11.04.2016

Fall Böhmermann: Weg mit Paragraf 103!

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Jonas Rogowski (CC BY-SA 3.0 / bearbeitet)

Deutschland empört sich über den Autokraten Erdogan, der die Meinungsfreiheit mit Füßen tritt. Dabei gehört bei uns das Gesetz abgeschafft, das ihm die Anzeige gegen Böhmermann ermöglicht

Selbstverständlich ist es skandalös, wenn der Komiker Jan Böhmermann wegen seines Schmähgedichts angezeigt wird. Doch es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass kein türkisches, sondern ein deutsches Gesetz dafür verantwortlich ist.

„Nach unseren Maßstäben im Umgang mit Satire verschiedenster Spielarten war die gewaltige Aufregung um den Fernsehbeitrag über den türkischen Autokraten (...) und seine wütende Reaktion darauf überraschend“, schreibt der ehemalige Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck Mitte letzter Woche in der „Berliner Zeitung“. Er bezog sich auf den satirischen Film der Sendung extra3, der nicht zuletzt eine diplomatische Krise zwischen den beiden Staaten ausgelöst hat.

Als Staeck dies schrieb und es nur um diesen relativ gefälligen Film ging, schien die Welt noch in Ordnung. Repressive Gesetze? Das war die Türkei. Nun aber hat die Debatte, mit dem Fall Jan Böhmermann, eine interessante Wendung genommen.

Plötzlich erstrahlt Deutschland nicht mehr ganz so hell im Vergleich. Kaum war das satirisch-absurde Gedicht über Erdogan in der Sendung Neo Magazin Royale vorgetragen, wurde es von der zuständigen Rundfunkanstalt (ZDF) gelöscht. Nicht gerade ein Ausdruck für Standhaftigkeit in Sachen Rede-und Pressefreiheit! Das gilt auch für die Kanzlerin, die umgehend bei dem türkischen Ministerpräsidenten anrief, um zu bescheinigen, dass es sich um ein „bewusst verletzendes“ Werk handele.

War das die gleiche Kanzlerin, die noch eine Woche zuvor dem türkischen Präsidenten geraten hatte, weniger dünnhäutig zu sein und zu akzeptieren, dass die Bundesregierung keinen Einfluss auf die Presse einnehmen könne? Oft wird kritisiert, Angela Merkel habe sich, wegen ihres Deals in der Flüchtlingskrise, von der Türkei abhängig gemacht. Doch auch dies ist nur die halbe Wahrheit und geht an dem viel grundlegenderen Problem vorbei, weil es die Verantwortung viel zu sehr bei der türkischen Regierung verortet.

Tatsächlich bedürfen wir der Türkei gar nicht, um die Pressefreiheit einzuschränken. Auch bei uns gibt es genügend Spielraum, wie der Paragraf 103 des Strafgesetzbuches zeigt, der nun auf Böhmermann angewendet wird. Diese stellt die „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ unter Strafe. Bezeichnend ist auch, wie unverfroren die gute alte zensorische Rede vielerorts erklingt. So erklärt uns z.B. der Medienanwalt Markus Kompa in der Deutschen Welle, dass eine grenzenlose Meinungsfreiheit nicht zwingend ein kultureller Gewinn sei und es durchaus Grenzen geben müsse.

Doch wer soll diese Grenzen ziehen? Nun wird darüber gestritten, ob das Gedicht Satire sei oder nicht. Doch schon die Frage weist auf das Problem. Ganz abgesehen von dem vielzitierten Diktum Kurt Tucholskys, der 1919 sagte, die Satire dürfe alles, lohnt es sich daran zu erinnern, dass auch die Beleidigung und Schmähung von Respektspersonen einen wichtigen Platz in einer demokratischen Auseinandersetzung hat. Satire hin oder her- Schmähgedichte müssen erlaubt sein.

Es wird schwierig, sich weiterhin im Glanz selbstgefälliger Liberalität gegenüber den angeblich so rückständigen Türken zu sonnen.

Es ist kein Zufall, dass der Paragraf 103, der hier zur Geltung kommt, mehr oder weniger direkt aus dem alten Straftatbestand der Majestätsbeleidigung abgeleitet wurde. Den Kaiser zu verspotten bedeutete, seine unangefochtene Vormachtstellung zu hinterfragen und war somit ein subversiver Akt.

Durch ein Schmähgedicht des Satirikers und Autors Frank Wedekind sah sich Kaiser Wilhelm II derartig beleidigt, dass sich der Autor mehrere Jahre Gefängnis einhandelte. Dabei hatte Wedekind, der für eine der besten deutschen Satirezeitschriften, den Simplicissimus, schrieb, einfach nur ein urkomisches Gedicht über den Kaiser als korrupten Kreuzzugritter verfasst. Doch schon damals hieß es, er habe die Grenzen überschritten.

Natürlich kämpfen wir heute nicht mehr gegen eine repressive Monarchie, und in Deutschland wird die Pressefreiheit im Großen und Ganzen (mit Ausnahmen wie die des Schandparagrafen 103) respektiert. Trotzdem sollte uns der Fall Böhmermann zu denken geben. Zwar ist es kein zensorischer Staat, der uns einschränkt. Aber oft genug ein selbstauferlegter Zwang zur Duckmäuserei. Viel zu häufig ertönt der Ruf: Das darf man doch nicht sagen! Wenn schon die Äußerung einer ketzerischen, anzüglichen oder potentiell beleidigenden Meinung (oder, wie in diesem Fall, Satire) als Skandal gewertet wird, dann ist etwas faul im Staate.

Am Sonntag wurde bekannt, dass die türkische Regierung ein Strafverfahren gegen Böhmermann fordert. Das kann nicht im Interesse der Bundesregierung sein, für die der Fall einiges an Peinlichkeit birgt – zeigt er doch mehr Übereinstimmung zwischen den deutschen und den türkischen Gesetzen, als ihr lieb sein dürfte. Daran wird keine Hinterzimmerdiplomatie etwas ändern. Auch wird es so schwierig werden, sich weiterhin im Glanz selbstgefälliger Liberalität gegenüber den angeblich so rückständigen Türken zu sonnen. Zwar wird nun wieder die Hauptverantwortung für die Causa Böhmermann bei Recep Fritzl Priklopil (sorry, Erdogan) gesucht. Doch das Problem ist ein deutsches Gesetz, das abgeschafft gehört.

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