25.11.2022
Es ist Zeit für einen Fifa-Exit!
Man kann die Fifa zurecht kritisierten. Konsequenter wäre es, die Organisation zu verlassen und Alternativen aufbauen. So ließe sich der Bierhoffisierung des Fußballs entgegenwirken.
Die Diskussion über die Fifa erinnert an die Debatten über die EU: Man ereifert sich über die Verbotskultur, über die absurden Regularien und über das Fehlen jeglichen Fingerspitzengefühls und demokratischer Mitbestimmung – gleichzeitig sind aber die nationalen Mitgliedsverbände diejenigen, die das transnationale Monster überhaupt erst erschaffen haben. Die Fifa ist keineswegs außerirdisch – sie ist das erwartbare Produkt der Art und Weise, wie heute schlagkräftige Organisationen entstehen. Die Verbände, die nun dagegen aufbegehren, sind nicht nur Teil des Problems, sie sind die Basis des Problems. Und auf nationaler Ebene agieren diese Verbände übrigens fast genauso autoritär und kleinkariert, wie sie es global der Fifa vorwerfen.
Aber den Konflikt mit der Fifa suchen, vielleicht sogar mit der Fifa brechen? Oh nein! Über die Fifa schimpfen ist doch viel leichter. Und plötzlich fühlen sich DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Oliver Bierhoff wie kleine Wohlfühl-Revoluzzer, weil sie auf Fifa-Chef Infantino deuten können. Das ist so einfach – und so verlogen: Gerade Leute wie Bierhoff stehen seit Jahrzehnten für die Anpassung des Fußballs an mediale Bedürfnisse, er steht wie kaum ein anderer für das Weichspülen des einstigen Proletensports und für die Einführung der konformistischen Planwirtschaft in der Talentgewinnung.
Vor 20 Jahren haben wir bei Novo diesen Trend im Fußball sogar nach ihm benannt: die „Bierhoffisierung des Fußballs“, ein Begriff, der 14 Jahre später vom Spiegel aufgegriffen wurde. Dass derselbe Bierhoff heute vor den Kameras und beteuert, man könne ihm die Binde wegnehmen, nicht aber seiner Werte, ist wohlfrisierte Heuchelei. Bierhoff ärgert sich über die Fifa, weil sie ihn entlarvt hat, weil sie ihm nicht einmal seine angepasste Wokeness durchgehen lassen will.
Ich kann mich gerade nicht entscheiden, was peinlicher ist: diese Binde tragen zu wollen und sie aufzublähen zu einer Widerstandsfahne – oder sich dann verbieten zu lassen, diese zu tragen. Wahrscheinlich würde ich mir vor lauter Scham die Hand vor den Mund halten. All diese Akte sind Tätlichkeiten gegen den gesunden Menschenverstand – daher würde ich deswegen sagen: glatt rot!
„Sind eigentlich schon Proteste gegen die EM 2024 in Deutschland angemeldet worden? Wegen des gekauften Sommermärchens?“
Schamrot könnte man auch werden, wenn man die Beschimpfungen gegen Katar wirklich ernstnehmen würde. Aber wir wissen ja, dass das eigentlich nur verzweifeltes, moralisches Posing ist. Gerade aus Deutschland. In anderen Ländern ist das Katar-Bashing nicht so ausgeprägt. Ich weiß auch, warum. In zwei Jahren findet hier die Fußball-Europameisterschaft statt. Da will man vorher nochmal klarmachen, wie moralisch einwandfrei man selbst ist. Damit dann bloß keiner auf die Idee kommt, das gekaufte Sommermärchen von 2006 anzusprechen.
Das war ja eine ganz andere Zeit, ganz andere Leute, bis auf – ja genau – Oliver Bierhoff. Der ist so lange beim DFB, dass man fast meinen könnte, er hätte das Wunder von Bern auch schon gekauft. Auch wenn er jetzt Tränen verdrückt wegen des Moralverfalls – wir wissen doch, wie nah er bereits vor dem WM 2006 am Becken gebaut war. Sind eigentlich schon Proteste gegen die EM 2024 in Deutschland angemeldet worden? Wegen des gekauften Sommermärchens? Ich fange schon mal an, Protestschilder zu malen und Bälle zu sammeln – die klebe ich dann auf die Autobahn!
Wenigstens die Iraner protestieren! Ganz toll! Endlich mal Leute, die aus Überzeugung ihre Nationalhymne nicht mitsingen! Alle finden das super, auch beim DFB. Aber nur, solange es nicht die deutsche Nationalhymne ist, die nicht gesungen wird. Was ist das in den letzten Jahren für ein Eklat gewesen! „Die singen ja gar nicht, die bewegen ja nur die Lippen, und nicht mal das! Und dann haben sie auch noch dunkle Hautfarbe! Die identifizieren sich gar nicht mit uns! Und dann heißen sie auch nur ‚Die Mannschaft‘!“
„Wie wäre es mit einem Ausstieg aus der Fifa-Welt? Einer muss anfangen, um den anderen zu zeigen, dass es möglich ist.“
Offensichtlich werden die Deutschen gerade mal wieder daran erinnert, dass sich man mit den Menschen im Land identifizieren kann, ohne dass das Ganze über den Staat läuft. Dass es überhaupt Dinge gibt, die ohne Staat laufen. Nach drei Corona-Jahren ist das fast nicht vorstellbar. Und das lernen wir ausgerechnet von iranischen Moslems! So manch einem stößt dies übel auf.
Ich war von Anfang an ein Anhänger des Brexit und bin es auch heute noch. Weil er ein demokratisches Votum war und aufzeigt, dass Veränderungen sehr wohl möglich sind – auch gegen die eigenen Führungseliten. Vielleicht ist es ja auch ein Vorteil, dass Sport und Politik heute so verwachsen sind. Politik ist, was wir daraus machen. Das kann auch für den Fußball gelten. Wie wäre es mit einem Ausstieg aus der Fifa-Welt? Einer muss anfangen, um den anderen zu zeigen, dass es möglich ist. Und dann muss man eine Alternative aufbauen.
Die Diskussion hat gerade begonnen. Medienberichten zufolge prüft der Dänische Fußballverband DBU die Möglichkeit, den Weltverband zu verlassen. Naturgemäß scheuen noch viele Verbände vor einer solchen Entscheidung zurück – wissen sie doch genau, dass sie selbst mit ihren Strukturen Teil des Problems sind und ein Fußballbeben auch sie erfassen könnte. Zu so einem Schritt braucht man Eier. Und keine Binden. Und es braucht Leute, die Lust haben auf Fußball, und die sich den Fußball zurückholen wollen. Den echten. Den dreckigen, den mit fluchenden Fans, mit Bier und Hoffnung, aber ohne Bierhoff, und ohne autokratische Fußball-Weltregierungen. Die Briten haben den Ausstieg aus der EU geschafft – warum sollte nicht auch die Fifa irgendwann hinfällig werden?