11.11.2022

Die Transition der Selbstbestimmung

Von Ilka Bühner

Titelbild

Foto: Matt Hrkac via Flickr / CC BY 2.0

Mit einem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz will die Ampel-Koalition der Trans-Lobby huldigen. Dies verstärkt den Druck auf Minderjährige, sich im falschen Körper gefangen zu fühlen.

Das Transsexuellengesetz soll durch ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Noch im vierten Quartal 2022 soll darüber abgestimmt werden. Darauf hat sich die aktuelle Koalition verständigt und dabei sind sich SPD, FDP, Grüne – und im Grundsatz auch die oppositionelle Linke – einig. Gegen Selbstbestimmung für Transsexuelle in Gesetzesform ist prinzipiell nichts zu einzuwenden. Allerdings gewinnt man hierzulande den Eindruck, dass es nicht nur um einen wissenschaftlich untermauerten Ansatz geht, sondern in der Umsetzung ideologische Züge aufweist.

In der Präsentation des Gesetzesentwurfes ist von „Freiheit“ und Vielfalt“ die Rede. Aber es lohnt sich genauer hinzuschauen, und auch die äußeren Umstände zu betrachten. Insbesondere die Tragweite und die Bedeutung für Jugendliche sind nicht abzusehen und auch nicht zu unterschätzen.

Das Gesetz will vorrangig die Eintragung eines abweichenden Geschlechts im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich machen. Dies soll für Personen ab 14 Jahren gelten. Dabei ist es unerheblich, ob eine medizinische Geschlechtsumwandlung erfolgt bzw. geplant ist oder nicht. Medizinische Belange, wie die Angleichung an das Geschlecht, werden nicht behandelt. Um nicht ernstgemeinte Umtragungen zu vermeiden, soll eine erneute Änderung erst nach einer Frist von einem Jahr erfolgen können. Es wird darauf hingewiesen, dass ein Missbrauch dieses Gesetzes quasi ausgeschlossen werden können, da niemand auf die Idee käme, einen solchen Aufwand einfach so zu betreiben. Die Beratung für Betroffene und Angehörige soll ausgeweitet und finanziell unterstützt werden.

Das liest sich erst mal gut und ganz im Sinne der Betroffenen. Aber es ist nicht zu leugnen, dass es mittlerweile einen regelrechten Hype um Transgender gibt. Inwieweit diese Beratung das noch schürt, bleibt abzuwarten. Transgender erhalten aktuell eine besondere Aufmerksamkeit. Im TV und im Internet erfahren sie Anerkennung, Bewunderung und Förderung. Etwas, das einigen Jugendlichen fehlen dürfte. Dazu später mehr.

„Wieso sind Befindlichkeiten auf einmal so wichtig? Hat nicht jeder von uns im Leben Kröten schlucken müssen, ohne dass Papa Staat kam und ein Gesetz dagegen erließ?“

Das Gesetz sieht weiterhin Strafen vor, z.B. für Deadnaming, also das Benutzen früherer Vornamen durch Dritte, oder Zwangs-Outing. Dem Berliner SPD-Kreisverband Tempelhof-Schöneberg geht das noch nicht weit genug, er fordert, dass bereits 7-jährige ihren Vornamen und ihr Geschlecht selbständig ändern können. Auch gegen den Willen ihrer Eltern.

Biologie und Geschlechtsdysphorie

Die Biologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard meint, es sei eine Wunschvorstellung, wenn ein Mensch annähme, er gehöre einem anderen Geschlecht an als dem er geboren wurde. Die Chromosomen, die das Geschlecht im Mutterleib bestimmen, sind biologisch vorgeben und nicht veränderbar. Sie sieht in der Diskussion eine Negierung der Biologie.

Damit spricht sie aus, was einige denken und beschreibt damit ein Gefühl des Unbehagens, wenn man an die beschriebene Debatte denkt. Wieso sind Befindlichkeiten auf einmal so wichtig? Hat nicht jeder von uns im Leben Kröten schlucken müssen, ohne dass Papa Staat kam und ein Gesetz dagegen erließ? Und worum geht es eigentlich? Tatsächlich darum, dass das Leiden all jener behoben würde, die mit Geschlechtsdysphorie (GD) kämpfen? Oder geht es auch um den woken Anspruch, althergebrachte Strukturen mit aller Kraft entmachten zu wollen, egal was das für Betroffene bedeutet?

Mir erscheint es immer noch erstaunlich, dass etwas, dass hier zu Lande bis vor kurzem noch 0,3 Prozent der Bevölkerung betroffen hat, nun einen so hohen Stellenwert in der öffentlichen Debatte und auch in der Politik erhält. Ein Leser der NZZ drückte es so aus: „Das Leben ist bunt. Es muss aber nicht für jede Farbe des Regenbogens eigens eine Vorschrift erlassen werden.“

„Natürlich sollte menschliches Leid gelindert werden, so gut es eben geht, aber wird hier nicht solches erst konstruiert?“

Natürlich sollte menschliches Leid gelindert werden, so gut es eben geht, aber wird hier nicht solches erst konstruiert? Die Vorstellung eines Utopia, in dem psychisches Leiden durch die traditionellen Geschlechterrollen evoziert wird, wogegen als probates Mittel die medizinische Änderung des biologischen Geschlechts angepriesen wird. Die Vorstellung, dass psychische Probleme mit einer solchen Maßnahme endgültig behoben werden könnte, gepaart mit der Aufmerksamkeit, die gerade gesellschaftlich erzeugt wird, zieht viele Jugendliche in ihren Bann, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.

Dabei geht es mittlerweile nicht mehr um die einigen wenigen, die es noch vor ein paar Jahren waren. Die Tavistock-Klinik in London, die in Großbritannien eine Vorreiterrolle bei Transitionen hatte, „verzeichnet beispielsweise zwischen den Jahren 2009/2010 und 2018/2019 bei Mädchen einen Anstieg von 4250 %. Bei Jungen liegt dieser Wert bei 624 %.“ Auch in anderen europäischen Ländern ist ein rasanter Anstieg der GD-Fallzahlen zu beobachten. Vor allem Mädchen scheinen besonders betroffen. In Schweden ist zwischen 2006 und 2018 bei 13- bis 17-jährigen Mädchen ein Anstieg um 1500 Prozent erfolgt.

In Schweden, Finnland und Großbritannien findet mittlerweile ein Umdenken statt. Schweden hat Hormonbehandlungen bei unter 18-jährigen wegen irreversibler negativer Folgen komplett verboten und will sich in Zukunft an eigene Studien halten. In der genannten Tavistock-Klinik kam es durch die Vervielfachung der Patientenzahlen zu langen Wartezeiten und Patienten wurden zur Eile gedrängt. In einer Recherche der „BBC Newsnight“, äußerten Mitarbeiter der Klinik Bedenken über den Umgang mit Transitionen. Kinder und Jugendliche würden verfrüht Hormonbehandlungen bekommen und würden unkritisch in Richtung Transition gedrängt, ohne das andere Ursachen für die GD in Betracht gezogen wurden. Dieses Klima soll auch auf die enge Zusammenarbeit der Klinik mit Trans-Lobby-Organisationen zurückzuführen sein. In Folge dessen wurde eine unabhängige Kinderärztin mit der Prüfung der Klinik beauftragt. Diese beklagte, dass Mitarbeiter unter Druck gesetzt wurden, einen unkritischen und affirmativen Ansatz verfolgen zu müssen. Außerdem ignorierten Ärzte andere Ursachen für die GD, wie psychische Störungen oder Autismusspektrumstörungen. Die Klinik wird in Folge dieser Erkenntnisse spätestens im Frühling 2023 geschlossen.

Gender Affirmative Model

Eine Gruppe von Eltern, deren Kindern mit dem Wunsch zu ihnen kamen, nun ein anderes Geschlecht haben zu wollen bzw. sich im falschen Körper gefangen fühlten, stellt in einer Internetpräsenz dar, welche Probleme im Zusammenhang mit Rapid-Onset-Gender-Dysphoria (ROGD) entstehen. Sie sind der Ansicht, dass hinter dem Transgender-Hype eine Art Ideologie steckt. „Nachdem sie in eine Kultur eingetaucht wurden, die Transsexuelle feiert, und ermutigt wurden, ihre eigene Geschlechtsidentität zu wählen, beginnen viele Jugendliche, besonders diejenigen, die bereits emotional gefährdet sind, sich zu fragen, ob auch sie selber Transsexuelle sind.“ Nach dieser Frage treffen Jugendliche auf Lehrer und Ärzte, die diesen Prozess befürworten und sie dabei unterstützen. Es wäre kein Wunder, wenn diese Jugendlichen dann auch annehmen, dass sie Transgender seien.

Außerdem weisen sie darauf hin, dass Transitionen von medizinischem Fachpersonal leichtfertig empfohlen werden. Befürwortende Ärzte und Therapeuten berufen sich bei ihrer Empfehlung auf das „Gender Affirmative Model“. Kinder sollten in ihrem Wunsch unterstützt werden, wenn sie sich im falschen Geschlecht fühlen. Andere Möglichkeiten für das Unbehagen werden nicht ausreichend mit einbezogen. Somit wird auch den Betroffenen nicht ausreichend aufgezeigt, dass es auch andere Gründe für ihr Leiden geben könnte. Woher sollten sie wissen, dass es wirklich das Geschlecht ist, was sie quält? Für einen Arzt ist eine eindeutige Diagnose einfacher. In diesem Fällen werden Hormonbehandlungen baldig in die Wege geleitet und die Betroffenen an einschlägige Kliniken verwiesen, die die medizinische Transition vornehmen. Im Zweifel wird zu Gunsten der Transition entschieden und den Jugendlichen suggeriert, dass diese all ihre Probleme lösen wird. Dass es sehr viele andere psychische Symptome und Krankheiten gibt, die dieses Unbehagen auslösen, wird von besagten Befürwortern gerne in den Hintergrund geschoben.

„Das Gender Affirmative Model ist sowohl Behandlungsmethode als auch ‚Ideologie‘.“

Das Gender Affirmative Model ist sowohl Behandlungsmethode als auch „Ideologie“. Wenn ein Kind/Jugendlicher den Wunsch nach einer Transition hat, so heißt es, sei das völlig natürlich, da Gender fließend sei, kommen und gehen kann. Dass eine Geschlechtsangleichung diesem Ansatz im Wege steht, da es sich um einen endgültigen, unwiderruflichen Schritt handelt, wird dabei ausgeblendet. Generell wird der Gesellschaft die Schuld für das Missempfinden des Kindes gegeben, und eine Geschlechtsangleichung sei in der Lage, alle diese Probleme zu lösen. Die Eltern müssten sich nur von ihrem Kind führen lassen, dann käme schon alles in Ordnung. Beweise für die Wirksamkeit dieser Methode gibt es nicht.

Die Psychotherapeutin Stefanie Bode kritisiert im Magazin der Psychoanalytiker-Vereinigung DPV dieses Modell ebenfalls. In dieser Analyse beruft sie sich auf Studien, die belegen, dass GD bei Kindern und Jugendlichen aus psychischen Problemen resultieren können. Es kann ein Coping-Mechanismus für Gewalt und Ausgrenzung sein oder die Hoffnung suggerieren, alle Probleme zu lösen, die mit der eigenen Identität zusammenhängen. Es konnte (für Erwachsene) belegt werden, dass medizinische Interventionen bei GD nicht unbedingt zu einer Besserung und einer Zufriedenheit mit dem eigenen Körper führt. Die Suizidrate erhöhte sich in Fällen, in denen medizinisch interveniert wurde. Ebenso stieg die Wahrscheinlichkeit von stationären Aufenthalten in der Psychiatrie. In 88 Prozent der Fälle löste sich die GD bei Minderjährigen von selbst auf, wenn keine ärztliche Behandlung erfolgt war.

Transition und Konversion

Bei äußerem Druck, etwas tun zu müssen, worin man sich selbst noch nicht völlig im Klaren ist, geraten die betroffenen Kinder und Jugendlichen in einen Sog, dem sie schwer wieder entgehen können und der mit einem massiven Eingriff in ihre Körper und ihre Sexualität einhergeht. Diesen Prozess kann man mit dem Vorgehen einer Konversionstherapie vergleichen. Also genau dem, wogegen 2020 eigens ein Gesetz erlassen wurde. Das Gesetz verbietet medizinische Interventionen, „die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind“ (§ 1 Abs. 1) und die Werbung dafür (§ 3). Hierbei ging es primär um Homosexualität, die als Fehlfunktion betrachtet wurde, die ‚repariert‘ werden sollte). Niemand sollte mehr zu etwas gedrängt werden, was er nicht ist. Auch Eltern können sich strafbar machen, wenn sie in diesem Zusammenhang „ihre Fürsorge-oder Erziehungspflicht gröblich verletzen“ (§ 5 Abs. 2).

Auch wenn Befürworter des neuen Gesetzes sich massiv dagegen aussprechen würden, das eine mit dem anderen zu vergleichen, so denke ich schon, dass sich Hinsehen lohnt. Immerhin geht es hier um eine Entscheidung, die das weitere Leben eines jungen Menschen maßgeblich prägen wird. Außerdem findet rein faktisch eine Verstümmelung der Geschlechtsteile statt, die nie wieder die Empfindung haben können, die sie ohne diesen Eingriff gehabt hätten. Zusätzlich geht es um irreversible Unfruchtbarkeit. Damit wird massiv in die Sexualität eines jungen Menschen eingegriffen. Damit wird bei Personen mit einer vorübergehenden GD haben, weitaus mehr Schaden angerichtet, als es bei einer sogenannten Konversionstherapie der Fall gewesen wäre.

„Es geht darum, mit hypermoralischer Rigidität eine scheinbare, postmoderne Überlegenheit über traditionelle Vorstellungen zu demonstrieren.“

Die Annahme, Jugendliche wären sich – wie suggeriert wird – der Tragweite dieses Eingriffs bewusst, ist mehr als fraglich. Geraten sie dann an einen befürwortenden Therapeuten oder Arzt ist der Weg zur medizinischen Transition nicht mehr weit. Studien belegen, dass „Regretter“, also Personen die den Eingriff später bereuen, sich mehr Aufklärung im Prozess der Transition gewünscht hätten. Erfahrungsberichte bestätigen dies.

Der vielleicht bekannteste Fall ist der von Keira Bell. Im Alter von 16 erhielt sie geschlechtsangleichende Hormone und Pubertätsblocker, um ein Junge zu werden. Heute ist sie 24 und lebt wieder als Frau. Sie klagte mit einer weiteren Frau 2021 gegen die Tavistock-Klinik, der sie vorwarf, die bestehende Geschlechtsdysphorie nicht ausreichend hinterfragt zu haben. Sie hätte in diesem Alter die Tragweite einer solchen Entscheidung nicht abschätzen können. Dem stimmten die Richter zu mit der Begründung, es sei „zweifelhaft, dass ein 14- oder 15-jähriges Kind die langfristigen Risiken und Konsequenzen der Gabe von Pubertätsblockern verstehen und einschätzen“ könne.“ Verletzbare Kinder müssten geschützt werden.

Zu den Vereinigungen, die sich gegen das neue Gesetz und gegen den aktuellen Umgang mit diesem Thema aussprechen, gehören zum Beispiel Geschlecht zählt und Fairness für Frauen. Sie alle bringen gute Argumente, die anscheinend ungehört verpuffen. Was macht die Befürworter dieser Sache so sicher, dass sie Gegenargumente überhören und auch in der Gesetzesbegründung davon ausgehen, dass es sie nicht gäbe?

Bei dieser Ideologie geht es nicht um das Wohl der Menschen. Es geht darum, mit hypermoralischer Rigidität eine scheinbare, postmoderne Überlegenheit über traditionelle Vorstellungen zu demonstrieren. Fast erscheint es so, als würde einem ein moralischer Heiligenschein wachsen, wenn man mit diesem Trans-Anliegen sympathisiert und die Interessen der einschlägigen Aktivisten nach vorne treibt. Aber warum? Diese Community ist in den Sozialen Medien bekannt dafür, nur ihre eigene Ideologie zu sehen, und jedes Argument, das ihr nicht passt, wird als transfeindlich verschrien und somit als verachtenswert. Wie kann es sein, dass sich genügend Politiker auf solch ein Vorgehen einlassen?

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