31.01.2017

Keine Narrenfreiheit im Karneval

Kommentar von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: WaltiGoehner via Pixabay / CC0

Ein Büttenredner aus Köln wurde von der Bühne vertrieben, weil er grüne Politikerinnen derb attackierte. Teile des Establishments verstehen immer weniger Spaß.

Ein bekannter Kölner Büttenredner ist mitten in der Session zurückgetreten, weil sein Herz die Aufregung nicht mehr mitmacht. Und zwar nicht den Jubel seines Publikums, sondern den Ärger, der jüngst um einige Inhalte seiner aktuellen Büttenrede entstanden war. Jupp Menth (70), war jahrelang als „Kölsche Schutzmann" auf den Bühnen erfolgreich, kürzlich wurden seine Angriffe auf Grünen-Chefin Simone Peter und andere Politiker heftig kritisiert.

Dass Menth, selbst früherer Polizeibeamter, auf Peters Aussagen zum Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht scharf reagiert hat, mag nicht verwundern. Thema war dies auch bei vielen seiner Kollegen, Menth, der bei seinen Auftritten zu einer derberen Sprache neigt, formulierte es so: „Wenn sie ein Kerl gewesen wäre, würde ich sagen: ‚Sie sind ein Arschloch‘“. Solches Vokabular kann schon vorkommen, Anfang der 1990er Jahre hat der Kabarettist Jürgen Becker in der „Stunksitzung“ mal über den damaligen Kölner Erzbischof Kardinal Meisner geurteilt: „Aber ein Arschloch ist er doch“ (das Wort wurde in der WDR-Fernsehübertragung akustisch unkenntlich gemacht, hatte aber sonst keine Konsequenzen).

Seit der französischen und preußischen Besatzungszeit dient der Karneval zur subversiven Veralberung der Mächtigen, wer sie auch gerade sein mögen. Gerade im Kölner Raum geht es bei den Auftritten der jecken „Comedians“ – früher standardmäßig in einer Bütt (Tonne) – oft etwas deftig zur Sache. Beim volksnahen Humor in gut gelaunten Sälen und Zelten gehört es dazu, über die Stränge zu schlagen. Es darf auch mal fäkal und genital werden. Was ein Hipster Jan Böhmermann kann, können die Karnevalisten schon lange. Beim „Schutzmann“ Jupp Menth bekamen neben einigen anderen Politikern dieses Jahr eben Simone Peter und ihre Parteifreundin Claudia Roth („Zur Paarungszeit wird die sogar von Buntspechten angeflogen. Obwohl sie rein ornithologisch vom Vögeln keine Ahnung hat.“) ihr Fett weg. Nicht unbedingt mit feinem Florett und auf höchstem Niveau, aber dafür besucht man ja auch keine Karnevalssitzung.

„Wegen Trump aufpassen, was man im deutschen Karneval sagt – da hat man weder die Meinungsfreiheit noch die amerikanische Präsidentschaftswahl begriffen“

Die Probleme begannen, als die Kölner IG Metall in der regionalen Boulevardzeitung Express von derlei Attacken erfuhr und Menth kurzfristig aus dem Programm ihrer Karnevalsveranstaltung strich – ein angesichts langer Buchungszeiträume und der Bedeutung namhafter Redner sehr ungewöhnlicher Vorgang. „Von den Zeiten des Nationalsozialismus einmal abgesehen, gab es die Ausladung von Rednern höchst selten bis gar nicht“, urteilt Sven Hansel, Buchautor zum Thema Büttenreden. Hansel verweist auf die staatskritische Tradition des Karnevals und regt an, das Publikum über die Qualität der Auftritte entscheiden zu lassen (und sei es durch Ausbuhen), statt sie im Vorfeld zu unterbinden. Das erinnert an die „No-Platform“-Aktionen z.B. an Universitäten, wo missliebige Redner ausgeladen bzw. an der Teilnahme gehindert werden sollen.

Persönlich geschmacklose, frauenfeindliche, sexistische Äußerungen so unterhalb der Gürtellinie“ hätten den Ausschlag gegeben, so ein zuständiger IG-Metall-Funktionär. Kaum anzunehmen, dass in der Vergangenheit bei der Gewerkschaftssitzung immer solche Maßstäbe gegolten haben. Vielleicht fand man die angegriffenen Parteifarben nicht ausgewogen genug. „Darf ich dann bald als Redner auch keine Merkel-Witze mehr bei der CDU-Sitzung machen?“, fragte Menth gegenüber dem Express.

Der Kölner SPD-Chef Jochen Ott MdL (gescheiterter OB-Kandidat und nach der Korrektur des Kommunalwahlergebnisses aus dem Stadtrat geflogen), ging sogar noch weiter: „Gerade in diesem Jahr und nach der Vereidigung des neuen Präsidenten der USA müssen alle mehr ihre Worte wägen.“ Wegen Trump aufpassen, was man im deutschen Karneval sagt – da hat der gelernte Lehrer Ott offenbar weder das hohe Gut der Meinungs- und Kunstfreiheit noch diese amerikanische Präsidentschaftswahl auch nur annähernd begriffen. „Menth trifft den Nerv der Menschen – in Zeiten des Wahlkampfes sogar besser, als manch Politiker es sich wünscht“, urteilt der Journalist Bastian Ebel.

Video: Auftritt Jupp Menth in Köln, 27. Januar 2017 (Ausschnitt).

Damit ist es nun vorbei. Insbesondere ein Schreiben des grünen Bürgermeisters Andreas Wolter an das Festkomitee Kölner Karneval mit der Aufforderung, die Dachorganisation möge Büttenrednern „‚rote Linien‘“ setzen, hat Menth so aufgeregt, dass der in dieser Hinsicht Vorbelastete nach einem Auftritt am vergangenen Freitag an Herzrhythmusstörungen litt und am Samstag auf dringendes ärztliches Anraten seine Karriere sofort beendete.

Bei einigen seiner Kritiker war herauszuhören, er hätte mal stärker die AfD aufs Korn nehmen sollen. Nach Menths Aussage kam dieser Adressat in seiner Büttenrede mehrfach vor. Schlimmstenfalls werden sich Büttenredner künftig überlegen, ob sie nicht ihr ganzes Programm „politisch korrekt“ gestalten und sich manche Kritik am politischen Establishment verkneifen, um nicht ausgeladen oder gesundheitlich zusätzlich belastet zu werden (mehrere prominente Büttenredner waren in den letzten Jahren durch Stress anfällig für psychische Probleme). Immerhin ein Kollege hat deutlich Flagge gezeigt: Büttenredner Fritz Schopps („Rumpelstilzje“) weigerte sich, als Ersatz für Menth bei der IG-Metall-Sitzung einzuspringen und drohte seinen SPD-Austritt an.

Die Meinungs- und die Kunstfreiheit stehen an vielen Stellen unter Beschuss, sogar dort, wo bisher Narrenfreiheit geherrscht hat. Was man sagt, wie man es sagt, wann und wo man es sagt, alles kann gegen einen verwendet werden – dieser Eindruck entsteht zunehmend. Nicht nur in den Social Media, sondern auch bei traditioneller Unterhaltung. Der Rahmen des Erlaubten soll so verengt, die Schere im Kopf angesetzt werden. Umso wichtiger, klar Flagge zu zeigen und die Freiheit des Wortes zu verteidigen. Und die beste Verteidigung ist immer noch der Angriff. Auch auf Arschlöcher.

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