30.08.2023

Das Selbstbestimmungsgesetz ist kein Sieg für die Freiheit

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Ben Tavener via Flickr / CC BY 2.0

Ein Blick nach Großbritannien zeigt, wie zensorisch und schädlich die Transgender-Ideologie sein kann

„Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann nach den Beratungen zum neuen Selbstbestimmungsgesetz. Das klingt fortschrittlich und tatsächlich hat der Ruf nach mehr Freiheit die Debatte über Geschlecht und Gender von Anfang an begleitet. Aber es gibt auch Gegenstimmen, die mit Argumenten und konkreten Beispielen zu einem ganz anderen Schluss kommen

Dazu lohnt sich zunächst ein Blick nach Großbritannien, wo die Debatte schon länger geführt wird. In London wurde im Frühjahr die Schließung der bekannten Tavistock-Klinik beschlossen. Vorgeworfen wird ihr ein zum Teil fahrlässiger Umgang mit Kindern und Jugendlichen, denen – manchmal schon im Alter von 10 oder 12 Jahren – Pubertätsblocker verschrieben wurden. Ein sehr gut recherchiertes Buch der BBC-Journalistin Hannah Barnes beschreibt die Missstände in der Klinik. Gegründet wurde sie, um jungen Patienten mit Genderdysphorie zu helfen. Doch immer stärker wurde in der Institution unkritisch eine Transgenderideologie gepflegt. Seit 2011, so Barnes, sei die Verschreibung von Pubertätsblockern, mit zum Teil irreversiblen Nebenwirkungen, faktisch ein Selbstzweck der Klinik geworden. Einige frühere Klinik-Mitarbeiter haben die Praxis sogar mit dem DDR-Doping verglichen.

Das in Deutschland diskutierte Selbstbestimmungsgesetz, das gerade vom Kabinett beschlossen wurde, fordert keine operativen Geschlechtsumwandlungen. Es räumt Menschen die Möglichkeit ein, ihr Geschlecht nicht nur selbst zu bestimmen, sondern es auch staatlich – also offiziell – anerkennen zu lassen. Aber, es basiert auf der gleichen Ideologie, die in der Tavistock-Klinik gepflegt wurde. Diese besagt, dass Menschen im „falschen Körper“ stecken können und dass das Geschlecht nicht bei Geburt festgelegt ist, sondern wandelbar oder fluide ist. Ein Mensch mit Penis und Hoden kann dann von sich behaupten, eine Frau zu sein und auf sein Recht pochen, dass alle anderen ihn auch so sehen. Sollte der Gesetzesentwurf den Bundestag passieren, könnten sich Menschen jedes Jahr eine neue Geschlechtsidentität zulegen. Da sehr viele Menschen, wahrscheinlich die große Mehrheit der Bevölkerung, diese Ideologie nicht teilt, muss sie von oben herab, mit Zwang durchgesetzt werden. So soll künftig, wenn das Gesetz durchkommt, jeder mit einem Bußgeld rechnen müssen, der eine Transperson wiederholt nicht mit ihrem neuen Namen anspricht.

„Manche im Bundestag haben bereits kritisiert, dass der Gesetzesentwurf Minderjährige zu wenig schützt, und damit haben sie recht."

Auch dafür, wie zensorisch die Transgenderideologie ist, lässt sich in Großbritannien beobachten. Dort hat eine staatliche Klinik die Worte  „Frau“ und „Frauen“ aus einer Informationsbroschüre über die Wechseljahre gestrichen und durch „menstruierende Menschen“ ersetzt – aus Angst, die Translobby zu verletzen. Manche Kritiker der Transgenderideologie wurden sogar aus ihren Jobs vertrieben. (Eines der prominentesten Opfer dieser zensorischen Politik ist die Feministin und Universitätsprofessorin Kathleen Stock, dazu zählen aber auch die Tänzerin und Choreografin Rosie Kay und viele andere). Die Lobbyisten, die so gerne von ihrer eigenen Freiheit sprechen, sind zu einer Bedrohung für die freie Meinungsäußerung anderer geworden.

Manche im Bundestag haben bereits kritisiert, dass der Gesetzesentwurf Minderjährige zu wenig schützt, und damit haben sie recht. Der Entwurf will Jugendlichen ab einem Alter von 14 Jahren erlauben, eine Änderungserklärung für ihren Geschlechtereintrag abzugeben. Als Liberale sehen wir Erwachsene als mündige Bürger an, die über ihren Körper und ihr Leben selbst bestimmen können und sollen (ein Verbot geschlechtsangleichender Operation wäre daher illiberal und falsch). Für Kinder und Jugendliche aber gilt etwas anderes, denn ihnen fehlt die Reife und die Erfahrung. Deswegen ist es ihnen nicht erlaubt, Bordelle aufzusuchen, als Schöffe einer Gerichtsverhandlung beizuwohnen, Pornofilme auszuleihen, Schnaps zu erwerben und vieles andere (selbst das Verbot für Zigarettenwerbung wird mit dem Argument begründet, sie könne Kinder oder Jugendliche verführen). Geht es aber um Transgender, gilt dieses wichtige Prinzip der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen nicht mehr viel.

„Nur in unfreien Staaten wird Eltern mit dem Verlust ihres Entscheidungsrechts gedroht, wenn sie nicht der richtigen Ideologie huldigen."

Das Recht eines Minderjährigen, eine Änderungserklärung durchzusetzen wertet ein möglicherweise nur kurzfristiges Gefühl auf. Diese Gefahr aber ficht die Befürworter des Gesetzes offenbar ebenso wenig an, wie die nun so heftig kritisierten Mitarbeiter der britischen Klinik. Zahlreiche junge Erwachsene haben zwischenzeitlich die Tavistock-Klinik verklagt, weil ihnen als Minderjährige zu voreilig, wie sie heute finden, suggeriert wurde, sie steckten im falschen Körper. - und bei ihnen eine entsprechende medizinische Behandlung eingeleitet wurde. Einige der Jugendlichen, die Probleme mit ihrer sexuellen Identität hatten, dürften ganz einfach schwul oder lesbisch gewesen sein. Doch so eifrig und fest glaubten die Mitarbeiter an ihre Ideologie, dass Vorsicht und Zurückhaltung – und auch die Möglichkeit des Irrtums – weitgehend ausgeschlossen wurden.

Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Jugendlichen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, rapide zu. Laut einem Artikel in der F.A.Z. lag die Zahl bei 15- bis 25-Jährigen im Jahr 2007 noch bei 54, doch 2021 war sie bereits auf 917 angestiegen. Zwar müssen die Minderjährigen, die eine Änderungserklärung abgeben, laut dem neuen Gesetzesentwurf die Zustimmung der Sorgeberechtigten einholen. Vorgesehen ist jedoch, dass deren Zustimmung durch ein Familiengericht ersetzt werden kann, wenn es zu Konflikten kommt. Eltern, die sich Sorgen um ihre Kinder machen, müssen dies als Bedrohung empfinden. Auch wenn die meisten Familiengerichte gute Arbeit leisten, widerspricht diese Vorgabe den Grundsätzen eines freiheitlichen Staats, der das Elternrecht respektiert. Nur in unfreien Staaten wird Eltern mit dem Verlust ihres Entscheidungsrechts (und faktisch mit ihrem Erziehungsrecht) gedroht, wenn sie nicht der richtigen Ideologie huldigen.

Wenn unsere Abgeordneten demnächst über den Gesetzentwurf abstimmen, werden sie hoffentlich all diese Aspekte berücksichtigen.

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