR hat eine sechsteilige Podcastreihe über ihr langjähriges Wirken produziert. Laut Wikipedia war Liebich anfangs beim Finanzamt tätig, bevor sie „sich vollständig der rechtsextremen Szene widmete“. In den 1990er-Jahren – damals im selben Alter wie heute Maja T. – war Liebich Kopf des Netzwerks „Blood & Honour“ in Sachsen-Anhalt und tat sich besonders mit der Ausrichtung von Rechtsrock-Konzerten hervor. Seit Anfang der 2000er-Jahre organisierte die damals männlich gelesene Person zahlreiche Demonstrationen in Halle, oft gegen Asylpolitik, die Europäische Union und die sogenannte „Lügenpresse“. Ab 2020 beteiligte sie sich an Protesten gegen Corona-Maßnahmen. Schon im März zeigt sie Gespür für das kommende Ungemach, als sie mit einem Leiterwagen mit Lausprecher und Pappsarg, „Bringt Eure Toten raus“ rufend, durch die Straßen von Halle lief.

„Maja T. sieht sich als Antifaschist:in, Marla-Svenja ebenso."

Maja T. sieht sich als Antifaschist:in, Marla-Svenja ebenso:

„Ich war früher Politkünstlerin – nie etwas anderes. Die Ästhetik der Merkel-Jugend war nie ein Bekenntnis, sondern Warnung. Antifaschismus pur – und genau das wird heute von Medien verdreht, als sei es rechts“, schreibt Liebich im Juli 2025 und postet dazu ein Video von einer Aktion der von ihm geführten „Merkel-Jugend“ unter dem Motto „Treue in alle Ewigkeit! Lang lebe die Führerin Europas! Heil Merkel!“ aus dem Jahr 2018.

Und: „Ich arbeitete früher mit Mitteln, die man aus dem Dadaismus kennt: Provokation, Inszenierung, Irritation. Nicht um zu gefallen, sondern um festgefahrene Konventionen aufzubrechen. Wer darin nur Krawall sieht, hat Dada nie verstanden oder kennt es nicht.“

Zuletzt erscheint Liebich eher auf verlorenem Posten, allein mit dem Megafon und ohne Zuhörer bei sogenannten „Eilversammlungen“ auf dem Marktplatz von Halle, hier im Einsatz gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.

Das im November in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz eröffnet Marla-Svenja die Chance auf eine Neuerfindung als schräge Content Creator:in in den sozialen Medien.

Maja T. wird es vielleicht helfen, die Haft in Deutschland verbüßen zu können.

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